Richard Wagner / 12.08.2008 / 06:37 / / Seite ausdrucken

Russland in Gori

Das Problem mit dem Kaukasus besteht darin, dass man ihn weder vor Russland schützen kann noch vor sich selbst.

Wenn es um den Kaukasus geht, ist Russland nicht mehr Russland, es ist nur noch das Imperium. Das Imperium, das seine Überdehnung erlebt, ohne in die Schranken gewiesen zu sein.

Das war von Anfang an so, seit dem späten 18. Jahrhundert. Wer sollte ihm schon im Kaukasus Paroli bieten? Das Osmanische Reich? Die Briten? Die Osmanen waren zu schwach dazu, und den Kaukasiern ebenfalls suspekt, die Briten, zu weit weg, mit Indien beschäftigt und an den afghanischen Gebirgspässen gescheitert.

So fühlte sich das imperiale Russland, angesichts fehlender Konkurrenz, bald im Recht. Die Legitimation bezieht ein Imperium ohnehin aus seinem Auftrag als Ordnungsmacht. Auch wenn es ein selbsterteilter Auftrag ist. Wie der russische im Kaukasus.

Ist es doch bloß der Rand, mit dem man konfrontiert wird, der Rand, der sich verweigert, und dem Imperium nichts entgegenzusetzen hat, außer dieser Verweigerung, die alle Offerten zunichte macht. Das Imperium aber, das seine Grenzen nicht erkennt, so lange sie ihm nicht auferlegt werden, versucht sich den widerspenstigen Rand doch noch einzuverleiben, und sei es als Marionettenregime.

Russland sieht sich im Recht, seine Widersacher aber sehen in diesem Recht nichts als das Recht des Stärkeren. So wenden sie sich an den Rest der Welt und hoffen auf Hilfe von diesem Rest der Welt, den sie sich als NATO vorstellen, und der doch nur die UNO ist.

Der Kaukasus zelebriert sein Selbstverständnis als Tragödie. Er appelliert an das Gewissen der Welt und setzt auf die Interessen des Westens, eines Westens, dessen Dekadenz es beispielsweise nicht erlaubt, eine Antwort auf die sich zuspitzende Energiefrage zu finden. Dekadenz heißt nicht zuletzt Verlust der Kreativität.

Russland ist zwar nicht dekadent, es ist aber auch nicht kreativ, es ist nie kreativ gewesen, und so führt es Krieg gegen die Pipelines, die an Russland vorbei führen könnten. So war es seinerzeit in Tschetschenien, so ist es heute in Georgien.

Deshalb meint der Kaukasus, dass seine Interessen auch die Interessen des Westens seien. Er versteht nicht, wieso der Westen seine Pipelines nicht verteidigt. Durch die Pipelines dachte Georgien sich für den Westen nützlich zu machen und damit dessen Schutz zu erwerben.

Dem dekadenten Westen aber ist das strategische Denken längst nicht mehr geläufig. Der Westen sucht nur noch Geschäftspartner, Lieferanten. Ihm kommt Russland wie ein Makler vor, und das sagt mehr über den Westen aus als über Russland, es sagt aber auch etwas über Russland aus, besteht die Seltsamkeit des Kreml, neben einer eigenwilligen Handhabe des Völkerrechts, doch nicht zuletzt in seinem laxen Verhältnis zum Eigentum. Erscheint ihm ein Geschäft interessant, bringt er es umgehend unter seine Kontrolle. Ob es nun Chodorkowski betrifft oder Abchasien und Südossetien.

Die wahre Macht des Kaukasus besteht in seiner Instabilität. Diese aber fordert nicht nur Russland heraus, sondern auch dem Kaukasus selbst. Er ist weder zu okkupieren, noch zu verwalten. Jede noch so geringfügige Angelegenheit wird zum unlösbaren Problem, weil man sich nicht in die Hand des Anderen begibt, auch wenn es der eigene Andere ist. Man dient dem Gesetz nicht, man nutzt es. Der Richter steht über dem Gericht. So kann jedes Machtgefüge nur provisorisch handeln, und die Problematik kann nur vertagt werden. Die Vertagung aber kommt einem Boykott gleich. Einem Selbstboykott. Sie verdrängt das Eigentliche.

Und was ist mit dem Imperium? Russland hat seinerzeit den Kaukasus annektiert und dafür Stalin bekommen. In seinem Geburtsort Gori, in Georgien, hat man bis heute ein Stalin-Museum. Auch in Russland gibt es wieder eines. In Wolgograd, dem früheren Stalingrad.

 

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