San Francisco leidet unter ausuferndem Ladendiebstahl. Die Bürgermeisterin hatte der Polizei vergangenes Jahr 120 Millionen Dollar gestrichen. Nachdem kürzlich ein Louis-Vuitton-Laden ausgeräumt wurde, beginnt ein Umdenken.
Die kalifornische Stadt San Francisco ist nicht nur die teuerste der USA, was die Mieten betrifft, sie gilt auch als die „progressivste“, also politisch am weitesten links stehende. Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 erhielt Joe Biden dort 85 Prozent der Stimmen.
Als im Sommer 2020 Nacht für Nacht vermummte Linksextremisten randalierend und brandschatzend durch amerikanische Großstädte zogen – naturgemäß auch in San Francisco – und die Abschaffung der Polizei forderten, erklärte San Franciscos Bürgermeisterin London Breed rasch, die ersten Schritte dorthin zu tun: Sie werde den Polizeihaushalt um 120 Millionen Dollar kürzen und das Geld stattdessen für den Kampf gegen die „Ungleichheit der Rassen“ verwenden. „Die Reform unseres Strafrechtssystems“, sagte sie, „muss mit politischen Änderungen und Haushaltsinvestitionen einhergehen, um unsere Stadt gerechter zu machen. Indem wir die Gelder von Strafverfolgungsbehörden zurück in die afroamerikanische Gemeinschaft umleiten, setzen wir unsere Worte in die Tat um, und wir tun dies, indem wir einer Gemeinschaft zuhören, die zu lange ungehört blieb und unterversorgt wurde“.
Nehmen wir einmal zugunsten der Bürgermeisterin an, dass sie das Geld auf irgendeine sinnvolle Weise ausgegeben hat – wieso aber müssen der Polizei deshalb Ressourcen entzogen werden? San Francisco ist eine der reichsten Städte der Welt. Für das vergangene Jahr verzeichnete die Stadt trotz aller Corona-Einschränkungen der Wirtschaft einen Haushaltsüberschuss von: 125 Millionen Dollar. Zufällig fast genau die Summe, die der Polizei weggenommen wurde. Das Geld für San Franciscos Polizisten ist also zweifellos da, sie sollen es aber nicht bekommen. Sollen sie sehen, wie sie es einsparen: ob durch verlängerte Reaktionszeiten bei Notrufen, weniger Personal bei der Mordkommission oder bei der Ausbildung der Beamten.
Es ist offensichtlich, dass bei der Polizei nicht etwa Geld „eingespart“ wird, um es für mehr oder weniger legitime Wohltaten auszugeben; vielmehr soll die Polizei gestraft werden, nämlich mit Verachtung. Die Etatkürzung ist der Weg, allen Polizisten der Stadt den Stinkefinger zu zeigen.
So war es zumindest bislang. Nun nämlich gab es eine Art Weihnachtswunder: London Breed, die linke Bürgermeisterin, hat einen plötzlichen Sinneswandel. Jawohl. Sie will nun doch wieder mehr Polizei in der Innenstadt von San Francisco sehen. Viel mehr. Ihre Reden klingen nun ganz anders:
„Ich bin stolz, dass diese Stadt daran glaubt, den Menschen eine zweite Chance zu geben. Trotzdem muss man auch zur Verantwortung gezogen werden, wenn man das Gesetz bricht … Unser Mitgefühl kann nicht mit Schwäche oder Gleichgültigkeit verwechselt werden … Es ist an der Zeit, dass die Herrschaft der Kriminellen endet. Und sie endet, wenn wir die Strafverfolgung aggressiver einsetzen und weniger tolerant gegenüber all dem Bullshit sind, der unsere Stadt zerstört hat."
Taschendieb mit Taschenrechner
Mein lieber Herr Gesangsverein, was war denn da passiert? Das Stichwort lautet: Louis Vuitton. Ein Mob von etwa 40 maskierten Räubern überfiel am 20. November die Filiale des Luxusgüterunternehmens im Stadtteil Union Square, dem zentralen Einkaufs-, Hotel- und Theaterviertel der Stadt. Die Täter schlugen Scheiben ein und rannten mit teurer Ware davon. Der Schaden soll sich auf eine Million US-Dollar belaufen. Die Einzelhandelsketten Burberry, Bloomingdale's und Yves Saint Laurent waren Berichten zufolge ebenfalls Ziel von Plünderern.
Der Fall machte überregional Schlagzeilen, nationale Sender wie ABC, FOX News und NBC berichteten. Das war offenbar der Punkt, an dem Bürgermeisterin Breed dämmerte, dass es so nicht weitergehen kann.
Die Probleme der Stadt begannen freilich nicht erst letzten Monat. Und auch nicht erst im letzten Jahr. Jahrelang hatten der Staat Kalifornien und vor allem San Francisco die Kriminellen förmlich eingeladen, ungestraft ihre Verbrechen zu verüben. Etwa, indem Verbrechen nicht mehr als solche bezeichnet und auch nicht mehr verfolgt wurden. Im Jahr 2014 gab es in Kalifornien ein Referendum, das von einer Mehrheit der Wähler angenommen wurde, Proposition 47. Dessen Inhalt war, eine Reihe von Straftaten zu bloßen Ordnungswidrigkeiten herabzustufen. Das betraf etwa Ladendiebstahl von Waren im Wert von weniger als 950 US-Dollar (umgerechnet rund 850 Euro); Annahme von gestohlenen Waren im Wert von weniger als 950 US-Dollar; Scheckbetrug bei einer Summe von weniger als 950 US-Dollar und Drogenbesitz.
Das ließen sich die Kriminellen nicht zweimal sagen. Schon im folgenden Jahr berichtete die Washington Post über boomenden Ladendiebstahl in San Francisco: Polizisten würden die Serientäter auch als „Vielflieger“ bezeichnen – Leute, die, wie es in dem Bericht heißt, genau wissen, wie sie das neue Gesetz zu ihrem Vorteil nutzen. So habe es da etwa den Fall eines Ladendiebs gegeben, der bei seinen Taten einen Taschenrechner benutzte, um das 950-Dollar-Limit nicht zu überschreiten, wie er selbst sagte. Der Bericht der Washington Post erzählt von jemandem mit dem Spitznamen „Hoover Heister“ („Hoover-Dieb“). Hoover ist die bekannteste Staubsaugermarke der USA. „Hoover Heister“ hatte innerhalb von drei Monaten 13-mal in Folge Staubsauger und andere Haushaltsgeräte aus Geschäften gestohlen – nein, halt: er wurde in jenen drei Monaten 13-mal dabei erwischt; wie oft er unbehelligt mit gestohlenen Geräten aus Geschäften gegangen ist, kann ja niemand wissen, außer ihm selbst.
„In Sichtweite des Rathauses“
In der New York Times erschien im Mai dieses Jahres der Erfahrungsbericht des Autors Thomas Fuller, der 2016 als neuer Chef des dortigen New York Times-Büros nach San Francisco gezogen und schockiert war von der dortigen „Ladendiebstahlsepidemie“, wie er es selbst nennt. Fuller erzählt, wie er in Geschäften beobachtete, wie Leute einen Laden betreten, sich bedienen und vor aller Augen das Geschäft mit dem Diebesgut verlassen. Die Angestellten würden nur „mit den Schultern zucken“. Die große Drogerie- und Apothekenkette Walgreens habe bereits 17 Filialen in San Francisco geschlossen, „in erster Linie, weil das Ausmaß des Ladendiebstahl das dortige Geschäft unrentabel gemacht hatte“.
Manche stehlen für den eigenen Bedarf, für andere ist es ein Industriezweig. Hehler, oft aus Mexiko oder Guatemala, kämen täglich über die Grenze und würden am helllichten Tag wie auch in der Nacht Stände betreiben, wo sie gestohlene Waren ankaufen, sagte Del Seymour, der Gründer der Wohltätigkeitsorganisation Code Tenderloin, dem Fernsehsender FOX. Dies geschehe „in Sichtweite des Rathauses“.
Geschäfte reagieren, indem sie entweder den Betrieb einstellen – wie in dem genannten Beispiel der Walgreens-Drogerien –, mehr Wachleute anheuern, die Geschäftszeiten verkürzen oder auf technische Mittel setzen. So etwa der Lebensmitteleinzelhändler Safeway. In dessen Filialen in San Francisco gibt es nun Türen, die automatisch nach jedem Kunden schließen, berichtet der Fernsehsender CBS. Das soll es den Ladendieben schwerer machen, mit dem Diebesgut wegzurennen. Und weil auch die Einkaufswagen massenhaft gestohlen wurden, haben diese bei Safeway nun lange Stäbe, die wie Antennen aussehen: damit sie nicht mehr durch die Tür passen. Eine von CBS befragter Kunde namens Chris Mejia sagte:
„Ehrlich gesagt, ich denke, es ist wahrscheinlich gut, dass sie das gemacht haben, denn fast jedes Mal, wenn ich hierher kam, gab es ein wirklich schlimmes Ladendiebstahlproblem, es gab eine Art Krawall.“
Seit Ende Oktober wird ein Safeway in der Nachbarschaft, der einst rund um die Uhr geöffnet war, um 21 Uhr wegen weit verbreiteter Diebstähle geschlossen. „Oft rannten Leute und Sicherheitskräfte verfolgten sie oder versuchten sie aufzuhalten“, so Mejia. Ein Kunde, der namentlich nicht genannt werden wollte, gab gegenüber dem Fernsehsender sogar zu, selbst gestohlen zu haben. Über die Sicherheitsvorkehrungen des Geschäfts sagt er: „Ich denke, dass sie nicht sehr gut sind, weil ich persönlich hier relativ problemlos Ladendiebstahl begehen konnte.“
„Straftaten gegen die Lebensqualität“ nicht mehr verfolgen
Ladendiebstahl ist nicht die einzige Geißel San Franciscos. Die Stadt ist übersät mit den Zelten von Wohnungslosen. Diese wiederum sind überdurchschnittlich oft Opfer wie auch Täter von Straftaten wie Körperverletzung. Es gibt in der Stadt offenen Drogenhandel. Während anderswo die Zahl der Wohnungseinbrüche im ersten Corona-Jahr 2020 zurückgingen (weil Menschen mehr Zeit zu Hause verbrachten), stieg sie in San Francisco weiter, ebenso wie die Zahl der Morde.
Ganz Kalifornien ist lax im Umgang mit Kriminalität. Doch die Bürger San Franciscos haben noch einen drauf gesetzt und 2019 mit Chesa Boudin – Sohn zweier verurteilter Linksterroristen der Untergrundorganisation Weathermen – jemanden zum Bezirksstaatsanwalt gewählt, der sagte, Kriminalität sei auf „Armut, Vermögensungleichheit und unzureichende Staatsausgaben für Sozialprogramme“ zurückzuführen und versprach „Straftaten gegen die Lebensqualität“ nicht mehr zu verfolgen:
„Wir werden keine Fälle von Straftaten gegen die Lebensqualität verfolgen. Straftaten wie öffentliches Campen, Anbieten oder Kaufen von Sex, öffentliches Urinieren, Blockieren eines Bürgersteigs usw. sollten und werden nicht strafrechtlich verfolgt. Viele dieser Verbrechen werden immer noch verfolgt, wir haben noch einen langen Weg vor uns, um Armut und Obdachlosigkeit zu entkriminalisieren.“
„Egoistische, selbstgerechte und rassistisch eingestellte Frauen“
Als im Sommer von Kunden gefilmte Videos in den sozialen Netzwerken viral gingen, die zeigten, wie ein Ladendieb mit dem Fahrrad durch einen Walgreens-Markt in San Francisco fährt, einen großen Müllbeutel mit Waren füllt und mit ihnen davonfährt, gab Boudin dem Unternehmen die Schuld, das den Dieb an seiner Tat hätte hindern sollen:
„Wenn Walgreens eine Versicherung für bestimmte Güter hat oder einen bestimmten Schaden erwartet, wenn sie lieber keine Klagen oder eine Eskalation zur Gewalt riskieren möchten – dann sollten wir das vielleicht wissen.“
Weiter sagte er, dass die Polizei nur bei 2,5 Prozent der gemeldeten Diebstähle Festnahmen vornehme. „Vielleicht ist das eine gute Sache – vielleicht bedeutet das, dass sie Morde priorisieren“, so Boudin.
Auch wenn Boudin ein Interesse daran hat, von seinem eigenen Versagen abzulenken, ist es trotzdem eine berechtigte Frage, warum niemand Anstalten machte, den Ladendieb festzuhalten, auch der private Wachmann nicht, der im Video zu sehen ist, wie er selbst den Dieb beim Einpacken der Beute filmt, statt ihn zu stoppen. Das könnte damit zu tun haben, dass der Täter schwarz war; seit Oktober 2020 gibt es in San Francisco nämlich auch ein Gesetz, wonach sich jeder strafbar macht, der den Polizeinotruf aus einem „rassischen Vorurteil“ heraus wählt: den Caution Against Racial and Exploitative Non-Emergencies Act.
Wie die britische Tageszeitung The Guardian erläuterte, ist das Kürzel des Gesetzes – CAREN – eine Anspielung auf den Spitznamen, den weiße Frauen haben, die aus einer angeblich rassistischen Motivation heraus Anrufe bei der Polizei machen. Sie werden als die „Karens“ verspottet. Auf Wikipedia ist zu lesen, der Begriff stehe „für egoistische, selbstgerechte und rassistisch eingestellte Frauen, die minderprivilegierte Menschen von oben herab behandeln“. Vielleicht also war das der Grund, warum niemand den Ladendieb stoppte: Niemand wollte als die egoistische, selbstgerechte und rassistische Person gelten, die einen minderprivilegierten Menschen bei seinem Job behindert – und sich später noch dafür verantworten muss, aus einem „rassischen Vorurteil“ heraus die Polizei gerufen zu haben.
„Aber ich hatte eine Waffe. Was stimmt nicht mit diesem Land?“
Vielleicht ist diese Spekulation aber zu weit hergeholt. Die nächstliegende Erklärung ist: Jeder weiß, dass es vergebliche Mühe ist, Ladendiebe aufzuhalten, wo die Justiz ja ohnehin nichts gegen sie unternimmt. Hätte man den Mann beim Ladendiebstahl gestört, wäre er vielleicht handgreiflich geworden. Warum dieses Risiko eingehen, für nichts und wieder nichts? Später wäre er ja doch wiedergekommen und hätte dann vielleicht auch noch schlechte Laune gehabt.
Die Bürger San Franciscos bekämen „das, wofür sie gestimmt haben“, schrieb ein Kommentator des Wall Street Journal nach dem Überfall auf die Louis-Vuitton-Filiale im November.
Seither hat sich etwas verändert. Seit die Polizei im Union Square auf Anweisung von Bürgermeisterin Breed deutliche Präsenz zeigt, ist die Kriminalität dort deutlich zurückgegangen. Welch eine Überraschung.
„Ausufernder Diebstahl im Einzelhandel und gewaltsame Raubüberfälle, die San Francisco heimsuchen, haben die Nachfrage lokaler und nationaler Einzelhandelsunternehmen nach Schutz vor dieser Epidemie erhöht. Leider gibt es einfach nicht genug Polizisten in San Francisco, um all diese Geschäfte und Käufer zu schützen“, sagte Tony Montoya, Präsident der San Francisco Police Officers Association, in einer Erklärung. Die Ankündigung von Bürgermeisterin Breed, mehr Polizisten einzusetzen, sei das Eingeständnis, dass die Mittelkürzungen bei der Polizei (defund the police) ein Fehler gewesen seien, fügte er hinzu.
Der republikanische US-Senator John Kennedy, der den Staat Louisiana vertritt, kommentierte auf Twitter:
„Wenn man Kriminelle nicht verhaftet, strafrechtlich verfolgt und einsperrt, wenn sie es verdienen, wird die Kriminalität zunehmen. Die meisten Amerikaner, die sich nicht als Idioten identifizieren, verstehen das. Ich weiß nicht, warum so viele Bürgermeister in blauen [von Demokraten regierten; S.F.] Städten das nicht verstehen.“
2015 berichtete die Washington Post über den Fall eines „bekannten Bandenmitglieds“, ein Mann, der in der Nähe der kalifornischen Stadt Palm Springs mit einer gestohlenen Pistole im Wert von 625 US-Dollar erwischt worden war und fassungslos reagierte, als der Polizist ihm erklärte, dass er nicht ins Gefängnis komme, sondern nur eine Verwarnung erhalte. „Aber ich hatte eine Waffe. Was stimmt nicht mit diesem Land?“, sagte der Täter laut Polizeibericht.