Ein ganzer Kinofilm über die Entstehung von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium? Den musste ich mir natürlich anschauen. Schließlich ist Bachs Weihnachtsoratorium untrennbar für mich mit Weihnachten verbunden.
Jedes Jahr darf ich es im Orchester am Violone mitspielen. Violone? Muss es nicht Violine heißen? Nein, mit Violone wurde zu Bachs Zeit üblicherweise der Streichbass bezeichnet. Die Frage, welche Instrumente genau mit „Violone“ gemeint waren, ist übrigens sehr spannend und keineswegs leicht zu beantworten. Ihr soll hier aber nicht weiter nachgegangen werden, weil sich damit Hunderte von Seiten füllen ließen, sondern es soll einfach der Hinweis genügen, dass auch in „BACH – Ein Weihnachtswunder“ ein Violone zu sehen und zu hören ist. Nämlich in der vielleicht besten Szene des Films, als zum Schluss nach jeder Menge Widrigkeiten das Weihnachtsoratorium doch noch endlich in voller Pracht mit Bach als Dirigenten auf der Orgelempore erklingen kann.
Diese kurze Szene vermittelt tatsächlich einen Eindruck von der Lebendigkeit und Beseeltheit der Musik Bachs, weil sie musikalisch unter anderem mit dem Thomanerchor Leipzig auf höchstem Niveau ist und auch mit dem Klangbild der historischen Instrumentenkopien eine Annäherung an die Klangwelt des 18. Jahrhunderts gelingt. Längst schon führt ja die sogenannte historische Aufführungspraxis kein Nischendasein mehr, sondern ist zum Maßstab auch für moderne Orchester geworden. Und das mit Recht. Denn die klare Schärfe der Barockpauken oder die warme Sanftheit der Traversflöten verleiht den Kompositionen eine ungleich filigranere Kontur und Transparenz als die Instrumente unserer Tage.
Allerdings war es das auch schon mit der historischen Annäherung. Ansonsten hat der Historienfilm „BACH – Ein Weihnachtswunder“, der am 18. Dezember von der ARD ausgestrahlt wurde und noch bis zum 18. März 2025 in der Mediathek verfügbar ist, herzlich wenig mit der geschichtlichen Realität zu tun. Er zeigt vielmehr eine fiktive Momentaufnahme der Familie Bach kurz vor Weihnachten im Jahr 1734. Dabei kommen etwa in der inszenierten Auseinandersetzung zwischen Vater-Bach und Sohn Carl Philipp Emanuel oder in den Ängsten von Bachs schwangerer Frau Anna Magdalena Kitsch und Rührseligkeit nicht zu kurz. Die echte Biografie Bachs spielt nur als Hintergrundrauschen für dieses Familienmelodram eine Rolle. Schon der grundlegende Plot stimmt nicht: Angeblich will der Rat der Stadt Leipzig verbieten, dass Bach sein Weihnachtsoratorium aufführt, weil die Musik zu opernhaft sei. Stadtrat Stieglitz warte nach der Aufregung um die Matthäus-Passion einige Jahre zuvor sogar nur auf einen Anlass, um die Familie Bach endgültig aus Leipzig zu verjagen. Nichts davon deckt sich mit den historischen Tatsachen.
Lohnend trotz faktischer Mängel
Auch an woken Zutaten sparen Drehbuchautor Christian Schnalke und Regisseur Florian Baxmeyer nicht: Sie stellen den zehnjährigen Gottfried, der als „blöde“ – also geistig beeinträchtigt – gilt, ins Zentrum ihrer Erzählung. Gottfried hält den Streit zu Hause nicht aus und läuft weg, tritt aber nach Überwindung dieses Dramas als Retter der Familie auf, weil er mit engelsgleicher Stimme zu singen beginnt und dadurch den Stadtrat doch noch umstimmt. Auch die achtjährige Elisabeth, die auf eigene Faust einen Weihnachtsbaum besorgt, wird als Heldin der Familie dargestellt. Ganz und gar nicht zutreffend ist übrigens, dass Bach seinen Sohn Carl Philipp Emanuel geringgeschätzt haben soll. Im Gegenteil: Bach hat sich für alle seine Söhne nachweisbar fürsorglich eingesetzt.
Lohnt es sich trotz all dieser faktischer Mängel, den Film zu sehen? Ja. Denn die schauspielerischen Leistungen sind durch die Bank hervorragend: Devid Striesow als Johann Sebastian und Verena Altenberger als Anna Magdalena Bach geben ein zwar nicht immer harmonisierendes, dennoch starkes Ehepaar; Ludwig Simon und Dominic Marcus Singer als Emanuel und Friedemann Bach verkörpern ein ungleiches Brüdergespann; Thorsten Merten und Christina Große als Adrian und Maria Stieglitz bringen großbürgerlichen Glamour ins Spiel, und vor allem die Kinder German von Beug und Lotta Herzog als Gottfried und Elisabeth Bach überzeugen durch ihre sensible und herzerfrischende Ausstrahlung. Auch die ausgewählten Schauplätze, Kostüme, Kulissen und die Beleuchtung vermitteln eine stimmige Atmosphäre. So könnte es gewesen sein, das Leben in Leipzig 1734.
Schnulze hin oder her. Wenn durch diesen Film vielleicht sogar auch beim jüngeren Publikum das Interesse geweckt wird, das Weihnachtsoratorium einmal in ganzer Länge zu hören: warum nicht? Es muss ja nicht immer „Der kleine Lord“ sein, der bekanntlich bereits seit 1982 in der Weihnachtszeit über deutsche Bildschirme flimmert. Bleibt also der Wunsch, dass „BACH – Ein Weihnachtswunder“ die Ohren und die Herzen eines möglichst großen Publikums öffnet für die wunderbare Musik Bachs.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.