In der sächsischen CDU wächst der Unmut der Parteimitglieder, gegen die Festlegung der Partei auf Linkskoalitionen. Nun traf sich Ministerpräsident Kretschmer mit dem sächsischen AfD-Vorsitzenden Jörg Urban.
Die Meldung, mit der Bild am späten Dienstagnachmittag zuerst kam, hätte normalerweise ein kleines Medienbeben ausgelöst – empörte Politiker-Kommentare inklusive. Ausgerechnet Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, der sich in fester Treue zur Berliner Parteilinie immer wieder deutlich zur Ablehnung jeglicher Kooperation mit der AfD bekannte, hat sich mit dem AfD-Partei- und Landtagsfraktionsvorsitzenden Jörg Urban zu einem vertraulichen Gespräch getroffen.
Dass Medien- wie Politiker-Reaktionen zunächst nur äußerst gedämpft bis gar nicht wahrnehmbar waren, lag zum einen sicherlich am Zeitpunkt. Medienschaffende und politische Amtsträger richteten ihre Aufmerksamkeit in gespannter Erwartung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl in Richtung USA. Selbst das Krisen-Staatstheater der Regierungskoalition in eigener Sache würde für die nächsten Stunden kaum jemanden interessieren. Das ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt in Dresden an der Destabilisierung der politischen Brandmauer gegen die AfD gearbeitet werden könnte, hatte wohl niemand auf dem Schirm.
Ministerpräsident Kretschmer hatte sich schon so stark für die Koalition mit SPD und Wagenknecht-Bündnis eingesetzt, brav alle Zeichen der Ergebenheit gezeigt, die Sahra Wagenknecht nach der Landtagswahl wünschte, und sich immer wieder so deutlich von der AfD abgegrenzt, dass von ihm kaum jemand ein vernehmliches Kratzen an der Brandmauer erwartet hätte.
Wie an dieser Stelle schon beschrieben, musste er allerdings fürchten, mit einer weiteren fragilen Links-Koalition angesichts einer von den Wählern gelieferten stabilen Mitte-Rechts-Mehrheit, in der eigenen Partei und der eigenen Fraktion Schiffbruch zu erleiden. Es gab in den letzten Wochen einige Erklärungen und offene Briefe von namhaften sächsischen CDU-Veteranen, die sich gegen eine Koalition mit der Kaderpartei von Genossin Wagenknecht und für ein Ende der Brandmauer aussprachen. Damit, so berichteten einige Kollegen, sollen sie die mehrheitliche Stimmung an der sächsischen Parteibasis treffend zusammengefasst haben.
Ein ganz normales Treffen?
Meine Einschätzung war, sie konnten es hier lesen, dass Kretschmer nicht das Format hätte, den Wünschen seiner sächsischen Parteibasis zu folgen und dies auch im Konflikt mit der Berliner Parteiführung durchzuhalten. Deshalb, so mutmaßte ich, würden wir sächsischen Wahlbürger wohl Anfang des Jahres 2025 wieder zur Wahlurne gerufen werden, weil es in Sachsen automatisch Neuwahlen geben muss, wenn vier Monate nach der konstituierenden Sitzung des Landtags kein neuer Ministerpräsident gewählt worden ist.
Aber mancher wird in der Not mutig, und eventuell gehört Michael Kretschmer dazu. Obwohl er nicht den offenen Konflikt sucht. Auch das Treffen mit Urban versuchten seine Mitarbeiter zunächst möglichst niedrig zu hängen. Nach quasi offizieller Darstellung hat der Ministerpräsident lediglich auf einen Gesprächswunsch des Fraktionsvorsitzenden der zweitstärksten Partei im Landtag reagiert. Das klingt etwas blauäugig in einem Deutschland, in dem der AfD trotz ihrer Stärke vielerorts gern und konsequent Ämter verweigert werden, die ihr nach einst selbstverständlichem parlamentarischen Gewohnheitsrecht eigentlich zustünden.
Allerdings ist das in Sachsen nicht so. Bei der konstituierenden Sitzung des Sächsischen Landtags gaben sich sowohl CDU als auch AfD zudem spürbar – ja geradezu demonstrativ – große Mühe, zivilisiert miteinander umzugehen. Der frisch gewählte CDU-Landtagspräsident Alexander Dierks setzte auf Entspannungs-Töne gegen den sonst überall spürbaren Kalten Krieg an der Brandmauer: „Wir sind Mitbewerber, wir sind bisweilen in harten Debatten auch mal Gegner, aber wir sind niemals Feinde, liebe Kolleginnen und Kollegen“.
Michael Kretschmer war allerdings in den Wochen, Monaten und Jahren zuvor eher der Mann der scharfen Abgrenzungstöne zur AfD, auch wenn er sich zuweilen darum bemühte, durch die zeitweise verbale Übernahme der einen oder anderen populären AfD-Forderung selbst an Popularität zu gewinnen. Da er allerdings, wie sein Berliner Parteichef Friedrich Merz, schon bei geringem Gegenwind als Meister des Zurückruderns auffiel, klappte das mit der Popularität nicht so ganz. Immerhin hatte es seine CDU am 1. September bei der Landtagswahl geschafft, knapp vor der AfD als stärkste Landtagspartei einzulaufen.
Die Brandmauer hält nicht ewig
Das Kretschmer jetzt, während er mit BSW und SPD über eine mögliche Regierungskoalition verhandelt, zum vertraulichen Gespräch beim AfD-Fraktionsvorsitzende erscheint, ist ein starkes Signal. Wie Ketschmers Büro verlauten ließ, habe der Ministerpräsident seine Gesprächspartner von den Wagenknechten und der SPD vorab von seinem Treffen mit Urban informiert. (Musste er dazu auch bei Sahra direkt vorsprechen?) Vielleicht hofft er auf mehr Entgegenkommen, wenn deren Unterhändler spüren, dass sie sich nicht mehr darauf verlassen können, dass die Brandmauer die CDU weiterhin zuverlässig in ihre selbst geschaffene Zwangslage presst. Egal worüber in dem vertraulichen Gespräch mit Urban geredet oder geschwiegen wurde, lautet die Botschaft: "Wir könnten auch anders". Aber traut man Kretschmer das zu?
Worauf kann er spekulieren? Darauf, dass ihm seine Wunschkoalitionspartner von BSW und SPD so weit entgegenkommen, dass er das Ergebnis seiner eigenen Partei als einen so großen Erfolg verkaufen kann, dass die innerparteiliche Kritik am ungeliebten Linksbündnis verstummt? Das ist wohl weder von der SPD noch von den Wagenknechten zu erwarten. Oder wollte er ausloten, ob Urban und die Seinen ihn auch als Ministerpräsidenten einer Minderheitsregierung wählen würden und wie hoch gegebenenfalls der Preis dafür wäre?
Der Schritt, vom Schleifen der Brandmauer auch gleich zu einer geregelten Kooperation oder gar Koalition zu kommen, ist für Kretschmer sicher zu groß. Es wäre schon eine Überraschung, wenn er trotz des erwartbaren Gegenwinds führender Parteifreunde in Berlin und anderen deutschen Ländern einen Kurs niedrigschwelliger Absprachen und der Abschaffung konsequenter Aus- und Abgrenzung der AfD durchhalten könnte.
Vielleicht bleibt das Gespräch auch scheinbar so folgenlos wie ein Sturm im Wasserglas. Aber dann trügt dieser Schein, denn jedes Kratzen an der Brandmauer hat Folgen. Sie ist auf Dauer nicht zu halten, und je länger dies versucht wird, desto größeren Schaden nimmt die Demokratie. Dort, wo die Mehrheit der Wahlbürger immer wieder Mitte-Rechts wählt, aber trotzdem immer wieder linkslastige Regierungen bekommt, sorgt das für einen nachhaltigen Schwund des Vertrauens in die parlamentarische Demokratie. Wer kann das wollen?
Einstweilen kann das politisch interessierte Publikum beobachten, ob es Michael Kretschmer vielleicht doch gelingt, wieder Ministerpräsident zu werden und Neuwahlen zu vermeiden.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.