Erik Lommatzsch, Gastautor / 25.12.2020 / 11:00 / 18 / Seite ausdrucken

Sächsische Maßstäbe

Bert Pampel, als promovierter Politologe Leiter der Dokumentationsstelle der „Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft“, hat in der Sächsischen Zeitung einen – online leider hinter der Bezahlschranke in Deckung gegangenen – Gastbeitrag veröffentlicht, der angesichts der seit nun doch schon geraumer Zeit lastenden und voranschreitenden Diskurskorridorverengungen als äußerst bemerkenswert und – ausnahmsweise mal völlig ironiefrei – mutig bezeichnet werden kann.

Vorweg sei auch noch einmal in Erinnerung gerufen, dass der DDR-Bürgerrechtler Siegfried Reiprich, seit 2009 Geschäftsführer besagter Stiftung, im Sommer dieses Jahres von seiner Tätigkeit freigestellt wurde. Er hatte, bezogen auf die Vorgänge in Stuttgart vom Juni, bei denen es zu Ausschreitungen und Plünderungen unter „Allahu akbar“- und „Fuck-the-police“-Rufen gekommen war, gefragt, ob es sich um eine „Bundeskristallnacht oder ‚nur‘ ein südwestdeutsches Scherbennächtle“ gehandelt habe.

Das mit dem Vergleich ist also eine schwierige Sache. Vor allem, wenn man sich auf das Glatteis des mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf dem Fuß folgenden retourkutschigen Verharmlosungsvorwurfs begibt. Dem Verdacht, diese Pfade beschritten zu haben, muss sich Pampel definitiv nicht aussetzen.

In seinem mit „Antifaschismus ist nicht genug“ überschriebenen Artikel – der große Ulrich Schacht sagte einst, er sei gegen jeden Faschismus, also auch gegen Antifaschismus, aber das wäre jetzt ein anderes Feld – erklärt der Dokumentationsstellenleiter eingangs, Gedenkstätten seien eben nicht nur für das Gedenken da, sondern müssten „aus historischer Perspektive ein Bewusstsein für die immerwährende Gefährdung von Menschenrechten, Freiheit und Demokratie wecken“. Einige Gedenkstätten erheben daher „vermehrt ihre Stimme gegen ‚rechtes Gedankengut‘“. Dazu gehörten euro-, islam- und einwanderungskritische Positionen und „seit kurzem auch ‚corona-kritische‘ Überzeugungen“.

Dann folgen die ungewohnten Töne

Das kennt man. Zur Genüge. Allerdings folgen sodann eher ungewohnte Töne. Die Glaubwürdigkeit der Erinnerungsorte leide, „wenn sie bei ihren aktuell-politischen Interventionen mit zweierlei Maß messen und wenn sie den Grundsatz missachten, dass in der historisch-politischen Bildung kontrovers erörtert werden muss, was in der Gesellschaft im Rahmen der vom Grundgesetz gesetzten Grenzen kontrovers diskutiert wird“.

Pampel wird konkret. Zu recht sei, seiner Meinung nach, von den Gedenkstätten dagegen protestiert worden, dass die Kritiker der Corona-Maßnahmen mit dem Slogan „Impfung macht frei“ eine Anleihe bei dem allseits bekannten „Arbeit macht frei“ nähmen oder sich auf den Widerstand gegen die NS-Herrschaft beriefen. Das sei „geschmacklos, anmaßend und geschichtsvergessen“. Allerdings fragt Pampel, wo der Widerspruch geblieben sei, als die Kanzlerin „am 20. Juli 2019 bei ihrer Ansprache zum Gedenken an das Attentat auf Hitler aus dieser Tat eine Verpflichtung zum Multilateralismus ableitete und forderte, ‚entschlossen für die Zukunft der Europäischen Union einzutreten, gegen Nationalisten und Populisten‘?" Auch hier habe es sich um Vereinnahmung gehandelt. Denn „nicht wenige“ der Widerständler, so Pampel, „verstanden sich als nationalkonservative Patrioten“.

Er weist darauf hin, dass die Gedenkstätten die von den Kritikern aufgebrachte Bezeichnung „Ermächtigungsgesetz“ bezüglich der „Änderung des Infektionsschutzgesetzes“ zurückgewiesen hätten. Jedoch, „wenn diese Gleichsetzung eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Diktatur sein soll, was ist dann die vom neuen Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, in einem Beitrag vom August für das ‚Antifa Infoblatt‘ geäußerte Behauptung, Viktor Orbán habe Ende März ‚ein Ermächtigungsgesetz durch das ungarische Parlament peitschen‘ lassen? Und warum hatten Gedenkstätten nicht protestiert, als nach der Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten am 5. Februar die Wahlentscheidung von Abgeordneten mit dem Abstimmungsverhalten bürgerlicher Parteien zum Ermächtigungsgesetz von März 1933 gleichgesetzt wurde?“

Ebenso vermisste Pampel eine Stellungnahme der Gedenkstätten, als auf Demonstrationen von jungen muslimischen Männern „Hamas, Hamas – Juden ins Gas“ skandiert wurde. Der Dokumentationsstellenleiter bricht sogar eine Lanze: „Die wenigsten Kritiker der Corona-Maßnahmen sind antisemitische Verschwörungstheoretiker.“ Hingegen verdiene es Anerkennung, dass die Einschränkung von Grundrechten, „deren Verteidigung sich auch Gedenkstätten auf ihre Fahnen geschrieben haben“, nicht einfach hingenommen werde. Den „legitimen Widerspruch pauschal dadurch in Verruf zu bringen, dass mit dem Finger auf Antisemiten, Reichsbürger und Rechtsextremisten gezeigt wird, die den Protest zu unterwandern und zu instrumentalisieren versuchen, erinnert dagegen an die linke antifaschistische Tradition, politische Gegner als ‚faschistisch‘ zu verleumden.“

Ungarn werde an den Pranger gestellt, bezüglich rechtsstaatlicher Defizite, hingegen habe die Bundesregierung Corona-Maßnahmen beschlossen, für die es seinerzeit gar keine gesetzliche Grundlage gab. „Gelegenheiten für Warnungen vor demokratiegefährdenden Entwicklungen aus historischer Perspektive gibt es nicht nur mit Blick nach Rechts, sondern im Hinblick auf die Regierenden und den Staat, doch die meisten Gedenkstätten fungieren als staatlich finanzierte Einrichtungen in dieser Hinsicht schon lange nicht mehr als kritischer und wachsamer ‚Stachel‘.“

Gedenk-Verbot für den Bruder eines Opfers

Pampel erinnert daran, dass drei AfD-Landtagsabgeordneten im September 2019 „die Teilnahme an einer Gedenkfeier für die Opfer des sowjetischen Speziallagers Buchenwald, das von der sowjetischen Geheimpolizei nach 1945 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers errichtet wurde“, von der „Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora“ verwehrt worden sei. Der Bruder des Thüringer AfD-Parlamentariers Karlheinz Frosch, der 2019 als Alterspräsident fungierte, war als 17-Jähriger von den Sowjets unter „Wehrwolf“-Verdacht verurteilt worden und im Speziallager Sachsenhausen umgekommen. Dem Ausschluss von der Gedenkfeier, so Pampel, habe keine „Feststellung von konkreten Äußerungen oder Aktivitäten der drei Abgeordneten, die das Andenken der Opfer verunglimpfte oder die Täter verherrlichte“ zugrunde gelegen. „Vielmehr reichte für das Hausverbot die bloße Mitgliedschaft in einer Fraktion aus, die von Björn Höcke geführt wird, der eine ‚erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‘ gefordert hat.“

Hausverbotsüberlegungen für die andere Seite hingegen seien noch nicht auf dem Tableau gewesen. Dabei ist deren Agieren bei einer Reihe von Punkten zumindest zu hinterfragen. Der scheidende Linksparteichef Bernd Riexinger habe auf den Einwurf eines seiner Genossen, dass man nach einer Revolution „das eine Prozent der Reichen“ erschossen haben werde, „in stalinistischer Tradition mit den Worten reagiert: ‚Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie für nützliche Arbeit ein.‘“ Die Linken-Vorsitz-Anwärterin Janine Wissler, der mögliche neue Thüringer Linken-Fraktionsvorsitzende Steffen Dittes sowie Barbara Borchardt, linke Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern, waren oder sind, so Pampel, „eng mit Gruppierungen verbunden, die vom Verfassungsschutz als extremistisch geführt werden“. Dass „man sich demokratisch gibt, so lange man nach der Macht strebt, ist kein Alleinstellungsmerkmal rechtsextremistischer Akteure. Von der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ gewährte Freiheiten auszunutzen, um sie später zu zerstören, ist ebenso elementare marxistische Dialektik wie Strategie von Islamisten.“

Einer der zentralen Schlusssätze Pampels: „Im 21. Jahrhundert gilt es, vor jeder Art von totalitären Ansprüchen und bei jeglichen Versuchen der Suspendierung verfassungsmäßig garantierter Freiheiten wachsam zu sein. Gerade auch bei der Berufung auf beste Absichten wie der Bekämpfung einer Pandemie, der Herstellung größerer sozialer Gerechtigkeit oder dem Klimaschutz.“

Herrn Dr. Pampel ist von ganzem Herzen zu wünschen, dass er am 28. Dezember 2020 – dem Tag, an dem es zumindest in Berlin keinen Grund gibt, Pullover zu kaufen – nicht seine Freistellungsanordnung im Briefkasten finden wird. Und die „Sächsische Zeitung“ möge sich erweichen lassen, den Artikel (kosten)frei zu geben. Er ist lesenswert, nicht nur in Ausschnitten wie diesem.

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Udo Kemmerling / 25.12.2020

Sehr richtig, was Herr Pampel sagt. Nichtsdestwoweniger im Normalfall eine Selbstvertändlichkeit, in unserer verkommenen Bananenrepublik (zukünftige Historiker werden die Staatsform “abgemerkelten, zweierlei Mass-nehmenden Steinmeierismus kurz vor dem Baerbock-Kipppunkt” nennen) natürlich nicht mehr.

Jochen Brühl / 25.12.2020

Das Merkel zu ihrer Rede zum 20 Juli 2019 nicht widersprochen wurde, ist sehr einfach zu erklären. Diejenigen, die ihr da widersprechen würden, hören ihr schon sehr viel länger nicht mehr zu. Und das ist auch gut so, sofern man seine Gesundheit nicht schädigen möchte.

alma Ruth / 25.12.2020

Ich schließe mich Hr. Georg Dobler an. Er hat mit dem was er schrieb, ganz recht. So denke ich auch. - Und vieles was man heute “rächts” nennt, ist einfach nur vernünftig. Es gibt natürlich auch echt rechtes Denken. Aber dieses ist sehr oft dumm, unvernünftig etc. Man kann die beiden Denkweisen ziemlich gut unterscheiden. Warum tut man das nicht? Weil Selbstdenken anstrengend ist? Ich frage nur. Jedenfalls, einen wie einen Hund anzuschreien ist sicher einfacher. alma Ruth

Peter Holschke / 25.12.2020

@Georg Dobler - Gut erkannt. Offensichtlich ist das here Ziel nur ein Deckmäntelchen, sonst würden solche Widersprüche nicht offenbar.  Man sollte sich auch nicht wundern, dass es im Ministerium für Liebe keine Liebe gibt. Herr Pampel ist jetzt auch erledigt, weikl sein Name nun auf einer extrem-feindlichen Radikalinski-Leugner-Seite genannt wurde.

Mathias Rudek / 25.12.2020

Interessanter Artikel, Herr Lommatzsch. Herrn Pampel haben Sie zu Recht in den Focus gerückt, seine Äußerungen zu den von ihnen genannten “Ausgrenzungen ” sind brilliant, klar und unprätentiös formuliert. Wer gegen jede Kritik innerhalb eines Spektrums von Meinungen ist, der ist das Problem selbst. Weiter so Herr Bert Pampel.

Emmanuel Precht / 25.12.2020

Ich plädiere dafür, dass der Mann als Superminister das Innen- und Außenministerium überantwortet bekommt. Wohlan…

A. Ostrovsky / 25.12.2020

@Georg Dobler / 25.12.2020 Herr Dobler, ich vermute, Ihr Irrtum beginnt schon damit, dass Sie glauben, die amtlichen Massnahmen sollen die Verbreitung des Virus eindämmen.

Franz Klar / 25.12.2020

Pampel wurde schon 2015 pampig . Bald wird er wohl rücktrittig .

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