Ja, diese Tage fällt das Merkel-Bashing leicht. Die Bundeskanzlerin hat sich in eine ausweglose Situation manövriert, aus der sie ohne Rücktritt nicht mehr entkommt. Erste Planspiele scheint es in Berlin bereits zu geben.
Schon unken die einen, nur einer Frau als Bundeskanzlerin konnte einfallen, mit fast libidinöser Hingabe alle Türen und Tore aufzumachen, während andere mutmaßen, dass ihr, der Bundeskanzlerin, wenige Tage nach der fulminanten und endgültigen Aufschiebung der Griechenland-Krise schlichtweg langweilig geworden war. „Da muss doch noch mehr sein!“, hat sich Frau Dr. Merkel gedacht und im permanenten Krisenmodus die Grenzen geöffnet. Merke: eine gelangweilte Bundeskanzlerin kann ihr Land teuer zu stehen kommen.
Aber jetzt mal ehrlich: da ist man irgendwie Bundeskanzlerin geworden, wird als mächtigste Frau der Welt gehandelt und schielt schon auf den Friedensnobelpreis und dann - bäm! - das: ein falsches Wort („Schabowski-Effekt“), zwei falsche Selfies („man wird doch wohl noch“) und schon ist der Kladderadatsch da: Millionen packen ihre sieben Sachen und machen sich auf zur „Mutter aller Flüchtlinge“. Darf man der Bundeskanzlerin dann verübeln, dass sie so gerne ein „freundliches Gesicht“ macht? Nein!
Denn dass man nur mit einem freundlichen Gesicht in Deutschland jede Bundestagswahl gewinnen kann, hat Frau Merkel ja mehrmals vorgemacht. Nach der Schlappe um den Steuerrechtler Paul Kirchhoff („der Professor aus Heidelberg“), mit dessen Steuerreform sie 2005 das einzige Mal wirklich so etwas wie einen Programmpunkt bei einer Bundestagswahl hatte, zeichneten sich alle ihre folgenden Wahlkämpfe durch vollständige Inhaltslosigkeit aus. Merke: Inhalte kosten Wählerstimmen, ein freundliches Gesicht kostet gar nichts.
Aber das „freundliche Gesicht“ lässt noch tiefer blicken. Wenn es etwas gibt, was Deutsche wirklich antreibt, ist es der Wunsch, geliebt zu werden. Wenn die ausländische Presse zur Abwechslung mal positiv über Deutschland schreibt, sind wir alle ganz aus dem Häuschen. Am liebsten würden wir Politik als ständiges Sommermärchen zelebrieren. Dass wir mit unserer manchmal besserwisserischen Art, unserem Reichtum und unseren Interessen auch anecken und andere Länder gegen uns aufbringen, macht uns ganz traurig. Dann hauen wir uns an den Kopf, verweisen auf unsere niederträchtige Vergangenheit und stoßen Warnungen vor einem Rückfall in die Großmannssucht aus. Am liebsten wären wir immer noch ein Land aus lauter unbedeutenden Fürstentümern, die aber am laufenden Band Goethes, Schillers und Beethovens hervorbrächten. Merke: „Ich bin klein, mein Herz ist rein“ bleibt eine deutsche Sehnsucht gerade auch in der Außenpolitik.
Frau Merkel legt aber auch schonungslos die Funktionsweise einer Medien-Demokratie offen. Künftige Historiker werden ihr noch dankbar dafür sein, wir können es schon heute. Sie verhandelt mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan über die Rücknahme der Flüchtlinge, was mit großer Wahrscheinlichkeit viel, viel Geld kosten wird, aber dazu führen würde, dass die Flüchtlinge zurück auf Los gehen müssten, sich an ihrem Zustand also nichts verändert hätte (außer ein paar Wochen wilden Rummarschierens durch Europa), Deutschland aber und die Bundeskanzlerin ihr freundliches Gesicht gewahrt hätten. Merke: der Schein bestimmt das Bewusstsein.
Berücksichtigen sollte man auch die Gefühlslage einer Politikerin, die zur Projektionsfläche von Gefühlen wird, die jeden Deutschen angehen. Jahrelang wird Angela Merkel als Nazi-Merkel mit Bärtchen (das als Frau!) gezeichnet, ihr Finanzminister mit seinen herrenmenschlichen Auftritten kommt auch nicht gerade sympathisch rüber, von den europäischen Partnern wird sie immer nur um Geld, Geld, Geld angerufen und bei einem kleinen palästinensisches Mädchen, dem sie etwas ungelenk versucht, die Wahrheit beizubringen, wird ihr von der versammelten Presseschar „kaltherzig“ und „empathielos“ entgegengeschleudert. Jetzt musste ein anderes Zeichen gesetzt werden. Für uns alle. Merke: wir Deutschen meinen es doch nur gut!
Unter all diesen Gesichtspunkten kann man zu keinem anderen Schluss kommen, als dass Frau Dr. Merkel das einzige Richtige getan hat. Ihr Handeln war quasi alternativlos. Die Verwandlung des Rechtsstaats in ein komplettes Chaos tut der deutschen Seele, die sich nichts sehnlicher wünscht, endlich alles Spießige abzustreifen, auch pädagogisch gut. Dass wir nach Aussage von Frau Katrin Göring-Eckardt ein „besseres Land sein werden“, wenn wir aus diesem Alptraum wieder aufgewacht sind, sollte uns zuversichtlich stimmen. Merke (frei nach Joseph Beuys): die Mysterien finden im Hauptbahnhof (München) statt.
Dass unsere europäischen Partner partout nicht am deutschen Strang mitziehen wollen, ficht uns indes nicht an. Und das ist gut so. Denn der verschwiegene Plan der großen CDU-Vorsitzenden ist schlichtweg genial: Deutschland öffnet die Grenzen und macht sich beliebt („freundliches Gesicht“) und dann zwingen wir unsere langjährigen europäischen Wegbegleiter einfach, eine Flüchtlingsquote durchzuwinken und uns den Schlamassel nachträglich wieder abzunehmen. Griechenland hat es uns doch vorgemacht! Erst die große Party, dann haften alle für das eine Land, das sich etwas übernommen hat. Warum sollte sich daran etwas ändern, nur weil es auf einmal das mächtigste, größte und reichste Land Europas ist, das sich da in den Abgrund reitet?
Und selbst wenn uns die anderen europäischen Länder nicht einen einzigen Asylbewerber wieder abnehmen, haben wir Deutschen doch, von einer höheren Warte aus betrachtet, den Willen der Europäer ausgeführt. Wie oft mussten wir uns anhören, mit den niedrigen Löhnen und dem Investitionsstau der öffentlichen Hand zu einem derart massiven Außenhandelsdefizit beigetragen zu haben, dass Deutschland dringend seinen Wettbewerbsvorteil zurückfahren solle. Vor allem höhere Löhne und Investitionen in Straßenbau, digitale Infrastruktur, Beamte, innere Sicherheit, Bildung undsoweiter wurden jahrelang angemahnt.
Jetzt endlich wird durch Angela Merkel nachgeholfen. Zwei Generationen soll es dauern, bis die Millionen Analphabeten, Ungebildeten und Parallelgesellschaftler ins deutsche System vollständig integriert sein werden. Zwei Generationen - das sind läppische 50 Jahre -, in denen wir in den Bereichen Produktivität, Innovation, Hochtechnologie und Spezialausbildung hinter unseren Konkurrenten herhinken werden. Puh! könnte man sagen, gerade nochmal gut gegangen! Wir Deutschen haben es mit eigener Anstrengung geschafft, uns diesen so wichtigen Wettberwerbsnachteil zu verschaffen. Wenn das nicht den Euro und überhaupt den europäischen Frieden sichert, was dann?
Es gibt diesen wunderbaren kleinen Witz von dem autofahrenden Familienvater, der in den Verkehrsnachrichten vor einem Geisterfahrer gewarnt wird und zu seiner neben ihm sitzenden Frau murmelt: „Einer? Hunderte!“
Der Geisterfahrer wähnt sich bekanntlich auf dem richtigen Weg, während alle anderen in die falsche Richtung fahren. So ist es jetzt auch mit Deutschland. Man kann es Frankreich, England, Ungarn oder Polen nicht verübeln, dass sie sich an den Straßenrand stellen und winken, während Deutschland mit voller Fahrt vorbeidonnert. Dass es die falsche Richtung ist, kann man dem Geisterfahrer ja schwer beibringen. Er wird es schon merken, wenn er irgendwann gegen die Leitplanke geknallt ist.
Auch das werden wir schaffen! Danke, Frau Merkel.