… und die Abgeordneten der stärksten Landtagsfraktion sollen künftig nur noch so abstimmen dürfen, wie es die schwächelnde SPD erlaubt. Lässt sich die CDU diese Entmündigung gefallen?
Ich hatte nach der Landtagswahl in Sachsen gemutmaßt, dass die sogenannte Brombeer-Koalition von CDU, SPD und Wagenknecht-Bündnis scheitern würde und es dem CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer nicht gelingen werde, sich bis zum 3. Februar als Ministerpräsident wählen zu lassen. Wenn der Landtag innerhalb von vier Monaten nach seiner Konstituierung keinen neuen Regierungschef wählt, schreibt die sächsische Landesverfassung Neuwahlen vor.
Die Koalitionsverhandlungen sind bekanntlich gescheitert, allerdings schon an der Wagenknecht-Gefolgschaft, nicht erst am Widerstand in der CDU gegen ein solches Bündnis, wie ich vermutet hatte. Und Michael Kretschmer versucht nun, um beinahe jeden Preis, auch den der erneuten politischen Selbstverleugnung seiner Partei, Neuwahlen zu verhindern. Ihm ist klar, dass seine politische Zukunft in diesem Falle alles andere als rosig aussieht. Zumindest in diesem Punkt scheint er die Welt etwas realistischer zu sehen als Olaf Scholz und will sächsische Neuwahlen nun um jeden, wirklich jeden Preis vermeiden. Er kündigte jüngst an, es nun mit einer Minderheitsregierung zusammen mit der SPD versuchen zu wollen. Man könne dann mit wechselnden Mehrheiten regieren.
In der eigenen Partei gab es allerdings Unmut über diese Pläne. Nicht darüber, es mit einer Minderheitsregierung zu versuchen, aber auch CDU-Mitglieder stellten sich die logische Frage, warum muss sich die stärkste Partei im Landtag für eine Minderheitsregierung noch die Sieben-Prozent-SPD ans Bein binden? Allein hätte die Partei doch viel mehr Beinfreiheit für einen eigenen Politik-Kurs mit wechselnden Mehrheiten.
Etwas veralteter Textbaustein
Nur wenige Parteimitglieder äußerten diese scheinbar recht verbreitete Kritik allerdings öffentlich. Zu denen gehörten die schon mit offener Kritik am Brombeerkurs der Parteiführung aufgefallenen Christdemokraten aus der Stadt Naunhof im Leipziger Umland. Sie forderten in einer Erklärung, die Allein-Minderheitsregierung anzustreben:
„Eine CDU Minderheitsregierung in Sachsen könne dagegen endlich einmal wieder wirksam die Ideen der CDU in der Wirtschafts-, Energie-, Sicherheits-, Migrations- und Gesellschaftspolitik vertreten und dafür in der Bevölkerung werben. Die notwendigen Mehrheiten für diese Politik müssen dann im Sächsischen Landtag in alle Richtungen gesucht werden, ohne einseitige Abhängigkeiten von lediglich linken Parteien.“
Doch einen Tag später beschloss der CDU-Landesvorstand trotz des Murrens an der Basis auf der Grundlage einer in den Sondierungsgesprächen getroffenen Vereinbarung die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
Auf einer Pressekonferenz dazu geizte Michael Kretschmer nicht mit wohlklingenden Floskeln, auch wenn die teilweise aus einem etwas älteren Textbausteinkasten stammten, wie hier:
„Wir wollen eine Politik aus der Mitte des politischen Spektrums heraus machen. Wir sehen, wie dieses Land aufgewühlt ist, wie es auch zerrissen ist, wie viele Menschen sich am Ende auch von der Demokratie verabschiedet haben, aber wir wollen einen Beitrag leisten als zwei große Volksparteien, die über so viele Jahrzehnte in Sachsen und in Deutschland Verantwortung für das Gemeinwesen übernommen haben, dass die Gesellschaft zusammen bleibt.“
Die sächsische Sieben-Prozent-SPD zur „großen Volkspartei“ zu erklären, um zu bemänteln, dass diese Parteipaarung, die früher als „Große Koalition“ bezeichnet worden wäre, nur noch eine Minderheit der Wähler repräsentiert, hat realsatirischen Gehalt.
Wir machen alles gemeinsam
Dann sagt Kretschmer „aus der Mitte des politischen Spektrums heraus“ auch ganz klar, dass er sich seine Mehrheiten natürlich nur auf der linken Seite holen will:
„Wir wünschen uns, dass in diesem Sächsischen Landtag miteinander gesprochen wird und dass es möglich ist, parteiübergreifende Kompromisse zu finden. Wir wissen aber auch – und das ist bitter –, dass es eine politische Partei gibt, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremer Verdachtsfall und Beobachtungsfall eingestuft wird. Mit dieser Partei kann es keine Zusammenarbeit geben. Mit dieser Partei wird es auch keine Suche nach Mehrheiten geben.“
Diese Partei repräsentiert knapp ein Drittel der sächsischen Wähler. Mit dieser Partei hätte die CDU eine satte Mehrheit. Diese Partei wäre die einzige im Landtag, die nicht deutlich links von der CDU siedelt. Die FDP gibt es in der Landespolitik bekanntlich nicht mehr. Und bislang lässt der Verfassungsschutz die Bürger weitgehend im Unklaren darüber, welche belastbaren Belege er für die Einordnung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ ermittelt hat.
Kretschmer kündigt also an, mit seinem CDU-SPD-Bündnis genau das zu tun, was die Naunhofer Parteifreunde befürchten: Er begibt sich in die Abhängigkeit lediglich von linken Parteien. Selbst frei gewählten Abgeordneten will er Fesseln anlegen. Vor dem Folgenden kurz zur Erinnerung: In Sachsens Landesverfassung steht in Artikel 39: „Die Abgeordneten vertreten das ganze Volk. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.“
In der von den Vorständen von CDU und SPD abgesegneten Vereinbarung zu den Koalitionsverhandlungen steht Medienberichten zufolge nun:
„CDU und SPD in Regierung und Fraktionen bringen alle Vorlagen, parlamentarischen Initiativen und Wahlvorschläge gemeinsam ein und stimmen diese gemeinsam ab.“
Keine Enthaltung
Die Eigenständigkeit der CDU-Fraktion wäre damit obsolet. Die Sieben-Prozent-Fraktion der SPD dürfte dann mitbestimmen, was die stärkste Fraktion des Hauses tun darf. Die darf nichts Eigenständiges mehr vorbringen, weil das dann vielleicht mit der Mitte-Rechts-Mehrheit des Landtags beschlossen wird? Das grenzt doch an Entmündigung der Abgeordneten.
Auch in ihrem Stimmverhalten sollen die Koalitionsabgeordneten dann nicht mehr frei sein. Es heißt in dem Papier auch:
„Unsere beiden Fraktionen vereinbaren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in allen parlamentarischen Angelegenheiten und verpflichten sich auf eine eindeutige Haltung bei allen Abstimmungen im Sächsischen Landtag. Daher wird vereinbart, dass es keine Enthaltung bei Abstimmungen gibt.
Und was geschieht, wenn dennoch ein Abweichler einem Regierungsantrag nicht zustimmt? Kretschmer muss in der Tat berechtigte Angst haben, dass CDU-Abgeordnete gegen linke Politik-Vorhaben stimmt, auch wenn sie von der „eigenen“ Regierung stammen. Will er nun mit Druck kritische Abgeordnete hinter sich zwingen? Warum empört das kaum jemanden hörbar? Oder wurden sie überlesen? In der Pressekonferenz bei der die CDU- und SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden ihre neuen Ideen erläuterten, wurden diese Gemeinheiten hinter vielen wolkigen Ankündigungen versteckt, dass die geplante Minderheitsregierung enger mit dem Parlament zusammenarbeiten werde und plane, Gesetzesvorhaben auch auf neuen Wegen, unabhängig vom bisherigen parlamentarischen Prozedere, gemeinsam zu entwickeln.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.