Als Experte für “komplexe Ursachen” lässt sich in diesem Deutschland offenbar gut Geld verdienen. Und wer, zum Kuckuck, sind denn die “bedeutenden DDR-Historiker”? Dabei platzen einem ja die Hosenträger. Das sind überwiegend Leute, von denen die Demonstranten mal verlangt hatten, sie mögen in die Produktion gehen. Das wurde offenbar listig missverstanden, jetzt produzieren sie freiberuflich Hirngespinste.
“In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern bedrohen derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung. Als Historikerinnen und Historiker halten wir es für ....” “Die Bundesrepublik Deutschland ist heute eine stabile Demokratie.” Ja was denn nun, werte Kollegen? Die Welt hat einen Kommentar von mir zum Historikertag bzw. einen Bericht darüber von Kellerhoff nicht durchgehen lassen, sehr sensibel, die gegenwartsbewussten Kollegen. Ich hatte u.a. geschrieben, dass ja die Historiker, nicht zuletzt die staatsstragenden auf Historikertagen, in der Vergangenheit nicht immer so treffsicher in dem waren, wo in der jeweiligen Gegenwart die Guten und wo die Bösen zu sehen waren, jedenfalls wenn man, was ja unabdingbar sei, die heutigen Maßstäbe anlegt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde aber die heutige Historikergeneration, da sie ja endgültig gelernt habe aus der Geschichte, für immer und alle Zeiten richtig liegen mit ihrer Einschätzung der Gegenwart. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, sonst nichts sind diese Tage. In dem Welt-Artikel wurde Sabrow mit dem Ulbricht-Diktum zitiert, die Historiker machten den Fehler, sich zu viel mit der Vergangenheit zu befassen. Und dann wurde am Anfang Schäuble mit seiner gegenwartsbezogenen Aufgabenstellung für die Historiker zitiert. Niemandem scheint die Parallele aufgefallen zu sein.
Da hat Herr Wirschingen seinem Spieltrieb mit der deutschen Sprache aber freien Lauf gelassen! Nicht zum Nutzen des Themas und des Lesers. Die Resolution selbst atmet natürlich den Zeitgeist, indem sie das nationale Interesse stabiler Selbstorganisation einer Gesellschaft dem Chaos einer Völkerwanderung unterordnet. Ergänzt um den Hinweis auf die Gefahr, das nicht nur “der Volkswille” sondern auch grenzenlose linke Ideologie den Bestand einer demokratischen Gesellschaft unterhöhlt, wäre der Text ausgewogen. Auch die Manipulation der Meinungen, ausgelöst durch ständige Rückkopplung der Berichterstattung mit den Absichten der jeweils Herrschenden, ist als Ursache von Instabilität zu nennen. Denn nicht mehr das Wohl der Gesellschaft als Ganzes sondern die Interessen starker Gruppen, seien es Parteien oder Konzerne bestimmen die Entwicklung. Belege aus unserer Geschichte gibt es im Überfluß.
Vielleicht ist es der Persönlichkeits-Entwicklung und der Welt-Anschauung von Historikern nicht zuträglich, wenn sie meinen, sich vereint mit einer Wahrheitsmission an ihre Klientel, das störrische Volk, richten zu müssen. Jedenfalls dann, wenn die hier Versammelten sich anmaßen, etwas durch Zurechbiegen moralisch aufzuladen und darüber abzustimmen. Die vielbeschworene wissenschaftliche “Exzellenz” fehlt bei diesen Geschichtsschaffenden dann, wenn sie meinen, die Abstimmung sei eine wissenschaftliche Methode zur Gewinnung von Erkenntnissen oder der Ersatz des Beweises. Man kann dieses Vorgehen auch beschreiben als real-time Geschichtsfälschung. Die Damen und Herren wollen sich unbedingt mit den öffentlich-rechtlichen Agit-Prop-Aktivisten gleichschalten. Und ja, man hat mal über sie geredet. Traurige Zeiten für die Geschichtswissenschaft!
Wie kann das Historikern passieren: „Volksverräter“ wurde nachgewiesener Maßen erstmalig 1834 von Georg Büchner verwendet.
Bissiger Kommentar ;-) Leibniz-Preisträger_innen gehen bestimmt davon aus, dass sie relevanter sind als die Apotheken Rundschau (vulgo “Senioren-Bravo”). Ich hatte gehofft, dass sich ausgerechnet Historiker_innen nicht auf die abstruse Parallele zwischen “Ende der Weimarer Republik” u. aktueller Debatten-un-kultur einlassen würden. Aber des Nachts sind halt alle Kühe schwarz ... Lustig, dass die dt Stasi-Vergangenheit keine Verpflichtung zur Wachsamkeit gegen ideologisch-totalitäre Umtriebe eröffnet. Seltsam auch, ein “Denken in langen Zeiträumen” einzufordern, in Sachen Migration aber Pragmatismus zu verlangen. Aus der deskripten Wahrnehmung von “Migration” als menschheitsgeschichtlichem Kontinuum folgt nicht die apodiktisch vorgetragene Norm, dass “Migration” generell nicht staatlich zu reglementieren oder zu reduzieren sei (solcherlei dürfte Kenner_innen der Frühen Neuzeit eigentlich nicht entgangen sein). Ein Werturteil, Migration sei immer “bereichernd”, nimmt sich in seiner Pauschalität abstrus aus. Da reicht eigentlich ein Blick in französische Ballungszentren oder auch solche im Ruhrgebiet ... Aber es hausen wohl zu viele Historiker_innen in ihren Elfenbeintürmen bzw. im sozial stabilen Wohnumfeld, ebenso wie statusbewusste Soziologen, Politikwissenschaftler_innen .....
Die Resolution ist ja so was von auf Linie. Interessant ist aber, daß man sich der Linie versichern muß und alle zur Abstimmung zwingt. Das hat etwas absolutistisches. Ich denke an den Sonnenkönig, über den es einen Esay zur Medizingeschichte im DLF gibt. Auszug aus Medizingeschichte: Ich stinke, also bin ich “Der Chirurg berichtet, dass sich in den Tagen nach der Operation mehr als 30 Höflinge bei ihm gemeldet haben mit dem dringenden Ersuchen, sie doch bitte, bitte an der gleichen Stelle zu operieren wie seine Majestät.”. Googeln! Ist eine köstliche Story.
Danke für einen relevanten Hinweis und einen sehr guten Begleittext, Martinus Wirschingen. Die von Ihnen erwähnten Vortragsthemen sind - ausnahmslos - klassische Inhalte der postmodernistischen Strömung, die seit den 1990er Jahren die “klassische” Geschichtsforschung durch eine agressive Besetzung der Lehrstühle, Pöstchen und Stipendien-Vergaben an die Wand gedrängt hat. Die Entwicklung wurde in “The Killing of History” dokumentiert. Die Ursache dieser Entwicklung war und ist das Überangebot von Geschichte-Absolventen (in der westlichen Welt). Das Ziel dieser Leute waren Arbeitsplätze, die Inhalte waren ein Nebenschauplatz. Das Ergebnis erlebten Sie selber. Eine klare Folge des Postmodernismus war eine negative Selektion des Personals: wer konnte, verließ die Branche, wer nichts konnte, blieb. Eine zweite Folge war die Aufgabe der grundsätzlichen Forschungsansätze eines Historikers (z.B.: gesellschaftliche Relevanz, These wird am Ende und nicht am Anfang der Forschung aufgestellt). Eine dritte war der Glaubwürdigkeitsverlust der gesamten Zunft. Ohne hier studiert zu haben vermute ich stark, dass in Deutschland der Postmodernismus nicht die einzige Ursache der Staatsnähe ist. Dafür spielte das Parteibuch in Personalentscheidungen schon lange vorher eine Rolle. Das von Ihnen erwähnte Bild stimmt aber mittlerweile auch ausserhalb Deutschlands. Der Postmodernismus hat also den Begehrlichkeiten der Politik nicht Tür und Tor geöffnet. Aber er wurde zum Trojanischen Pferd. In Münster haben Sie die Ruinen meiner Zunft gesehen.
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.