A pissing rain wie aus einem Lied von Joe Jackson ging am Hamburger Flughafen nieder, als ich vergangenen Freitag auf den Aufruf von AB 7632 nach Palma de Mallorca wartete. Die Wolkendecke hing gefühlt einen Meter über der Startbahn. Flugzeugreifen wirbelten Wassermassen auf, als müssten sie einen Aquaplaning-Test bestehen. Genau der richtige Tag also, um dem April-Blues für ein Wochenende zu entfliehen. Spring Break. Mallorca meldete bis zu 24 Grad.
Was aber musste ich nach Landung auf der wohltemperierten Urlaubsinsel lesen? „Tourist go home – Mallorca hat genug“ lautete die Schlagzeile eines beunruhigenden Stückes auf „welt.de“. Dem Lauftext war zu entnehmen, die Mallorquiner hätten jetzt endgültig die Schnauze voll von der Touristeninvasion. Welche heuer noch stärker rollen würde, weil viele Urlauber wegen des Terrors in der Türkei und anderen islamischen Gefilden auf friedsame Destinationen wie Mallorca auswichen.
Eine verstörte Touristin namens Dagmar
Ferner erfuhr ich zu meiner Verblüffung, die Insulaner würden anstelle von zahlenden Touris wie mir viel lieber arme Flüchtlinge willkommen heißen. „Beim Bummel durch Palma blieb mir plötzlich das Eis im Hals stecken“, zitierte welt.de eine verstörte Touristin namens Dagmar. Neben der Parole „Tourist go home“ hatte die Frau auch das Graffito „Refugees welcome“ gesichtet.
Refugees zum Ballermann! Grandiose Idee. Da flögen im „Bierkönig“ bestimmt die letzten Löcher aus dem Käse. Die Dagmar ist nun erheblich traumatisiert. Wie auch zwei oder drei andere Ausländer, die vor einer Kamera des spanischen Staatsfernsehens angesichts einer Latrinenparole („Tourist you are the terrorist“) ironisch klagten: „Oh, we have to go home?“
Verzapft hat das Ganze ein spanischer dpa-Korrespondent. Sein Bericht erschien unter Titeln wie „Protest-Graffiti schockt Mallorca-Besucher“ (sic) auch auf stern.de, N24 und anderen Journalismus-Attrappen. Das Stück wärmt die Mär von einer Insel der Verdammten auf, die wegen des Massentourismus „aus allen Nähten platzt“ und „kurz vor dem Kollaps steht“. Diese altbekannte Sau wird jedes Jahr vor Beginn der Hochsaison durchs Mediendorf getrieben.
Jedes Jahr die selben Zeugen für eine Nicht-Nachricht
Und jedes Jahr sind es im Prinzip dieselben Zeugen, die aufgerufen werden. Irgendein Häuflein Umweltapostel fordert irgendeine Obergrenze bei den Touristenzahlen, irgendwelche Anwohner klagen über Rambo Zambo, den irgendwelche Touristen zum Beispiel im Kathedralenviertel der Hauptstadt veranstalten. Das ist so neu und aufregend wie die Nachricht, dass die Metropolen London, Paris, Rom, Berlin oder Barcelona sich großer Beliebtheit bei Touristen erfreuen, was ihren Einwohnern schon mal gehörig auf den Wecker geht.
Jetzt mal ins richtige Leben. Mallorca empfängt jährlich knapp zehn Millionen Urlauber, viele Tausend pendelnde Residenten noch nicht eingerechnet. Die im dpa-Artikel genannte Zahl der Einnahmen aus dem Tourismus (45 Prozent) ist stark untertrieben. Tatsächlich lebt die Insel wahrscheinlich zu 80 Prozent vom Fremdenverkehr und seinen unzähligen Sekundärbranchen.
Abgesehen von touristischen Dienstleistungen sowie von ein paar Oliven, Orangen und Lederwaren produziert Mallorca nichts, nada. Ohne den endlosen Tourismusboom wäre die Insel nicht viel mehr als das, was sie bei der herrlich desaströs gelaufenen Visite von George Sand und Fédéric Chopin („Ein Winter auf Mallorca“) anno 1838 war – eine ökonomische und zivilisatorische Brache.
Mallorqinische Tourismusfeinde haben Rückhalt - allerdings nur im Ausland
Natürlich wissen die Mallorquiner, dass ihr Status als einkommensstärkste Region Spaniens einen Preis hat. Etwa die Betonierung vieler Küstenstreifen, den ausufernden Straßenbau, den die Hauptstadt zeitweise erdrosselnden Verkehr, die verrückten Immobilienpreise. Hinzu kommt die Attraktivität der Insel für illegale Zuzügler aus Afrika; ebenso für Diebe, Betrüger, Zuhälter, Dealer, Einbrecher. Die Schattenseiten werden von den meisten Einheimischen hingenommen. Militante Tourismusfeinde haben auf Mallorca ungefähr so viel Rückhalt, wie die linksextreme Schläger- und Brandstifterszene des Hamburger Schanzenviertels an Unterstützung aus Hamburgs Elbvororten erfährt.
Umso seltsamer, dass eine gänzlich substanzlose Story (ein paar Hanseln beschmieren irgendwo auf Malle ein paar Mauern, und fertig ist die Erzählung vom „Mallorca, das genug hat“) durch eine als hochgradig seriös geltende Institution wie die dpa verbreitet wird. Was über diese Agentur läuft, gilt ja als wahrheitskonform. dpa-Berichte müssen, so haben Gerichte entschieden, von den sie weiterverbreitenden Medien nicht nachrecherchiert werden („Agenturprivileg“).
Woran mag es liegen, dass aus einem Furz ein Kanonenschlag wird, der durch den Blätterwald donnert? Das Sommerloch kann unmöglich schuld sein; es kommt erst noch. Ich habe da einen Verdacht. Wenn es um Tourismus geht, läuft die deutsche Bedenkenkrämerei traditionell zur Spitzenform auf.
Erst stänkerten die Linken, dann die Ökos
In der Nachkriegsära waren es Linke, die der beginnende Massentourismus wurmte. Der junge Hans-Magnus Enzensberger brachte die einschlägige Kritik in seiner - allerdings brillant formulierten - „Theorie des Tourismus“ von 1958 auf den dogmatischen Punkt. Das kleine Urlaubsglück an sonnigen Gestaden war für ihn ein Linsengericht, welches die Herrschenden verabreichen, um den kleinen Mann mit seiner beschissenen Lohnsklavenexistenz zu versöhnen.
Eine Teufelei, die der Dussel natürlich nie durchschaute. Er machte weiterhin Urlaub wie ein Blöder, am liebsten auf Malle. Irgendwann gab die salonkommunistische Internationale den aussichtslosen Kampf auf. Neckermann hatte gesiegt. Deutsche Gewerkschaften gründeten gar ein eigenes, freilich nur mäßig erfolgreiches Pauschalreiseunternehmen („Gut-Reisen“).
Erst mit den Grünen kam neuer Schwung in die Disziplin Tourismusbeschimpfung. Aktivisten-Grüppchen wie „Anders reisen“ oder „Tourismus mit Einsicht“, die dem arbeitenden Volk seine faulen Urlaubsformen auszutreiben versuchten, entstammten sämtlich der Ecke der Umwelt-Erleuchteten. Für echte Ökos geht reisen im Idealfall so: Fahrradtour zum nächstgelegenen Krötenzaun mit anschließender Windparkbesichtigung. Ausgedacht? Nein, das gibt’s tatsächlich! Kontaktieren Sie mal den „Bund“.
Von jeher ist es für Grüngesinnte – die bilden bekanntlich das Gros der Journos - ein Graus, wenn Leute mal eben in den Flieger steigen, um juxhalber gen Süden zu düsen. Und das noch nicht mal klimaneutral! Besonders Mallorca dient CO2-Vermeidungsfanatikern als schauriges Symbol für das verblendete Treiben des Urlaubspöbels.
Malle ist immer für eine stinkige Story gut
Und daher ist Malle immer für eine stinkige Story gut. Irgendein Aspekt findet sich alle Jahre wieder. Und zwar seit bald fünf Jahrzehnten. Daran sollte sich erinnern, wer im Zahnarztwartezimmer auf einen investigativen Report über die „dunklen Seiten von Mallorca“ stößt. Meist hängt da nicht viel Fleisch am Knochen.
Was mich betrifft, so bin ich wie durch ein Wunder dem mallorquinischen Volkszorn entronnen. Ich wurde weder bespuckt noch geschlagen, auch blieb der Leihwagen unabgefackelt. In meinem Lieblingslokal von Cala Figuera hat man mich wie immer angelächelt und mir anstandslos Dorade, Bier und Brandy serviert. An der Tanke bekam ich ohne Schwierigkeiten Benzin. Hassparolen sind mir nicht aufgefallen. Das einzige Ungemach, das mir in drei Tagen widerfuhr, war ein zarter Sonnenbrand.
Glück gehabt, nicht wahr? Aber man soll das Schicksal nicht herausfordern. Vielleicht radle ich beim nächsten Spring Break denn doch lieber mit einer Bund-Gruppe zum Krötenzaun und zu sicherlich sehr schmucken Windrädern. Auf derlei Ausflügen soll es manchmal irre komisch zugehen. Noch irrer als am Ballermann.