Gastautor / 30.09.2018 / 06:29 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 57 / Seite ausdrucken

Resolution des Historikertages: “Brav wuff machen”

Vom 25. bis 28. September wurde in Münster der deutsche Historikertag abgehalten. Schirmherr war Armin Laschet, Festredner Wolfgang Schäuble, Veranstalter der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD). Seit jeher herrscht eine besondere Nähe zwischen Politik und Geschichtswissenschaft. Am Freitag kam es dabei zu einer Farce in Form einer Abstimmung über eine "Resolution des VHD zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie", die Achgut.com unten im Wortlaut und vorab veröffentlicht. Diese Resolution soll in den nächsten Tagen von Promis der Zunft in die Öffentlichkeit getragen werden. Deshalb ist es gut, ein bisschen über die Entstehungsgeschichte des Papiers zu wissen.

Von Martinus Wirschingen.

Deutscher Historikertag klingt ungefähr so verlockend wie Blue Man Group. Hatte man früheren Zusammenkünften wenigstens noch zugutehalten können, sich dem heimlichen Leitstern mit ausreichend Alkohol anzuverwandeln, gleichen die Tage inzwischen eher Jahrestagungen des Sparkassenverbands. Mit einer merkwürdigen Mischung aus verdruckstem Selbstbewusstsein und stiller Anerkennung eigener Überflüssigkeit diskutieren die beuteltragenden Nachlassverwalter Clios über Themen wie „Fleisch (nicht) essen“, „Politiken des Weißseins“ oder – eine wissenschaftliche Meisterleistung – „Dis/ability – Alltag – Geschlecht. Erkundungen im Feld der interdisziplinären Dis/ability History“.  

Wer mit derlei gesellschaftsrelevanter Evidenz gesegnet ist, sollte, nein, muss auch zu den drängendsten Fragen der Gegenwart Stellung beziehen. Auch wenn Stellungnahmen der historisch informierten Blue Man Group die Öffentlichkeit ungefähr genauso interessieren dürfte wie eine wissenschaftlich fundierte und vegan-gerechte Antwort auf die Frage „Was ist Fleisch?“, ist der Modus, wie am 27. September eine Resolution zur „gegenwärtigen Gefährdung der Demokratie“ verabschiedet wurde, doch insofern von gesellschaftlicher Relevanz, als die Historiker ihre selbstverschuldete Überflüssigkeit nun mit einem Kniefall vor der politischen Opportunität auszugleichen suchen. Wo man ehedem scharfe Kontroversen erleben konnte, die tatsächlich in die Gesellschaft wirkten, suchte man auf dem diesjährigen Historikertag den Schulterschluss mit den Wir-sind-mehr-Populisten. 

Endlich ist Geschichte als Argument wieder regierungstauglich

Für die Annahme der genannten Resolution wurde nach einer bizarren Aussprache unter rund 300 anwesenden Verbandsmitgliedern ein Votum per Handzeichen gefordert. Hinweise darauf, dass eine offene Abstimmung einer Gesinnungsausstellung gleichkäme und angesichts des derart aufgeheizten politischen Klimas vielleicht eine geheime Stimmabgabe vorzuziehen sei, wurden ausgerechnet von einflussreichen DDR-Historikern mit basisdemokratischer Lautstärke als nicht hilfreich zurückgewiesen. Nach den selbsterklärten „Kulturschaffenden“ arbeiten nun also auch die „Geschichtsschaffenden“ dem Staat entgegen. Historische Analogien verbieten sich hier natürlich – wer würde denn ernsthaft daran erinnern wollen, dass das Gutgemeinte auch schon einmal Negatives zeitigte.   

Endlich ist Geschichte als Argument wieder regierungstauglich. Wer auf eine analytisch geschulte Zunft hofft, die stolz auf ihre Unabhängigkeit und Äquidistanz zum Staat ist, wurde in dieser Woche Zeuge, dass das Meinen und Raunen längst auch im renovierungsbedürftigen Elfenbeinturm angekommen ist. Skepsis und Argumente stören ja auch nur die lauwarme Eintracht, sind irgendwie ja auch so kalt und so, irgendwie, sozusagen, so wenig menschlich – vermutlich rechts.

Große Historiker wie etwa Reinhart Koselleck, den man im positiven Sinne als Pluralitätsfanatiker bezeichnen könnte, wussten immer schon, warum Historikertage zu meiden sind und dem Denken schaden. Nachdem auf der diesjährigen Zusammenkunft faire Debatte und gepflegte Streitkultur auf dem Recyclinghof der Geschichte gelandet sind, wissen die Mitglieder des Verbands nun sehr genau, wann sie immer brav „wuff“ machen müssen.

So wird man dann wohl bald das Thema „Von Bambi zum Hambi. Eine human-animal-nature-Analyse“ behandeln und damit an Relevanz endlich mit der Apothekenrundschau gleichziehen. Und wer jetzt den Spruch zu Hoffnung und Sterben rausholt, dem sei gesagt, dass die Blue Man Group doch auch immer weitermacht und sich das Wachkoma offenbar sogar auszahlt. Der Vatermord am Argument ist vollbracht – es lebe die Volkskammer der Geschichtsschaffenden! 

Achgut.com veröffentlicht hier den Entwurf des Papiers im Wortlaut vorab:

Resolution des VHD zur gegenwärtigen Gefährdung der Demokratie

Entwurf von Dirk Schumann/Petra Terhoeven

Unterstützt von Frank Bösch, Christoph Cornelißen, Norbert Frei, Bernhard Jussen, Simone Lässig, Johannes Paulmann, Martin Sabrow, Axel Schildt, Barbara Stollberg-Rillinger, Margit Szöllösi-Janze, Aloys Winterling, Andreas Wirsching

In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern bedrohen derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung. Als Historikerinnen und Historiker halten wir es für unsere Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll.

Geschichtswissenschaft hat die Aufgabe, durch die Analyse historischer Entwicklungen auch zur besseren Wahrnehmung von Gegenwartsproblemen beizutragen und die Komplexität ihrer Ursachen herauszuarbeiten. Angesichts einer zunehmend von demoskopischen Stimmungsbildern und einer immer schnelllebigeren Mediendynamik getriebenen Politik möchten wir betonen, dass nur ein Denken in längeren Zeiträumen die Zukunftsfähigkeit unseres politischen Systems auf Dauer gewährleisten kann. 

Die folgenden Leitlinien des demokratischen Miteinanders in Politik und Gesellschaft halten wir deshalb für unverzichtbar: 

Für eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe

Zur politischen Diskussion in der Demokratie gehört eine prägnante Sprache, die die eigene Position auf den Punkt bringt, anderen aber den grundsätzlichen Respekt nicht versagt. Heutige Beschimpfungen von Politikern als „Volksverräter“ oder der Medien als „Lügenpresse“ nehmen die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit wieder auf. Zahlreiche historische Beispiele gibt es auch für die verhängnisvolle Wirkung abwertender Begriffe zur Ausgrenzung vermeintlich „Anderer“ aufgrund von Religion, ihrer ethnischer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.

Für parlamentarische Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus

Politische Willensbildung in pluralistischen Demokratien vollzieht sich in öffentlichen Debatten, in denen die Vielfalt politischer Meinungen und sozialer Interessen zum Ausdruck kommt. Ein einheitlicher Volkswille, den dazu Berufene erfassen können, ist dagegen eine Fiktion, die vor allem dem Zweck dient, sich im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen. In der Weimarer Republik ebnete die Idee des „Volkswillens“ einer Bewegung den Weg zur Macht, deren „Führer“ sich als dessen Verkörperung verstand. 

Für ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge

Angesichts der zahlreichen gewaltsam ausgetragenen innereuropäischen Konflikte der Vergangenheit ist die europäische Einigung im Zeichen von pluralistischer Demokratie und unantastbaren Menschenrechten eine der wichtigsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Auch wenn die Legitimität unterschiedlicher nationaler Interessen außer Frage steht, gefährden nationalistische Alleingänge diese historische Leistung. Ausschließlich nationale Problemlösungsstrategien können den politischen, humanitären, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen einer globalisierten Gegenwart nicht angemessen begegnen. Nicht zuletzt im Lichte der kolonialen Gewalt, die Europäer in anderen Teilen der Welt ausgeübt haben, gilt es, der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden. 

Für Humanität und Recht, gegen Diskriminierung von Migranten

Migration ist eine historische Konstante. Ungeachtet aller mit ihr verbundenen Probleme hat sie die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert – auch die deutsche. Deshalb ist auf eine aktive, von Pragmatismus getragene Migrations- und Integrationspolitik hinzuarbeiten, die sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht respektiert. Es gilt, das durch die Verfassung garantierte Recht auf politisches Asyl sowie die Pflicht zur Hilfeleistung in humanitären Krisensituationen so anzuwenden, wie es Deutschland nicht nur aufgrund seiner ökonomischen Potenz, sondern auch aus historischen Gründen zukommt. 

Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte

Die Bundesrepublik Deutschland ist heute eine stabile Demokratie. Dazu beigetragen hat auch, dass die Deutschen nach anfangs erheblichen Widerständen inzwischen mehrheitlich selbstkritisch und reflektiert mit der Geschichte des Nationalsozialismus umgehen. Diesem Prozess hat sich auch unser eigenes Fach erst spät geöffnet. In jedem Fall setzt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit die Befunde einer auch zur Selbstkritik bereiten Geschichtswissenschaft voraus, die von politischer Einflussnahme prinzipiell unabhängig ist. Ihre Erkenntnisse beruhen auf quellenbasierter Forschung und stellen sich der kritischen Diskussion. Nur so ist es möglich, die historischen Bedingungen unserer Demokratie auch zukünftig im Bewusstsein zu halten und gegen „alternative Fakten“ zu verteidigen.  

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Anders Dairie / 30.09.2018

Die letzte Phase der Agonie ist das Umsichschlagen und das sich Niederlegen. Da der Unmut des Volkes sich an dem einer Tat entzündet, deren Folgen nicht mehr abgewendet werden können, haben Historiker null Chancen der Gesundbeterei.  Frau Merkel hat am 5./6. September 2015 wider das Grundgesetz gehan-delt, indem sie deutsche Souveränität aufgab und Fremde , darunter massenweise Demokratie./ und Staatsfeinde,  ohne Kontrolle reinließ.  Das wird die Geschichtsschreibung festhalten.  Von den vielen anderen Fehlern und Unzulänglichkeiten dieser Diktatorin zu schweigen.  Das Ausland lacht,  die haben dort nur noch Respekt vor Deutschlands Wirtschaftsstärke !  Und was kommt im Krisenfall, werden die Deutschen die Verteilungskämpfe durchstehen ?  Wer die Brisanz solcher Resolutionen—in einem Land auf der Kippe— nicht vesteht, sollte sich stille hinsetzen und besser nachdenken.  Hier wird versucht, das Volk von seinem Recht auf Demokratie und dem Recht auf Widerspruch zu trennen.  Oder,  “Nazis” verdienen keine Schonung ( macht Hohenschönhausen wieder auf ) .

Georg Dobler / 30.09.2018

“Politische Willensbildung in pluralistischen Demokratien vollzieht sich in öffentlichen Debatten, in denen die Vielfalt politischer Meinungen und sozialer Interessen zum Ausdruck kommt.”  Das steht in der Resolution, und genau das wird in der Realität abgelehnt und verhindert.

W.Schneider / 30.09.2018

Eine Berufsgruppe unterwirft sich dem Merkelismus. Die Gleichschaltung schreitet voran!

Sybille Schrey / 30.09.2018

Nichts Neues, das ist doch in allen Bereichen so (in dem Fall allerdings deutlich bedenklicher) - Leute, die über eine zu geringe Fachkompetenz verfügen, müssen sich halt anders profilieren. Daß diese Leute ihren Beruf komplett verfehlt haben, beweisen sie doch allein durch diese Verlautbarung.

Anders Dairie / 30.09.2018

Herr Goebbels hat das genauso gemacht. Von Anfang an.  Er hat als “Propagandaminister” (völlig unverbrämt)  den Chefs der großen Tageszeitungen, speziell dem “Völkischen Beobachter”, bis aufs Wort und die Wortgruppen, vorgegeben, wie sie die Dinge in die Hirne einzupflanzen haben. Notfalls hat er die Ereignisse höchstselbst dargestellt, wie in seiner Rundfunk-Rede, dies 1 Tag nach dem Stauffenberg-Attentat, am 21. Juli 1944.  Und das so präzise, dass es jahrelang zur Vorlage von allen mehr oder minder genauen Spielfilmen wurde.  Goebbels hatte nicht gelogen, er hat die Botschaften ans Volk “verpackt”,  in faktische und moralische Mißbilligung. Fertig, aus !  Im Grunde versuchen Fuktionäre die VHD-Mitglieder von ihren Arbeitsgrundlagen abzuschneiden.  Historiker können sich an Fakten halten. Und hier gelten nur die schriftlichen Dokumente.  Nicht Zeitzeugen,  nicht Filme,  nicht Tonbänder und dgl. .  Wer Geschichten-Romane schrei-ben möchte, gilt in der Zunft als Gescheiterter.  Das darf derjenige nicht oft machen, im Grunde nur einmal.  So kommt Reputation und so geht sie weg!  Die Unterzeichner spielen mit ihrem Lebenswerk, sofern sie eines haben.  Doch sie sind vorsichtig (und skeptisch) :  Wovon man sich distanziert, nennt man erstmal “Entwurf”.  Das Wort “Lügenpresse” ist wohl zu stark für eine Entgegnung.  Es ist Hilflosigkeit in den Redaktionen und Studierstuben.  Wer kennt das nicht mehr?

Lutz Herzer / 30.09.2018

“Migration ist eine historische Konstante.” Ja und? Genauso könnte man sagen: Invasion ist eine historische Konstante. Krieg, Armut, Diktatur, Analphabetismus, Unterdrückung von Frauen, Kindern, Homosexuellen etc. sind alles historische Konstanten. “Ungeachtet aller mit ihr verbundenen Probleme hat sie die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert – auch die deutsche.” Diese völlig unbelegte Aussage entspringt einer ideologisch motivierten Selbsttäuschung, welche zu phrasenhaften, immer wieder ähnelnden Leitsätzen führt. Aus Mangel von Argumenten bedient man sich der Methode der doktrinären politischen Meinungsbildung, welche dem Repertoire untergegangener sozialistischer Regime zuzuordnen ist. Eine Legitimation für die Fortsetzung des historisch einzigartigen Experiments, wie der Harvard-Dozent Yascha Mounk im Februar 2018 die Migration in den “Tagesthemen” bezeichnete, lässt sich mit vorweggenommenen, willkürlichen Resümees keineswegs ableiten.

Enrique Mechau / 30.09.2018

Deutsche waren trotz der Benennung als “Volk der Dichter und Denker” nie ein solches. Allerdings sind die Leistungen unserer Altvorderen Dichter und Denker wirklich nicht zu verachten. In der Vergangenheit gab es auch einige Historiker, die ohne die Geschichtsklitterung und Anpassung der Historie an den heutigen - vermeintlichen - Mainstream, dieser Schwafler auskamen.  Wer sind diese Leute, von denen keiner jemals hörte, die sich hier als moralische Instanz aufspielen. Und das gesamte Geschreibsel dieses zum Würgen anregende Papiers ist völlig wertlos!

Dominic Wagner / 30.09.2018

Eine derartige Resolution hätte auch im Herbst 1989 zur Feier des 40. Jahrestages veröffentlicht werden können. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Es ist hier ja schon geschrieben worden, woran das (auch) liegt: Ein extremes Überangebot an - fachlich bestenfalls mittelmäßigen - Absolventen, die, um unterzukommen, jedes Stöckchen überspringen, das ihnen hingehalten wird. So sieht dann auch die Zusammensetzung der Historikertage aus. Wer was kann und nicht auf das sprichwörtliche “Vitamin B” angewiesen ist, bleibt solchen Zumutungen ohnehin fern. Mühelos wird da eben auch ein derartig fatales Gesinnungspapier unterzeichnet. Wie man anderswo lesen konnte, wurden nicht einmal die Gegenstimmen ausgezählt, das passt zu diesem Haufen.

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