Peter Grimm / 02.06.2019 / 15:30 / Foto: Pixabay / 40 / Seite ausdrucken

Sag zum Abschied leise „Bätschi”

Andrea Nahles‘ Amtsantritt als Fraktionsvorsitzende hatte Zeichen gesetzt: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse“, hatte sie kämpferisch erklärt, nachdem sie sich vom großkoalitionären Kabinettstisch verabschiedet hatte, um fortan als Frontfrau der – so war es damals noch geplant – oppositionellen SPD-Fraktion den Ton anzugeben. Einen denkwürdigen Auftritt bot sie auch in ihrer kämpferischen Rede, mit der sie die Partei ein paar Wochen danach auf einen neuen großkoalitionären Kurs einschwor, um sich dann zur SPD-Vorsitzenden wählen zu lassen. Der Koalitionspartner wurde von ihr mit einem aufsehenerregenden dreifachen „Bätschi“ verbal abgewatscht.

Solche kulturell armseligen oder infantilen Auftritte werden von ihr in Erinnerung bleiben. So etwas hatte es in dieser Form in der deutschen Nachkriegspolitik noch nicht gegeben. Mit „Bätschi“ hielt die Sprache einer Kindergarten-Diskurskultur Einzug in die politische Debatte. Dies bleibt das Verdienst von Andrea Nahles.

Sonst wird von ihr nicht so viel in Erinnerung bleiben. Schon zur Amtseinführung von Bundeskanzler Habeck werden weite Teile der deutschen Öffentlichkeit ein wenig nachdenken müssen, bis sie sich erinnern, wer diese Andrea Nahles eigentlich war. Vielleicht ist dann ja sogar die SPD als Partei schon fast vergessen. Sind solche Erwartungen etwas übertrieben? Vielleicht. Aber dass sich Andrea Nahles nun endlich in die verdiente Bedeutungslosigkeit zurückziehen kann, ist ziemlich sicher.

Ein Pippi-Langstrumpf-Liedchen zu Trost

Wie bei allen einstigen Angehörigen des politischen Spitzenpersonals muss sie sich um ihr wirtschaftliches Überleben keine Sorgen machen. Ob sie allerdings mental damit umgehen kann, dass sich bald außer Karnevalsvereinen in der Eifel kaum noch jemand dafür interessiert, sie einzuladen, um einer Rede von ihr zu lauschen, wissen wir nicht. Sie könnte ja schon einmal eine diesbezügliche Selbsthilfegruppe aufbauen, zu der sie – wenn es so weit ist – Greta einladen sollte. Die wird ihre irgendwann zwangsläufig einsetzende Bedeutungslosigkeit viel schwerer verkraften als Genossin Nahles. Da braucht sie Zuspruch, und wer wäre besser geeignet als Andrea. Die kann ihr dann, wenn es so weit ist, ein aufmunterndes Pippi-Langstrumpf-Liedchen trällern und sich dabei an die eigenen Auftritte im Reichstagsgebäude oder in Parteitagshallen erinnern, mit denen sie kurzzeitig die ganze deutsche Presse dominierte.

Genau das wollte sie heute auch noch einmal unbedingt tun. Es hätte ja gereicht, am Montag den Rücktritt zu verkünden, aber das bringt weniger Spaß. Es am Sonntag zu tun, das ist so wie „Bätschi“-Sagen oder „in die Fresse“ geben. Die Redaktionen müssen – aufgeschreckt aus der Sonntagsruhe – über Andrea schreiben und berichten, mehr als die Stallwache allein bewerkstelligen kann. Manch einer, der sich in der Vergangenheit böse über die Genossin geäußert hat, wurde nun um Freizeit und Erholung gebracht.

Und die Genossen, die sie zum Sündenbock für den längst laufenden Zusammenbruch der einstmals großen deutschen Sozialdemokratie machen wollten, müssen aus den eigenen Reihen einen neuen Totengräber bestimmen. Um das in allerletzter Minute zu verhindern, hatten so erfolgreiche Glanzlichter wie die Genossen Schäfer-Gümbel und Stegner Ende letzter Woche plötzlich die Notwendigkeit der Einheit der Partei und deren Zusammenstehen hinter Andrea Nahles beschworen.

Nun ist der Sündenbock (oder gendergerecht: Sündenziege?) einfach gegangen und es muss ein Genosse das Amt übernehmen, von dem Franz Müntefering einst sagte, es wäre das schönste neben dem des Papstes. Das ist lange her. Andrea Nahles hat heute jedenfalls ihre Genossen geärgert. Die müssen auch die sonntägliche Erholung abbrechen und die Fragen beantworten, die aus der Sonntagsruhe aufgeschreckte Journalisten ihnen stellen. Das wirkt doch wirklich so, als hätte Andrea wieder leise „Bätschi“ gesagt und würde es genießen, dass sich noch ein letztes Mal der Medienzirkus nur um sie dreht. Wenn sie am Montag und Dienstag noch einmal den großen Presseauftrieb anzieht, geht es schon nicht mehr um sie, sondern nur um ihre Nachfolger.

Dieser Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Matthias Thiermann / 02.06.2019

Es kann so schön sein, wenn Gegenwart zu Geschichte wird!

Klaus Jürgen Bremm / 02.06.2019

Man stelle sich eine Partei vor, an deren Spitze niemand mehr stehen will. Der Sonntagnachmittag hat es gezeigt. Niemand will offenbar die SPD jetzt noch führen. Wer aber will sie dann noch wählen? Die jetzt angekündigte Hängepartie mit wochenlangen Kandidaten-Findungsprozess ist der letzte Sargnagel der Partei. Wenn bis Mitte der Woche kein neuer Parteivorsitzender bestimmt ist, dann ist die SPD mausetot.

Wolfgang Lewandrowski / 02.06.2019

Hallo Leute schaut hinter die Kulissen. Die Umfragen sehen die Grünen vorn CDU/CSU. Das ist die Vorbereitung für eine neue GROKO unter Führung der Grünen. Die Mehrheit des dummen Volkes erwartet sehnlichst den Kanzler Habeck. Merkt Ihr gar nicht, die AKK nicht fähig, die Nahles spielt die Märtyrerin und Forsa macht das Bett. Und wir freuen uns über einen analen Rücktritt. Ich bin kein Hellseher, würde mir aber wünschen ich läge soetwas von daneben.

Dietmar Blum / 02.06.2019

@ HaJo Wolf / 02.06.2019, wir Eifeler nennen die Kölner als die fußkranken und syphilitischen Zurückgelassenen, als die Römer aus Colonia abzogen.

Mathias Bieler / 02.06.2019

Langsam aber sicher verschwindet ein Teil von “das ganze Gedöns” bei der Espede auf Bundesebene. Bei der Untergangssituation stellt sich nur die Frage:“Ist das gut oder besser ?” Mit solidarischen Grüssen M.Bieler

Wiebke Lenz / 02.06.2019

Nun ja, damals hatte Pippi Langstrumpf noch einen gewissen Witz, wenn mehr dahinter gesteckt hätte. Aber das hatte sich schnell gegeben. So ist die Dame Nahles schlicht nur feige. Ca. 1 3/4 Jahre (bzw. 1 Jahr) ein Amt zu bekleiden und dann hinzuwerfen ist echt schäbig. Und dann noch die Großspurigkeit, von Geschlossenheit und Rückhalt zu sprechen … Altmodisch wie ich bin, ist für mich ein Wort ein Wort und ein Handschlag ein Handschlag. Habe ich meinen Kindern ebenso beigebracht. Außerdem sind Fehler stets selbst zu bereinigen. Dies überlässt man keinem anderen, weil es bequemer ist …

Michael Blum / 02.06.2019

Die “gendergerechte Sündenziege” ist wunderbar böse, aber exakt auf den Punkt formuliert. Die SPD steckt in einem kaum lösbaren Dilemma: Um sich neu zu erfinden, müsste sie in Opposition gehen, aber wenn sie die GroKo aufkündigt und es zu Neuwahlen kommt, wird sie in der Bedeutungslosigkeit versinken. Weit und breit hat niemand das Charisma, die SPD wieder herauszureißen. Aus dem schönsten Amt nach dem Papst ist ein Platz in der Hölle geworden.

Christian Noha / 02.06.2019

Jetzt muss endlich Merkel bei der SPD ran!

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