Hannes Stein / 06.06.2007 / 09:26 / 0 / Seite ausdrucken

Regietheater

So tief bin ich also schon gesunken: Ich bin im fernen Amerika, und wovon traeume ich? Vom Regietheater.
In meinem Traum hatte meine Zeitung mich entsandt, um eine Auffuehrung eines jungen, fuer seine Wildheit bekannten Regisseurs eines Oedoen-von-Horvath-Stuecks—war es “Kasimir und Karoline?”—zu begutachten; in einer Szene hockten zwei junge Schausielerinnen sich hin, um ihr Geschaeft in den Zuschauerraum hinein zu verrichten, und ich bekam eine volle Dusche ab, obwohl ich mich bemuehte, der Geschichte halbwegs zu entgehen. (Physiologisch unmoeglich, gewiss—trotzdem eine Frage an Oedoen-von-Horvath-Kenner, da ich das Stueck gerade nicht greifbar habe: Welche Szene koennte sich dazu eignen?) Und das nennt sich Arbeitsdisziplin: In meinem Traum harre ich, obwohl voellig durchnaesst, am Tatort aus, bis der Vorhang gefallen ist.
Dann eile ich, herzlich verspottet von entgegenkommenden Kollegen, in mein Hotelzimmer, um zu duschen und mir neue Sachen anzuziehen—ein junger dunkelhaariger Mann, den ich noch nie gesehen habe, haelt mich an: “Sind Sie nicht Herr Stein? Schreiben Sie nicht fuer ‘Cicero’?” (und ich trage mich, um das gleich klarzustellen, auch im Unbewussten nicht mit Abwanderungsgedanken; dies ist in gewisser Hinsicht der merkwuerdigste Teil meines Traums). Ich versichere, dass ich keineswegs zu den Mitarbeitern dieses geschaetzten Magazins zaehle, dann stolpere ich weiter unter die Dusche.
In einem vorherigen Teil des Traums, der mir schon jetzt, da ich dies schreibe, immer mehr ins Undeutliche entgleitet, wusste ich, dass jener junge wilde Regietheater-Regisseur Opfer einer Hinrichtung geworden war—ein Urteil, das mir vage dann doch ein bisschen hart vorkam, vor allem, da Helmut Qualtinger im Interview erzaehlt hatte, wie sehr er seine Arbeit schaetze. (In Wirklichkeit habe ich natuerlich nie Qualtinger interviewt—dafuer bin ich, leider, die entscheidenden Jahre zu jung.) Saemtliche Namen, die einem bis jetzt eingefallen sein moegen, sind also falsch.
Den Freudianern, die mich gratis analysieren moechten, sei hiermit versichert, dass ich—wie sage ich das jetzt?—nicht auf Regietheater stehe.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hannes Stein / 11.03.2013 / 20:55 / 0

Hannes Stein auf Tour!

Ich lese aus meinem Debutroman “Der Komet”, und zwar dann und da: 13. März 2013 Köln, Buchhandlung Ludwig im Hauptbahnhof. Beginn: 19 Uhr 14. März…/ mehr

Hannes Stein / 15.02.2013 / 05:05 / 0

Die Liebeskatastrophe

Heute passieren drei Dinge gleichzeitig, die nichts miteinander zu tun haben. a) Ich trete meine 49. Sonnenumrundung an. b) Ein Asteroid schrammt haarscharf an der…/ mehr

Hannes Stein / 13.01.2013 / 03:06 / 0

Kinski

Aus Gründen, die ich selbst nicht erklären kann, beschäftigt mich aus der Ferne der Fall Klaus Kinski. Als ich ein Teenager war, galt er als…/ mehr

Hannes Stein / 08.01.2013 / 19:14 / 0

Shylock

Aber man wird Shylock doch noch kritisieren dürfen! Schließlich ist es nicht nett, nicht wahr, dass er vom Wucher lebt. Es widerspricht den fundamentalen Prinzipien…/ mehr

Hannes Stein / 14.12.2012 / 20:02 / 0

Karl R. Popper nach zwanzig Jahren

Die umstürzende Erkenntnis von Karl R. Popper war bekanntlich, dass sich die menschliche Erkenntnis im “modus tollendo tollens” fortbewegt: Wenn P, dann Q Non Q…/ mehr

Hannes Stein / 23.09.2012 / 19:11 / 0

Die Erinnerungen des Salman Rushdie

Rauchende Gebäude, brennende Fahnen. Junge Männer mit Bärten, die aufgeregtes Zeug brüllen. Weit aufgerissene Augen, noch weiter aufgerissene Münder. Fäuste, die drohend geschüttelt werden; Steine,…/ mehr

Hannes Stein / 13.08.2012 / 12:30 / 0

Warum mir Gore Vidal nichts bedeutet

Ein Mann, der in seiner Jugend zur “America-First”-Bewegung gehört hat (Charles Lindbergh und so); der einen schlechten Roman über Amerikas größten Präsidenten verfasst hat, in…/ mehr

Hannes Stein / 27.07.2012 / 02:05 / 0

Das 614. Gebot

An diesem Beschneidungsdings werde ich mich nicht weiter beteiligen. Macht das in Deutschland untereinander aus, es geht mich nichts an. Auch jenem geistig-moralischen Kretin, dessen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com