Susanne Baumstark / 31.12.2018 / 06:29 / Foto: Pixabay / 44 / Seite ausdrucken

Relotius-PR: Immer noch auf der richtigen Seite

Justiz und Medien als Melange: Die Hamburger Medienrechtskanzlei „Unverzagt von Have“, die Relotius vertritt und als Förderer der Hamburg Media School belobt wird, wo Relotius mit frisiertem Lebenslauf seine Ausbildung genoss, „unterstützt auch bei der Presse- und PR-Arbeit zielgerichtete Maßnahmen zur Vermeidung eines Image-/Reputationsschadens“: „In besonders heiklen und anspruchsvollen Krisenfällen kooperieren wir auch mit dem ehemaligen Spiegel-Top-Journalisten Dr. Peter Zolling (Media Company GmbH), der zu Deutschlands versiertesten Medien- und Kommunikations-Experten zählt.“

Es wundert nicht, dass die Kanzlei im Setzen von Pawlowschen Reizen versiert ist: „Insbesondere hat unser Mandant zu keinem Zeitpunkt denjenigen in die Hände spielen wollen, die seine Reportagen nun mit zweifelhafter politischer Intention als Beweis für die Existenz einer angeblichen ‚Lügenpresse‘ in Deutschland anführen.“

Die Pawlowsche Reaktion: Relotius steht trotz allem auf der richtigen Seite und verdient die herzlichste Verteidigung. Das sieht dann etwa beim Tagesspiegel so aus: „Nach dem Verdacht um veruntreute Spendengelder bekommt der frühere ‚Spiegel‘-Reporter Relotius Rückendeckung von der Diakonie.“ Die bestätigte den Eingang einer Spende seitens des Fake-Reporters in Höhe von 9.000 Euro für ein Projekt für Flüchtlingskinder im Nordirak.

Der wohlwollende Schreibstil sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass sich der Vorwurf der Spendenveruntreuung damit erledigt hätte. Auch wenn Relotius die von ihm gesammelten Spenden nicht für sich persönlich verwendet hat, belog er seine angeworbenen Spender bezüglich des Spendenziels. Immerhin stellt man bei Unverzagt von Have konkret darauf ab: Bei „Mitteilungen zu den Spenden und deren Verwendung hat unser Mandant die Illusion über die reale Existenz des geschilderten Geschwisterpaars aufrechterhalten“. Und auch wenn alle Spender ihr Geld erstattet bekämen: Es bliebe ein intensives Geschmäckle, wenn das nun als Kavaliersdelikt verniedlicht würde.

Wie Relotius konkret beim Spendensammeln vorging, steht beim Spiegel.

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Michael Hinz / 31.12.2018

Also jetzt mal eine Lanze für den viel Gescholtenen: ‘Die Welt will betrogen sein.’ So war das immer. Und wer weiß, wie der liebe böse Relotius sich beim Lesen seiner eigenen Lügengeschichten gefühlt und aufgeführt hat? - Vielleicht hat er sich gleichermaßen über seine Auftraggeber wie über die Leser kaputt gelacht und ist wie wild in seinem Zimmer hin und her gesprungen ob der Blödheit seiner Bewunderer. Hielten sich früher die Mächtigen nicht Souffleure, die ihnen den ganzen Tag in die Ohren säuselten, was sie hören wollten?

Heinrich Johannes / 31.12.2018

Interessant zu wissen wäre auch, in welcher Höhe Relotius die Spenden von seiner Steuer abgesetzt hat. Wahrcheinlich übertrifft seine Steuerersparnis den Betrag, den er angeblich selbst gespendet hat, deutlich. Zu diesem Aspekt hört man nichts.

A. Witzgall / 31.12.2018

Einschaltquoten, Auflagenhöhe und Clickbaits versklaven die Medienschaffenden. Ich warte jetzt nur noch auf die Claas Relotius Stiftung, welche Journalisten unterstützt, die mit nur wahren Geschichten ihren Lebensunterhalt nicht sicherstellen können. Eigentlich gehört Relotius das Bundesverdienstkreuz am Bande mit Eichenlaub und Schwertern, weil er exklusiv bestätigt hat, dass es die Lügenpresse wirklich gibt und sie keine infame Behauptung ist. Mein Vorschlag wäre, diesen Fall zum Anlass zu nehmen, Journalismus auch zu bewerten. Beiträge, z. B. von Klaus Kleber, Will, Slomka, Ilner, Prantl und allen Angehörigen dieser GmbH & Co KG, vom Publikum bewertet mit Punkten auf der (noch einzurichtenden) nach unten offenen Claas Relotius Skala, wären endlich ein gemeinsames Bewertungskriterium. Es würde mich auch nicht wundern, wenn die Medizin plötzlich das “Claas-Relotius-Syndrom” entdecken würde, welches für wahrheitsliebende Journalisten die Erwerbsunmöglichkeitsrente sicherstellen könnte.

Marc Blenk / 31.12.2018

Liebe Frau Baumstark, „Insbesondere hat unser Mandant zu keinem Zeitpunkt denjenigen in die Hände spielen wollen, die seine Reportagen nun mit zweifelhafter politischer Intention als Beweis für die Existenz einer angeblichen ‚Lügenpresse‘ in Deutschland anführen.“ Ach ne, das ist ja ein Ding. Sind die bei “Unverzagt und Have” irgendwie vom Wahnsinn umjubelt? Natürlich will ein Lügner nicht denen in die Hände spielen, die schon vermutet haben, dass er einer ist. Und dass er einem Netzwerk angehört, wo die Lüge nun mal Methode hat. Ein Lügner möchte gerade vermieden wissen, das man seine Lüge entlarvt. Ansonsten hätte er sich das stressige lügen ja auch gleich bleiben lassen können. Und was ist bitte ist an einer politischen Intention zweifelhaft, die Lüge im Journalismus zum kotzen findet? Keine Ahnung, welche Drogen in den Tempeln der guten Netzwerke so konsumiert werden. Eine Mischung aus Pattex und Weihrauch?

Karl Mallinger / 31.12.2018

Zitat: “Insbesondere hat unser Mandant zu keinem Zeitpunkt denjenigen in die Hände spielen wollen, die seine Reportagen nun mit zweifelhafter politischer Intention als Beweis für die Existenz einer angeblichen ‚Lügenpresse‘ in Deutschland anführen.” —— Tja, warum HAT Relotius denn dann gelogen? Genau das hat er nämlich mit seiner Lügerei getan: die Glaubwürdigkeit der Presse erschüttert. Vielleicht hätte er sich das mal vorher überlegen sollen? Denn warum sollte man glauben, dass der Fall Relotius eine Ausnahme, ein Einzelfall war?

Anton Geiger / 31.12.2018

+++Auch wenn Relotius die von ihm gesammelten Spenden nicht für sich persönlich verwendet hat, belog er seine angeworbenen Spender bezüglich des Spendenziels.+++    Auch das dürfte den Tatbestand des Betruges nach § 263 StGB erfüllen!

J.P.Neumann / 31.12.2018

Ich glaube schon das Relotius die erfundenen Kinder in Nahost hätte “liefern” können. Mit genügend Bakschisch an der richtigen Stelle wäre das gegangen, je nach Preis hätten die Araber dafür sogar die zur Story passenden Dörfer erfunden.  Und seien wir ehrlich:  Wir alle wissen, dass 99% aller Verfolgungsgeschichten die hier von Flüchtlingen erzählt werden, im Grunde Relotius Stories sind.  Der Spiegel hat nur das gedruckt, was der Staat tagtäglich als Fakten akzeptiert.

Martin Landvoigt / 31.12.2018

Für mich ist an diesem Fall Relotius und der hier vorgetragenen Kritik weniger das Problem des Berufsethos und des persönlichen Vorwurfs, sondern als Ausprägung des Zeitgeistes. Offensichtlich wollen viele Leut geschichten in der Art lesen, wie Relotius sie lieferte - und zwar als Ausdruck des Realitätsverständnisses, nicht irgend einer Fiktion. Dies sagt darum auch viel über die Leser und Medienindustrie ... und eben jenen Zeitgeist. Die psychosoziale Funktion ist klar: Man kultiviert eine negative Weltsicht einer bestimmten Ausprägung, in dem man Bestätigung dafür sucht, ausgeschmückt mit netten Details, die aber alle angeblich wahr sind. Das fatale ist dann aber nicht der Betrug und Fiktion, sondern die dahinter stehende Wirkung: Menschen glauben zu wissen, wi die Welt funktioniert und richten ihr Leben und ihre Wahlentscheidungen danach aus. Jeder einzelne Baustein, om nun ein erfundener Relotius-Artikel, oder durch Weglassung verzerrende Statistik, fomt eine politisch relevante Masse, die im Einzelnen noch gar nicht dramatisch erscheint, summarisch aber ein ziemlich unappetitliches Wirkung entfaltet.

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