Reisen in Zeiten einer untergehenden Infrastruktur

Von Clara Hagen.

Eine Bahnfahrt, singt der Volksmund, sei lustig. Also stürze ich mich wieder einmal in dieses Vergnügen. Es ist Montag, ein Tag ohne Gewitter, Starkregen, Sturm, Schnee, Frost, Hagelschlag, Flut, Böschungsbrand oder sonst ein Naturereignis, dem der Bahnbetrieb heutzutage nicht mehr gewachsen ist. Heute sollte es funktionieren. Ich bin auf dem Weg nach München. Ich habe mir einen schönen Zug ausgesucht, der von Leipzig noch durchfährt, und das auch zu einer morgendlichen Zeit, die nicht so weh tut.

Der Zug kommt fast pünktlich, natürlich wieder in geänderter Wagenreihung. Wurscht, ich gehe so weit wie möglich nach vorn, halte mich damit für sehr clever, denn es stehen noch nicht so viele Leute herum wie im Abschnitt A bis D. Da kommt der Zug auch schon eingefahren, im Lautsprecher die nett gemeinte Durchsage, dass doch die Fahrgäste ohne Reservierung in den vorderen Zugteil steigen sollten, genau dort, wo ich also stehe, denn da seien mehr freie Plätze. Prima, jetzt laufen die alle auf. Trotzdem, ich stehe günstig, fast vor der Tür und bekomme auch einen schönen Tisch, kann mich ausbreiten und etwas tun. Genauso habe ich mir diesen Reisebeginn vorgestellt, bin zufrieden und lege los.

Dann kommt der Schaffner – oder korrekt Zugbegleiter – und jetzt kann ich was erzählen. Am Nachbartisch gibt‘s die Ansage, wenn Sie nach München wollen, steigen‘s bitte in Nürnberg in den hinteren Zugteil oder steigen direkt gegenüber in ein paar Minuten um. Der Zug dort fährt auch gleich nach München. Dieser Zugteil, in dem Sie sitzen, wird abgehängt.

Freude über jeden Platz?

Da frage ich doch mal der Logik halber, warum das keiner gesagt hat, dann hätte ich mich doch gleich im ersten Teil des Zuges häuslich eingerichtet. Weit gefehlt, ob er keiner sei und dort ist es voll, sagt der nette, humorvolle Mann. Da hätte ich nicht so schön sitzen und arbeiten können, ich solle doch froh sein, dass es wenigstens bis Nürnberg so kommod war. Und wenn ich einfach den anderen Zug nehme, ist es wahrscheinlich weiterhin so gemütlich. Der hintere Zugteil wird das nicht bieten.

Ja, der meint es wirklich gut mit mir, der lustige Zugbegleiter. Mir will nur einfach nicht in den Kopf, dass ich nun doch umsteigen muss. Irgendjemand hat vor langer Zeit verpennt, Leipzig ordentlich am Bahnnetz zu halten, also muss man bissel planen, nicht umsteigen zu müssen. Zumindest, wenn man nicht nur mit der Handtasche reist. Habe ich vorausschauend getan und muss trotzdem umsteigen. Wahrscheinlich wird dieser Zugteil also irgendwo gebraucht, weil irgendein anderer Zug „ausgestiegen“ ist.

Ah, da lerne ich noch einen anderen Zugbegleiter kennen. Der verrät uns, dass „man“ sich entschieden hat, den Zugteil in Nürnberg abzukoppeln und gleich wieder zurück nach Berlin schickt. Haha, Nachtigall, ick hör dir trapsen. Das passt doch zu all‘ den Erlebnissen, die ich so in letzter Zeit mit der guten alten Bahn haben durfte.

Keine Versuchung

Auf der kürzlich absolvierten Reise nach Bonn bin ich dreimal umgezogen innerhalb des Zuges, weil immer mal wieder ein Waggon das Klima nicht so recht regeln konnte bei Temperaturen gen 40°C draußen. In Mainz sollte ich meinen Anschluss auch nicht erreichen, weswegen ich in Frankfurt schon umsteigen sollte. Da lernt man unglaublich viele Menschen und Zugbegleiter kennen, das ist wirklich interessant, kann ich empfehlen. Ich war dann leider eine Stunde später da als eigentlich geplant, aber das kalkuliert man ja heute schon ein. Auf der Rückfahrt war’s noch lustiger, da bescherte mir die Bahn eine Stunde auf dem Mainzer Hauptbahnhof. Wenigstens war‘s im Reisezentrum einigermaßen klimatisiert, und ich konnte auch da wieder viele Menschen kennenlernen, die ähnlich lustige Geschichten erzählten wie ich.

Die hatten etwas eher geschnallt, dass man eine Marke ziehen muss, um irgendwann als die Nummer aufgerufen zu werden, die da drauf steht. Naja, auf die Art und Weise kam ich gar nicht noch in die Versuchung, irgendwas einzukaufen oder gar etwas zu essen. Denn es dauerte fast die ganze Stunde, diesen Schein zu bekommen, mit dem man eventuell 25 Prozent des Reisepreises zurück erstattet bekommt, wenn eben diese Stunde Verspätung erfüllt ist. Beim letzten Mal auf der gleichen Strecke ist mir der Anschluss-ICE auf dem anderen Bahngleis direkt vor der Nase aus dem Bahnhof gerollt, nachdem ich mit meinem Koffer durch die Unterführung gehastet bin und oben zum Stehen kam. Da waren‘s dann nur knapp unter 60 Minuten, und da gab‘s nix zurück.

Zurück nach Nürnberg. Der bequeme Zugteil, in dem ich saß, ist schon auf dem Weg nach Berlin, der übervolle Restteil steht. Ich stehe auch, auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig, und warte auf den ebenfalls bequemen Zug. Da kommt die ach so überraschende Ansage, man solle sich im Bereich A bis C einrichten, weil ein Zugteil dieses ICE abgekoppelt wird. Meine Gedanken und Empfindungen muss ich jetzt wohl nicht weiter ausführen…

Keine Langeweile

Bei allem Verständnis für Pech und Pannen, der systembedingte Niedergang der Bahn ist auch für ihre gelegentlichen Kunden nicht mehr zu übersehen. Verspätungen, technische Störungen, Zugausfall, Ausfall der Klimaanlage, Sturmschäden, neulich durfte der Zug nicht schneller als 120 Stundenkilometer fahren, was seine 30-minütige verspätete Ankunft erklärte.

Die Bahn verfügt offensichtlich nicht mehr über genug funktionsfähige Züge und schon gar nicht mehr über Reserven. ICE-Züge oder Zugteile, die früher aussetzen, um einen anderen Zug zu ersetzen, sind keine Seltenheit. ICE-Züge mit Graffitis, für deren Reinigung keine Zeit mehr blieb, sieht man immer öfter. Wie auch auf rein innerdeutschen Strecken Züge der tschechischen oder polnischen Bahn.

Doch kommen wir wieder zur Weiterfahrt nach München. Ich habe Glück und erwische einen Platz im Speisewagen, nachdem ich einen Klappnotsitz für zwei Kinderwagen räumen musste. Und die Verspätung blieb unter einer Stunde. Reisen in Zeiten der untergehenden Infrastruktur sind immerhin nicht langweilig und voller Überraschungen. Eine Bahnfahrt, die ist lustig... 

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Leserpost

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Rüdiger Riedel / 31.08.2018

Kleine, aber typische Beispiele: Unsere Wandergruppe fährt mit der DB. Der Triebzug ist mit Leuchtstoff-Lampen ausgerüstet. Die DB ist nicht mehr in der Lage, für einheitliche Lichtfarben zu sorgen, es herrscht kunterbuntes Durcheinander. Auf der Rückfahrt benutzen wir die Hessische Landesbahn, ausgerüstet mit LED-Röhren von einheitlicher Lichtfarbe. In Au an der Sieg steigen wir um bei strömendem Regen. Kein Problem, der Bahnsteig ist überdacht. Aber unser Zug steht weit, weit hinten. Also durch den Regen rennen. Der Zugführer kennt das Problem, hat auf uns gewartet. Es tut ihm Leid, es sei eine “technische Notwendigkeit”, er muss hier draußen irgend eine Handlung vollziehen.

Steffen Lindner / 31.08.2018

@ Gerd Fricke: „ Wie machen das die Japaner bloß?“- Man könnte. ergänzend fragen: Und alles seit Jahren o h n e die millionenfache Zuwanderung von „ Fachkräften“, welche ja nach Meinung deutscher Politiker und der ihnen nach dem Munde redenden Manager und Ökonomen unabdingbar für die deutsche Wirtschaft und den künftigen Wohlstand sein sollen…?

Gerhard Maus / 31.08.2018

Dochdoch, habe ähnliche Erfahrungen wie Frau Hagen gemacht. Der „Standardfall“: Die Wagenreihenfolge eines Zuges wird verändert OHNE dass dies auf den Anzeigetafeln angezeigt wird. Wenn das dann in Hamburg HBf auf Gleis 14 passiert (wer die Situaion dort nicht kennt: der Bahnsteig ist für die Anzahl der Fahrgäste VIEL zu eng!), schafft man es nicht (irgend so ein „Pfeifenheini“ gibt schon das Aufbruchssignal .,,), in den Wagen mit den reservierten Plätzen vorzudringen. Also schnell rein in den Zug - aber zu den reservierten Plätzen kommt man nicht, weil halt von vorne alles nach hinten will (vice versa von hinten alles nach vorne - und das mit Gepäck!). Erst lange nach Hamburg-Harburg kommt man dann endlich zu den reservierten Plätzen. Auf die freundliche Frage an den Fahrkartenkontrolleur, ob denn derjenige, der für die Umkehrung der Wagenreihenfolge (respektive für das Unterlassen der Anzeige dieser Tatsache auf den Anzeigetafeln) verantwortlich ist, am Monatsende trotzdem sein volles Gehalt bekommt, wurde man ziemlich rüde angeblafft. Die Deutsche Bundesbahn hat eigentlich nur VIER Probleme: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Schönes Wochenende - insbesondere denen, die wegen einer veränderten Wagenreihenfolge zwangsweise zum Bahnsteigspurter werden ...

Matthias Strickling / 31.08.2018

Es gabe doch Anfang des Jahrtausends , meiner eingeschränkten Erinnerung nach , ein Rot-Grünes Gesetz, nach dem Die Bahn nicht mehr einfach so störende Bäume entlang der Strecke fällen durfte. Soweit ich weiß muss für jeden Baum eine Genehmigung eingeholt werden.  Das kann die Bahn natürlich nicht leisten, was dazu führt, das damals junge Bäume nun groß sind und bei Sturm schon mal auf die Gleise oder Oberleitungen fallen können—mit Folgen. Vor 2000 gab es da nicht.

Enrique Mechau / 31.08.2018

Ja, aber alle Vorstandvorsitzende seit ‘94 haben sich ordentlich mit Ruhm bekleckert und sind sicher nicht als arme Leute von Bord gegangen! Besonders hervorgetan hatte sich Herr Mehdorn, auch in seiner späteren Funktion als Geschäftsführer von BER. Das Unternehmen Bundesbahn wurde von der deutschen Politikergemeinschaft ruiniert. Dicke Gehälter für jede Menge “Generale” kein Geld für rollendes Material und die “Indianer”, die immer mehr Aufgaben im Zugbetrieb übernehmen mussten. Auch die ständigen Pannen beruhen darauf, dass man “Manager” installiert hat statt darauf zu achten, dass erfahrene Betriebsingenieure für die Technik verantwortlich zeichnen und die nicht behindert werden durch dumm daherschwätzende Politruks und befreundete Experten dieser Leute. Mir ist jedenfalls eine einfache Technik, bei der ich das Fenster aufmachen kann (JAA, das konnte man früher) wenn mir zu warm wird, als eine NICHT funktionierende Klimaanlage im hermetisch abgeschlossenen ICE! Früher gab es auch noch, man denke, einen “Speisewagen”. Dort konnte man ziemlich bequem sitzen und einen frisch gebrühten Kaffee trinken. Versuchen sie das heute im modernen Bordbistro. Güterverkehr - fast eine Fehlanzeige - findet kaum noch statt. Wenn die Bahn nur 8% des derzeitigen Güteraufkommens transportieren sollte, müsste sie mangels rollendem Material passen. Das war doch eine tolle Zukunftsplanung dieses Staatsunternehmens, oder? Diese Bananenrepublik, dieser Mückenschiß auf der Weltkarte, der sich anmaßt allen alles und jedes vorschreiben zu müssen, der ständig seine Bürger mit irgendwelchen idiotischen Vorschriften, Anweisungen, Geboten, Verboten und einer Sprachregelung, sowie neuen Steuern traktiert, gehört auf den Abfallhaufen der Geschichte.

Roland Müller / 31.08.2018

Eine Bahnfahrt, die war lustig, pünktlich und zuverlässig bei der nicht mehr vorhandenen Deutschen Reichsbahn. Auch allem Weimarer Chaos um Trotz. Man fuhr mit der guten alten Dampflokomotive ohne Verspätung mindestens genau so schnell von Berlin nach Dresden, wie heute mit dem ICE der DB.

Detlef Dechant / 31.08.2018

Bei der Glorifizierung alter Zeiten sollte man auch bedenken, dass dies damals nicht umsonst war. Bahnsteige waren sauber, ja, es gab auch eine Bahnsteigkarte, ohne die man gar nicht ans Gleis durfte. Personal gab es ausreichend. Die Züge wurden fast täglich auch von außen gereinigt. Und, und und. Aber das kostete auch. Interessant ist immer, einmal zu recherchieren, wie lange man für eine Bahnfahrt, Busfahrt, andere leistungen arbeiten muss/musste. Ganz abgesehen davon, dass der Deutsche auch Probleme hat, Dienstleistungen anzunehmen, denn selbiges zu offerieren ist auch nicht gerade seine Spezialität. Beispiel: Da schleppen sich ältere Menschen auf der Fahrt in den Urlaub für den sie einen nicht unerheblichen Betrag ausgegeben haben, beim Umsteigen auf Bahnhöfen mit ihren Koffern ab, lehnen es aber ab, einem Gepäckträger 5 € in die Hand zu drücken, damit er ihnen dieses abnimmt. Folglich gibt es den Service nicht mehr und nun müssen auch die wenigen darauf verzichten, die ihn gerne nutzen würden. Es ist auch noch nicht so lange her, dass eine Kosumladenkette einen Service einführen wollte, wie er in USA üblich ist. Personal verpackt an der Kasse die gekauften Güter in Tüten und trägt sie zum Auto. Dafür sollte dann 1 € bezahlt werden. dies wurde wieder eingestellt mangels Nutzung. Sicher gibt es noch mehr Beispiele.

B.Kröger / 31.08.2018

Liebe Frau Hagen, wenn keine Steuermittel in die Infrastruktur der Bahn investiert werden, braucht man sich nicht zu wundern. Aber da unsere “Elite” ja den Flieger nimmt, betrifft es sie ja nicht.  Das ist wie mit den Schulen. Wer seine Kinder auf Privatschulen schickt, den interessiert nicht, wie es an den anderen Schulen zugeht. Läuft doch alles bestens.

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