Jesko Matthes / 17.02.2017 / 20:00 / Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung / 4 / Seite ausdrucken

Sag mir, wo die Freunde sind

Von Jesko Matthes

„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ (Angela Merkel im Oktober 2013)

Kanzlerin und Öffentlichkeit fällt es heute schwer, zu diesem Satz entspannt und ehrlich Stellung zu nehmen, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Vielleicht liegen diese Schwierigkeiten dennoch tief darin verwurzelt, dass der Satz falsch war, ist und bleibt: ein historischer Selbstbetrug, an dem die Kanzlerin auch noch öffentlich festhält.

Deutschland als „Freund“?

Ein kurzer Blick auf Deutschland zeigt, dass dieses Land in den letzten gut 100 Jahren selten als „Freund“ wahrgenommen worden ist, und wenn, dann meist von Mächten, die heute so nicht mehr existieren. Im Ersten Weltkrieg waren es vor allem die Donaumonarchie und, wenn auch nur kurz neutralisiert, das postrevolutionäre Russland, im Zweiten Weltkrieg waren es dann totalitäre Mächte, das faschistische Italien, das Japanische Kaiserreich und die Regimes verschiedener Sympathisanten und Kollaborateure, vor allem in Europa, von Finnland bis zum Balkan. Von einer Freundschaft zu Frankreich, Großbritannien, den USA und Russland konnte bereits seit 1871 die meiste Zeit überhaupt keine Rede sein, eher vom krassen Gegenteil. Und soweit es nach 1945  zu Freundschaften kam, so waren es erzwungene und geteilte Freundschaften, hüben zu den Westmächten, drüben zum Ostblock, die einander bis an die Zähne atomar bewaffnet gegenüber standen.

Die Wahrnehmung von Deutschland als „Freund“ kann sich allenfalls auf eine sehr kurze Strecke berufen, und sie begann noch nicht einmal 1989. Gorbatschow gab sein Imperium notgedrungen auf, auch Thatcher, Mitterand und Andreotti, blickten auf das einige Deutschland in blitzschnell aufkeimender Angst, nicht in gewachsener Freundschaft. Erst vertragliche Regelungen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und der Europäischen Union schafften jene Atmosphäre der „Freundschaft“, an die sich die meisten Deutschen ebenso schnell wie denkfaul gewöhnt zu haben scheinen.

Ein bigottes Verhältnis

Von einer entspannten Phase kann man allenfalls von 1990 bis zum Beginn der Finanzkrise der EU und der Besetzung der Krim durch Russland sprechen, vielleicht sogar nur bis zum 11. September 2001, nach dem klar wurde, dass wesentliche Vorbereitungen der Attentate in Hamburg stattgefunden hatten, je nach Lesart also zwischen gut 10 oder gut 20 Jahren. Das also war die kurze Phase der „Freundschaft“. Es ist Zeit aufzuwachen aus diesem Schlaf der Selbstgerechten.

Woher rührt das selbstgerechte, das bigotte Verhältnis der veröffentlichten Meinung zu Geheimdiensten? Wieso bewundert man Alan Turing, der, gestützt auf Vorarbeiten polnischer Mathematiker, die Verschlüsselung des deutschen Funkverkehrs im Zweiten Weltkrieg knackte, eine Tätigkeit, die in Großbritannien noch bis in die 1960er Jahre strengster Geheimhaltung unterlag, und findet die Aktivitäten eigener Geheimdienste heute anrüchig? Wegen der „Freundschaft“ der Völker?

Angela Merkels Satz erinnert heute tatsächlich bereits mehr an die hohlen Phrasen vom Weltfrieden und der Völkerfreundschaft, mit der die sozialistischen Staaten ihre Machtpolitik tarnten, und wohl auch an die Westbindung Adenauers, die ebenfalls einer Zeit entstammt, als man sich, keineswegs ohne Machtkalkül, der NATO aktiver widmete und versicherte als heute. Wie dem auch sei: Wer sich auf die „Freundschaft“ beruft, der muss die demokratische, die „westliche“ Wertegemeinschaft dazu denken, oder er beruft sich auf Chimären, die die Existenz der Demokratien mehr gefährden als jede geheimdienstliche Tätigkeit es vielleicht vermag. Wer Geheimdienste in Demokratien kontrolliert und nutzt, der handelt angemessen. Wer sie verteufelt, der verwechselt sie mit der Gestapo oder der Tscheka.

„Freundschaft“ ohne gemeinsame Ziele?

Man muss also genau hinhören, wer es ist, der heutzutage von „Freundschaft“ mit den USA des Donald Trump, dem Russland Putins oder der Türkei Erdogans spricht. Wird man alles gleichzeitig haben können? Wer ist sich, jenseits dessen und nun schon innerhalb der EU, noch sicher hinsichtlich einer „Freundschaft“ mit Griechenland, Polen oder Ungarn, mit dem Großbritannien der Theresa May? Wer wird sich sicher sein der „Freundschaft“ mit einem Frankreich, das eventuell von Marine Le Pen regiert wird oder einer Niederlande unter der Ägide des Geert Wilders? Was sind eventuell bleibende gemeinsame Ziele und was mögliche Differenzen? Was wird der Preis sein, den Deutschland für solche „Freundschaften“ zahlen soll? Wie werden sie sich sortieren und entwickeln? Was sind die Ziele der anderen Nationen und ihrer Regierungen?

Wer soll diese Fragen schlüssig und zielorientiert beantworten, wer die Verantwortung tragen - wenn nicht auf Grundlage von Informationen, die über die Lektüre der Tageszeitungen und diplomatischen Depeschen deutlich hinausgehen?

Es hilft alles nichts; zwischen Staaten muss man sich bei nüchterner Betrachtung, und nur diese zählt, vom Begriff der „Freundschaft“ wohl verabschieden. Traditionell gute, mittelmäßige oder schlechte Beziehungen kann man haben. Deren Entwicklung ist Aufgabe der Diplomatie wie der Landesverteidigung. Nutzen kann man dazu funktionell gute, mittelmäßige oder schlechte Geheimdienste. Dass aber Geheimdienste in Zeiten der internationalen Spannungen, des wachsenden gegenseitigen Misstrauens, der Krisen und Kriege alles andere als peinlich oder überflüssig sind, versteht sich nach den genannten Prämissen von selbst.

Nur eines geht tatsächlich gar nicht: Naivität unter Partnern - seien sie Freunde oder nicht.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern.

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Leserpost

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Martin Lederer / 18.02.2017

„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ ist wieder so ein typischer Merkel-Idiotensatz. Aber es könnte sein, dass Leute, die sich sonst mit Politik nicht so befassen, auf so einen Satz anspringen.

Wilfried Cremer / 18.02.2017

Der Hintergrund der ganzen Aufregung ist kein politischer. Frau Merkels Privathändi war betroffen. Staatsaffären entspringen manchmal ganz simpel persönlicher Pikiertheit.

Michael Scheffler / 18.02.2017

Dass sie Realität so ist, wie Sie schreiben, sieht man aktuell am Verkauf von Opel. Unsere Arbeitnehmervertreter und Politiker meinen auch auch hier, dass sie doch ein Mitspracherecht hätten, Das interessiert aber weder die Amerikanische von GM noch die Franzosen von Peugeot. Dieses nationale Verständnis scheint aber vielen Westdeutschen im Zuge der Reeducation abhanden gekommen zu sein.

Peter Zentner / 17.02.2017

Wie wahr! Ein wettergegerbter Staatsmann zum Thema: “Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.” (Charles de Gaulle)

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