Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 11.12.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 36 / Seite ausdrucken

Regierungskritik aus dem Blätterwald? – Wo es das noch gibt

Warum herrscht in Deutschland mal wieder Presse-Monokultur? Zeitungen jenseits der Alpen und westlich von uns kritisieren sogar – ich verschütte fast meinen English Breakfast Tea – die Regierung.

Da reisen – wegen der Corona-Einschränkungen – keinen Spaß macht, oder dort, wo es keine starken Einschränkungen gibt, so teuer ist, dass es keinen Spaß macht, reise ich seit einiger Zeit durch meine Zeitungslektüre. Mit einer Tasse Tee und dem Schneetreiben draußen beginne ich meine morgendliche Tour zunächst im deutschen links-grünen Establishment, richtig, ich lese als erstes die FAZ. Dann überquere ich, ohne Elefanten, die Alpen und schaue mich in Zürich um, was die NZZ so für wichtig hält. Während mein Privatjet schon mal leer vorfliegt, reise ich dann medienwirksam klimafreundlich mit dem Zug nach Paris, wo mich Le Figaro empfängt. Um Zeit zu sparen, der werte Leser möge es mir nachsehen, muss ich dann doch ins Flugzeug einsteigen, um rechtzeitig in London, bei meinem Termin mit The Telegraph zu sein. Zu guter Letzt steige ich in New York aus – die Frisur sitzt, als wäre ich eben aufgestanden – es geht an die Wall Street, Geschäfte, Sie wissen schon.

Warum ich Ihnen meine für Sie weder relevanten noch interessanten Morgenabläufe mitteile – die, zugegeben, am Rande von Annalena Baerbocks Amtsantrittsreise als Außenministerin in meiner Schilderung inspiriert wurden? Nun, man sagt ja nicht umsonst, Reisen bildet, und auf meiner morgendlichen Tour durch verschiedene Presselandschaften stelle ich mir jedes Mal dieselbe Frage und finde keine Antwort: Warum eigentlich immer wir? Warum ist es in den anderen Zeitungen (die ebenfalls nicht neutral sind, ich glaube nicht, dass es neutralen Journalismus geben kann,) selbstverständlich, unterschiedliche Meinungen in als Kommentaren deklarierten Artikeln zu lesen?

Zeitungen jenseits der Alpen und westlich von uns kritisieren sogar – Gott bewahre, ich verschütte fast meinen English Breakfast Tea – die Regierung, und zwar nicht, weil sie zu wenig gegen wahlweise Corona oder den Klimawandel tue, sondern zu viel und das Falsche. Während ich also auf meiner Reise außerhalb Deutschlands eine vielfältige Sicht angeboten bekomme – zugegeben konservativ, aber für die linke Sicht, die mir sonst Le Monde, The Guardian oder The New York Times geben würden, lese ich ja die FAZ und ewig Zeit habe ich morgens leider auch nicht – ist der deutsche Blätter- und auch Medienwald eine Monokultur. Warum eigentlich immer wir?

Übersetzen Sie das mal!

Die Monokultur der deutschen Medien geht mit einer ebensolchen Einheitsmeinungswüste bei den etablierten und von der veröffentlichten Meinung akzeptierten Parteien einher. Die Frage, was zuerst da war, ist wohl das berühmte Henne-Ei-Problem. Dass sich unser Bundestag gerne selbst entmachtet, ist nicht erst seit Corona klar. Erinnern Sie sich noch an das im Eiltempo durchgepeitschte Abnicken der Griechenlandrettung? Vielleicht spüren einige FDP-Abgeordnete bei dem Gedanken ein leichtes Ziehen in der Magengegend, war es doch vielleicht dieses Verhalten, das sie in der folgenden Legislaturperiode kurzzeitig in die Arbeitslosigkeit schickte. Vielleicht spüren sie aber auch nichts, was wiederum das aktuelle Bild erklären würde, das die angeblich liberale Partei abgibt.

Wer als Parlamentarier das Haushaltsrecht aus der Hand gibt, dem würde ich weder ein Auto abkaufen noch meine Grundrechte anvertrauen. Das Schöne ist ja eigentlich, dass ich meine Grundrechte niemandem anvertrauen muss, sind sie doch keine Frage der politischen Gönnerhaftigkeit – so wie Karl Lauterbach es zu sehen scheint, wenn er engelsgleich verkündet, Weihnachten im Kreise der Familie möglich machen zu wollen – noch eine Frage der Expertenmeinung, wie es die Öffentlich-Rechtlichen darstellen. Sie sind eine Frage des Rechts und der Rechtsordnung. Vom Bundesverfassungsgericht, das einen Freifahrtschein an die Politik und damit das Primat der Politik über das Recht ausruft, blicke ich neidisch Richtung angelsächsischer Rechtskultur. Sich der Regierung beugen, übersetzen Sie das mal ins Amerikanische oder versuchen Sie das mit einem Cockney-Akzent auszusprechen.  

In GB gibt es sogar Rücktritte

Nach 16 Jahren Merkel scheint dieses Deutschland – warum eigentlich immer wir? – verinnerlicht zu haben, dass Demokratie Konsens ist. Was Demokratie wirklich ist, der Wettstreit von Ideen, die durch Wahlen unblutig ausgetauscht werden, zeigt mir aktuell zum Beispiel meine tägliche London-Reise. Boris Johnson erlebt gerade seine größte Regierungskrise und auch sonst, halten Sie sich fest, treten dort Minister und Funktionäre zurück. Mal wegen Reisen, mal wegen Affären, mal wegen Weihnachtsfeiern.

In Großbritannien ist es ein Skandal, wenn Gardinen im Amtssitz des Premierministers aus unzulässigen Quellen finanziert werden. Der Covid-Plan-B von Downing Street 10 ist erstaunlicherweise vor allem in den Tory-Reihen selbst umstritten. Ein verschärftes Maskenmandat, eine 2G-Vorschrift für Clubs und Konzerte in Innenräumen ohne Bestuhlung ab 500 Personen, die dringende Empfehlung, von zu Hause zu arbeiten oder auch Quarantänevorschriften für Geimpfte, die mit Omikron-Infizierten in Kontakt gekommen sind – für Hinterbänkler der Konservativen sind das alles „nicht zu rechtfertigende Einschränkungen der Freiheit“.

Vor der Abstimmung über die neuen Einschränkungen am Dienstag organisieren sich die Lockdown-Gegner in einer WhatsApp-Gruppe mit dem Namen Covid Recovery Group. Und das, obwohl die Regierung bereits beschwichtigend verkündete, dass eine Neubewertung der Maßnahmen bereits am 5. Januar erfolgen werde und dass der Plan B automatisch am 26. Januar auslaufe. Krasser könnte der Gegensatz zu Ralph Brinkhaus‘ flammendem Plädoyer für, Zitat, „Notstandsregelungen“ im April 2021 im Bundestag kaum sein. Warum eigentlich immer wir?

Strammen Schrittes in eine Richtung marschieren

Was in Deutschland absolutes Chaos wäre, ist in Großbritannien Teil der politischen Kultur und des politischen Systems. So werden die Hinterbänkler in ihrer Rebellion gegen die Regierung durch die aktuellen Umfragen gestärkt, die bei der am 16. Dezember stattfindenden by-election in North Shropshire Labour vorne sehen. Die Abgeordneten sind keiner Parteiliste, sondern ihrem Wahlkreis verpflichtet. Das macht sie nicht zu besseren Menschen, aber es scheint ein wirkungsvolles Anreizsystem zu sein, das Meinungsvielfalt unterstützt und die Stigmatisierung unterschiedlicher Positionen erschwert.

Beim Lesen der Äußerungen der britischen Außenministerin Priti Patel könnte man sich fast an einem Scone mit Jam und Cream verschlucken, so deutlich stellt sie die Beweggründe der Borders Bill dar. Ohne Nigel Farage und den Brexit vielleicht undenkbar. Großbritannien ist nicht das Land der Glückseligen. Meine morgendlichen Reisen haben mir jedoch gezeigt, wie sehr Deutschland unter der Allgemeingültigkeit einer Meinung erstarrt und strammen Schrittes in eine Richtung marschiert.

Auch in der Schweiz, in Frankreich, in Großbritannien und in den USA griff man teilweise zu chinesischen Maßnahmen eines Corona-Regimes. Auch dort gibt es Pläne, Verbrennungsmotoren zu verbieten oder Wachstum und Innovationen durch staatliche Lenkung zu schaffen. Unterschiedliche Positionen können jedoch noch Gehör finden. Sie verschaffen sich aktiv Gehör. In Deutschland? Opposition: eine neue Geisteskrankheit in der Bundesrepublik? Warum eigentlich immer wir?

Wir sind selbst zu Schmuddelkindern geworden

Éric Zemmour oder Nigel Farage würden in Deutschland niemals die Wirkung erzielen können, die sie in Frankreich und Großbritannien entfalten. In Deutschland nehmen uns Politik und Medien an die Hand. Zemmours Namen werden Sie in keiner der etablierten Zeitungen oder in irgendeiner Sendung im deutschen Fernsehen ohne das Attribut „rechtsextrem“ zu lesen oder zu hören bekommen. Es ist unvorstellbar, dass ein wegen rassistischer Äußerungen verurteilter Journalist, wie Éric Zemmour, in Deutschland weiterhin im Fernsehen auftreten würde oder dass ein so streitbarer Politiker wie Nigel Farage eine eigene Sendung bekäme. Betreutes Denken, die Verachtung für die Meinungsbildung des Einzelnen, ist in Deutschland allgegenwärtig.

Weder in London noch in Paris berichtet man besonders wohlwollend über Zemmour. Verurteilungen wegen Volksverhetzung schrecken auch Journalisten jenseits von Deutschland ab. Das klingt einfach nicht fein. Aber als „rechtsextrem“ bezeichnen ihn die konservativen Zeitungen nicht. Und an die Stelle einer Ächtung und Ausgrenzung seiner Positionen und Anhänger, wie es die AfD seit ihrer Gründung erfährt, greifen politische Kommentatoren und auch Politiker die Themen auf und übernehmen einige davon.

In Frankreich ist la droite einfach nur das Gegenstück zur la gauche. Ohne meine Reise nach Paris hätte ich am Montag, den 7. Dezember, zum Beispiel nicht erfahren, dass die in der FAZ als friedliche Aktivisten dargestellten Gegendemonstranten auf der „Kundgebung des rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour“, laut Aussage aus der Führungsetage der Kampagne des Kandidaten, Molotow-Cocktails dabei hatten. In Deutschland hat das betreute Denken ein Freiluftgefängnis der ideologischen Monokultur etabliert, in dem als rechts deklariert zu werden gleichbedeutend mit dem sozialen Untergang ist. Der Umgang mit der AfD, aber auch mit Pegida, beides legitime demokratische Mittel der Meinungsäußerung, haben uns dahin gebracht, wo wir heute sind. Das Abgrenzen und Ausgrenzen, auch in alternativen Medien, aus Angst vor den Schmuddelkindern hat uns heute selbst zu Schmuddelkindern gemacht.

Warum eigentlich immer wir? Vielleicht lieferte Friedrich Wilhelm Förster bereits einen entscheidenden Denkanstoß: „Deutschland war immer schon das große Laboratorium, in dem die Hypothesen der ganzen Welt bis zu Ende durchgeprüft, durchgedacht, durchgelitten wurden.“ Warum eigentlich immer wir? Vielleicht können Sie es mir ja sagen.

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G. Hamsinger / 11.12.2021

Bekanntlich heißt deutsch sein, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun. Eine schönere Charakterisierung unseres Volkes habe ich nie gehört. Was immer auch “getan werden muss”, wie es jetzt wieder heißt, das muss eben getan werden. Wer oder was auch immer im Weg steht muss beseitigt werden, selbst wenn dieser Weg in den Abgrund oder die Sackgasse führt,

M. Corvinius / 11.12.2021

Der Deutsche ist Idealist. Er eifert jedem Ideal nach, das ihm vorgesetzt wird. Wozu das 1933 führte, wissen wir.  +++ 1968 legte den Grundstein zur aktuellen linksgrünen Verfasstheit, die uns seit geraumer Zeit von Regierung und Medien vorgesetzt wird. Wir schlucken brav. +++ Warum die Deutschen allerdings solche Idealisten sind, das ist zumindest mir ein Rätsel: Die harten Zeiten in den kalten germanischen Wäldern? Sich um den Stammesführer scharen und ihm folgen? Ein lohnendes Thema für Historiker und Sozialpsychologen ...

Ulrich Ziller / 11.12.2021

Aber, aber Frau Kaus.  Warum so abwertend über das beste Deutschland, das es je gab, herziehen. Fragen Sie doch mal den Herrn Altmaier. Der weiß oder hat es zumindest so formuliert, dass während der Regierungszeit von Frau Merkel das Ausland “gelernt” hat, Deutschland zu lieben. Ich weiß zwar nicht, wen er gefragt hat… Aber die innigen Umarmungen und Busselein zwischen Hern Macron und Frau Merkel könnten hierzu beigetragen haben.

Michael Lorenz / 11.12.2021

“Warum eigentlich immer wir?” - Ich glaube, das hat Henryk M. Broder hier kürzlich schon beantwortet - im Zuge einer Antwort zur alten Frage, wie das ‘damals’ passieren konnte: “Weil die damals genauso waren, wie ihr heute seid”! Die Angelsachsen sind ohnehin von einem tief im Deutschen verankerten ‘Nazi-Gen’ überzeugt. Womöglich haben sie ja recht?

Volker Dreis / 11.12.2021

Weil Heine Recht hat:“Das ist das Schöne an uns Deutschen, keiner ist so verrückt , daß er nicht noch einen Verrückter findet, der ihm zuhört.”

Peter Woller / 11.12.2021

Die deutschen Politiker gefallen sich in der Rolle von Erziehern und Oberlehrern. Ich hab diese Leute nicht gewählt. Das ist die deutsche Spießbürger-Mentalität. Gestern belauschte ich in der Volksbank ein Gespräch zweier Kunden. “Na, schon geimpft?” “Jo klar, ich hol mir nächste Woche die dritte Impfung ab”. “Na, denn ist ja alles gut, mehr können wir doch nicht machen”. Das ist deutsche Spießbürger-Mentalität vom Feinsten.

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