Die schönen Tage in Salzburg gehen nun zu Ende. In sonniger Erinnerung bleiben die heiteren Stunden, sogar der plötzlich losbrechende Hagelschauer, vor dem wir einmal vom Freisitz ins Innere des Café Fürst fliehen mussten. Dicht drängten sich die Gäste drinnen, viele schon vornehm gekleidet, auf dem Weg in die Oper. Die Damen in glänzender Robe, öfter auch im Dirndl mit elegant ausgeschnittenem Dekolleté; die Herren im Smoking, im samtenen Janker oder im dunklen Anzug.
Die Festspiele bilden ihr Publikum. Eine Gesellschaft, die es genießt, der Kunst mit dem eigenen Aufritt Referenz zu erweisen. Hochgesteckt sind die Erwartungen. Nicht alles wird unterschiedlos beklatscht, nur weil es auf der Bühne stattfindet. Was ihnen geboten wird, wissen die Besucher zu beurteilen. Vom Parkett bis auf die obersten Ränge, von der ersten bis zur letzten Reihe geben Kenner und Liebhaber den Ton an. Den Beifall, den die Küntler erheischen, müssen sie sich verdienen.
Wer sich routiniert durchmogeln will, kann froh sein, wenn sein Auftritt mit Höflichkeit übergangen wird. Der große Name allein verspricht noch keinen Erfolg. Ist das Publikum aber erst einmal gepackt, trägt es selbst zum Erfolg der Inszenierungen bei. Schon 1920, als die Salzburger Festspiele mit dem „Jedermann“, dem „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“, eröffneten, war es das sinnenfrohe Spektakel, das begeisterte.
Anders als in Bayreuth, beim Festival der deutschen Schwermut, ist es die pure Lust an der Kunst, durch die sich das Salzburger Sommertheater abhebt, besonders gelungen in diesem Jahr. Minutenlang bejubelten die Zuschauer etwa die Neuinszenierung von Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“.
Ein Heidenspaß im Durcheinander
Die Spielfreude, mit der sich die Sänger in den Streit zwischen Olymp und Unterwelt stürzten, diese frivole Verspottung der lüsternen Götter, des liebestollen Jupiter, der sexbesessenen Euridike und ihres ehemüden Gatten Orpheus, dieses freizügige Durcheinander war ein Heiden-Spaß im wahrsten Sinne des Wortes – und obendrein eine Verspottung der #MeeTo-Bewegung auf höchstem musikalischem Niveau. Das gefiel, das wirkte mitreißend komisch.
Wer nach Salzburg kommt, will sich den Spaß an der Kunst nicht verderben lassen. Die Sauertöpfischen mögen anderswo Trübsal blasen. Hier zählen das Können, der Witz und die Ironie, nicht die persönliche Verdächtigung. Die Vorwürfe, die einige Frauen – gewiss nicht zufällig vor Beginn der Festspiele – gegen Placido Domingo erhoben, konnten da nur peinlich wirken. Darüber, dass er der einen oder anderen vor dreißig Jahren ans Knie gefasst haben mag, mochte sich in Salzburg niemand erregen. Für dieses Schmierentheater gab es keinen Beifall.
Wohl aber wurde der einstige Tenor und heutige Bariton bei der konzertanten Aufführung von Verdis Oper „Luisa Miller“ mit Standing Ovations gefeiert. Wie sich der 78-Jährige, schrieb ein Kritiker tags darauf, „wie er sich stimmlich schlug, war atemberaubend: fokussiert, kernig, überaus klangschön, nicht der Ansatz eines Altersvibratos, auch kein Herumstochern in baritonalen Untiefen, nur ein paar leichte Intonationstrübungen“.
An der Salzach wissen sie eben noch immer das Großartige vom Miesen zu trennen, nicht unkritisch, aber sachkundig. Am kommenden Samstag, wenn die Festspiele enden, tritt Placido Domingo dann noch einmal auf. Ein schöner, ein würdiger Abschluss dieses Salzburger Sommers.