Michael Miersch / 08.02.2008 / 11:31 / 0 / Seite ausdrucken

Rettet den Kiosk

Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in der WELT vom 08.02.2008

Eigentlich wollten wir ja zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos fahren, um der Stimmung in der Wirtschaft nachzuspüren. Unser Spesenkonto hätte aber noch nicht einmal für zwei Hotelzimmer gereicht. Aber warum in die Ferne schweifen, liegt die gute Informationsquelle doch so nah. Statt in die Schweiz zur reisen suchten wir einen Berliner Kiosk auf, um uns ein paar kluge Wirtschaftszeitungen zu kaufen. Die Berichterstattung findet dort in der Regel auf einem Niveau statt, das man gemeinhin eine „hohe Abstraktionsebene“ nennt. Die Niederungen des Alltags kommen nur selten vor. Aufschlussreicher war für uns deshalb das Gespräch, das sich mit dem Inhaber des Kiosks entspann.

Der Laden ist das, was man klassischerweise als „Kleingewerbe“ bezeichnet: In einem Wohnviertel gelegen, Zeitungsverkauf und Zigaretten, eine Lotto-Annahme und eine Reinigungs-Annahme. Außerdem Filiale eines Paketdienstes und einmal im Monat Ankauf von Gold in Kleinmengen. Das Geschäft ernährt eine Familie, wobei beide Elternteile hinterm Ladentisch stehen - und zwar ab sechs Uhr morgens. Zwei Menschen, die dem Staat nicht zur Last fallen wollen - was aber leider nicht umgekehrt gilt.

Das geht schon beim Zigarettenverkauf los. Es handelt sich immer noch um ein legales Produkt. Der Staat, der uns mit drastischen Warnhinweisen vor dem Rauchen warnt, verdient pro Packung ein Vielfaches des Kioskbesitzers. Damit aber nicht genug. Dank der staatlich verordneten Höchstpreise sinkt der Umsatz der legalen Verkäufer - während der geschmuggelter Zigaretten ansteigt. Ergo: Die Gesundheit der Menschen wird durch die Gesetzeslage sehr viel weniger gefördert als die Kriminalität. Und weil das so ist, sollen die Kioskbesitzer jetzt auf Blockwart umschulen. Jedenfalls hat die Zigarettenindustrie sie schon aufgefordert, die Augen nach Schmuggelzigaretten aufzuhalten und jeden Verdacht sofort anzuzeigen.

Der Staat ist es auch, der in Deutschland das Glücksspiel anbietet und sich damit eine goldene Nase verdient. Die Verantwortung für die Folgen wird aber auf die Besitzer der Lotto-Annahmestellen abgewälzt. Die sollen per Ausweis- oder Gesichtskontrollen sicherstellen, dass weder Jugendlichen noch Spielsüchtige zum Lottoschein greifen. Und weil das in der Praxis oft gar nicht möglich ist, lautet die wunderbare Alternative: Entweder die Kunden bleiben weg oder man steht mit einem Bein im Gefängnis. Merke: Für kleine Selbstständige bietet Deutschland keinen Mindestlohn, nur Mindeststrafen.

Und so ist es auch mit dem Geschäftszweig Goldankauf. Nehmen wir mal an, eine in Not geratene ältere Dame will ein vergoldetes Schmuckstück aus besseren Tagen verkaufen. Der Ankäufer muss sich nicht nur den Ausweis zeigen lassen, sondern auch einen lückenlosen Nachweis über die Herkunft, den es aber meist nicht gibt. Kauft er so ein Teil in gutem Glauben, ist das potentielle Hehlerei. Und da ihm das wegen der drastischen Strafen zu gefährlich ist, gibt der Kioskbesitzer den Goldankauf auf. Das wird die echten Hehler freuen.

Der Kiosk liegt übrigens günstig in der Nähe einer Schule. Und darum stehen morgens die Kinder Schlange, um Süßigkeiten zu kaufen. Doch die sind schlecht für die Zähne und machen dick. Es wird nicht mehr lange dauern, prophezeite uns der Besitzer, bis den Volkserziehern auch dazu eine neue Schikane einfällt. Wenn wir das nächste Mal dort vorbeikommen, werden wir nachsehen, ob es diesen Kiosk noch gibt.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Michael Miersch / 30.11.2014 / 11:44 / 0

PR-Plattform “Huffington Post”

Dass die deutsche “Huffington Post” ihre Seiten mit PR-Mitteilungen von Firmen und Interessengruppen füllt, ist bekannt. Hier ein besonders schönes Beispiel, ein PETA-Text aufgemacht wie…/ mehr

Michael Miersch / 11.11.2014 / 19:21 / 4

Es war einmal ein Energiekonzern, der wollte gaaanz, gaaanz lieb sein…

…und das kam dabei heraus: Pressemitteilung 11. November 2014 Mit Kuscheln Geld sparen Deutschland ist eine Kuschel-Nation. Hierzulande kuscheln rund 70 Prozent mindestens einmal pro…/ mehr

Michael Miersch / 11.11.2014 / 18:39 / 1

Windkraft immer! Tierwelt nimmer!

PRESSEMITTEILUNG Die Energiewende braucht eine Wende zugunsten der Natur! Die Deutsche Wildtier Stiftung stellt in Berlin die wissenschaftliche Studie „Windenergie im Lebensraum Wald“ vor Hamburg,…/ mehr

Michael Miersch / 10.11.2014 / 10:50 / 5

Windenergie im Lebensraum Wald

FÜR JOURNALISTEN: Morgen (Di., 11.11.2014) Pressekonferenz in Berlin zum Thema “Windkraft und Wald” Wissenschaftliche Studie belegt: Windkraftanlagen schaden der Wald-Ökologie! Im Zuge der Energiewende wird…/ mehr

Michael Miersch / 04.10.2014 / 01:17 / 6

Wachstumskritik ist ein Luxusphänomen

Wachstumskritiker gleichen Restaurantkritikern. Man darf nicht hungrig sein, um sich auf die Mängel einer Speise zu konzentrieren. Deshalb findet man in den Slums von Mumbai…/ mehr

Michael Miersch / 09.06.2014 / 22:46 / 3

Das Chlorhuhn: Vogel des Jahres

Dieser sachliche und faktenreiche Artikel zum Thema “Chlorhuhn” erschien im österreichischen Standard: “…Kaum etwas taugt besser, um die Gefahren einer zu engen Partnerschaft mit den…/ mehr

Michael Miersch / 21.05.2014 / 21:18 / 6

Wenn Banken auf Ethik machen…

…kommt so etwas dabei heraus: Sehr geehrter Herr Miersch Ich, 58Jahre, selbstständiger Kürschnermeister, habe eine kleine Geschichte aus dem umweltbewußten Deutschland für Sie. Seit Jahren…/ mehr

Michael Miersch / 12.05.2014 / 00:19 / 5

Feindbild Bauer

Stechender Blick, knallrotes Gesicht und ein Kragen aus braunen Federn: Solch einen Charakterkopf sieht man selten auf Wahlplakaten. Die Grünen werben im Europawahlkampf mit einem…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com