Georg Etscheit / 02.03.2022 / 14:00 / Foto: Manfred Werner / 183 / Seite ausdrucken

Russen raus: Säuberung der Kultur geht weiter

Kaum ist der Dirigent Waleri Gergiew als Chef der Münchner Philharmoniker geschasst, erwischt es auch Opernstar Anna Netrebko. Die Säuberung der deutschen Kulturszene von Russen und Russischem ist in vollem Gange.

Tja, es reicht jetzt nicht mehr, mit Putin nicht näher bekannt zu sein. Man muss sich als Russe, der noch etwas auf deutschen Bühnen und Konzertpodien verloren hat, auch „klar genug“ gegen Putin positionieren. Auf Twitter schreibt Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper, die bestehenden Engagements der Operndiva Anna Netrebko seien „aufgrund des schrecklichen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine und einer nicht ausreichenden Distanzierung" der Musikerin abgesagt worden. „Für die Bayerische Staatsoper sind der Respekt voreinander und der Dialog miteinander unabdingbar für ein friedliches und humanitäres Zusammenleben." Das war‘s, liebe Anna.

Anders als der Dirigent Waleri Gergiew, der am Dienstag als Chef der Münchner Philharmoniker geschasst worden war, hatte sich Netrebko schon zu dem Krieg geäußert. In einem Social-Media-Statement schrieb, sie sei „gegen diesen Krieg" und habe „viele Freunde in der Ukraine". Darüber hinaus bat sie jedoch, russische Künstlerinnen und Künstler nicht zu politischen Meinungsäußerungen zu zwingen. Sie selbst wie auch viele ihrer Kolleginnen und Kollegen seien keine politischen Menschen und auch keine Experten in Sachen Politik: „Ich bin ein Künstler, und mein Ziel ist es, Menschen über politische Grenzen hinweg zu vereinen."

Aber nein, so billig darf sich Netrebko nicht herausreden in Zeiten, in denen die Säuberung der deutschen Kulturszene von Russen und Russischem in vollem Gange ist. Vor vier Tagen lancierte der Musikjournalist Brüggemann einen ziemlich verschwörungstheoretisch daherkommenden Angriff auf den künstlerischen Leiter des Dresdner Semperopernballs, den über beste Kontakte nach Osteuropa verfügenden Kulturmanager Hajo Frey, der 2009 auf die aus heutiger Sicht verhängnisvolle Idee gekommen war, Wladimir Putin mit dem alljährlich verliehenen Preis des Opernballs zu ehren. 

Brüggemann sieht Frey als Spinne in einem „im westlichen Alltag verankerten systemischen Netzwerk“, mit dessen Hilfe europäische Orchester und Kunstschaffende in Putins Ferien-Residenz in Sotschi „gelockt“ werden sollten – zum Zwecke kultureller Propaganda. Als Reaktion darauf distanzierte sich der Intendant der Semperoper, Peter Theiler, postwendend von Frey: Dessen Geschäftsbeziehungen in Zusammenhang mit der Organisation des Opernballs erwiesen sich als kontraproduktiv und imageschädigend für die Sächsische Staatsoper. „Daher ist es nun Angelegenheit des Semper Opernball e.V., sich ebenfalls klar und deutlich gegenüber seinem künstlerischen Leiter zu positionieren.“

Sämtliche russische Kulturschaffende unter Rechtfertigungszwang gestellt

Die Salzburger Festspiele kündigten an, die Mitgliederliste eines russischen Unterstützervereins sowie mäzenatische Donatoren mit der UN-Sanktionsliste abgleichen zu wollen. Was mit russischen Künstlern geschehen soll, ging aus der Mitteilung nicht hervor, aber bis zum Sommer, wenn das Festival beginnt, läuft ja noch viel Wasser die Salzach und die Wolga herunter. So fragt sich zum Beispiel, wie es um das Engagement von Teodor Currentzis steht, dem neuen Zugpferd der Festspiele. Er ist zwar gebürtiger Grieche, verdankt Russland jedoch seine Karriere zum Superstar, seit er in Nowosibirsk  und in Perm (Ural) mit seinem Originalklangorchester MusicAeterna Aufsehen erregte. Bislang hat sich Currentzis – er ist auch Chef des SWR-Symphonieorchesters -– offenbar noch nicht zum Ukraine-Krieg geäußert, was vielleicht daran liegen könnte, dass er seine russischen Musiker nicht im Stich lassen will. Das wäre zwar verständlich, könnte ihm aber auf die Füße fallen.

Manchen Beobachtern wie dem NZZ-Musikredakteur Christian Wildhagen wird angesichts der Säuberungswelle mulmig zumute, in deren Verlauf längst nicht nur solche Künstler unter Verdacht stehen, die dem Kremlchef einmal die Hand gegeben haben, sondern sämtliche russische Kulturschaffende unter Rechtfertigungszwang gestellt werden: „Wohin soll das führen?“

Dahin! Für kommenden Freitag hat das Augsburger Stadttheater sein Programm geändert. Statt einer geplanten Vorstellung der Operette „Moskau, Tscherjomuschki“ von Dimitri Schostakowitsch wird jetzt die Faust-Oper „Margarete“ von Charles Gounod gegeben. „Europa hat sich mit Putins völkerrechtswidrigem Überfall auf die Ukraine schlagartig verändert“, schreibt Staatsintendant André Bücker. „Auch unsere Wahrnehmung von Vorgängen auf der Bühne ist davon betroffen. An unserer Inszenierung sind Künstlerinnen und Künstler mit ukrainischen Wurzeln beteiligt, die derzeit in tiefer Sorge um ihre Familien in der Heimat sind“, erklärt André Bücker. „Diese fühlen sich zurzeit nicht in der Lage, diese heitere Satire, die in der russischen Hauptstadt angesiedelt ist, zu spielen.“ Der Einfachheit halber wird das Stück nicht ausgesetzt, was vielleicht noch verständlich gewesen wäre, sondern „komplett“ vom Spielplan genommen. 

Mal schauen, was Freunden der russisch-sowjetischen Musik noch so alles blüht, wenn das Gemetzel in der Ukraine kein Ende findet. Die Oper „Boris Godunow“ von Modest Mussorgsky über den gleichnamigen Zaren und Gewaltherrscher wäre einstweilen wohl ebenso unspielbar wie die allzu harmlosen, mit russischer Folklore angereicherten „Bilder einer Ausstellung“ oder Peter Tschaikowskys perfides Kinderverführungsstück „Der Nussknacker“. Und Schostakowitschs 7. Symphonie „Leningrader“ mit ihrem das Heranrücken der deutschen Wehrmacht 1941 lautmalerisch nachahmenden „Invasionsthema“ ebenfalls. Obwohl die Symphonie eine dröhnende Anklage war, aber wer will das in den Schützengräben der deutschen Kultur vom März 2022 schon so genau wissen?

Foto: Manfred Werner CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Wilfried Düring / 02.03.2022

Kunst in Kriegszeiten. Ernst Lissauer wurde zur tragischen Figur, als er sich 1914 zu folgenden Zeilen seines ‘Haßgesangs’ hinreißen ließ: ‘... Haß zu Wasser und Haß zu Land | Haß des Hauptes und Haß der Hand | Haß der Hämmer und Haß der Kronen | drosselnder Haß von siebzig Millionen (*) | Sie lieben vereint, sie hassen vereint | Sie haben alle nur einen Feind: ...’ . Hermann Hesse hielt dagegen mit seinem wunderbaren Friedensgedicht (auch 1914): Friede | Jeder hat’s gehabt, | keiner hat’s geschätzt, | Jeden hat der süße Quell gelabt, | O wie klingt der Name Friede jetzt! | Klingt so fern und zag, | Klingt so tränenschwer, | Keiner weiß und kennt den Tag, | Jeder sehnt ihn voll Verlangen her. | Sei willkommen einst, | Erste Friedensnacht, | Milder Stern, wenn endlich du erscheinst | Überm Feuerdampf der letzten Schlacht. | Dir entgegen blickt | Jede Nacht mein Traum | Ungeduldig rege Hoffnung pflückt | Ahnend schon die goldne Frucht vom Baum. | Sei willkommen einst, | Wenn aus Blut und Not | Du am Erdenhimmel uns erscheinst, | einer andern Zukunft Morgenrot! (11. Oktober 1914). Menschen wie Schostakowitsch, Mussorgsky, Netrebko, und/oder Waleri Gergiew, wird man noch kennen, wenn ihre ‘Anbräuner’ und Zensoren - erbärmliche Würstchen - verdientermaßen längst vergessen sind!  (*) Heute sind es achtzig Millionen; aber konnte Lissauer vor gut 100 Jahren nicht wissen.

Freige Richter / 02.03.2022

Das ist halt so. ICH werde auch noch für Hitlers Verbrechen in Sippenhaft genommen. Vielleicht sollten „wir“ jetzt alle mal nachdenken, ob das so weitergehen soll.

Heinrich Moser / 02.03.2022

Dieser Artikel hat mich daran erinnert, wieder einmal Tschaikowskys Violinkonzert mit David Oistrach anzuhören (ist auf youtube). Mir kommen jedesmal die Tränen.

Heinrich Moser / 02.03.2022

Säuberungswellen .... Kommt mir irgendwie bekannt vor. Buchempfehlung: “Ich nicht” Der Hitlerbiograph Joachim Fest schrieb dieses Buch mit diesem Titel, nachdem die SS-Mitgliedschaft Günter Grass bekannt geworden ist. Er beschreibt darin die Restriktionen und die daraus entstehende Not, die seine Familie hinnehmen musste, weil sich sein Vater während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus weigerte, sich aktiv zu den Nationalsozialisten zu bekennen. Das Motto der Familie in dieser Zeit war: “Wir nicht” und sie haben es tatsächlich durchgehalten.

Lisa Deetz / 02.03.2022

Wie ist das, muss ich bei der farblichen Zusammenstellung meiner Garderobe ab sofort was beachten? Ich mein’ ja nur….. weiß, blau rot?

Josef Cissek / 02.03.2022

@Bernd Simonis: die älteren Aussiedler stehen nur den Sozen, LGBT u.ä. kritisch gegenueber.

María José Blumen / 02.03.2022

Selbstverständlich muss sich jeder “Kulturvertreter” einer Nation die gerade einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat fragen lassen wie er/sie zu dem Gewaltmenschen steht, der für die Tötung von tausenden von Unschuldigen verantwortlich ist.

Klaus Keller / 02.03.2022

An Armin Wacker: Ich glaube der Mann wollte damals die Region befrieden. Er wußte das es sinnlos war sich über Jahrzehnte auf einen Bürgerkrieg mit/gegen die Römer einzulassen. Man hat nicht auf ihn gehört. Als die späteren Christen Rom regierten fingen sie an in seinem Namen Kriege zu führen. Völlig absurd. Ich befürchte das Problem liegt in der Natur der Gattung. Wir können mit unseren Nachbarn in Frieden leben, wir können sie aber auch erschlagen. Durch den Zivilisationsprozess hat sich hauptsächlich die Technologie verändert. Wir sind im Kern aber noch die gleichen wie vor 5.000 Jahren.

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