Ulli Kulke / 10.12.2015 / 20:24 / 1 / Seite ausdrucken

Rechtspopulisten – ab in die Anstalt, alle!

Ein innerredaktioneller Disput über die Pathologisierung von Rechtspopulisten bis hin zur CSU

Im Berliner Tagesspiegel ist offenbar ein Scharmützel entbrannt zum Thema “Rechtspopulismus” und wie gehen wir damit um. Er wurde öffentlich im Blatt ausgetragen, Kommentar und Gegenkommentar. Ohne dass es als solches kenntlich gemacht wurde, darauf wollte man offenbar verzichten. Da es den derzeitigen Diskurs angeht, der schließlich auch ins Flüchtlings-Thema und in die Neusortierung der Politik hierzulande hineinragt, und dafür auch sehr bezeichnend ist, stelle ich anheim, einmal hineinzuschauen.

Angefangen hat es mit einer Kolumne von Helmut Schümann in der Mittwochausgabe auf der Titelseite. Ein Kollege, der in den letzten Monaten schon häufiger Gift und Galle austeilte gegenüber jenen Populisten, wobei nach meiner Beobachtung nicht nur sein Differenzierungsvermögen sondern auch der Schreibstil nachhaltig unter die Räder geriet. Seine Kolumne, in der er jetzt nicht nur Politiker der AfD als Psychopathologen hinstellte (“Man muss sich Frauke Petry als verbitterten Menschen vorstellen. Man muss sich die Vorsitzende der AfD nicht nur ein bisschen verbittert vorstellen, sondern total verbittert”), auch viele der CSU, und insbesondere auch alle, die sich von ihnen angezogen fühlen (geplagt von “Unzufriedenheit über das eigene Schicksal, das Gehalt, und überhaupt, ist doch alles Scheiße dieses Leben”). Das ganze begründet er dann so: “Das ist jetzt keine miese Polemik, auch keine Verleumdung besorgter Mitmenschen. Das ist Wissenschaft, Ergebnis einer Studie des Leibniz-Institutes in München und der Helmut- Schmidt-Universität in Hamburg”.

Ja dann… Natürlich ist das verkürzt widergegeben, hier ist die ganze Kolumne zu lesen.

Meine Sorge: Machen wir Journalisten nur so weiter. Wir werden erleben, dass diejenigen, die keine politische Heimat mehr in der Mitte-losen Parteienlandschaft sehen, tatsächlich verbittert oder noch verbitterter werden. Nicht verbittert über das eigene Leben, wie der Autor annimmt, sondern über die politische Klasse (um den abgedroschenen Begriff doch noch mal zu gebrauchen), die heute fast ausschließlich links von der Mitte anzusiedeln ist, jedenfalls der Teil jener Klasse, der sich routiniert und gut geschult lautstark gibt. Es geht ja nicht nur um Flüchtlinge, es geht um die insgesamt gewandelte Gesellschaft. Zeitgenossen wie Schümann können oder wollen nicht sehen, dass sehr vielen Menschen diese Veränderung in sehr vielen Bereichen einfach zu schnell geht, und ihnen alle Rettungsseile, die sie persönlich suchen, als “pfui” vor der Nase weggeschnitten werden. Durchmarsch ist angesagt, ohne Rücksicht auf Verluste.

Hier wird ein Spaltpilz in die Gesellschaft gelegt, der mir Angst macht. Hass wird gesät. Antifa goes Mainstream. Was kommt als nächstes?

So, und jetzt kommt das hoffnungsvolle – vorläufige – Ende dieser Geschichte: Ein Kommentar in der heutigen Donnerstags-Ausgabe eben jenes Tagesspiegel, von Malte Lehming, Chef der Meinungsseite, der nur als Replik auf die Kolumne in der Mittwoch-Ausgabe zu verstehen sein kann, weil er keinen Bezug zum Tagesgeschehen hat: “Sie sind verrückt und verwirrt, frustriert und griesgrämig, Pack und Mob, Rassisten und geistige Brandstifter. Keine Keule scheint derzeit zu schwer, um sie nicht mit leichter Hand – begleitet von Kraftausdrücken aus dem Vokabular aufrechter Antifaschisten – auf jeden niedergehen zu lassen, der sich dem Willkommenskulturchor verweigert. Ob Polen, Ungarn oder Dänen, Sympathisanten von SVP, AfD oder Le Pen, Donaldisten in Amerika (Anhänger von Donald Trump) oder Christsoziale in Bayern: Sie alle trifft, ohne Einzelfallprüfung, dasselbe Verdikt. Oder sie werden psychopathologisiert, alles Fälle für die Anstalt.” Auch hier der ganze Kommentar zum Nachlesen, er schließt, völlig korrekt, mit den Worten: “Hetze sollte man Hetzern überlassen. Sonst hetzen am Ende alle.”

Ich bin ein wenig versöhnt.

Aber noch etwas: Auch wenn, wie Schümann geltend machte, er kürzlich auf der Straße hinterrücks einen politisch motivierten heftigen Schlag erhalten hat, sollte er sich davon nicht lenken lassen: Die Überschrift über seiner Kolumne hieß: “Verbitterung ist ein schlechter Ratgeber”.

So, und jetzt könnte es sein, dass es mir manch einer übelnimmt, wenn ich nach dem milden Ton hier noch einen kleinen Seitenhieb loswerden will. Da doch in jener Kolumne von Schümann behauptet wird, dass alle, die beim Thema Flüchtlingspolitik Bedenken anmelden, dies aus Verbitterung und Neid tun, hier noch ein Hinweis auf einen Beitrag ebenfalls im heutigen Tagesspiegel, in dem es um die wachsende Macht arabischer Großfamilien in Berlin geht. Justizsenator Heilmann hat eine besorgniserregende Studie zum Thema vorgestellt (“Klima der Angst in Berlin”). Der Betrag schließt mit dem Satz: “Am dringendsten sei allerdings, zu verhindern, dass sich aufgrund der vielen Flüchtlinge, die im Moment nach Berlin kommen, weitere parallele Strukturen bilden.”

Ist Justizsenator Heilmann jetzt auch verbittert (“Unzufriedenheit über das eigene Schicksal, das Gehalt, und überhaupt, ist doch alles Scheiße dieses Leben”)?

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Olaf Rose / 10.12.2015

Laut meedia hat der Tagesspiegel bis auf Weiteres alle freien Mitarbeiter freigestellt. Das bedeutet noch mehr Arbeit für alle Festangestellten, für das gleiche Geld natürlich. Kann es sein, dass uns der gute Helmut Schümann in seinem Aufsatz unbewusst und ungewollt einen Einblick in seine eigenen, projektiven Mechanismen gibt? Beim Geld hört schließlich der Spaß auf, zumindest für den Kleinbürger.

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