Es gibt Neues aus dem Kammerspiel „Der Tagesspiegel und #allesdichtmachen“. Die Schmutzkampagne, die das Blatt gegen die kreative Lockdown-Kritik von mehr als 50 deutschen Schauspieler fuhr, gestaltete sich zunächst als Drama mit tragikomischen Elementen. In rund 30 fast ausschließlich negativen Beiträgen walzte der Tagesspiegel die Aktion rücksichtslos nieder (Achgut.com berichtete). Mit Formulierungen wie „Alles dicht machen‘ ist so schäbig, dass es weh tut“, „Mehr als 50 Schauspieler verbreiten Häme“ oder die Aktion „denunziert die Anständigen und bestärkt jene, die Gemeinsinn sogar und vor allem inmitten einer Krise nicht verstehen wollen“ versuchte der Tagesspiegel der genialen, aber im Grunde harmlosen Kampagne einen diabolischen Aufruf zum Mord an Unschuldigen unterzuschieben.
Richtig peinlich wurde es jedoch, als sich das Blatt in einer Vernichtungsaktion gegen den maßnahmenkritischen Arzt Paul Brandenburg versuchte. Die Unterstellungen, er sei ein Drahtzieher hinter #allesdichtmachen, das einem „antidemokratischen Netzwerk“ entsprungen sei, erwiesen sich als frei erfunden (Achgut.com berichtete). Der Tagesspiegel ruderte zurück und musste die Anklage fallenlassen.
Nachdem das Drama zu einer Schmierenkomödie mutiert war, hat es nun den Bereich des anarchistischen Humors erreicht. Der neueste Artikel aus der Reihe trägt den Titel „Was machen wir hier eigentlich?“. Er bezieht sich auf den Beitrag von Dietrich Brüggemann, der dort nun nach knapp zwei Monaten einen sehr langen Klarstellungstext über seine Aktion #allesdichtmachen veröffentlichen durfte. Doch könnte man den Titel auch gut auf die Berichterstattung des Tagesspiegels münzen. Beim sonst moralisch so gefestigten Blatt scheint sich eine Sinnkrise anzukündigen. Die Redaktion leitet den Text von Brüggemann ein, dem „vor dem Erscheinen der Beiträge im Tagesspiegel, in denen ihm eine tragende Rolle (bei der Aktion) zugeschrieben wurde, keine ausreichende Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben worden“ war. Der Verfemte darf nun also die Plattform seiner Ankläger nutzen, um seine Sicht der Dinge darzustellen.
Ratlosigkeit über ein Land im hysterischen Wahn
Brüggemann bewies bereits viel Schneid, als er nach dem medialen Aufschrei um #allesdichtmachen und dem Rückzieher einiger Schauspieler nicht ebenfalls den Mut verlor, sondern entnervt ein Traktat bei Twitter absetzte (Achgut.com berichtete). Darin spiegelte sich neben Wut vor allem auch der Überdruss des politisch-korrekten Panik-Alarms wider: „Ich könnte jetzt die üblichen Distanzierungsfloskeln von mir geben, aber vorher schlafe ich vor Langeweile ein. Nazis sind Nazis und Selbstverständlichkeiten sind selbstverständlich. Und was auch selbstverständlich sein sollte: Wenn Kritik an Corona-Politik ‚rechts‘ ist, dann ist meine linke Hand auch rechts.“
In seinen Tagesspiegel-Beitrag mischt sich nun noch Ratlosigkeit über ein Land im hysterischen Wahn. Brüggemann scheint sich buchstäblich wie im falschen Film zu fühlen. Er schildert sein Erleben des Wirbels um seine Aktion. Nachdem die Clips am 22. April veröffentlicht worden waren, sorgten sie „für eine öffentliche Erregung, deren Ausmaß mir nicht ganz zum Anlass zu passen schien“. Umgehend fand er sich auf der Anklagebank bei Stern TV wieder. Zuvor hatte sich der Tagesspiegel bei ihm gemeldet:
„Gegen Mittag desselben Tages hatte ich eine Mail mit Fragen vom Berliner ‚Tagesspiegel‘ erhalten, in denen vor allem allgemeine Positionen zur Corona-Politik abgefragt wurden (‚Sind Sie für eine sofortige Beendigung aller Maßnahmen inklusive Maskenpflicht etc.?‘). Die Bahnfahrt hatte ich damit verbracht, Antworten zu formulieren, aber das hätte ich mir sparen können, denn als ich in Köln aus dem Zug stieg, war der Artikel schon im Netz. Ich las ihn, und mir fiel die Kinnlade herunter.“
„Was war mit meinem Land passiert?“
Denn was das Blatt über ihn veröffentlicht hatte, war ihm „in der deutschen Presse, zumindest zu meinen Lebzeiten, noch nicht begegnet (…) ‚Verquaste Polemik‘, ‚pamphlethafte Tirade‘, ‚krudes Gedankengut‘ – es war ein Schlachtfest der Gehässigkeit, und es war noch nicht mal elegant formuliert.“ Außerdem sei hemmungslos gemutmaßt und ins Blaue recherchiert worden – warum hatte man ihn nicht einfach gefragt, wenn man angeblich die Wahrheit wissen wollte?
„Was bringt unbescholtene Kulturjournalisten dazu, sich so zu vergessen?“, fragt Brüggemann. „Und insgesamt: Was war mit meinem Land passiert?“
Im Folgenden beschreibt er die Entstehung der Aktion #allesdichtmachen. Er hielt die Corona-Politik für „verfehlt und verfahren, ich fand die Stimmung in der Öffentlichkeit irgendwas zwischen besorgnis- und grauenerregend“. Er hatte sich „mit den wenigen Intellektuellen vernetzt“, die ähnlich dachten wie er. Im Februar war er „mit einer Gruppe von nicht unbekannten Schauspielern in Kontakt gekommen und hocherfreut, daß ich in meiner Branche anscheinend nicht der einzige war, denn diese kleine Gruppe war schon seit Oktober 2020 gemeinsam am Überlegen, was man machen könnte (das war der Anfang), allerdings ohne vorzeigbares Ergebnis.“ Bei einem Zoom-Gespräch wurde schließlich die Idee für die bekannten Clips von #allesdichtmachen geboren:
„Absurd fanden wir dabei vor allem, wie der ‚Lockdown‘, also die eigentlich untragbare Einschränkung des gesamten Lebens, von Medien- und Regierungsseite bagatellisiert wurde, zum Beispiel in Kampagnen wie ‚Besondere Helden‘ und in nett-harmlosen Anzeigen, in denen Günther Jauch sich die Hände über den Kopf hält.“
Was ist los beim Tagesspiegel?
In gemeinschaftlicher Arbeit entstanden die Videos: Brüggemann schrieb viele der Texte und drehte einige der Videos mit einer geliehenen Kamera. Manche Teilnehmer nahmen ihren Clip selber mit dem Handy auf. Schließlich ging am 22. April die Website mit den Videos online, vorher hatten alle Teilnehmer sie einsehen können, um sich noch einmal vergewissern zu können. „Und der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte.“
Zunächst gab es Lob, auch aus der Filmbranche, doch dann entbrannte der Shitstorm und „die Kollegen löschten ihre Facebook-Kommentare, und der Rest ist schon wieder Geschichte“. Als besonders eifriger Rufmörder erwies sich wie bereits geschildert der Tagesspiegel. Brüggemann suchte das Gespräch, erhielt keine Reaktion, stattdessen legte das Medium mit einem noch vernichtenderen Artikel nach. Er meldete sich erneut zwecks einer Klarstellung, schlug ein „Gespräch eins zu eins mit externer Moderation, am liebsten in einem anderen Medium“ vor, nur um von einem der Autoren „mit einer Arroganz abgebügelt (zu werden), bei der mir am Ende die Lust verging, noch irgendeine vierte Wange hinzuhalten“.
Doch irgendetwas muss dadurch ins Rollen gebracht worden sein:
„Ich weiß nicht, was danach beim Tagesspiegel intern los war, aber es muß massiv gewesen sein. Man ruderte zurück, entschuldigte sich für handwerkliche Fehler, es gab eine klärende Gesprächsveranstaltung, die so kurzfristig angesetzt war, daß ich keine Zeit hatte und deswegen nicht eingeladen war.“
Nachdem Brüggemann dem Tagesspiegel eine 30-seitige kommentierte Fassung der beiden Vernichtungsartikel gegen ihn gesandt hatte, die unveröffentlicht blieb und nach einem anschließenden unerfreulichen Interview habe man sich schließlich auf den vorliegenden Beitrag geeinigt. „Was ist los beim Tagesspiegel?“, möchte man unvermittelt fragen.
„Da hätten Fakten nur gestört.“
Es folgen einige Absätze, in denen Brüggemann klarstellt, dass sämtliche Beteiligte jederzeit genau wussten, worauf sie sich einließen und jene, die einen Rückzieher machten, weniger ihre Meinung geändert haben, als vielmehr dem „Shitstorm-Schock“ erlegen seien. Werbepartner drohten mit Trennung, allerlei Jobs gingen flöten. Brüggemann betont, dass lediglich ein Drittel der Beteiligten gut bezahlte Schauspieler sind und vor allem der unbekanntere Rest nun unter dem Canceln leidet. Er bemerkt: „Es war womöglich die erste politische Wortmeldung deutscher Kulturschaffender seit Jahrzehnten, die keine sperrangelweit offenen Türen einrannte.“
Und er haut der deutschen Medienwelt längst überfällige Sätze um die Ohren: „Die (Tagesspiegel-)Autoren waren dort, wo viele deutsche Journalisten in den letzten Jahren sind: Auf einer Mission. Sie wußten schon am Anfang, was am Ende herauskommen würde, und da hätten Fakten nur gestört.“
Weiter schreibt er:
„Die deutschsprachige Presse (also auch in Österreich und der Schweiz) hat den Rufmordversuch fröhlich abgeschrieben, und man darf gespannt sein, ob sie diese Klarstellung auch abschreiben. Für den Roman, den ich allmählich mal weiterschreiben sollte, muß ich mir einen neuen Verleger suchen, denn der bisherige möchte den Vertrag möglichst diskret auflösen, hätte gern den Vorschuß zurück, bezieht sich dabei explizit auf den Tagesspiegel und hielt es nicht für notwendig, vorher mit mir zu reden.“
Der Schmutzkampagne des Tagesspiegels ist also trotz Klarstellung keineswegs folgenlos geblieben (ähnlich wie der Arzt Paul Brandenburg nun seine Gewerberäume los ist, obwohl auch er das Opfer haltloser Anschuldigungen des Blattes geworden war). Brüggemann fragt sich weiter, wann es mit den Corona-Horror-Prophezeiungen wohl ein Ende haben wird:
„Was ist mit unseren Medien los?“
„Gibt es einen Plan, was wir im Herbst machen? Fühlt sich irgendwer in der Presse berufen, die Regierung mal dahingehend in die Zange zu nehmen? Was tun wir, wenn die nächste Mutante kommt und die Inzidenzwerte, von denen mittlerweile wirklich jeder weiß, daß sie nicht viel aussagen, wieder in die Höhe gehen? Sicherheitshalber Lockdown, bis irgendwann auch Babys und Hunde geimpft sind? Und wenn dann bei der mexikanisch-marokkanischen Doppelmutante die Impfung nicht mehr wirkt? Sehen wir dann im Fernsehen wieder jeden Abend Experten, die uns vorrechnen, daß in vier Wochen selbst bei „hartem Lockdown“ die Inzidenz bei 2000 liegen wird?
(…)
Und was ist mit unseren Medien los? Wieso wird die Geschichte vom alternativlosen Lockdown so überwiegend einmütig nachgebetet, als wäre es eine steigende Flut, wegen der man leider vom Erdgeschoß ins erste Stockwerk umziehen muß, und nicht die politische Entscheidung, die es de facto ist? Und was herrscht da für ein geistiges Klima, daß solche Texte entstehen können und dann auch noch veröffentlich werden? Was läuft da insgesamt schief?“
Nun, alle diese Fragen werden in Medien jenseits des Mainstreams bereits seit längerer Zeit gestellt. Dass das Unbehagen nun auch die glamouröse und einflussreiche Filmbranche erreicht hat, lässt hoffen, dass womöglich ein Umdenken einsetzen und der Wunsch nach einer ausgewogeneren Berichterstattung zum Common Sense wird. #allesdichtmachen hat in jedem Fall die Massenmedien an ihrer Achillesferse berührt, sonst hätten die getroffenen Hunde nicht so laut gebellt. Ich stimme mit den letzten Zeilen von Brüggemanns Beitrag überein:
„Wenn die Gesellschaft beschließt, den Fragenden hinzurichten, dann sagt das etwas über die Gesellschaft, aber nicht über die Frage. Ich bin einigermaßen erschrocken, was aus meinem Land geworden ist, aber mir bleibt die Hoffnung, daß gerade die enthemmten Pressetexte, wegen derer ich diese Zeilen schreibe, am Ende eine Art Wendepunkt gewesen sein könnten. Wir werden es erleben. Oder auch nicht.“