Das RKI lässt eine Zufallstichprobe mit Probanden durchführen, um gesundheitsbezogene Daten zu sammeln. Der Zweck ist unklar – will man testen, wie die Bevölkerung auf gesundheitspolitische Interventionen reagiert?
Am 13. März veröffentlichte das Robert Koch-Institut (RKI) eine Pressemitteilung, in der es auf die Studienreihe „Gesundheit in Deutschland“ hinwies, die demnächst beginnt. Die Studie soll zur Etablierung eines „bevölkerungsbezogenen Gesundheitspanels“ beitragen, das als „neue Infrastruktur für kontinuierliche epidemiologische Studien zur Beobachtung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland“ dienen soll. Dabei wird eine Gruppe von Menschen über einen längeren Zeitraum immer wieder befragt. Nun ist gegen die sinnvolle Erhebung von gesundheitsbezogenen Daten mittels repräsentativer Stichproben zunächst nichts einzuwenden, allerdings stellen sich bei genauerem Hinsehen durchaus einige Fragen.
Zunächst fällt auf, dass die Auswahl der Probanden im Rahmen einer Zufallsstichprobe erfolgt. Eine Zufallsstichprobe ist jedoch keineswegs automatisch repräsentativ. Das RKI lädt nach eigenen Angaben derzeit 180.000 Menschen aus mehr als 300 Städten und Gemeinden, die ebenfalls zufällig ausgewählt wurden, mit einem Anschreiben zur Teilnahme ein. Bislang können nur Personen mitmachen, die eine persönliche Einladung erhalten haben. Die Teilnahme ist freiwillig. Bis Ende April sollen dadurch 30.000 Panel-Teilnehmer ab einem Alter von 16 Jahren gewonnen werden. Im Mittelpunkt des neu eingerichteten Panels sollen Fragen stehen wie: Wie geht es den Menschen in Deutschland, welche Vorsorgeuntersuchungen werden wahrgenommen, wie steht es um die seelische Gesundheit, wie entwickelt sich die Gesundheit der Bevölkerung?
RKI-Präsident Prof. Dr. Lars Schaade erläutert dazu: „Mit dem Panel wird es möglich, schnell und regelmäßig aktuelle Daten zur Gesundheit zu erheben. Auch in einer Krise ist damit zukünftig die Infrastruktur vorhanden, um sehr schnell Antworten auf gesundheitliche Fragestellungen zu erhalten. Das Panel ist ein wichtiges Instrument, um die Gesundheit der Menschen im Land zu verbessern.“ Stellt sich unweigerlich die Frage, was alles mit „Krise“ gemeint sein kann. Nach den Äußerungen von Gesundheitsminister Lauterbach, der das Gesundheitssystem kriegstauglich machen will, klingt der Hinweis Schaades jedenfalls wenig beruhigend.
Wörtlich hatte Lauterbach in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt: „Die Pandemie hat gezeigt: Unser Gesundheitswesen ist nicht ausreichend für Szenarien gewappnet, die wir lange für undenkbar gehalten haben. Deswegen haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Strukturen für große Krisen besser zu rüsten. Nach dem verbrecherischen russischen Angriff auf die Ukraine hat diese Herausforderung leider an Bedeutung gewonnen. Und deswegen haben wir eine Gesetzeslücke, die wir angehen, um für einen Katastrophenfall oder sogar einen militärischen Bündnisfall – so unwahrscheinlich er ist – vorbereitet zu sein.“ Und weiter: „Wir müssen uns nicht nur für künftige Pandemien besser aufstellen, wie wir es mit dem neuen Infektionsschutzgesetz getan haben. Wir müssen uns auch für große Katastrophen und eventuelle militärische Konflikte besser aufstellen.“
Ist eine „gesundheitspolitische Intervention“ in Planung?
Oder könnte mit „Krise“ auch eine etwa von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufene „Klimakrise“ gemeint sein? Schließlich hat das RKI im vergangenen Jahr einen dreiteiligen „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit“ (wir berichteten) herausgegeben, in dem der „Klimawandel“ als „die größte Herausforderung für die Menschheit“ bezeichnet wird. Womit das RKI auf eine Aussage der WHO zurückgreift, die den „Klimawandel“ sogar als „die größte gesundheitliche Bedrohung, der die Menschheit ausgesetzt ist,“ einstuft. Auch Energie- oder Ernährungskrisen, die das Gesundheitssystem beeinflussen würden, sind denkbar.
Wie auch immer: Während die Teilnehmer der Studie anfangs nur etwa alle drei Monate einen Fragebogen zu verschiedenen Gesundheitsthemen ausfüllen müssen, sollen später auch Untersuchungsdaten integriert werden, zum Beispiel Körpergröße, Gewicht und Blutdruck oder Laboranalysen von Blutproben. Auch Gesundheitsinformationen aus Fitnessarmbändern oder Smartwatches sollen genutzt werden. Die Ergebnisse aus „Gesundheit in Deutschland“ sollen unter anderem in die Gesundheitsberichterstattung des Bundes einfließen und im Journal of Health Monitoring sowie weiteren Fachzeitschriften veröffentlicht werden. In der Ausgabe S2/2024 des Journals of Health Monitoring sind auch schon wesentliche Punkte zur Konzeption des Panels beschrieben worden.
In diesem Konzept sind Sätze zu lesen wie: „In Ad-hoc-Studien werden Panel-Teilnehmende flexibel und kurzfristig zu weiteren Studien eingeladen. Diese Studien sollen aktuell auftretende Public-Health-Fragestellungen beinhalten, z.B. in Bezug auf eine neue gesundheitspolitische Intervention oder eine neu aufgetretene gesellschaftliche Entwicklung, die als Stressor wirken kann oder bspw. zu Fragen und Einstellungen der Inanspruchnahme von Früherkennungen.“ Hat man den dritten Teil des „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit“ mit dem Titel „Klimagerechtigkeit, Kommunikation und Handlungsoptionen“ in Erinnerung, drängt sich die Vermutung auf, dass mit dem Panel auch erfasst werden könnte, welchen Anklang eine „gesundheitspolitische Intervention“ in der Bevölkerung findet, sodass geplant werden kann, mit welcher „Kommunikation“ ein gewünschtes Verhalten der Bevölkerung erzielt werden könnte.
Datensammlung für gesundheitspolitische Entscheidungen
Ausdrücklich soll im Panel beispielsweise der Impfstatus erfasst werden. Außerdem sollen „Verhaltensweisen wie Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum und körperliche Aktivität“ sowie Vorsorgeleistungen (auch Kinderfrüherkennungsuntersuchungen) thematisiert werden. Die Ergebnisse sollen „Politik und Wissenschaft“ zur Verfügung gestellt werden. Wörtlich heißt es: „‚Gesundheit in Deutschland‘ schafft eine kontinuierliche, umfassende und verlässliche Datenbasis für die Gesundheitsberichterstattung und liefert eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen. Mit den Ergebnissen kann beispielsweise eingeschätzt werden, ob bestimmte von der Politik formulierte Gesundheitsziele tatsächlich erreicht wurden. Auch bei der zielgerichteten Planung von Präventionsmaßnahmen können diese Erkenntnisse als Grundlage genutzt werden. Die Daten aus ‚Gesundheit in Deutschland‘ werden darüber hinaus in anonymisierter und gruppierter Form für andere wissenschaftliche Einrichtungen verfügbar gemacht.“
In einem nächsten Schritt ist der Aufbau einer selbstrekrutierten Stichprobe mit bis zu 100.000 und langfristig sogar bis zu einer Million Teilnehmern geplant. Diese selbstrekrutierte Stichprobe soll nicht für bevölkerungsrepräsentative Aussagen genutzt werden, sondern die Möglichkeit eröffnen, „experimentelle und explorative Studien durchzuführen“. Auch digitale „Wearables“ wie etwa Smartwatches sollen zur standardisierten Erhebung von Gesundheitsinformationen etabliert werden. Darüber hinaus soll die neue Infrastruktur die kontinuierliche und zeitnahe Erhebung von Daten aus Messungen und Beprobungen (Labordaten) ermöglichen. Die Integration von Sekundärdatenquellen wie Versorgungs-, Abrechnungs- oder Registerdaten ist ebenfalls geplant. Damit soll das Panel zu einem „wichtigen Faktor für die Forschungslandschaft in Deutschland“ werden.
Der Betrieb der Studienreihe „Gesundheit in Deutschland“ wird voraussichtlich 2025 an das neu zu gründenden Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) übergehen. Im Rahmen einer Neuordnung der Behörden im nachgeordneten Bereich des Bundesministeriums für Gesundheit soll der Schwerpunkt des BIPAM bei der Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen liegen, während sich das RKI auf Infektionskrankheiten fokussieren will. Zum Errichtungsbeauftragten des neuen Bundesinstituts hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach übrigens den ehemaligen Leiter des Kölner Gesundheitsamtes Dr. Johannes Nießen ernannt, der schon 2021 in den Corona-Expertenrat der Bundesregierung berufen worden war.
„Gläserne Patienten“
Nach den Erfahrungen der Coronakrise ist eine grundsätzliche Skepsis sicher nicht unangebracht: Soll die Datenerhebung tatsächlich dem Wohl „der Menschen“ dienen oder nicht vielmehr den Interessen etwa der Pharma- und Digitalkonzerne? Und welche Möglichkeiten ergeben sich aus der Kombination des Panels mit der geplanten elektronischen Patientenakte (ePA), die im kommenden Jahr laut dem „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG) sowie dem „Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG) eingeführt werden soll? Kern des GDNG ist explizit „die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke“. Dazu wird eine „Gesundheitsdateninfrastruktur mit dezentraler Datenhaltung und einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten“ aufgebaut.
Diese „zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten“ soll „bürokratische Hürden abbauen und den Zugang für die Forschung erleichtern. Hier werden erstmalig pseudonymisierte Gesundheitsdaten aus verschiedenen Datenquellen miteinander verknüpft werden können. Die Zugangsstelle soll als zentrale Anlaufstelle für Datennutzende fungieren.“ Auch das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird weiterentwickelt: „Für die Antragsberechtigung ist nicht mehr ausschlaggebend, wer beantragt, sondern wofür. Entscheidend sind die im Gemeinwohl liegenden Nutzungszwecke. Das FDZ kann pseudonymisierte Daten mit den Krebsregisterdaten sowie Daten weiterer gesetzlich geregelter medizinischer Register verknüpfen, wenn dies für den antragsgemäßen Forschungszweck erforderlich ist und die Interessen der Versicherten hinreichend gewahrt werden.“
Damit Behandlungsdaten für Forschungszwecke besser nutzbar gemacht werden können, gilt für die Datenfreigabe aus der ePA künftig ein Opt-Out-Verfahren. Das heißt: Der Versicherte muss aktiv der Nutzung seiner Daten widersprechen. Über die elektronische Patientenakte könnten zukünftig übrigens auch Impf-Erinnerungen erfolgen. Wer Einblick in seine Akte nehmen will, soll – freiwillig – eine entsprechende App auf seinem Smartphone installieren. Dabei ist der Gesundheitsdaten-Markt nicht auf Deutschland beschränkt, sondern auch die EU plant im Rahmen des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) den „gläsernen Patienten“, wie Kritiker bemängeln. Je nach Verhandlungsausgang könnten die Gesundheitsdaten aus deutschen elektronischen Patientenakte gleichzeitig grenzüberschreitend in der gesamten EU abrufbar werden. Die Speicherung der digitalen Patientenakten könnte sogar außerhalb Europas, etwa in den USA, zugelassen werden.
Wer also vom RKI eine Einladung zur freiwilligen Teilnahme an der Studienreihe „Gesundheit in Deutschland“ erhält, tut gut daran, sich zunächst umfassend zu informieren.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.