Gerd Held / 09.11.2018 / 06:25 / Foto: Pixabay / 25 / Seite ausdrucken

Sachpolitik? Auto weg, Land abgehängt, Stadt unbezahlbar (2)

Die sogenannte „Dieselkrise“ ist inzwischen zur Fahrverbotskrise geworden und wuchert ungehindert weiter. Im ersten Teil dieses Beitrages wurde gezeigt, dass durch die Verschärfung der Grenzwerte eine Kettenreaktion der Intoleranz erzeugt wurde, die letztlich das Automobil selbst in seiner Eigenschaft als Massenverkehrsmittel bedroht. Sie setzt damit auch ein Kernstück des Industrielandes Deutschland aufs Spiel, die Automobilindustrie.      

Diese Intoleranz kann auf den ersten Blick als Privatsache der Autofahrer „in ihren Blechkisten“ erscheinen, aber sie trifft in Wirklichkeit die Allgemeinheit und bringt das gesamte Verkehrs- und Siedlungssystem aus dem Gleichgewicht. Wird der „motorisierte Individualverkehr“ (MIV), wie es in der Fachsprache heißt, zum Privileg von Wenigen, wird die gesamte räumliche Organisation der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens getroffen. Genauer: Die Komplexität und damit die „Freizügigkeit“ des modernen Siedlungssystems wird zerstört, wenn jenes Teilstück der Massenmobilität, das mit seiner Flexibilität für weniger verdichtete Siedlungsformen effizient ist, aus dem Gesamtsystem des Verkehrs herausgebrochen wird.

Eine weitgehende Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs würde vor allem die peripheren Siedlungsstandorte treffen, darunter auch das nähere und weitere Umland der Großstädte (besonders in den Metropolregionen). Mit anderen Worten: Die Intoleranz bei den Grenzwerten zerstört die Alternativen und Ausweichmöglichkeiten, die es bisher bei Standortentscheidungen für Wohnen, Gewerbe und Infrastrukturen gab. Das bedeutet eine Einschränkung unserer Freiheit, wie wir sie uns heute noch kaum vorstellen können. 

Der Angriff auf das Automobil ist also ein Politikum. Es ist ein Angriff auf gemeinschaftliche Rechtsgüter, auf wichtige, über lange Zeiträume entwickelte Commons eines modernen Landes. Diese Seite der „Dieselkrise“ ist bisher ungenügend betrachtet und erörtert worden. 

Die spezifische Leistung des Automobils 

Sprechen wir also von der Verkehrsleistung des Automobils. Dabei geht es um eine Teilgröße. Das Auto ist nicht alles, sondern ein Verkehrsmittel neben anderen. Es ist aber mehr als eine private Marotte von „Egoisten in ihren Blechkisten“. Der Beitrag des Automobils zur allgemeinen Mobilität soll hier anhand der „Gesamtverkehrsprognose 2025 für die Länder Berlin und Brandenburg" dargestellt werden.

Dieser Bericht (Auftraggeber waren die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg) vermittelt ein Bild der Größenverhältnisse des Verkehrs im Einzugsgebiet einer großen Metropole. Und er enthält eine langfristige Prognose, die nahe an den Zeitpunkt heranführt, der für das „Verbot des Verbrennungsmotors“ diskutiert wird. Der Bericht ist etwas älter (2009) und geht von einem sinkenden Verkehrsdruck aus – was man aus heutiger Sicht bezweifeln muss angesichts einer gesteigerten Mobilität der Arbeits- und Lebensführung und angesichts des Siedlungsdrucks auf die Metropolräume.

Aber gerade weil der Bericht noch nichts vom „Berlin-Boom“ ahnte, sind die konstant hohen Verkehrsanteile des Automobils, die er errechnet, ein guter Orientierungspunkt. Sie sind das Mindeste, womit wir rechnen müssen. Der Bericht führt vor Augen, worüber wir eigentlich reden, wenn wir das Automobil in Frage stellen. Da er den Berlin-Brandenburger Verflechtungsraum in seiner Gesamtheit betrachtet, kann man aus ihm herauslesen, welch große Lücke sich ergeben würde, wenn es hier zu Fahrverboten oder unbezahlbaren Fahrzeugkosten käme. Der Bericht ist auch ein Gegenmittel gegen die Betriebsblindheit mancher Innenstädter, die allzu selbstgewiss davon ausgehen, „die Großstädter“ zu sein.  

Die Verkehrsrealität in einer Metropolregion

Aus einer Abbildung der „Gesamtverkehrsprognose“ (S. 65) habe ich die Prozent-Anteile der Verkehrsmittel „Automobil“, „Bus und Bahn“, „Fuß und Fahrrad“ an der Verkehrsleistung im Personenverkehr errechnet – zum einen den Stand des Jahres 2006, zum anderen die Prognose für das Jahr 2025. Räumlich wurde unterschieden zwischen einem Kernbereich und einem Außenbereich in Berlin und einem Brandenburger Umland.  

Das Automobil hat (Stand 2006) selbst im Kernbereich Berlins nur einen Anteil von rund 40 Prozent, im Außenbereich über 60 Prozent und im Umland über 80 Prozent. Der Anteil von Bus und Bahn sinkt ausgehend vom Stadtbereich ins Umland kontinuierlich von 45 Prozent auf gerade mal 6,5 Prozent (Stand 2006). Fussgänger und Fahrrad erreichen maximal zehn Prozent in der Stadt.

Die Prognose für 2025 unterscheidet sich von dieser Verteilung nur marginal; es ändert sich im Wesentlichen nicht viel. Das Auto hat in der Stadt einen Anteil von knapp 40 Prozent, der im Umland auf 75 Prozent ansteigt. Bus und Bahn bewältigen in der Stadt etwa die Hälfte, im Umland sind es nur noch knapp 16 Prozent. Fussgänger und Radfahrer nehmen etwas zu, spielen aber weiterhin eine marginale Rolle. 

Die Bedeutung des Automobils sinkt auch bis 2025 nur unwesentlich. Selbst wenn man von einem wachsenden Anteil von Bus und Bahn ausgeht, ist eine Ersetzung des motorisierten Individualverkehrs durch den Öffentlichen Personen-Nahverkehr nicht einmal annähernd in Sicht. Das gilt erst recht für eine Ersetzung durch das Fahrrad.  

Dabei ist ein Punkt wichtig. Ich habe die Messgröße „Verkehrsleistung“ zugrunde gelegt und nicht die Messgröße „Verkehrsaufkommen“. Beim Verkehrsaufkommen wird nur die Wege-Zahl mit einem Verkehrsmittel gezählt, bei der Verkehrsleistung wird die bewältigte Distanz (in Kilometer) gezählt. Bei der Größe „Verkehrsaufkommen“ wird also das Entfernungsproblem, das ja für die Menschen ganz wesentlich für die Verkehrsmittelwahl ist, ausgeblendet. So kommt es, dass in dieser Messung der Anteil von Fuß und Fahrrad 39,7 Prozent beträgt (im Gesamtraum Berlin), während er im gleichen Raum bei der Messgröße „Verkehrsleistung“ nur 10,1 Prozent beträgt! 

Die Distanzen der dispersen Siedlungsstruktur sind auch der Hauptgrund, warum der Automobilgebrauch mit wachsender Entfernung vom Zentrum steigt. Das Fahrrad stößt hier ebenso an seine Grenzen wie die öffentlichen Verkehrsmittel, die nicht flächendeckend ausgelegt werden können – insbesondere beim Schienenverkehr. Die Messgröße „Verkehrsleistung“ bildet also die Härten des Alltagslebens der Menschen besser ab und zeigt die Grenzen einer „Verkehrswende“. Noch realistischer wäre es, wenn man auch die Sachleistung des Transports (mitgeführte Dinge, zum Beispiel bei Großeinkauf) einbeziehen würde. Spätestens, wenn man den Gewerbeverkehr (Industrie, Handwerk, Dienstleistungen) in die Betrachtung mit einbezieht, wird diese Sachdimension des Verkehrs deutlich. 

Dumme Gegenüberstellung von „Menschen“ und „Blechkisten“

Hinter den konstant hohen Zahlen des Automobilverkehrs steht also keine Lebensverachtung, sondern die räumliche Ausdehnung der heutigen Lebenswirklichkeit. Es geht nicht um Bequemlichkeit, sondern um existenzielle Fragen: Ist ein bestimmter Wohn-, Erwerbs- oder Dienstleistungsstandort haltbar? Ist eine Schule oder sonstige öffentliche Einrichtung haltbar? Die Behauptung, dass es den einen bloß um „Blechkisten“ ginge, während es den anderen um „die Menschen“ ginge, ist ebenso dumm wie polemisch. Wenn man also in einer Statistik sieht, wie viele tägliche Kilometer in einem Verflechtungsraum per Automobil zurückgelegt werden, sollte man daran denken, dass da elementare Bedürfnisse und Notwendigkeiten im Spiel sind. Wer einfach mal verordnet, dass Berlin nun „Fahrrad-Hauptstadt“ werden soll, geht arrogant über die Millionen täglichen Kilometer hinweg, die bewältigt werden müssen. Natürlich gibt es Zuwächse beim Fahrrad, aber ebenso deutlich zeichnen sich harte Grenzen ab, an denen der gute Wille für das Fahrrad (oder für die flächendeckende Einrichtung neuer Bahnlinien) heute schon scheitert. 

Man sollte aber auch nicht den Umkehrschluss ziehen und den Teil der Bevölkerung, der sich ausschließlich mit dem Öffentlichen Nahverkehr und dem Fahrrad bewegt, weil er dafür den passenden Wohn- und Arbeitsstandort oder die zusätzliche Zeit hat, herabsetzen. Eher sollte man von zwei Realitäten ausgehen, die heute in den Ballungsräumen nebeneinander bestehen. Es gibt die Auto-Fraktion und die Bahn-Bus-Fahrrad-Fraktion (und dazwischen viele Mischformen). Das Verkehrssystem einer Metropolen-Region muss auf beiden Beinen stehen. Es muss dual sein und sich dazu auch offen und positiv bekennen.

Der Zusammenhalt unserer Ballungsräume hängt davon ab, dass diese beiden Fraktionen sich gegenseitig respektieren, und dass keine Fraktion zur Alleinherrschaft strebt. Die berühmte urbane Toleranz muss heute darin bestehen, dem jeweils anderen Arbeits- und Lebensmodell gute Gründe zuzubilligen. Und unter „guten Gründen“ sollte man nicht nur pragmatische Gründe („anders geht es nicht“) verstehen, sondern auch Leidenschafts-Gründe: Beide Mobilitätsmodelle haben ihre eigenen Freiheits-Leidenschaften, für die sie ihre jeweiligen Verkehrsmittel lieben. 

Brisante Kombination: Wohnungsknappheit und Autoverbote

Es gibt aber auch eine ganz aktuelle Dringlichkeit, die für die Zukunft des Automobils in Ballungsräumen spricht. Es gibt gegenwärtig eine starke Siedlungsbewegung, der sich auf diese Räume richtet. Viele Menschen suchen dort einen Arbeitsplatz und eine Wohnung, viele Gewerbe suchen dort einen Standort. In der Mitte der Ballungsräume steigen die Preise exorbitant. Damit ist klar, dass die Zuzugsbewegung nicht in der Stadtmitte bewältigt werden kann. Oder anders gesagt: Sie kann nicht monozentrisch bewältigt werden. Bezahlbarer Wohn- und Gewerberaum kann nur multizentral gewonnen werden.

Das hat eine Konsequenz für das Verkehrssystem. Seine Leistungsfähigkeit kann auch nur weiträumig und multizentral gesteigert werden. Damit aber werden genau dort Zuwächse erzeugt, wo das Automobil hohe Verkehrsanteile hat. Es ist also völlig unrealistisch, wenn man die gegenwärtige Zuzugswelle in die großen Städte, die nur durch eine Dehnung des urbanen Raums bearbeitet werden kann, durch ein Verkehrssystem bewältigen will, das diese Dehnung nicht bewältigen kann. Was auf den angespannten innerstädtischen Wohnungsmärkten geschieht, wenn die Ausweichmöglichkeiten an die Peripherie ausfallen, weil das Kettenglied „motorisierter Individualverkehr“ zerstört wird, mag man sich gar nicht vorstellen.

Betrachtet man die Verkehrs- und Siedlungsrealität in einer großen Metropolregion auf diese Weise näher, erscheint die Autofeindlichkeit, die man bei bestimmten Bewohnern in den Kernstädten solcher Regionen antrifft, in einem neuen und weniger guten Licht. Diese Kritiker des Autoverkehrs behaupten von sich, „die großstädtische Lebensweise“ schlechthin zu verkörpern. Aber sie interessieren sich nicht für die Gründe, die andere Menschen, die auch Bewohner der Großstadtregion sind, dazu veranlassen, ein Automobil zu besitzen und zu nutzen. Soweit die Autokritiker in den Kernstädten leben, profitieren sie von einer räumlich privilegierten Zentralposition (eine Position, die nicht beliebig vermehrbar ist). Ihr Verzicht auf das Auto ist kein heroisches Opfer.

So verweisen die Grünen stolz auf die hohen Stimmanteile, die sie in bestimmten Innenstadtwahlkreisen erzielen und leiten daraus ab, dass sie zur Regierung der Metropolregionen berufen seien. Dass die Mehrheitsverhältnisse sofort andere werden, wenn man nur ein paar Kilometer ins nähere und weitere Stadtumland geht, blenden sie aus. Mit anderen Worten: Sie repräsentieren nur ein bestimmtes Milieu und nur eine Teilgröße der großstädtischen Gesellschaft. Aber sie akzeptieren für sich diese begrenzte Rolle nicht, sondern erheben einen Alleinvertretungsanspruch. Sie interessieren sich nicht für die anderen urbanen Lebensformen. Sie stehen nicht für die berühmte großstädtische Toleranz, sondern für Intoleranz. Sie erheben einen Alleinvertretungsanspruch. 

Die „Dieselkrise“ mit ihrer Verschärfung der Grenzwerte und ihren Fahrverboten zeugt von einem sozialräumlichen Abschließungs-Prozess, der in den heutigen Großstädten stattfindet: Ein bestimmtes soziales Milieu verkapselt sich in den Kernstädten und verweigert anderen sozialen Milieus und deren Lebensformen und Verkehrsmuster die Anerkennung. Es erschwert diesen Milieus sogar ganz handfest den Zugang zu zentralen städtischen Einrichtungen und zum innerstädtischen öffentlichen Leben. Man kann sich zu Recht über die Rücksichtslosigkeit und Arroganz, mit der unsere Großstädte nach „falschen“ und „richtigen“ Lebensweisen zensiert werden, erregen. Jedoch ist hier noch mehr im Spiel als böser Wille. Es ist in den Großstädten eine soziale Schicht herangewachsen, die so befangen ist in ihrer Selbstbespiegelung, dass sie andere Lebensformen gar nicht mehr wahrnehmen und akzeptieren kann. Die Autokrise ist eine Krise der großstädtischen Toleranz im Inneren der Großstadt. Ein Teil der großstädtischen Gesellschaft „kann nicht mehr Großstadt“.

Das „Groß-Berlin“ der 1920er Jahre als Vorbild 

Das wird gerade in der deutschen Hauptstadt Berlin deutlich, wenn man die Entwicklung im historischen Maßstab betrachtet. Vor über 100 Jahren begann in Berlin die großräumige Vernetzung der Stadt mit ihrem Umland, die im Verkehrswesen zunächst mit U-Bahn und S-Bahn begann und dann in der zwei Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Automobil wirklich flächendeckend wurde. Damals wurde der Begriff „Groß-Berlin“ geprägt, der keineswegs die monströsen „Germania“-Visionen des NS-Regimes meinte, sondern ganz wesentlich mit den Modernisierungen der Weimarer Republik verbunden ist. Allerdings ist diese stadtregionale Entwicklung nie so stark ins öffentliche Bewusstsein getreten wie die (innerstädtischen) Reizbilder von „Metropolis“ bis „Babylon“. 

Die Autokrise offenbart also, dass es im heutigen Deutschland nicht nur an Verständnis für die berechtigten Belange der Industrie fehlt, sondern auch an einem adäquaten Verständnis der modernen Großstadt und ihrer Legitimität.  

Zu diesem Problem, das die fundamentalen Schwierigkeiten mit der „Sachpolitik“ berührt, die heute zu beobachten sind, erfahren Sie mehr im dritten und letzten Teil dieser Folge. Sie erscheint in der nächsten Woche.

Den ersten Teil dieses Beitrages finden Sie hier.

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M. Schraag / 09.11.2018

Da viel unter dem Aspekt der Gesundheit (Grenzwerte) argumentiert wird ist sicher auch interessant, Unfallrisiken und Getötetenrisiken in Abhängigkeit von der Verkehrsleistung zu betrachten. Nach Desastis von 2014 ist das Getötetenrisiko mit dem Fahrrad knapp fünf mal höher, und als Fußgänger knapp acht mal höher als mit dem Pkw. Der Bus ist deutlich niedriger als der Pkw, aber die Passagiere gehen immer noch von der Haltestelle zu Fuß nach Hause oder zum Arbeitsplatz. Der propagierte Umstieg auf das Fahrrad hat mit Sicherheit viele vorzeitige Tode zur Folge, beim Stickoxid sind sie nur rechnerisch.

Enrique Mechau / 09.11.2018

Die sogenannte “Dieselkrise” mit den gerichtlich erwirkten Fahrverboten ist nichts anderes als ein neues Geschäftsmodell eines Abmahnvereins der pikanter Weise von Toyota finanziert wird. Ach so, auch die Bundesregierung sponsort diesen Verein, dessen wahre Hintergründe und Hintermänner völlig unbekannt sind. Da sollte man ansetzen sowie bei allen Bundesbehörden, die Dienstwagen benutzen und diese schlichtweg stilllegen. Fliegen dürfen diese “Herrschaften” natürlich auch nicht mehr. Übrigens wundert mich doch sehr, dass die gröbsten Luftverschmutzer Flugzeuge, Kreuzfahrschiffe und LKWs kaum Erwähnung finden. Bedauerlicher Weise hat die Gesellschaft es versäumt diesen ganzen Schwätzern und geschwätzigen Weltverbesserern rechtzeitig eine auf das freche Maul zu geben!

Thomas Weidner / 09.11.2018

Tja - die Entkoppelung von Entscheidung und Verantwortung… - zieht sich wie ein Roter Faden durch die deutsche Politik…

Chr. Kühn / 09.11.2018

@ Herrn Detter: >>Über kurz oder lang wird die Berliner Innenstadt eine menschenleere, seelenlose Landschaft werden, die über die verschiedensten Wege mit menschlichem Füllmaterial ausstaffiert wird: << Sprich: wie eine nordamerikanische Innenstadt. Betriebsam, aber leblos. Zum Erbrechen.

Chr. Kühn / 09.11.2018

Ich sammle Karten und historische Luftbilder deutscher (Groß)-Städte. Ja, vor dem Krieg waren die meisten “klein und übersichtlich”, alles Notwendige konnte zu Fuß, zu Rad oder per Straßenbahn erreicht werden. Bzw. das Notwendige lag in erreichbarer Entfernung. Die Versorgung war lokal bzw. regional sichergestellt. Das Lebensumfeld war überschaubar. Ich bin vom Dorf, und erinnere mich noch an meine Kindheit, in der meine Welt von den natürlichen Horizonten definiert wurde. Am Ort waren Bank, Post, Bäckerei und ein Spar-Markt, bei dem alles Notwendige, vom Mehl bis zur Schuhwichse (sorry, heißt bei uns so!) zu erhalten war. Der Bus in die Stadt kostete 1 DM. Die Fahrt nach München (im Zug oder Auto) war noch keine reine Stress-Tour. Aber all’ das ist vergangen. Das ist halt der Lauf der Welt, der in den letzten 30 Jahren sich graduell verändert hat und dem man sich, bei allem Zwang, anpassen *konnte*. Aber jetzt soll sich das alles ändern, von jetzt auf gleich und mit der Brechstange, sprich ohne die notwendige Anpassungszeit, passieren. Ich kann mir kein Auto leisten, bin daher also eingeschränkt. Aber was sind die Alternativen? Ein Bus die Stunde, jetzt für 2,40 Euro (einfacher Weg), danach eine Stunde Zugfahrt nach München und noch einmal eine halbe Stunde per ÖPNV vor Ort. Im besten Fall anderthalb Stunden für den Hin- u. anderthalb für den Rückweg. Wenn’s gerade nicht schneit. Da bleibt nicht mehr viel vom Leben außer der Arbeit und dem Arbeitsweg, sowohl für Freizeit als auch anderes (Arzt, Behördengang, Einkauf, Reparaturen am Haus, Grundstückspflege). Der Tag hat dafür nicht genügend Stunden, und die Woche nicht genügend Tage. Will ich das? Kann ich das noch länger wollen? Haben die Grünen für mich eine Lösung parat, die in der real existierenden Welt Bestand hätte und umsetzbar wäre? Finde den Fehler.

Martin Landvoigt / 09.11.2018

Technokratie galt in meiner Jugendzeit als abschreckende Version des Unpolitischen. Heute sehne ich sie mir herbei, damit nicht alles, was einst erarbeitet wurde, durch die Generation Langstrumpf nachhaltig vernichtet wird. An Stelle von nüchterner Planung, antizipieren von Folgen politischer Entscheidungen und deren möglichst ideologiefreier Bewertung kommen da Merkels und Baerbocks auf den Plan, die in keiner Weise erkennbar machen, was Verantwortung wirklich bedeutet, oder durch völlige Unfähigkeit dazu charakterisiert sind, sich die Folgen ihres Handelns auch nur in Ansätzen vorzustellen. Da jene sich aber durchaus in der Wählergunst sonnen können, lässt es fragen: Warum is das so? Was läuft hier falsch? Sind die Wähler Opfer einer perfiden Verdummungsstrategie und Propaganda? Ist wahrlich der Wählerwille? Kann das Wahlvolk ebensowenig die Konsequenzen des Handelns erkennen wie ihre Führer? Oder ist es einfach der Beweis, dass die repräsentative Demokratie, die sich in einem Kreuzchen alle vier Jahre erschöpft, den modernen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist?

Robert Jankowski / 09.11.2018

Am besten ist die heutige Nachricht, dass die SPD Umweltministerin plant den Preis für Benzin, Diesel und Heizöl zu erhöhen. Diesel soll dann künftig 2 € kosten, damit Deutschland (hier wird dann nicht nach einer “europäischen Lösung” gesucht) die Klimaziele erreicht. Wir haben es hier echt mit Fanatikern zu tun und wer weiterhin meint, mit Grün das kleinere Übel zur SPD zu wählen wird sich dann vermutlich über Spritpreise von 2,5€ wundern.

Wolfgang Detter / 09.11.2018

Sehr geehrter Herr Held, als Bewohner eines Berliner Speckgürtels kann ich Ihnen absolut nicht zustimmen. Ich beobachte seit Jahren Veränderungen in meinem Wohnquartier, die ganz grundlegend von Wanderungsbewegungen aus der Innenstadt hinaus in die peripheren Bezirke geprägt sind. Hinaus zieht aber meist, wer vorher drin wohnte, nur jetzt ein Pöstchen weiter oben und evtl. mit Kindern (die als Hauptgrund für den Wegzug aus der Innenstadt herhalten müssen): sprich, man kann sich ein Eigenheim mit Auto und Zweitauto leisten, will aber “im Grünen” wohnen. Dies entspringt aber nicht einer elementaren Notwendigkeit, sondern einer Möglichkeit. Menschen, die wirklich herausgedrängt werden können sich übrigens auch meist gar kein Auto leisten. Sie ziehen ganz weg oder in triste Hochhaussiedlungen, aus denen sie mit den Öffentlichen zur Arbeit pendeln. Die Folgen sind jedem, der schon länger in so einem Bezirk wohnt, schmerzlich klar: Bebauung auch der letzten verbliebenen Flächen und eine Zunahme des Individualverkehrs, der schon lange die Grenze des zumutbaren überschritten hat. Das qualvolle Pendeln auf überfüllten Stadtautobahnen als Keimzellen einer bürgerlichen Freiheit umzudeuten ist schon eine Dialektik, welche die Realität scheuen muss wie der Teufel das Weihwasser. Über kurz oder lang wird die Berliner Innenstandt eine menschenleere, seelenlose Landschaft werden, die über die verschiedensten Wege mit menschlichem Füllmaterial ausstaffiert wird: Touristen, berufliche Highflyer, Reiche und das Hilfsheer, dass diese zu umsorgen hat.  Diese Misere mit einem Diesel-Fahrverbot beeinflussen zu wollen ist natürlich, und da gebe ich Ihnen Recht, in etwa so wie den Stall des Augias mit einer einer Dessertgabel auszumisten.

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