Es reicht nicht, einer Region das Etikett „Nationalpark“ anzukleben und es dann sich selbst zu überlassen. Das haben die Waldbrände in der Sächsischen Schweiz gezeigt, auch wenn die Landesregierung forsch etwas anderes behauptet.
Es wird sich wohl jeder noch an die Waldbrände des letzten Sommers im Elbsandsteingebirge erinnern, die über eine Woche lang wüteten. In dem Artikel „Brände in der Sächsischen und Böhmischen Schweiz“ habe ich damals darüber berichtet.
„Abgestorbene Bäume befeuern Waldbrände in Sachsen nicht“, erfahren wir nun beim MDR Sachsen in einer Meldung vom 1. Februar 2023. Da im Nationalpark „die Natur sich selbst überlassen und abgestorbene Bäume liegen bleiben“, würden sich Stimmen mehren, die behaupteten, dieses „Totholz“ habe die Waldbrände begünstigt. Es sei auch schnell der Vorwurf erhoben worden, dass auch „die fehlende Waldbewirtschaftung im Nationalpark die Brände begünstigt“ hätte. Deshalb habe der Freistaat Sachsen bei der TU Dresden eine Studie in Auftrag gegeben, die darüber Klarheit verschaffen sollte. Diese Gutachterliche Stellungnahme liegt nun vor und kann hier eingesehen werden. In einem 2-Minuten-Video des MDR-Beitrages erfahren wir dann auch:
Umweltminister Wolfram Günther von den Grünen gehört zu den Befürwortern von Totholz im Wald, auch und vor allem in Schutzgebieten wie einem Nationalpark. Heute hat er eine Studie des Waldschutzwissenschaftlers Prof. Michael Müller von der TU Dresden vorgestellt, der im Auftrag des Ministeriums die Rolle und das Brandverhalten der abgestorbenen Borkenkäferfichten in der Katastrophendynamik des letzten Sommers beleuchten soll. Knapp 40 Seiten ist das Rückblickgutachten dick, und der Auftraggeber ist mit dem Ergebnis zufrieden.
(O-Ton Minister Günther:) „Wir nehmen auch wirklich raus als Hauptaussage, diese einfache Rechnung, die oft aufgemacht wurde, das Totholz, deswegen breiten sich die Brände aus, und das durfte man ja gelegentlich als These auch in Medien hören… hähä… sehen… hähä… mit Sprecherinnen und Sprechern dazu und auch lesen (hähä... das Mienenspiel des Herrn Ministers zeigt, dass ihn das ganz offensichtlich amüsiert) ...ähhm, dass das ganz einfach NICHT STIMMT.“
[Anm. d. Verfassers: Mittlerweile ist das 2-Minuten-Video „Experte: Totholz kein Waldbrand-Beschleuniger“ von der Website des MDR verschwunden. Über WaybackMachine ist es allerdings noch abrufbar, zumindest wird es auf der Seite noch angezeigt.]
Reisig auf dem Waldboden
Wie Minister Günther zu diesem Schluss kommt, wird nur er selbst wissen. Schließlich kann nicht sein, was nicht sein darf. Und auch dass eine tschechische Studie über den Verlauf der Brände auf der böhmischen Seite des Elbsandsteingebirges zu anderen Schlüssen kommt als die Studie der TU Dresden, ficht den Minister nicht weiter an. Das Totholz hat nichts damit zu tun! Punkt. Ergänzend wird in dem MDR-Artikel lediglich noch eingeräumt: „Laut einer Studie hat Reisig auf dem Waldboden die Dauer des Brandes im Sommer 2022 in der Sächsischen Schweiz verlängert.“ Reisig auf dem Waldboden, aha. Und deswegen machen die „Schwurbler“ so ein Geschrei?
Dabei wird in dem TU-Gutachten von Professor Michael Müller sehr wohl auf spezifische Phasen mit mehr oder weniger stark ausgeprägten, vom Wetter abhängigen, unterschiedlich zündfähigen Brandlasten – auch in Nationalparken – hingewiesen. Auch kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass das Totholz im Brandgeschehen einen verstärkenden Einfluss auf den jeweiligen Brandort hatte.
Hinsichtlich der waldstrukturellen Brandvorbeugungserfordernisse, die in dem Gutachten angesprochen werden, finde ich allerdings die These „Die heutige und noch kommende Totholzsituation war bereits bei Errichtung des NLP bekannt, erwartet und akzeptiert.“ (S. 11) sehr gewagt. Der Nationalpark wurde 1990 gegründet, also vor 33 Jahren und vor der deutschen Wiedervereinigung. Man fand offenbar damals das NP-Konzept „Bayerischer Wald“ besonders toll und versuchte das hier in Sachsen zu adaptieren – was letztendlich schiefgehen musste. Einer meiner Facebookfreunde, ein seit Jahrzehnten aktiver Felskletterer in der Sächsischen Schweiz, bringt es folgendermaßen auf den Punkt:
„Im Bayerischen Wald gibt es riesige Waldflächen, die tatsächlich naturbelassen sind und wo stundenlange Tageswanderungen ohne menschliche Bebauungen möglich sind. Zählt man die Šumava [Böhmerwald, Tschechien – Anm. d. Verf.] dazu, ergibt sich ein schier unermessliches Terrain freier Natur. Das ist in dem Miniaturland Elbsandsteingebirge gar nicht gegeben. Das gesamte Gebiet ist urbanisiert und seit Jahrhunderten als Kulturlandschaft bekannt. Selbst Klettern hat hier einen Status als weltweit anerkannte „Wiege des Freikletterns“, sächsischer Sandstein ist an vielen Schlössern Deutschlands und Europas verbaut. Dicht ist das Netz der kleinen Ortschaften und Dörfer, in denen Land- und Forstwirtschaft betrieben wird, und es ist nicht zuletzt touristisch intensiv erschlossen. Der Vergleich zum Bayerischen Wald ist da nicht unbedingt förderlich. Wir brauchen da auch nicht zwangsweise Vergleiche herunterbeten. Ich bin in diesem kleinen Elbsandsteingebirge aufgewachsen, bin seit meinem 13. Lebensjahr dem Felsklettern verbunden. Glauben Sie‘s mir oder auch nicht. Erst mit Durchsetzung dieses sturen Nationalparkkonzepts („Selbsthilfe“ der Natur, Wege-Konzepte) kann man sehenden Auges den eigentlichen Verfall der „Natur“ sehen. Und von Anfang an gab es Kernzonen mit Betretungsverbot, fehlende Wegeberäumung bzw. Sperrung ganzer Teile des vorhandenen einzigartigen Wandernetzes. Aber ich wiederhole mich. Diese Vorgehensweise wird zum Schließen ganzer Areale führen und viele, die überhaupt keine emotionale Bindung zu dieser, unserer Felsenheimat haben, werden es bejubeln!“
„Der Borkenkäfer – Freund und Helfer des Waldes“
Und damit zurück zum „Totholz“. Natürlich gehört dieses prinzipiell zu naturbelassenen Wäldern – zum Riesenproblem wird die Sache allerdings dann, wenn diese Wälder infolge der ungehinderten und explosionsartigen Ausbreitung des Borkenkäfers zu 100 Prozent nur noch aus Totholz bestehen, wie das derzeit bei nahezu allen Fichtenbeständen des Nationalparks der Fall ist. Das Grundübel liegt also seit Jahrzehnten an dem starren und unflexiblen Konzept „Natur Natur sein lassen“. Hierbei noch von „Waldpflege“ oder gar „aktivem Waldumbau“ zu sprechen, ist der blanke Hohn. Bereits vor Jahren las ich auf einer im Großen Zschand (dem größten Trockental der Hinteren Sächsischen Schweiz) aufgestellten Tafel der Nationalparkverwaltung den grotesken Spruch: „Der Borkenkäfer – Freund und Helfer des Waldes“.
In Wirklichkeit läuft das Ganze so ab: Der stecknadelkopfgroße Borkenkäfer (hier der „Buchdrucker“) frisst sich durch die Rinde (Borke) des Nadelbaums, um darunter seine Eier abzulegen. Unter der Rinde fressen sich dann die geschlüpften Larven großflächig durch den Bast – den inneren Teil der Borke –, bis sie ausgewachsen sind. Wird dieser Verlauf nicht gestoppt, vermehrt sich der Käfer explosionsartig, und der Baum stirbt letztendlich ab. Was die wenigsten wissen: Ein einziges Borkenkäferpärchen kann u.U. bis zu 100.000 Nachkommen im Jahr erzeugen. Allein diese Dimension dürfte das Problem verdeutlichen.
Normalerweise wehren sich befallene Bäume gegen diese Schädlingsangriffe mit vermehrter Harzbildung. Für diese benötigt der Baum allerdings ausreichende Feuchtigkeit – nach mehreren trockenen Jahren in Folge können solche Bäume bereits so geschwächt sein, dass sie nicht mehr zur Abwehr des Schädlingsangriffs in der Lage sind. Bei Fichten kommt hinzu, dass sie als Flachwurzler besonders schnell auf fehlende Feuchtigkeit im oberflächennahen Bereich des Bodens reagieren. Der extrem trockene Sommer 2018 hat diesen Wäldern in der Sächsischen Schweiz dann den Rest gegeben. Entsprechend dem NP-Konzept „Natur Natur sein lassen“ beließ man bisher diese abgestorbenen Bäume konsequent an ihren Standorten (z.B. hier im Kleinen Zschand oder hier am Frienstein), was zur Folge hat, dass die Käfer und ihre Larven auch im Totholz überleben, sich dort massenhaft weitervermehren und auch angrenzende Wälder befallen. Der Käfer selbst kann bis ca. einen Kilometer weit fliegen.
Übrig bleiben von den verendeten Fichtenwäldern dann die Baumgerippe mit knochentrockenen Ästen und Zweigen (unterhalb der Derbholzgrenze, also kleiner als 7 cm Ø, und damit ausgezeichnet brennbar) und vor allem mit riesigen Mengen teils noch anhaftender, teils bereits abgefallener, harzgesättigter Borke. Die im Baumharz enthaltenen Flüssigbestandteile (Terpenoide, ätherische Öle) entweichen mit der Zeit – übrig bleibt verfestigtes Harz, bestehend aus hochentzündlichem Kolophonium, dessen Flammpunkt bei ca. 180°C und Zündtemperatur bei 340°C liegen, Temperaturen, die bei einem größeren Waldbrand sicher schnell überschritten werden dürften.
Baumharzbestandteile sind hydrophob
Wie in dem MDR-Artikel zu lesen ist, geht man davon aus, dass es bei dem Belassen der abgestorbenen Bäume im Wald das Ziel ist, „dass die Natur sich selbst regeneriert und dabei die alten Stämme zersetzt“. Altes Holz, was verrottet, „speichere Feuchtigkeit und entflamme – von Dürrejahren abgesehen, eher schwer“. Doch auch hier liegt eher ein Fehlschluss zugrunde. Das harzgesättigte, knochentrockene Holz ganzer abgestorbener Wälder verrottet lange Zeit überhaupt nicht, Baumharzbestandteile sind hydrophob (wsserabweisend). Der Zersetzungsprozess dauert erheblich länger als bei einzelnen abgestorbenen Bäumen in gesunden Waldpopulationen mit einer Vielfalt an bodenlebenden Pflanzen, Insekten und Pilzen.
Noch mal zurück zu der Studie der TU Dresden: Im Anhang sind auch mehrere Flurstückskarten der Hinteren Sächsischen Schweiz enthalten. Karte 3 zeigt eine GPS-Aufnahme der Brandgebiete – leider nur auf deutscher und nicht auf tschechischer Seite, von wo aus sich ja die Brände ausgebreitet hatten. Das abgegrenzte Brandgebiet zwischen Frienstein und Kleinem Winterberg hatte ich zwei Monate vor den Bränden im Mai 2022 besucht. Dieses Foto (siehe auch Titelfoto des Artikels) zeigt den Oberen Affensteinweg am Kleinen Winterberg am 3. Mai 2022. Hier lässt sich wohl erahnen, was mit „Totholz“ gemeint ist: nicht ein paar umgefallene, vermodernde Bäume, sondern ein undurchdringlicher Wust aus knochentrockenen Baumstämmen, Ästen, Zweigen und großen harzgetränkten Borkenstücken. Ein Foto der Freiwilligen Feuerwehr Porschdorf zeigt exakt die gleiche Stelle am 2. August 2022. Man sieht, dass das gesamte Totholz-Konglomerat dort komplett abgebrannt ist.
Wie dicht diese Brandherde an Bereichen liegen, die große Mengen zündfähiger Brandlasten enthalten, kann man der Karte 2 im Anhang der TU-Studie entnehmen, der Baumarten-Karte, sie zeigt die Verteilung der Hauptbaumarten: graue Bereiche GFI (Gemeine Fichte) / braune Bereiche GKI (Gemeine Kiefer). Es handelt sich um die Areale zwischen den Felsformationen Affensteine / Kleiner Winterberg und der Zeughausstraße (Flurstücke 638/39, oben links in der Karte). Ich habe auf meiner Wanderung im Mai 2022 diese Flurstücke in Augenschein genommen: Der einzige Weg, der durch dieses Areal führt und demzufolge auch unabdingbar für den Zugang bei einer Brandbekämpfung ist – der Königsweg (ein markierter Wanderweg) –, war über eine Länge von mehreren Kilometern undurchdringlich durch riesige Scheiterhaufen aus hunderten abgestorbener und umgestürzter bzw. gefällter Bäume (ähnlich wie auf dem Titelfoto des Artikels) versperrt und damit komplett unpassierbar.
„Natur Natur sein lassen“
Nein, es reicht nicht, einer Region das Etikett „Nationalpark“ anzukleben und es dann sich selbst zu überlassen. Dieses „Natur Natur sein lassen“ mag in anderen Nationalparken möglicherweise richtig sein, hier in der Sächsischen Schweiz ist es jedoch nichts anderes als die gigantische Verwahrlosung einer der schönsten Kulturlandschaften Europas.
Insofern möchte ich zum Schluss auf die Bürgerinitiative „Naturpark Sächsische Schweiz“ aufmerksam machen. Auf Grund der aus dem Status der Sächsischen Schweiz als Nationalpark resultieren komplexen Problemfelder, welche destruktive und zum Teil lebensgefährliche Folgen haben, setzt sich die Initiative für die Änderung der Schutzgebietskategorie in einen Naturpark ein, wobei die Sächsische Schweiz künftig ein einheitlich entwickeltes und zu pflegendes Gebiet werden soll, das überwiegend aus Landschafts- und Naturschutzgebieten besteht und das dem Erhalt, der Entwicklung bzw. Wiederherstellung der Kulturlandschaft und ihrer Arten- und Biotopvielfalt dienen soll.
Eine diesbezügliche Petition kann man hier mitzeichnen.