Robert Habecks kleiner, großer Sprung

Im Grunde ist die „Große Transformation“ nichts anderes als Maos „Großer Sprung“, nur diesmal nicht im roten, sondern im grünen Gewand. Und liegt der eigentliche Sinn der inszenierten „Wenden“ nicht vor allem darin, einen anderen Menschen zu erschaffen? 

Im Spätsommer des Jahres 1958 färbte sich im Kreis Dehong im Westen der chinesischen Provinz Yunnan der Himmel purpurrot. Tausende sogenannter Hinterhof-Hochöfen loderten auf, in denen Eisen geschmolzen wurde, um es anschließend zu Stahl zu verarbeiten. Stahl war der Fetisch der sozialistischen Moderne, nicht nur in China zu Zeiten Mao Zedongs, des „großen Steuermanns“. Rauchende Fabrikschlote, heulende Fabriksirenen, glühende Hochöfen, das Wummern gewaltiger Schmiedehämmer – das war der Stoff, aus dem sozialistische „Helden der Arbeit“ geboren wurden.

Im Jahr 1957 lag die chinesische Stahlproduktion noch bei gut fünf Millionen Tonnen, doch schon Ende 1960 sollte das nach der japanischen Besatzung großer Landesteile im Zweiten Weltkrieg und dem anschließenden Bürgerkrieg extrem rückständige Riesenreich die Sowjetunion überholt haben. Bis 1975 wollte Mao einen Stahlausstoß von sagenhaften 700 Millionen Tonnen erreichen und selbst Großbritannien, das Mutterland der Industriellen Revolution, weit überflügelt haben.

Die Eisen- und Stahlkampagne, in deren Verlauf sich das ganze Land in eine gigantische Metallhütte verwandelte, die letzten Endes fast nur Schrott produzierte, war eines der skurrilsten Kapitel des sogenannten „Großen Sprungs“ der Jahre 1958 bis 1962. Innerhalb kürzester Frist wollten Mao und die ihm ergebenen Kader der Kommunistischen Partei China in die industrielle Moderne katapultieren und zugleich ins sozialistische Paradies. Um das utopische Ziel zu erreichen, jagte eine aberwitzige Kampagne die andere, koste es, was es wolle.

Aberwitzige und realitätsferne Pläne

Der niederländische Historiker und Chinaexperte Frank Dikötter hat 2010 unter dem Titel „Maos Großer Hunger“ auf fast 500 Seiten eine Geschichte dieses Menschenexperiments veröffentlicht und dabei auf bis dato unveröffentlichte Dokumente und Interviews mit Zeitzeugen zurückgegriffen. Vieles indes schlummert noch in den Geheimarchiven der Kommunistischen Partei, die sich erst unter Deng Xiaoping, Maos anpassungsfähigem Gefolgsmann, von der sozialistischen Plan- und Kollektivwirtschaft löste und jenen Weg eines Staatskapitalismus einschlug, der das Land nun wirklich zu einer der größten Industrienationen der Welt gemacht hat, imstande, selbst die USA herauszufordern.

Dikötters detailreiches Buch ist kein Stoff für beschauliche Adventssonntage. Es zeigt, was Fanatiker anrichten können, wenn man sich ihnen nicht frühzeitig entgegenstellt. Und nach der Lektüre fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass die „Große Transformation“ im Grunde nichts anderes ist als Maos „Großer Sprung“, nur diesmal nicht im roten, sondern im grünen Gewand. Ist der Gedanke, mit Windrädern auf dem Acker und Solarkollektoren auf den Dächern den Energiebedarf einer der größten Industrienationen der Welt zu decken, nicht ebenso aberwitzig und realitätsfern wie die Hinterhof-Hochöfen? Und liegt der tiefere, der eigentliche Sinn der im Zuge der „Großen Transformation“ inszenierten „Wenden“ – von der Energie- über die Verkehrs- bis zur Ernährungs- und Agrarwende inklusive Neusprech-Kampagne und Jagd auf „Rechte“ – nicht vor allem darin, einen anderen Menschen zu erschaffen? 

Der „Große Sprung“ begann mit der beschleunigten Kollektivierung der chinesischen Landwirtschaft vom Herbst 1955 bis Frühjahr 1956, auch als „kleiner Sprung“ bezeichnet. Im Winter 1957 gab Mao unter dem Motto „Losgehen, hohe Ziele anstreben, mehr wirtschaftliche Ergebnisse besser und schneller erreichen“ dann den Startschuss für eine Massenmobilisierung der Bevölkerung, um auf schnellstem Weg das sozialistische Paradies zu schaffen. Es war der Beginn des „Großen Sprungs“.

Millionen Dorfbewohner mussten nun unter oft lebensfeindlichen Bedingungen für Bewässerungsprojekte arbeiten, die meist schlecht geplant waren und oft mehr Schaden anrichteten als Nutzen zu stiften. Dafür vernachlässigten die Bauern ihre Felder, was den Grundstein für die spätere Hungersnot legte mit (konservativ geschätzten) 55 Millionen Opfern. Nicht mitgezählt jene, die infolge direkter Gewalt im chinesischen Gulag, einem riesigen Netz von Arbeits- und Umerziehungslagern, ums Leben kamen.

Propaganda, Repression und blanker Terror

Im Zuge der Massenmobilisierung der Bauern für gewaltige Staudamm- und Bewässerungsprojekte – ganze Flüsse wollte man über Berggipfel hinweg umleiten – wurden die landwirtschaftlichen Kollektive zu riesigen „Volkskommunen“ verschmolzen, in denen das Leben der vormaligen Bauern militärisch organisiert und alles einschließlich der Arbeitskraft und des Bodens kollektiviert wurde. Mit der Folge, dass jede Eigeninitiative erlahmte und das „Volkseigentum“ vernachlässigt und vergeudet wurde. Bis hin zu der Tatsache, dass selbst metallenes Essgeschirr und landwirtschaftliches Gerät in den Primitiv-Hochöfen landete und zu meist unbrauchbaren Metalllegierungen eingeschmolzen wurde.

Um die Menschen überhaupt noch zur Arbeit anzustacheln, wurde zu Propaganda, Repression und blankem Terror gegriffen. Den sich bald abzeichnenden dramatischen Einbrüchen der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion versuchte die Parteiführung mit weiteren Mobilisierungskampagnen entgegenzuwirken. Neben der Eisen- und Stahlkampagne gab es eine Kampagne für tiefes Pflügen und eine Düngekampagne, in deren Verlauf sogar Viehställe abgerissen und pulverisiert wurden, weil man den an den Wänden klebenden Urin der Tiere auf den Feldern ausbringen wollte, um die Ernteausfälle zu kompensieren und völlig unrealistische Planziele zu erreichen.

Die Grenze zum blanken Irrsinn wurde spätestens mit dem Feldzug gegen Feldschädlinge erreicht. Vor allem Spatzen waren ins Visier der Partei geraten, weil sie Saatkörner fraßen und die Menschen angeblich um die Früchte ihrer Arbeit brachten. Abermillionen von ihnen wurden 1958 erschossen oder erschlagen oder so lange in die Luft gescheucht, bis sie tot zu Boden fielen. Doch der „Krieg gegen die Spatzen“ war auch ein Krieg gegen die Natur und das ökologische Gleichgewicht mit der unbeabsichtigten Folge, dass sich Insektenplagen ausbreiteten, die die Ernteausfälle verschlimmerten und damit die Folgen der Hungersnot.

Wer opponiert, wird mundtot gemacht

Nun soll man das Spiel mit Analogien nicht zu weit treiben. Doch unwillkürlich denkt man bei Maos „Krieg gegen die Spatzen“ an jene Vogelschredder, die Millionen von Vögeln und Fledermäusen im Zeichen „grüner“ Energieproduktion den Garaus machen. Doch auch wenn man nicht ins konkrete Detail geht, die Dynamik des „großen Sprungs“ und der „großen Transformation“ ähnelt sich in dem Sinne, dass auf offensichtliche Unzulänglichkeiten der Konzeption nicht mit einer Aufgabe oder Veränderung derselben reagiert wird, sondern mit immer neuen, dysfunktionalen „Planzielen“ und Kampagnen.

Wenn 30.000 Windräder die Transformation des Energiesystems nicht leisten, müssen eben 60.000 her. Und wenn sich der fluktuierende Strom auf herkömmliche Weise nicht speichern lässt, braucht es eine Wasserstoffwirtschaft, die nicht nur abermals Milliardensummen verschlingt, sondern die in den nötigen Dimensionen noch gar nicht erprobt ist. Dass Landschaft, Wälder und Tiere dabei vor die Hunde gehen und auch Menschen Schaden erleiden, wird entweder geleugnet oder billigend in Kauf genommen. „Die Revolution ist keine Dinnergesellschaft“, sagte Mao. Wer opponiert, wurde und wird mundtot gemacht, wie die „Rechtsabweichler“, die von Maos Säuberungskampagnen betroffen waren.   

Als nach vier schrecklichen Jahren selbst die allmächtige Kommunistische Partei die entsetzlichen Folgen der von ihr in Gang gesetzten Politik nicht mehr leugnen konnte, weil vor allem auf dem Land die Menschen wie die Fliegen starben und sogar Fälle von Kannibalismus bekannt wurden, gab man den Bauern wieder mehr Freiheit und erlaubte ihnen, ihre eigenen Felder bestellen zu können. Viele Auswüchse des „Großen Sprungs“ wurden, soweit noch möglich, rückgängig gemacht.

Was ist mit Fleiß und Disziplin?

Doch nach dem Irrsinn war vor dem Irrsinn. 1966 gab Mao, der wieder einmal um seine Macht fürchtete, den Startschuss für die Kulturrevolution, der abermals zahllose Menschen zum Opfer fallen sollten. Dass China heute zumindest ökonomisch so gut dasteht, ist eigentlich ein Wunder und wohl nur erklärbar mit dem immer noch vom konfuzianischen Geist inspirierten sprichwörtlichen Fleiß und der Disziplin der Chinesen. Von dem durch Maos menschenverachtende Experimente verursachten Werteverlust wird sich China indes noch lange nicht erholt haben.   

Die Deutschen haben Fleiß und Disziplin in langen Jahren außergewöhnlichen Wohlstandes längst verlernt, wenn sie diese Tugenden nicht sogar als überkommene Relikte des bürgerlichen Zeitalters offen verachten. Dass die verheerenden Folgen der „Großen Transformation“ hierzulande nur langsam sichtbar werden, liegt an dem enormen Wissens- und Kapitalstock, der zu Zeiten aufgebaut wurde, als noch leidlich unabhängige Wissenschaftler und ökonomische Pragmatiker regierten, keine Ideologen. Sollte dieser einmal aufgezehrt sein und die Ideologen bis dahin nicht von ihren Hirngespinsten gelassen haben, sind Gewalt und Staatsterror programmiert.

Noch heute haben bei Rot und Grün manche das Sagen, die einst die Mao-Bibel mit sich herumtrugen und einen irrsinnigen Massenmörder verherrlichten, unter ihnen der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Mao galt ihnen als eine Art Gentleman-Diktator, der schöne Verse schrieb und eigentlich nur das Beste wollte. Auch Robert Habeck will sicher nur das Beste, doch zumindest als Poet dürfte der Bundeskinderbuchautor dem Großen Vorsitzenden nicht das Wasser reichen können.

Frank Dikötter, Maos Großer Hunger, Massenmord und Menschenexperiment in China, Klett-Cotta 2014

Foto: Montage Achgut.com/Wikipedia Commons

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Leserpost

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S.Busche / 16.12.2023

Auch wenn man Habeck und Baerbock mit Geldkoffern nach China schicken würde - von denen will man dort nichts wissen. Eigentlich nirgendwo, auch in Deutschland nicht mehr…

U. Unger / 16.12.2023

, wird als trockener Flachköpper in die Geschichte eingehen.

Heiko Stadler / 16.12.2023

Einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Maos roten Sozialismus und dem grünen Sozialismus gibt es: Der grüne Sozialismus ist geprägt von der NS-Ideologie mit umgekehrten Vorzeichen. Es will einen “Herrenmenschen” mit “hochwertigeren” Genen erschaffen. Den Menschen mit weißer Hautfarbe halten die grünen Ideologen für “minderwertig”. Deshalb muss er ihrer Meinung nach mit dunkelhäutigen Merkel-Import gekreuzt werden. In unzähligen Werbespots wird uns die grüne “Rassenlehre” nonverbal verklickert. Ebenso in vielen Krimis, in denen man den Mörder an der weißen und das Opfer an der dunklen Hautfarbe erkennt. Barak Obama hat sogar vom grünen Nobelpreis-Komitee für seine Hautfarbe den Friedensnobelpreis bekommen, bevor er sein Präsidentschaft antrat.

A.Schröder / 16.12.2023

Wenn diese staatlichen Repressionen als von oben anerkannt werden, besteht das natürliche Recht des Volkes zum Terrorismus, zur Sabotage und Partisanentum als Mittel der Selbstverteitigung gegen den faschistischen Staat Deutschland ganz legitim.

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