Die Regierung bereitet die Bürger auf den Kriegsfall vor. Viel zu lange haben wir uns darauf verlassen, dass die Amerikaner, sollte es ernst werden, schon die Kastanien für uns aus dem Feuer holen würden. Aber warum sollten sie das weiter tun?
Geschichte wiederholt sich nicht. Das weiß jeder Historiker. Und dennoch geschieht es bisweilen, dass die Gegenwart an die Vergangenheit erinnert. Wenn der Bundestag jetzt einer neuerlichen Aufnahme von Schulden, die alles übertrifft, was sich der Staat bisher geliehen hat, zustimmte, der Einrichtung weiterer „Sondervermögen“, die gebraucht werden, um die Bundeswehr so zu ertüchtigen, dass sie in der Lage ist, einen Angriff von außen abzuwehren, dann fällt ein Schlagschatten aus dem Jahr 1914 auf das Jahr 2025. Auch damals, vor 111 Jahren, wurde im deutschen Parlament, dem Reichstag, um die Zustimmung der Parteien zur Aufnahme von „Kriegskrediten“ gerungen.
Der Kaiser höchstselbst, Wilhelm II., trat vor das Parlament. Mit den Worten „ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche“ warb er um die Zustimmung der Abgeordneten zur Aufnahme der „Kriegskredite“. Gebraucht wurde das Geld zur Finanzierung eines Weltkriegs, den Österreich, Russland, Frankreich und Deutschland gemeinsam vom Zaun gebrochen hatten. Selbst die SPD, die bis dahin jeglicher Kriegsfinanzierung entschieden widersprochen hatte, wollte nicht länger abseits stehen. Weil die Genossen fürchteten, in den Geruch vaterlandsloser Gesellen zu geraten, stimmte die Fraktion nahezu geschlossen für die Verschuldung. Später ist dieses Einknicken vor dem Kaiser als der Sündenfall der Sozialdemokraten in die Geschichte eingegangen.
Friedrich Merz ist kein Kaiser
Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, wir befänden uns heute in einer ähnlichen weltpolitischen Lage. Erstens verlangt es niemanden nach einem Krieg. Ganz im Gegenteil besteht die Befürchtung, dass wir bedroht sind. Und zweitens ist Friedrich Merz kein Kaiser. Ihn in den Verdacht zu bringen, er könne machtpolitische Ziele wie Wilhelm II. seinerzeit verfolgen, wäre absurd, pure Verleumdung. Wenn er vor einem Krieg warnt, dann ist das eine Reaktion auf die Gefahr, die von Putin ausgeht. Hinter vorgehaltener Hand wird ja in Berlin bereits davon gesprochen, die Russen könnten Weihnachten am Brandenburger Tor stehen.
Wer sich die Mühe macht, Putins Streben nach einer neuen Weltordnung nüchtern zu betrachten, wird dieser Vision nicht von vornherein widersprechen. Der Herr im Kreml ist so unberechenbar wie andere Eroberer vor ihm. Hat er erst einmal einen Happen geschnappt, verlangt es ihn danach, mehr und mehr zu bekommen, zumal er bisher erfahren hat, mit sofortiger ernsthafter Gegenwehr sei nicht zu rechnen. Tatsächlich wiederholen könnte sich die Appeasement-Politik, mit der der Westen glaubte, Hitler besänftigen zu können. Haben doch die Deutschen, allen voran die Sozialdemokraten, unsere wichtigste Schutzmacht, die USA, fortwährend vor den Kopf gestoßen. So wie Hitler keinem Anderen als Stalin auf Augenhöhe begegnen wollte, so will Putin jetzt nur mit seinesgleichen, mit Trump als dem raubeinigen Anführer einer Weltmacht, verhandeln.
Das immerhin hat Friedrich Merz erkannt, spät, aber vielleicht noch nicht zu spät, nachdem die SPD mit ihrer neuen Ostpolitik den Russen die Ostflanke des Westens öffnete. Damit wurde, wie sich unterdessen herausstellt, dem Krieg noch nicht direkt, aber für die nähere Zukunft Vorschub geleistet, tatkräftig befeuert von Angela Merkel, über die das Gerücht kursiert, sie sei eine russische Einflussagentin in der Herzkammer Deutschlands gewesen.
Putins Vormarsch auf Europa
Was immer man unserem zukünftigen Kanzler vorwerfen mag, den Wortbruch in Sachen Schuldenbremse, in der Debatte um die Zustimmung zu den Sondervermögen, ist er so deutlich geworden, wie es die weltpolitische Lage verlangt. Gleich mehrfach hat er in seiner Rede vor dem Bundestag darauf insistiert, dass Putins Krieg kein Krieg allein gegen die Ukraine ist, sondern ein Vormarsch auf Europa. Ob Friedrich Merz auch standhaft genug sein wird, nach dieser Einsicht zu handeln, ungeachtet der absehbaren Einwände von Links sowie von Seiten des BSW und der AfD, bliebt abzuwarten. Putin jedenfalls wird sich von der Verfolgung seiner geopolitischen Ziele kaum abbringen lassen. Vielmehr wird er sich die Beschwichtigungen deutscher Bedenkenträger zunutze machen.
Die neuen Sondervermögen werden Widerspruch hervorrufen, da sie Deutschland bis an die Grenze des Tragbaren belasten. Dies allein dem roten Zaren anzulasten, wäre indes ein fataler Fehler. Haben doch die Europäer, ideologisch angeführt von Deutschland, ihn geradezu eingeladen, das alte Sowjetreich zu restaurieren, seinen Einfluss sogar zu erweitern. Viel zu lange haben wir uns der hedonistisch begründeten Illusion vom ewigen Frieden hingegeben, über unsere Verhältnisse gelebt und die Armee dafür auf Sparflamme köcheln lassen – stets im Vertrauen darauf, dass die Amerikaner, sollte es ernst werden, schon die Kastanien für uns aus dem Feuer holen würden. Aber warum sollten sie das weiter tun?
„Fluchtrucksack“ schnüren und „Notvorräte“ anlegen
Wie wenig auf diese eingebildete Sicherheit zu geben ist, kann man jetzt täglich beobachten. Nicht weil Trump poltert, wie es seinem Charakter als Anführer einer Großmacht entspricht, sondern auch, wenn man sieht, wie der deutsche Staat die Bürger wieder hinterrücks an den Gedanken eines Krieges zu gewöhnen versucht. Sei es, dass plötzlich in den Städten sowie auf dem Land Sirenen aufheulen, die dazu anhalten sollen, sich an bestimmten Stellplätzen zu versammeln. Wann hätte es einen derartigen landesweiten „Probealarm“ in den vergangenen Jahren gegeben? Oder sei es, dass ganzseitige Anzeigen erscheinen, die jedermann dazu raten, einen „Fluchtrucksack“ zu schnüren und „Notvorräte“ anzulegen. In dem Marschgepäck soll alles enthalten sein, was man braucht, um bei einem Angriff noch eine oder zwei Wochen überleben zu können. Vorsorglich sollte der Rucksack grüngefärbt sein, in militärischer Tarnfarbe.
Einzupacken sind ein kleines Zelt, eine Isomatte, strapazierfähige Hosen, feste Schuhe, warme Socken, Unterwäsche zum Wechseln, ein Messer, eine Klappsäge, 20 m Meter Nylonseil, ein Kompass, ein Radio mit Kurbel oder Batterie, etwas zur Wasserentkeimung, Kochgeschirr, dazu ein Campingkocher mit Gas oder Benzin und ein „Reibradfeuerzeug“ sowie eine FFP2-Maske und so weiter und so fort, bis zum Rat, sich mit „Volleierpulver“ und Margarine zu versorgen.
... und den Klappspaten nicht vergessen!
Nein, das habe ich mir nicht ausgedacht, mir nicht aus den Fingern gesogen, noch habe ich es bei den Pfadfindern abgeschrieben. So etwas lässt der deutsche Staat heute, 2025, über die Printmedien verbreiten. Gedacht ist an alles, was man brauchen könnte, sollte man ausgebombt oder auf der Flucht sein. Denn daran, dass die Bundeswehr in der Lage sein könnte, Bürger und Bürgerinnen, Alte und Junge, Kranke und Gesunde zu schützen, glauben die Obrigkeiten der Demokratie, die „demokratischen Parteien“, wohl selbst nicht mehr. Es gilt: „Rette sich, wer kann“.
Man mag mich für einen Pessimisten haltern, aber mir scheint es, wir sollten die Ratschläge der machtlos Mächtigen ernst nehmen. Auch würde es mich nicht verwundern, gäbe es die vorgepackten „Fluchtrucksäcke“ demnächst bei Aldi oder Lidl im Sonderangebot. Doch sollte man darauf nicht vertrauen, rät der Staat, da bei den Discountern oft „an der Qualität“ gespart werde. Also selbst packen und den Klappspaten nicht vergessen für den Fall, dass man eine Mulde ausheben muss, in der man sich flach abducken kann, so dass die Atomstrahlung über einen hinweg weht.
Was muss man mehr wissen, um sich in einem Land, das die Bürger nicht mehr zu schützen vermag, um seinen letzten Tagen halbwegs beruhigt entgegenzusehen – womit wir wieder bei der Geschichte wären, die sich nicht wiederholt. Denn im nächsten Krieg können wir bestimmt besser ausgerüstet sterben als unsere Vorfahren, vorausgesetzt, wir haben den Fluchtrucksack nicht vergessen.
Dr. Thomas Rietzschel, geboren 1951 bei Dresden, Dr. phil, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“. Auf Achgut.com kommt immer Neues hinzu.