Roger Letsch / 19.06.2019 / 14:00 / Foto: Sheilalau / 33 / Seite ausdrucken

Robert Habeck und das angebliche “China-Vorbild”

Hat er, oder hat er nicht, der Habeck? Hat er tatsächlich gesagt, dass er sich ein „durchregiertes System“ wie in China für Deutschland wünscht, weil dies schneller und effizienter sei, als eine Demokratie? In diesem Videoschnipsel, dass aus einer Sendung mit dem TV-Philosophen Richard David „Grundeinkommen-für-alle“ Precht stammt, klingt es zunächst so.

Habeck vergleicht die Handlungs-Effizienz beider Systeme – wogegen methodisch allerdings nichts einzuwenden ist, und erlaubt ist es sowieso – und kommt zu dem Schluss, dass die mangelnde demokratische Legitimation China einen Geschwindigkeitsvorsprung bei politischen Entscheidungen ergibt, während Abstimmungsprozesse, die in Demokratien über Parlamente, Ausschüsse und Mitbestimmung laufen, sehr viel träger ablaufen. Fairerweise fügt er aber auch an, dass demokratische Systeme zwar langsamer, aber auch weniger fehleranfällig sind.

Ich möchte ergänzen, dass Fehler in Demokratien auch weniger oft in Katastrophen enden, weil neue Regierungen umsteuern können (hier bitte nicht an Deutschland denken, da ist das anders). Habeck hat also prinzipiell recht, wenn er postuliert, man müsse sich hier zwischen zwei Systemen entscheiden, und sicher präferiert auch ein grüner Beelzebub wie Robert die Demokratie – schließlich soll ihn diese in die Berliner Waschmaschine am Spreeufer spülen. Nur geht er beim Vergleich der beiden Systeme von völlig falschen Prämissen aus.

Habeck, Prämisse 1 

Der demokratische Politikbetrieb ist überfordert.

Das stimmt sogar, und zwar auf zweierlei Weise. Erstens gibt es eine verhängnisvolle Abwärtsspirale bei der intellektuellen Eignung des Politikpersonals. Hier Beispiele zu nennen, hieße Eulen nach Athen tragen. Man schaue sich nur die Riege der Bundesminister an. Zweitens reißt die Politik sowohl horizontal als auch vertikal immer mehr Kompetenzen an sich. Horizontal, weil sie in immer mehr Lebensbereiche des Bürgers eingreift, neuerdings sogar dadurch, dass sie ihn mit Propagandaveranstaltungen wie „Demokratie leben“ von der eigenen Lauterkeit überzeugen will.

Vertikal, indem sich diese Regulierungs- und Gestaltungshybris internationalisiert, um noch größere und noch weniger überschaubare Strukturen zu schaffen. Die daraus resultierende Trägheit und Entscheidungsunfähigkeit sind vergleichbar mit dem Kutscher eines Zweispänners, der mit zwei Leinen – für jedes Pferd eine Hand – startet. Feinfühlig kann er die Tiere dirigieren, die Kommandos sind klar und eindeutig. Nun holt sich der Kutscher immer neue Pferde hinzu, bis er in jeder Hand ein dickes Bündel Leinen hat und kaum mehr als losfahren und anhalten kann. Von effektiver Steuerung kann hier keine Rede mehr sein.

So entwickelt sich Politik in Deutschland. Sie greift nach immer weiteren Zügeln und macht Versprechungen in jede Richtung, die sie niemals einhalten kann. Der Wille „zu gestalten“ und den eigenen politischen Erfolg in der Anzahl von Regeln zu messen, die man erlassen konnte, wird zum Problem. Ist der Eifer als positiver Anfangsimpuls durchaus noch akzeptabel, sorgt die steigende Komplexität des Systems „Gesellschaft“ für immer mehr Reibungsverluste, Verzögerungen und Fehler. Daran krankt die Politik, nicht an mangelhaftem Tempo demokratischer Mitbestimmung oder der Tatsache, dass die Digitalisierung nicht rasch genug geht. Habeck sieht also das Symptom, nicht die Ursache des Problems.

Habeck, Prämisse 2 

Das chinesische System erlaubt „schnelle Entscheidungen“.

Das chinesische System ist vor allem eine Chimäre. Der politische Kern ist eine Despotie mit Weltherrschaftsanspruch, die sich formal den Anstrich „kommunistisch“ gibt. Das Wirtschaftssystem jedoch gleicht weltweit noch am ehesten dem, was linke Ideologen gern als „Turbokapitalismus“ bezeichnen. Das „Durchregieren“ mit Erlass und Verordnung hält man weitgehend vom Wirtschaftssystem fern. Stattdessen wirkt die Effizienz in Richtung der Einschränkung und Disziplinierung der Bürger, Stichworte „Lückenlose Überwachung“ und „Sozialpunkte“.

Auch ist heute nicht mehr eindeutig festzustellen, ob der chinesische Staat seine Wirtschaft führt und benutzt, oder ob sich die Wirtschaft nicht auch sehr gezielt staatlicher (und repressiver) Ressourcen bedient, etwa bei Industriespionage, Investitionsgesetzgebung oder Währung und Zöllen. Beim Projekt „Neue Seidenstraße“ etwa dürften sich Wirtschaftsinteressen und Großmachtstreben in geradezu konfuzianischer Harmonie decken. Es ist zumindest fraglich, ob die undemokratischen politischen Entscheidungen die wirtschaftliche Prosperität Chinas tatsächlich hervorbringen oder diese nur nicht behindern. Insofern würde eine auf Effizienz getrimmte deutsche Politik, die ähnlich „durchregieren“ könnte, wie sie es auf europäischer Ebene schon tut, unserer Wirtschaft nicht mal „im chinesischen Sinne“ helfen, weil die Politik (und allen voran die Grünen) ihre klebrichten Finger nicht von der Wirtschaft lassen kann.

Demokratische Prozesse zur Weltrettung zu langsam?

Nein, Habeck wünscht  sich kein „chinesisches System“. Anders ginge die Frage aus, ob er „notgedrungen“ eines akzeptieren würde, wenn ihm demokratische Prozesse zur Weltrettung zu langsam erscheinen und er zur Überzeugung gelangt, diese Weltrettung sei ihm aufgetragen. Ob „Kanzler Habeck” ein geduldiger sein wird? Die Neigung seiner Partei zu Verbot und Ukas (Soeben beschloss der Berliner Senat, in dem die Grünen ja mitregieren, das Verbot von Mieterhöhungen für fünf Jahre, (siehe auch hier) ist zu offensichtlich, und tugendethische Begründungen lassen sich für jeden Unsinn finden.

Ich bezweifle vor allem, dass Habeck versteht, wie das wirtschaftliche Erfolgsmodell China tatsächlich funktioniert. In China stellt die Politik nämlich allenfalls die wirtschaftlichen Weichen. Nicht wie in Deutschland auch die Schienen, die Lok, den Lokführer und das launige Personal des Bordrestaurants. Felix Sina laborare!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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Thomas Blinse / 19.06.2019

Sehr geehrter Herr Letsch, Sie schreiben: “Nein, Habeck wünscht sich kein „chinesisches System“.” Also in dem Videoschnipsel sagt er eindeutig Ja dazu. Ob er das System richtig oder falsch interpretiert bzw. versteht, ist noch eine andere Frage, die Sie ja auch hier behandeln. Aber die Antwort, seine Antwort bleibt ‘Ja’.

Bernd Fischer / 19.06.2019

Es sind doch die Grünen, die im Bundesrat mit ihrer destruktiven Politik die demokratischen Entscheidungsprozesse verlangsamen, so das der Eindruck entsteht die Politik versagt. Selten solch ein Heuchler gesehen, wie den Habeck.

Herbert Frankel / 19.06.2019

Herr Thomas Taterka, Ihr Kommentar spricht mir aus der Seele!

Ilona G. Grimm / 19.06.2019

Vor dreißig Jahren habe ich eine große China-Reise unternommen. Damals war man gerade dabei, die Mao-Anzüge abzulegen. Autos waren selten. Die Straße zum Flughafen in Beijing war zweispurig: eine Spur hin, eine zurück. Flughäfen anderswo im Lande waren kaum als solche erkennbar.  Baugerüste bestanden aus Bambus. Tagsüber schlummerten die Chinesen in ihren Betrieben, Büros oder Universitäten. Aber am Feierabend erwachten sie alle und wurden schlagartig zu ausgemachten Kapitalisten. Da wurden Klapptische in der Straßenmitte oder am Parkrand aufgestellt und alle nur denkbaren Waren (Speisen und Getränke, gefälschte Markenprodukte, echte Seidenstoffe, echte und falsche Antiquitäten, CDs und tausenderlei andere Sachen) verhökert. Es war offenkundig, dass dieses Volk den Westen im Handumdrehen einholen und dann auch überholen würde, sobald man es losließe. Ich denke, das chinesische Modell beruht in erster Linie auf sehr beachtlichem Fleiß und Unternehmungsgeist – Tugenden, die wir ja hierzulande auch einmal gepflegt haben.

Wilhelm Lohmar / 19.06.2019

Natürlich steht es in vollem Einklang mit der konfuzianischen Staats- und Gesellschaftslehre, wenn der Kaiser von China - oder der Generalsekretär der chinesischen KP - sich als den Herrscher der gesamten Welt betrachtet. Wurde der Herr Xi Jinping in letzter Zeit schon in einer gelben Seidenrobe gesehen?

Karl Eduard / 19.06.2019

Sehr geehrter Herr Letsch, das ist ein Märchen: “Ich möchte ergänzen, dass Fehler in Demokratien auch weniger oft in Katastrophen enden, weil neue Regierungen umsteuern können.” Die können nur, umsteuern, wenn sie gelassen werden. Von den Medien und vom Verwaltungsapparat.  Fehler in Demokratien, um nicht von Katastrophen zu reden, können gar nicht korregiert werden, weil die Planung immer nur bis zur nächsten Wahlperiode reicht und immer die Angst da ist, beim nächsten Male weg von der Regierungsbank zu sein.  Wenn man sich mal die Einwanderungsergebnisse in den europäischen Demokratien ansieht, die eine Katastrophe für Bildung und innere Sicherheit geworden sind, dann könnten nicht mal mehr Regierungswechsel umsteuern. “Nun sind sie halt da!” Diese Leute bekommt man nicht mehr los, die die Sozialsysteme kollabieren lassen, die Geburten-  und die Polizeistatistik anführen. Nicht mit gut Zureden. Und andersherum stünden die betroffenen Staaten dann vor dem Problem, daß plötzlich jemand, aus Gründen der Humanität, militärisch interveniert. Demokratie ist zwar ganz nett aber zur Katastrophenminimierung taugt sie überhaupt nicht.

Rainer Niersberger / 19.06.2019

Nicht nur Herr Habeck hat viel Sympathie für diverse Elemente des chinesischen Modells, sicher am wenigsten noch für das kapitalistische. Die Herrschaftsform und ihre Erhaltungsmittel finden mit Sicherheit sein Gefallen, jedes Ziel vermutlich nicht. Aber natürlich können sich die Grünen eine Kungelei, wie heute schon zu besichtigen, mit den Multis und dem Großkapital gut vorstellen, denn irgendwoher müssen das Geld ja kommen und die Funktionäre fürstlich alimentiert werden, pecunia non olet gilt auch für Grün. Außerdem wandelt er mit seiner Sympathie für diverse chinesische Elemente auf den Spuren der Dame aus der Uckermark, die ähnlich wie er mit der Demokratie so ihre Probleme hat. Die sozialistische Volksrepublik dürfte mit allen Kontroll-, Überwachungs- und Sanktionssystemen unter Leitung einer links/ grünen Funktionärsoligarchie und einem Oberfunktionär Habeck nicht allzuweit vom Ideal des Habeck entfernt sein. Zudem bedarf das zukünftige Eurimperium aus Gründen des „ Zusammenhalts „ und wegen möglicher völkischer Unbotmässigkeiten einer ähnlichen Herrschaftsstruktur wie China.

Thomas Taterka / 19.06.2019

Das einzige, worauf man sich bei den Grünen immer hundertprozentig verlassen kann, ist, daß kein einziges Konzept wirklich zu Ende gedacht ist im Interesse aller Bürger. Es sind immer ungare Lockangebote für dumme, unreife Wähler, die die eigene Versorgung mit Posten sicherstellen sollen, vorgetragen von dilenttantischen Dummschwätzern hinter der Fassade des Weltverbesserertums. Und die “Weisheiten” zur Wirtschaft Chinas können auch nur vorgetragen werden von einem, der genau besehen mehr Talent zum Nachtwächter besitzt als zum Kanzler in Krisenzeiten. Insofern ist ein Gespräch mit Precht schon der richtige Ort und Zeitpunkt. ” Es dämmert schon ganz sacht. .. “

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