Aktuell wird viel berichtet, wie der Verfassungsschutz in Thüringen die offizielle Etikettierung der AfD als „rechtsextrem“ begründete. Aber wie ist das eigentlich in Sachsen gelaufen? Da wird es richtig düster.
Im letzten Jahr hatte der Verfassungsschutz in Sachsen ein 134-seitiges Gutachten über den sächsischen Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD) angefertigt, um der Partei offiziell das Etikett „rechtsextrem“ anzuheften. Presse und Öffentlichkeit wurden im Dezember 2023 mit einer 2,5-seitigen Pressemitteilung abgespeist. Darin wurde nur äußerst dürftig begründet, warum der AfD-Landesverband in Sachsen als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft wird. Es würde alles im Gutachten stehen, hieß es. Nur leider hat es der Verfassungsschutz auf Nimmerwiedersehen im Panzerschrank verschwinden lassen. Auch auf Pressenachfragen mochte das Landesamt keine weiteren Details über dessen Inhalt verraten. Ich hatte über den Vorgang auf Achgut unter dem zusammenfassenden Titel „Sachsen: Verfassungsschutz will AfD-Gutachten geheimhalten“ ausführlich berichtet.
Bereits im Januar dieses Jahres klagte die AfD vor dem Verwaltungsgericht Dresden auf Herausgabe des Gutachtens. Dann tat sich eine ganze Weile nichts, obwohl es sich um einen Eilantrag handelte. Erst am 16. Juli 2024, also sechs Monate später, teilte das Gericht mit, dass der Eilantrag des Landesverbands Sachsen der AfD gegen seine Einstufung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung erfolglos gewesen sei. Nachzulesen hier.
Nochmal zum Mitschreiben: Eilantrag Januar, Gerichtsentscheidung Juli. Moderne und effiziente Justiz geht doch wohl anders. Seit dem 28. Juli 2024 ist eine Beschwerde der AfD beim Oberverwaltungsgericht Bautzen in derselben Sache unter dem Aktenzeichen 3 B 127/24 anhängig. Seitdem erreichen das Gericht zwar sowohl vom Verfassungsschutz als auch von der AfD Sachsen immer neue Schriftsätze – nur entscheiden will es noch nicht. Und niemand weiß, wann sich das OVG zu einem Urteil entschließen möchte.
Die Thüringer Materialsammlung sorgte „für Lacher bis heute“
Hier passt vielleicht ein kurzer Abstecher in den Nachbar-Freistaat Thüringen. Die Affäre um Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer schlägt Wellen, wie Achgut hier bereits berichtete. Die jüngste Welle von Meldungen über diese merkwürdige Personalie hatten Recherchen der Kollegen von Apollo News angestoßen. Am 12. Dezember berichtete der Chefredakteur von Apollo News, Max Mannhart, im Kontrafunk über manipulierte AfD-Gutachten, unterdrückte Gegengutachten, Bedrohung und Intrigen gegen kritische Mitarbeiter sowie Eigenmächtigkeiten des Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer (SPD) im Kurs gegen die AfD. Beispielsweise ging es um das Erstellen einer Materialsammlung, die zum Beweis der rechtsextremen Bestrebungen der AfD dienen sollte (Min. 11:49 bis Min. 12:44):
„Dass ist das, was uns … übereinstimmende Insiderquellen berichten, dass Stephan Kramer … die Quellensammlung für die erste Einstufung – also diese Prüffall-Einschätzung, das ist relatv wenig umfangreich – diese Materialsammlung hat er völlig selbst angelegt. Die war dem Fachreferat selbst bis zur Veröffentlichung gar nicht bekannt. Das können wir auch dadurch belegen, dass es interne Mails gab, damals von Seiten des zuständigen Referatsleiters, der genau das eben beschrieben hat, sich empörte, dass er von all dem gar nichts wusste, aus der Presse erfahren hat, dass das zuständige Refererat bewusst außen vor gelassen wurde …“
Vielleicht fürchtete er das Urteil der Verfassungsschutz-Profis. Wohl zu Recht, wenn Mannharts Aussagen stimmen:
„Stephan Kramer hat dann diese Materialsammlung an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet und auch dort sorgt es für Lacher bis heute … weil diese Materialsammlung nicht sonderlich erhellend war, was ihre Stichhaltigkeit angeht.“
Lachte niemand über das AfD-Gutachten aus Sachsen?
Zurück nach Sachsen. Der Autor wollte vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) wissen, wie lange das sächsische AfD-Gutachten noch im Panzerschrank sein Dasein fristen soll. Die Anwort:
„Das Gutachten zum AfD-Landesverband Sachsen ist ein vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen als Verschlusssache eingestuftes Dokument. Dabei handelt das LfV Sachsen auf der Grundlage der Verwaltungsvorschrift der sächsischen Staatsregierung über die Behandlung von Verschlusssachen (VSA). Die Erforderlichkeit wird laufend überprüft.“
Meine Hypothese zum Panzerschrankgutachten: Es steht nichts Substanzielles drin. Wollen wir wetten? Damit das nicht rauskommt, lässt es das – dem CDU-Innenminister unterstellte – LfV lieber im Dunkeln. Sehr misstrauisch macht zudem das Fehlen eines, aus wissenschaftlich-methodischer Sicht, wichtigen Wortes: „unabhängig“. Es ist im Zusammenhang mit der Entstehung des Gutachtens zur AfD in Sachsen nie gefallen. Fakt ist zunächst: Das LfV ist eine weisungsabhängige Behörde. Demnach kann es selbst kaum die Unabhängigkeit eines Gutachtens garantieren. Hochverdächtig ist: Das LfV hat sich bisher nie geäußert, ob das Gutachten – nach wissenschaftlichen Maßstäben – durch unabhängige Gutachter bewertet wurde.
Hierfür eignet sich hervorragend das Mittel der Interrater-Reliabilität bzw. Beobachterübereinstimmung. Ohne den Inhalt der Öffentlichkeit preisgeben zu müssen, hätte das LfV z.B. sagen können: „Wir haben vier unabhängige Gutachter das Material bewerten lassen, die Beobachterübereinstimmung ist hoch.“ In der Regel gilt ein Korrelationskoeffizient von 0,8 bis 1,0 als sehr hoch. Wenn das Amt ein solches Gutachten vorweisen könnte, hätte das – wenn auch unter Vorbehalt – einen leichten Anschein von Glaubwürdigkeit. Der Autor würde sich sogar als externer Gutachter für eine Bewertung zur Verfügung stellen. Man will ja nicht nur meckern, man will helfen, wo man kann. Zwinkersmiley.
Leider ist hochwahrscheinlich am sächsischen Panzerschrankgutachten aber überhaupt nichts Wissenschaftliches. Sondern es scheint eher ein Konglomerat aus Attributions-Voreingenommenheiten zu sein. Bedeutet: Wenn das LfV von vornherein der Meinung ist, die AfD sei böse, hat das eine unmittelbare Handlungskonsequenz bezogen auf das Erstellen des Gutachtens. Diese Voreingenommenheit des LfV beeinflusst den Zuschreibungsprozess. Auch vor dem Hintergrund der Affäre um den Thüringer Schlapphutchef Stephan Kramer, wegen dem jetzt ein Untersuchungs-Ausschuss eingesetzt werden soll, stellt sich die Frage: Hat sich der sächsische Verfassungsschutz die 134-seitige AfD-Materialsammlung einfach nur zusammengegoogelt?
Vielleicht verhilft uns ja das Oberverwaltungsgericht Bautzen demnächst zu ein paar neuen Einsichten. Oder ein AfD-Verbotsantrag, denn vor dem Bundesverfassungsgericht müssten wohl auch handfestere Beweise dafür auf den Tisch gelegt werden, dass die Partei „gesichert rechtsextrem“ sein soll.
Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und absolviert nebenberuflich ein Bachelor-Studium im Fach Psychologie.