Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in der WELT vom 08.02.2008
Eigentlich wollten wir ja zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos fahren, um der Stimmung in der Wirtschaft nachzuspüren. Unser Spesenkonto hätte aber noch nicht einmal für zwei Hotelzimmer gereicht. Aber warum in die Ferne schweifen, liegt die gute Informationsquelle doch so nah. Statt in die Schweiz zur reisen suchten wir einen Berliner Kiosk auf, um uns ein paar kluge Wirtschaftszeitungen zu kaufen. Die Berichterstattung findet dort in der Regel auf einem Niveau statt, das man gemeinhin eine „hohe Abstraktionsebene“ nennt. Die Niederungen des Alltags kommen nur selten vor. Aufschlussreicher war für uns deshalb das Gespräch, das sich mit dem Inhaber des Kiosks entspann.
Der Laden ist das, was man klassischerweise als „Kleingewerbe“ bezeichnet: In einem Wohnviertel gelegen, Zeitungsverkauf und Zigaretten, eine Lotto-Annahme und eine Reinigungs-Annahme. Außerdem Filiale eines Paketdienstes und einmal im Monat Ankauf von Gold in Kleinmengen. Das Geschäft ernährt eine Familie, wobei beide Elternteile hinterm Ladentisch stehen - und zwar ab sechs Uhr morgens. Zwei Menschen, die dem Staat nicht zur Last fallen wollen - was aber leider nicht umgekehrt gilt.
Das geht schon beim Zigarettenverkauf los. Es handelt sich immer noch um ein legales Produkt. Der Staat, der uns mit drastischen Warnhinweisen vor dem Rauchen warnt, verdient pro Packung ein Vielfaches des Kioskbesitzers. Damit aber nicht genug. Dank der staatlich verordneten Höchstpreise sinkt der Umsatz der legalen Verkäufer - während der geschmuggelter Zigaretten ansteigt. Ergo: Die Gesundheit der Menschen wird durch die Gesetzeslage sehr viel weniger gefördert als die Kriminalität. Und weil das so ist, sollen die Kioskbesitzer jetzt auf Blockwart umschulen. Jedenfalls hat die Zigarettenindustrie sie schon aufgefordert, die Augen nach Schmuggelzigaretten aufzuhalten und jeden Verdacht sofort anzuzeigen.
Der Staat ist es auch, der in Deutschland das Glücksspiel anbietet und sich damit eine goldene Nase verdient. Die Verantwortung für die Folgen wird aber auf die Besitzer der Lotto-Annahmestellen abgewälzt. Die sollen per Ausweis- oder Gesichtskontrollen sicherstellen, dass weder Jugendlichen noch Spielsüchtige zum Lottoschein greifen. Und weil das in der Praxis oft gar nicht möglich ist, lautet die wunderbare Alternative: Entweder die Kunden bleiben weg oder man steht mit einem Bein im Gefängnis. Merke: Für kleine Selbstständige bietet Deutschland keinen Mindestlohn, nur Mindeststrafen.
Und so ist es auch mit dem Geschäftszweig Goldankauf. Nehmen wir mal an, eine in Not geratene ältere Dame will ein vergoldetes Schmuckstück aus besseren Tagen verkaufen. Der Ankäufer muss sich nicht nur den Ausweis zeigen lassen, sondern auch einen lückenlosen Nachweis über die Herkunft, den es aber meist nicht gibt. Kauft er so ein Teil in gutem Glauben, ist das potentielle Hehlerei. Und da ihm das wegen der drastischen Strafen zu gefährlich ist, gibt der Kioskbesitzer den Goldankauf auf. Das wird die echten Hehler freuen.
Der Kiosk liegt übrigens günstig in der Nähe einer Schule. Und darum stehen morgens die Kinder Schlange, um Süßigkeiten zu kaufen. Doch die sind schlecht für die Zähne und machen dick. Es wird nicht mehr lange dauern, prophezeite uns der Besitzer, bis den Volkserziehern auch dazu eine neue Schikane einfällt. Wenn wir das nächste Mal dort vorbeikommen, werden wir nachsehen, ob es diesen Kiosk noch gibt.