Wahrscheinlich hält in diesem Augenblick Erdogan eine Rede und sagt: „Die USA sollen uns nicht reizen, sonst passiert was!“ Die Flüchtlinge per Schiff in die USA schicken etwa? Lange drei Monate musste der (leider) Präsident der Türkei auf ein erstes Telefonat mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden warten. Die Standleitung war schon immer da, nur, selber anrufen „um irgend etwas zu sagen?“
Am Ende rief Biden an und war dabei – aus türkischer Sicht – nicht nett. Er teilte Mr. Erdogan mit, dass er den Jahrestag der Ereignisse aus 1915 als „Völkermord“ titulieren wird. Die US-Präsidenten vor ihm hatten das gemieden. Biden machte das aus der Position der Stärke heraus, denn die Türkei kämpft derzeit sowieso mit den Maßnahmen, die erlassen wurden, als sie von den Russen S400-Raketen kauften. Die Türkei wurde unter anderem aus dem F35-Programm rausgeschmissen.
Dann ist da das Urteil gegen die staatliche Halkbank wegen Geldwäsche in den USA schon lange abgeschlossen, nur das Strafmaß steht noch aus. Wenn man bedenkt, dass die Schweizer Banken unter anderem schon Multimilliarden Dollars an Strafen zahlen mussten und die Halkbank in der Summe ein Vielfaches von dem auf dem Kerbholz hat, könnten die USA die Strafen an solch einem hohem Betrag festmachen, dass die Türkei feststellen müsste, dass es noch tiefer geht mit der Wirtschaftslage. Dann ist noch der von Erdogan zum Staatsfeind Nr. 1 erklärte Gülen in den USA wohnhaft.
Wie konnte es so dicke kommen für die Türkei?
Biden sprach zum Jahrestag der Geschehnisse in 1915 zwar vom „Völkermord“, aber erwähnte dabei bewusst die Osmanen und vermischte dieses nicht mit der im Jahr 1923 gegründeten türkischen Republik. In der Pressemitteilung darüber spricht er sogar von Konstantinopel und nicht von Istanbul. Während Bidens Wortwahl bedeuten kann, dass er auf die Türkei zugegangen ist, um die türkische Republik da rauszuhalten, sieht Ankara das anders. Die regierungsnahe Presse in der Türkei führt die Tatsache, dass Konstantinopel statt Istanbul verwendet wurde darauf zurück, dass Biden in seiner 40-jährigen politischen Karriere sich näher an den griechischen Thesen fühlte und dies ein „Gruß“ an seine griechischen Unterstützer war.
Nur muss man eines wissen: Dass Biden die Türkische Republik in seinem Statement bewusst rausgehalten hat, ändert nichts an der Tatsache, dass die Türkei juristisch die Nachfolgerin des Osmanischen Reichs ist und praktisch auch für den Nachlass geradestehen muss. So musste die noch junge Republik alle finanziellen Schulden der Osmanen abbezahlen. Die 1854 mit dem Krim-Krieg angefangene Phase der Verschuldungen hatten zur Folge, dass die Türkei bis 1954 diese Schulden abbezahlte. Also genau 100 Jahre später fand das Ganze ein Ende.
Während er mit der Flüchtlingskarte die EU dauerhaft erpressen kann, zieht das gegen die USA natürlich nicht. Während die Türkei für Europa eine Pufferzone mit dem Nahen Osten bedeutet, war sie für die USA geopolitisch als Verbündeter immer von Bedeutung. Nur hat Erdogan immer auf die falschen Partner gesetzt und diese Rolle und den Einfluss in der Region immer weiter abgeschwächt. Kein Land mehr in der Region, wo er noch politischen Einfluss ausüben könnte. Die Türkei steht ziemlich alleine da.
„One Minute Show” in Davos
Mit der „One Minute Show“ von Erdogan und den Geschehnissen um „Mavi Marmara“ hat sich die Türkei auch die Unterstützung der jüdischen Interessenvertreter verscherzt.
Auch war es falsch, dass die AKP-Regierungen, wenn es um Streitigkeiten unter den arabischen Ländern ging, immer wieder Partei ergriff und sich dabei immer mit der falschen Seite verbündete. So wurde ein nicht schriftlich manifestierter Kalter Krieg mit den Golfstaaten und der Türkei angezettelt.
Die durch den Schreihals Erdogan immer mit „Heyyy, wer bist du überhaupt?“ angesprochenen westlichen und östlichen Staaten wandten sich immer mehr von der Türkei ab, es sei denn, es war die EU, die – wegen der Flüchtlingsströme – erpressbar blieb.
Die Türkei spielt in der Region kaum eine Rolle mehr beziehungsweise ist die Kraft, die von der Türkei aus ausgestrahlt wird und wurde, auf ein Minimum reduziert worden. Da die Türkei während der Trump-Phase den USA immer die falschen Antworten gab – oder Stellungnahmen schuldig blieb –, weiß Biden genau, mit wem er es zu tun hat und wie er mit der Türkei umspringen kann.
Am 26. April, sagte Erdogan, als eine erste Reaktion auf Bidens Worte, dass die USA sich nicht mit der Türkei anlegen sollen, denn verlieren können dabei nur die USA. Natürlich leere Worthülsen, die nur an die Adresse der Anhänger gehen und den Zusammenhalt schüren und deren Unterstützung sichern sollen, denn in den USA dürften sie Schmunzeln ausgelöst haben, wenn überhaupt.
Erdogan in die Wüste schicken
Da viele Länder die Geschehnisse im Jahr 1915 als „Völkermord“ anerkannt haben, laufen viele Reparationsforderungen gegen die Türkei. Die US-Versicherungen haben viele Lebensversicherungen für die Getöteten auszahlen müssen und klagten allesamt gegen die Türkei. Diese Klagen machten, als die USA den Völkermord als solchen noch nicht anerkannt hatten, keinen Sinn. Jetzt aber, wo Biden das Wort ausdrücklich erwähnte, könnten diese Klagen wieder vor die Gerichte kommen und geführt werden. Sollte eine dieser Klagen zugunsten der Kläger entschieden werden, soll die Gefahr bestehen, dass sogar die Maschinen der Turkish Airlines verpfändet werden können.
So muss man feststellen, dass Bidens Anerkenntnis des Völkermordens ein großes Gewicht zukommt. Die Türkei steht wie eh und je zur Ära Erdogans wieder als Kandidat da, auf den größte Probleme zukommen könnten. Türkei, Türkei, wann schickst du diesen Mann in die Wüste – ich meine nach Katar?
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Ich mein's gut.