Von Lizzy Stender.
Touristen aus dem Norden stellen immer wieder erstaunt fest, dass die Tore auf den Sportplätzen hier im Südwesten Frankreichs merkwürdig aussehen und sich für Fußball wenig eignen. Zwei meterhohe Stangen ragen in den Himmel, dazwischen ein Querbalken in etwa zwei Meter Höhe und kein Netz. Hier wird Rugby gespielt, von den Profi-Klubs der Top Quatorze (Nationale Liga der besten 14 Teams) bis ins kleinste Dorf hinunter. Die Süd-Hälfte Frankreichs ist Rugby-Land.
Rugby ist mehr als Sport, es ist eine Form der Erziehung, vorwiegend für Jungen. Mädchen und ihr Frauen-Rugby bleiben die Ausnahme. Der Bub, der im Alter von vier, fünf Jahren in die Rugby-Schule eintritt, wird für immer geprägt, in seinem Charakter und in seinen sozialen Beziehungen. Selbst wenn er niemals Profi wird und den aktiven Sport aufgibt, bleibt er sein Leben lang ein „Rugbyman“, wie man hier sagt. Er gehört zur Elite. Die Menschen seiner Umgebung behandeln ihn mindestens mit Respekt, manchmal sogar mit Ehrerbietung. Auf den Neuling in dieser geschlossenen Welt, nach der Form des Balls liebevoll „Ovalie“ genannt, wirken die Ehrbezeugungen mitunter fast peinlich.
Im Gegenzug sind die Erwartungen an das Betragen des Rugbyman sehr hoch. Viele Profi-Klubs verlangen von ihren Spielern, in der Öffentlichkeit die Kombination von Hose, Club-Jacket mit Wappen und Krawatte zu tragen. Mit seinen oft beeindruckenden Körpermaßen könnte ein Rugbyman sich schon mittels andeutungsweiser Einschüchterung beliebig durchsetzen. Mir ist kein einziger Fall bekannt, wo das so geschehen wäre. Der Kodex schreibt vor, daß der Rugbyman ruhig, sanft und vor allem bescheiden auftritt. Selbst wenn ein einzelner Spieler mit einer herausragenden Leistung seinem Team zum Sieg verholfen hat, wird er im Interview alle ihm angebotenen Lorbeerkränze ablehnen und auf die hervorragende Arbeit seiner Kameraden verweisen, die ihm erst den Ball in die Hand gespielt haben, den er dann nach einem mitreißenden Spurt durch die gegnerische Abwehr hinter der Linie ablegen konnte.
Das Geheimnis der Umkleidekabinen gilt auch für französische Präsidenten
Das Wort des Schiedsrichters wird ohne Widerspruch mit stoischer Miene akzeptiert. Erfolgreiche Trainer wie Guy Novès vom Stade de Toulouse trainieren ihre Mannschaft 35 Jahre lang. Viele der Spieler, mit denen er dutzende Meisterschaften gewonnen hat, sind Söhne oder gar Enkel von Ehemaligen. Es gibt berühmte Familiendynastien wie die Spangheros, die Lièvremonts, die Ellisaldes.
Es war Jean-Baptiste Ellisalde, ein Spitzenspieler aus Toulouse, der bei der Weltmeisterschaft 2006 in Paris Präsident Sarkozy mitsamt der Heftpflaster verteilenden Gesundheitsministerin Roselyn Bachelot aus den Umkleidekabinen des französischen Nationalteams, nun ja, hinauskomplimentiert hat. Indirekt hatte er den Nationaltrainer wissen lassen, dass die Südwest-Franzosen in der Quinze de France mitten in der laufenden Weltmeisterschaft die Mannschaft verlassen und nach Hause fahren würden, wenn nicht augenblicklich das „secret des vestiaires“, das Geheimnis der Umkleidekabinen, wiederhergestellt würde.
Ein Rugbyman, selbst ehemaliger Nationalspieler, hat mir einen kleinen Einblick gegeben. Stunden vor dem Spiel versammeln sich die Spieler in den Umkleidekabinen. Die Stimmung dürfte ähnlich sein wie vor einem riskanten Angriff, einer Entscheidungsschlacht in einem Krieg. „Es geht darum, die Angst zu überwinden“, hat mir Jean-Luc erklärt. Rugby ist ein extrem körperbetonter Sport. Wer nach dem Spiel nicht blutet, hat nicht gespielt, so ein landläufiger Spruch. Rugby ist auch ein mental anspruchsvoller, intelligenter Sport. Pässe dürfen nur nach hinten gespielt werden. Bestimmte, über Jahre eingeübte Kombinationen werden per Geheimcode vom Spielmacher „ausgerufen“. Dafür muss man einander blind verstehen. Zwischen den Spielern entstehen Kommunikationsverbindungen, die auf der intuitiven Ebene liegen. Oder mehr esoterisch ausgedrückt, Aura, Astralkörper, Energiehüllen des Körpers spielen eine Rolle.
Archaisch anmutende Rituale einer Männergruppe
In der Spielvorbereitung fallen nicht nur die äußeren Hüllen. In vielen archaisch anmutenden Ritualen schweißt sich diese Männergruppe zusammen. Sich so zu entblößen kann man von einem Mann nur verlangen, wenn er sich auf unbedingte Vertraulichkeit verlassen kann. Deshalb sind die Umkleide-Kabinen der Rugbymen eine Tabuzone, aus der nichts nach draußen dringt. Man bekommt eine Ahnung von der Intensität der Geschehnisse, wenn die Spieler, angeführt von ihrem Kapitän im Gleichschritt durch den Tunnel auf das Spielfeld marschieren. Extrem konzentriert, fokussiert, jeder einzelne gespannt wie ein Bogen. Begleitet vom ohrenbetäubenden Klack-klack-klack der Alu-Stollen ihrer Schuhe auf dem Betonboden. Gänsehaut.
Diese Entladung findet nur teilweise auf dem Spielfeld statt. Wer sich als Zuschauer auf Rugby einlässt, wird schnell feststellen, dass „gefühlt“ andauernd abgepfiffen wird. Die virtuose Beherrschung des komplexen Regelwerks ist ebenso spielentscheidend wie die körperlichen Voraussetzungen. Speziell bei gleichstarken Teams wird das Spiel oft über Strafstöße gewonnen oder verloren. Also den Gegner so reizen, dass er seine Selbstbeherrschung verliert und einen Penalty kassiert – die vier Schiedsrichter übersehen wenig. Das heißt, dass auch nach zweimal vierzig Minuten Kampf, am Ende der zweiten Halbzeit, noch reichlich Druck auf dem Kessel ist. Zusätzlich verstärkt durch das Einstecken-Müssen von Fouls, Blessuren und groben Beleidigungen. Männer wie William Webb Ellis, die das Rugby, wie es heute gespielt „erfunden“ haben, kannten offenbar die maskuline Psyche gut und haben Ventile eingebaut, zum kontrollierten Dampfablassen.
Nach dem Spiel sind die Gäste im nobel ausgestatteten Klubhaus der Heim-Mannschaft eingeladen. Mann erscheint selbstverständlich im Smoking, zu dem die frischen Nähte im Gesicht gegebenenfalls in einem gewissen Kontrast stehen. Zum Aperitif sind auch die Spielerfrauen zugelassen, beim ausgedehnten Abendessen bleiben die Mannschaften und ihre Betreuer unter sich. Der tiefere Sinn des ausgiebigen gemeinsamen Essens und Trinkens ist es, alle Kriegsbeile zu begraben. Selbst nach dem Bruch eines Nasenbeins müssen sich Täter und Opfer wieder als gute Sportskameraden vertragen. Wie schon zu den Umkleidekabinen haben keine Außenstehenden, schon gar keine Journalisten Zutritt zu der Männerrunde.
Als Gott den Mann schuf, gab er ihm ein Gehirn und einen Penis, aberzu wenig Blut, um beide gleichzeitig zu bedienen
Wenn dann die Spannung nachlässt, Champagner und Bordeaux ihre Wirkung tun, ergibt sich des Öfteren auch eine sogenannte „vierte Halbzeit“. Nichts Genaues weiß man nicht, was sich da abspielt. Aus den spärlichen Informationen, die ich habe, kann man diesen Teil des Abends durchaus unter der Überschrift „Wilde Orgie“ einordnen. Die zu diesem Zeitpunkt auftauchenden Frauen sind keine bezahlten Prostituierten, sondern junge Frauen aus dem Dorf, sagt man… ( in jüngerer Zeit als „Groupies“ bezeichnet). Die einzige zum Thema vorliegende Studie einer französischen Soziologin mit dem bezeichnenden Titel „Etre Rugby“ (Rugby sein) beschreibt, dass die Groupies im sozialen Ansehen auf einer Stufe mit den Spielerfrauen und den Rugby-Müttern stehen, den anderen beiden Kategorien von Weiblichkeit, die der Rugbyman kennt. Es sind keine Eifersuchtsdramen bekannt, so wie ohnehin überhaupt nichts über die Ereignisse einer „quatrième mi-temps“ an die Öffentlichkeit gelangt.
Auf den Tabubruch stehen drakonische Strafen. Wie es zum Beispiel dem Kapitän der englischen Rugby-Nationalmannschaft im Laufe einer Weltmeisterschaft in Neuseeland vor einigen Jahren widerfahren ist. Mike Tindall war fotografiert worden, in einer Bar, zu fortgeschrittener Stunde, just in dem Moment, als er sein Gesicht im üppigen Dekolleté der Dame auf dem nächsten Barhocker versenkte. Nachdem dieses Bild am nächsten Morgen in den Zeitungen abgedruckt erschienen war, half ihm keine Reue vor der Disziplinar-Kommission seines Teams. Er musste die Kapitäns-Armbinde abgeben - für den Rest seines Lebens! Insider haben behauptet, dass einzig der Umstand, dass Mike Tindall als Ehemann der Lieblingsenkelin der Queen zu den Royals gehört, seinen sofortigen Ausschluss von der Weltmeisterschaft verhindert hat.
Als Gott den Mann schuf, gab er ihm ein Gehirn und einen Penis, aber leider zu wenig Blut, um sich beider Werkzeuge gleichzeitig zu bedienen. Sportmediziner haben uns erklärt, dass Höchst-leistungen im Wett-Kampf mit hohen Testosteron-Werten im Blut des Kriegers, pardon, des Sportlers einhergehen. Zweifler seien an die Wäschekammer-Affäre von Boris Becker dereinst in Wimbledon erinnert, inklusive der erfolgreichen Vaterschaftsklage seiner dabei gezeugten Tochter Anna. Es ist meiner Ansicht nach durchaus nachvollziehbar, dass nach einem intensiven Körpereinsatz beim Tennisman wie beim Rugbyman „die Sau rausgelassen werden muss“. Die konsequent durchgesetzte Nachrichtensperre der Rugby-Welt erscheint mir als eine kluge, vorausschauende Maßnahme zum Schutz der Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten.
Tür zu und die Klappe halten, Mr. Trump!
Hinter verschlossenen Türen kann man sich eine Menge erlauben. Entscheidend ist, dass man den Informationsfluss darüber unter Kontrolle hält. Unter diesem Aspekt werden die Defizite von Donald Trump offensichtlich. Wenn er seine unappetitlichen Aufschneidereien selbst als „locker room banter“ – als Männergeschwätz in der Umkleide-Kabine – bezeichnet, dann sollte er sie tunlichst auch dort verortet lassen und nicht bereitwillig in ein hingehaltenes Mikro hineinblubbern. Offenbar genügt es bei diesem Präsidentschafts-Kandidaten, den Knopf mit der Aufschrift Eitelkeit zu drücken, und schon redet er sich um Kopf und Kragen. Sollte er es tatsächlich ins Weiße Haus schaffen, brechen für sämtliche gegnerischen Geheimdienste wahrhaft paradiesische Zeiten an.
Lizzy Stender, gebürtige Stuttgarterin, lebt nach einem kosmopolitischen Berufsleben zur Zeit auf einem Bio-Bauernhof an der Grenze vom Limousin zur Auvergne.