Im Jahre fünf nach Hinterhäusers Inthronisation wird wieder ein Erlöser gesucht – diesmal nicht von der „konservativen Reaktion“, sondern vom links-grünen Geist, der die Festspiele voll im Griff hat.
Als der Pianist und Kulturmanager Markus Hinterhäuser vor fünf Jahren die Intendanz der Salzburger Festspiele übernahm, wurde er gefeiert wie ein Erlöser. Bleierne Jahre der Restauration schienen ein Ende gefunden zu haben, jedenfalls in den Berichten und Kommentaren linksgewirkter Feuilletonisten. Nun sollten die Festspiele, immerhin das weltgrößte und vielleicht nach wie vor renommierteste Musik- und Theaterfestival der Welt, wieder an das aufklärerische Erbe von Jürgen Flimm, Peter Ruzicka und, vor allem, Gerard Mortier anknüpfen können – mit wagemutigen Inszenierungen, viel zeitgenössischer Musik und einem Programm für ein jüngeres, entdeckungsfreudiges Publikum, das nicht nur dem Starkult huldigt und sich nach dem Opernvollzug in teuren Restaurants und auf angesagten Privatpartys tummelt, sondern Kunst und Kultur als gesellschaftsverändernde Kräfte begreift.
Doch im Jahre fünf nach Hinterhäusers Inthronisation sind die Festspiele schon wieder einer Erlösung bedürftig. Dieses Mal ist es nicht die Erlösung von einer, zumindest teilweise, herbeigeschriebenen konservativen Reaktion, sondern von der allumfassenden Herrschaft der links-grünen Staatsraison, die die Festspiele mittlerweile voll im Griff hat und voll auf Hinterhäusers Konto geht. Genderismus, Willkommenskultur und Ökologismus durchziehen das Programm dieser Saison wie ein rot-grüner Faden, ergänzt durch ein robustes Corona-Management, bei dem jede Art von österreichischem Charme auf der Strecke bleibt. So politisch korrekt ging es noch nie zu in Salzburg. Und die immer mal wieder angeprangerte Verlogenheit der Salzburger Festspiele, wo ein saturiertes Publikum gerne die eigenen ideologischen Gegner und deren Ideen beklatsche, um hernach zur Tagesordnung überzugehen, hat neue Dimensionen erreicht.
Hinterhäuser war eine Entdeckung des genialen belgischen Theaterimpresarios Gerard Mortier, der nach dem Tode Herbert von Karajans das damals zweifellos in ehernen Konventionen erstarrte Festival grundlegend erneuerte, ohne dabei dem Zeitgeist allzu sehr auf den Leim zu gehen. Er holte jüngere Regisseure an die Salzach, installierte eine Off-Spielstätte in einer alten Salzfabrik, wo es lockerer zuging als im von Nobelkarossen und Touristen-Fiakern belagerten Festspielbezirk, programmierte mehr als zwei Dutzend Opern des 20. Jahrhunderts und etablierte eine provokative Schiene mit zeitgenössischer Musik namens „Zeitfluss“, mit deren Organisation er die Jungspunde Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin betraute und die in den Feuilletons bald Furore machten.
Hinterhäuser tilgt Pereiras Spuren
Nach Mortiers Verpflichtung als Gründungsintendant der Ruhr-Triennale ab dem Jahr 2002 verwalteten zuerst der Komponist und frühere Intendant der Hamburger Staatsoper, Peter Ruzicka, und dann der Theaterregisseur Jürgen Flimm dessen Erbe, ohne so etwas wie eine neue Ära begründen zu können. Mit Flimms vorzeitigem Abgang aus Salzburg begannen unruhige Jahre, in denen der Festspieldampfer etwas orientierungslos umhertrieb. Hinterhäuser durfte einen Saison als Interimsintendant programmieren, bevor der frühere Sänger und Züricher Opernchef Alexander Pereira von der Politik – die Salzburger Festspiele sind in Österreich eine Haupt- und Staatsaktion – zum neuen Intendanten auserkoren wurde.
Pereira haftete der zweifelhafte Ruf eines rastlosen, eitlen, zuweilen brutalen Kunst-Kulinarikers an, der es zudem verstand, mit nicht allzu wagemutigen Programmen und spektakulären Events zahlungskräftige Sponsoren an Land zu ziehen und für volle Kassen zu sorgen. Als Chef der Theatersparte der Festspiele hatte Pereira den Schauspieler und Regisseur Sven-Eric Bechtolf im Gepäck, einen dezidierten Konservativen, der, nachdem sich Pereira im Streit vorzeitig zur Mailänder Scala verfügte, sogar zwei Jahre, 2015 und 2016, für die künstlerische Gesamtplanung der Festspiele verantwortlich war.
Sowohl Pereira als auch Bechtolf waren erklärte Gegner eines (Musik-)Theaters als moralischer Anstalt. Festspiele sollten ein Fest für die Sinne sein und vor allem – auf hohem Niveau – unterhalten, inklusive eines sündteuren Festspielballs, der allerdings wegen des großen Aufwandes nur ein einziges Mal veranstaltet wurde. Pereira verlängerte überdies die Festspiele um eine vorgeschaltete Woche sakraler Musik. Diese „Ouverture spirituelle“ ist das einzige, was von Pereiras und Bechtolfs konservativer Revolution übrig geblieben ist.
Als Markus Hinterhäuser im Herbst 2016 seine erste Saison als neuer, nun regulärer Festspielintendant vorstellen konnte, wurde der Vorschusslorbeer gleich körbeweise verteilt. Hinterhäuser ging unverzüglich ans Werk, um Pereiras Spuren zu tilgen und Mortiers Werk ins Zeitalter von MeToo, Black Lives Matter, Willkommenskultur und Klimakrise fortzuschreiben. An seiner Seite ist die Schweizer Dramaturgin und frühere Intendantin des Niederösterreichischen Landestheaters St. Pölten, Bettina Hering, als erste Frau in diesem Amt für die Schauspielsparte zuständig. Und über allem schwebt noch bis Jahresende Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, die sich vom eher konservativen Gegenpol zu Mortier und Statthalterin Salzburger Wirtschaftsinteressen zur Übermutter alpenrepublikanischer Frauenemanzipation gemausert hat.
Woker Pultstar in schwarzen Springerstiefeln
Ohne emblematische Persönlichkeiten à la Karajan geht es nicht in Salzburg. Und so erkor Hinterhäuser nach dem Tod von Nikolaus Harnoncourt den griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis zum neuen, woken Pultstar der Festspiele, der oft in schwarzen Springerstiefeln stabführt und von dem man – mittlerweile ist der Gründer und Leiter des Originalklangensembles MusicAeterna auch Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters Stuttgart – immer noch nicht so recht weiß, ob er ein echtes Klassikgenie ist oder doch nur eines der Selbstvermarktung, dem Hinterhäuser im eigenen PR-Interesse geflissentlich assistiert.
In diesem Jahr eröffnete mit der Litauerin Mirga Gražinytė-Tyla, Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra, erstmals eine Dirigentin das Konzertprogramm der Festspiele und Joana Mallwitz, Leiterin des Nürnberger Opernorchesters, zeichnete musikalisch für ein Kernstück des Repertoires verantwortlich, Mozarts Oper „Cosi fan tutte“. Gegen mehr Frauen am Pult ist absolut nichts einzuwenden, handelte es sich nicht immer nur um die gleiche Handvoll gehypter Maestras und beschliche einen nicht gelegentlich der Verdacht, dass die Damen es möglicherweise nur deshalb so weit gebracht haben, weil sie zur Hebung der Frauenquote unerlässlich geworden sind. Auch bei den Männern fallen die Toscaninis, Karajans und Mutis nicht vom Himmel, doch würden sie heute wohl bei irgendeinem Provinzorchester versauern.
Eine explizit feminine Veranstaltung ist dieses Jahr auch der Festspieldauerbrenner „Jedermann“. Der einstige Kapitalisten-Kraftlackel balancierte auf Stöckelschuhen über die Bühne mit einer fast kahlrasierten Buhlschaft an seiner Seite. Dass auch „Tod“ und „Teufel“ weiblich besetzt sind, veranlasste das ARD-Kulturmagazin „ttt“ pflicht- wie erwartungsgemäß, die Inszenierung als „Abgesang auf das Patriarchat“ zu bejubeln und interviewte Buhlschaft Verena Altenberger demonstrativ im No-Borders-T-Shirt. Es folgte die Shakespeare-Kompilation „Richard the Kid and the King“ mit Lina Beckmann in der Titelrolle. Sie spielte zwar mit vollem genderfluiden Körpereinsatz, doch hätte der Besetzungscoup nur Sinn gemacht, wenn man hätte zeigen wollen, dass Frauen genauso rücksichtslos und blutrünstig sein können wie Männer. Das jedoch war wohl nicht beabsichtigt.
Claqueure der Willkommenskultur auf 445 Euro teuren Plätzen
Ziemlich viel nackte Haut gibt es dieses Jahr in Salzburg zu begutachten, männliche wohlgemerkt, nicht weibliche. Während sich Regisseur Romeo Castellucci in seiner Deutung von Mozarts „Don Giovanni“ damit begnügt, nur den legendären Frauenverbraucher zur finalen „Höllenfahrt“ mit bloßgelegtem Schniedel zu zeigen, wie Gott ihn schuf, präsentiert Burgtheaterchef Martin Kusej in seiner Neuinszenierung von Schillers „Maria Stuart“ gleich ein ganzes Rudel unbekleideter Testosteron-Schleudern als lebendes Bühnenbild.
Aufgeregt hat es niemand, dass hier unschuldige Männerkörper den übergriffigen Blicken und Gedanken von lüsternen Frauen und Angehörigen der LSBTIQ-Gemeinde ausgeliefert wurden. Im Gegenteil: „30 nackte Männerhintern, der Begutachtung freigegeben, denn wer sähe da nicht genauer hin – auch wenn sie sich umdrehen und schamlos ihre Vorderseite präsentieren. Die Männer bilden das Gerüst der Inszenierung, ein Körper-Korps in Reih und, ähm, Glied“, kalauert die Rezensentin der Süddeutschen Zeitung. Sexismus geht schon noch, nur andersrum.
Über Patricia Kopatchinskajas Klimakrisen-Oratorium „Dies irae“ berichteten wir bereits, deswegen soll nur noch der Kulminationspunkt der wokesten Salzburger Festspiele aller Zeiten einer näheren Betrachtung unterzogen werden: Luigi Nonos lärmendes, antifaschistisches Propaganda-Opus „Intolleranza 1960“. Der italienische Avantgarde-Komponist, seinerzeit wie fast die gesamte Kulturelite zwischen Bozen und Palermo bekennender Kommunist und zudem Funktionär der italienischen KP, ist seit „Zeitfluss“-Tagen Hinterhäusers Lieblingsneutöner. Der belgische Regisseur und Choreograf Jan Lauwers inszenierte Nonos musikalisch-theatralischen Terroranschlag inklusive zwanzigminütiger Folterszene im Fascho-KZ als „Geflüchteten“-Drama mit multikulturellem Sängerteam und malerisch über die Bühne migrierenden Menschenmassen und ließ schon vor Beginn der Aufführung in der Felsenreitschule mittels Videoeinblendungen zur Flüchtlingskrise nach Art von Brechts epischem Theater keinen Zweifel daran, was das Publikum zu denken hat. „Linker Kitsch“, lästerte hernach der Rezensent der FAZ.
Hier fand die jubelnde Salzburger Festspielgemeinde wieder einmal ganz zu sich und ihrer legendären Verlogenheit. Sind es doch nicht die Claqueure der Willkommenskultur auf ihren bis zu 445 Euro teuren Plätzen, die die Folgen einer Politik offener Grenzen auszubaden haben und sich nötigenfalls in „gated communitys“ verschanzen können, sondern jene, die noch nie ein Opernhaus von innen gesehen haben. Hinterhäuser rennt nur mehr offene Türen ein. Sein Vertrag läuft bis 2026. Danach wird Salzburg einen neuen Erlöser brauchen – oder eine Erlöserin, was wahrscheinlicher ist.