Stephan Kloss, Gastautor / 07.06.2021 / 15:00 / Foto: Pixabay / 36 / Seite ausdrucken

Rechtsbeugung eines Familienrichters?

Wieder muss eine Staatsanwaltschaft Anzeigen gegen einen Familienrichter prüfen, dem Rechtsbeugung vorgeworfen wird. Diesmal in Leipzig. Doch in diesem Fall trifft es keinen Richter, der für eine Mutter und gegen staatliche Maßnahmen entschied, sondern einen, der eine für ihre Kinder klagende Mutter offenbar mit hohen Gebühren bestrafen wollte. Umstritten ist die Kostenentscheidung allemal. Interessant wird auch sein, wie sich die Rechtsbeugungs-Ermittlungen in den beiden Fällen unterscheiden.

Ein Beschluss durch einen Familienrichter am Leipziger Amtsgericht – einen promovierten Juristen – gegen eine alleinerziehende Mutter aus Leipzig hat bundesweit hohe Wellen geschlagen. Die Frau hatte versucht, ihre Kinder mit Hilfe des Gerichts von der Maskenpflicht zu befreien. Der Amtsrichter lehnte ihr Ansinnen aber nicht nur ab, sondern schien die Frau auch dafür bestrafen zu wollen, dass sie mittels Familiengericht die Corona-Regeln für ihre Kinder aufzuweichen gedachte. Unter dem Aktenzeichen Az. 335 F 1187/21 erging am 15. April 2021 ein Beschluss des zuständigen Familienrichters am Amtsgericht Leipzig, der für die alleinerziehende Mutter eine Katastrophe ist. Reitschuster.de berichtete seinerzeit:

„Das Gericht setzte den Gegenstandswert für die „Anregung“ der Mutter auf 250.000 Euro fest. Das bedeutet: Sie muss 6.951 Euro Gerichtskosten zahlen.

Die abenteuerlichen Berechnungsmethoden des Richters sollte man sich genau durchlesen, sonst glaubt man es wirklich nicht:

An den beiden Schulen, in welche die Kinder der alleinerziehenden Mutter gehen, sind insgesamt 1.030 Schüler. Für jeden Schüler nahm das Gericht den sogenannten Regelstreitwert von 4.000 Euro an und ermittelte durch Multiplikation einen Gesamtwert von 4.120.000 Euro (in Worten: viermillioneneinhundertzwanzigtausend), den es großzügig auf 2.060.000 Euro halbierte. Das wären dann weitere 30.711 Euro Gerichtskosten für die Mutter. Die haarsträubenden Berechnungen kann jeder im beigefügten Beschluss nachlesen.

Einen Tag später, am 16. April 2021, fiel dem Gericht offenbar plötzlich ein, dass es mit seinen utopischen Berechnungsergebnissen zu weit gegangen sein könnte. Denn das deutsche Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG) sieht Obergrenzen des Gegenstandswertes vor, wobei der Verfahrenswert unter Berücksichtigung des Einzelfalls wie auch der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beteiligten nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. Inwieweit das Gericht hier Ermessen ausgeübt haben will, bleibt unklar. Analog zu russischen Gerichten, wo Haftstrafen für Oppositionelle mal schnell ein paar Jahre rauf- oder runtergehen können und niemand so recht weiß, wie solche „Schwankungen“ zustande kommen, änderte der Leipziger Familienrichter den Gegenstandswert von 4.120.000 Euro auf „nur noch“ 500.000 Euro. Das bedeutet aber immer noch 11.703 Euro zu zahlende Gerichtskosten für die alleinerziehende Mutter. Diese kommen zu den 6.951 Euro aus der abgelehnten Anregung hinzu."

Die Leipzigerin hat jetzt Gerichtskosten in Höhe von 18.654 Euro am Hals. Gegen den exorbitanten Beschluss war Beschwerde durch die anwaltliche Vertretung eingelegt worden. Zwischenzeitlich entfaltete sich eine Spenden- und Solidaritätskampagne für die Alleinerziehende. Es kam innerhalb weniger Tage weit mehr zusammen als der von Gericht beschlossene Betrag. Weltweit trafen Spenden ein.

Für den Familienrichter gibt es nun Ärger. Die Staatsanwaltschaft Leipzig bestätigte auf Anfrage, dass gegen den Juristen Strafanzeige erstattet worden sei. Schriftlich teilte ein Sprecher der Strafverfolgungsbehörde mit:

„Der Staatsanwaltschaft Leipzig liegen im Zusammenhang mit zwei Beschlüssen des Amtsgerichts Leipzig -Familiengericht- vom 15.04.2021 und 16.04.2021 mehrere Strafanzeigen aus dem gesamten Bundesgebiet vor. Mit diesen wird dem verantwortlichen Familienrichter gegenüber der Tatvorwurf der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB erhoben“.

Staatsanwaltschaft beantragt Akteneinsicht beim Familiengericht

Wie bei derartigen Anzeigen üblich, würden nun zur Prüfung der Anzeigen die entsprechenden Akten beim Amtsgericht Leipzig angefordert, so der Sprecher. Wann und mit welchem Ergebnis die Prüfungen der Staatsanwaltschaft Leipzig abgeschlossen sein würden, das könne man nicht sagen.

Ursprünglicher Auslöser des gesamten Vorgangs ist der 172-seitige Beschluss des Familienrichters Christian Dettmar am Amtsgericht Weimar. Der hatte im einstweiligen Rechtsschutz angeordnet, dass zwei Kinder an ihren Schulen u.a. keine Masken mehr tragen müssen. Antragsteller waren die Eltern, die ihren formlosen Antrag in den Briefkasten des Amtsgerichts geworfen hatten. Sie hatten das Gericht angeregt nach § 1666 BGB zu prüfen, ob, u.a. bezogen auf das verordnete Maskentragen, eine Kindeswohlgefährdung durch Dritte vorliegt. Richter Dettmar holte mehrere Gutachten ein, also er setzte sich mit dem Verfahrensgegenstand inhaltlich auseinander, und verfasste den Beschluss. Dieser machte bundesweit vielen Eltern Hoffnung. Das Thüringer Oberlandesgericht hob das Weimarer Urteil jedoch auf.

Außerdem wurden auf Anweisung der Thüringer Staatsanwaltschaft die Wohnung, das Auto und das Büro des Weimarer Richters durchsucht sowie sein Handy beschlagnahmt. Ein ähnlicher Beschluss gegen das Tragen von Masken in der Schule erging am Amtsgericht Weilheim.

Dort stellte das Familiengericht im Geltungsbereich der Anordnung noch einmal fest:

„Es muss jedoch allen, die den Beschluss und insbesondere die Ausführungen des Sachverständigen … kennen, klar sein, dass jeder, der ein Kind entgegen dessen Willen über einen längeren Zeitraum zwingt, eine Maske zu tragen, eine Gefährdung dessen Wohls verursacht und damit ohne rechtfertigenden Grund in dessen Rechte eingreift“.

Auch die Richterin am Familiengericht Weilheim geriet danach unter Druck. Siehe hier und hier.

Ermutigt vom Weimarer Beschluss regte die Leipziger alleinerziehende Mutter das Familiengericht an, gemäß § 1666 BGB tätig zu werden. Was daraus wurde, ist am Anfang dieses Artikels ausgeführt.

Nun hat der Vorgang eine neue Dimension erreicht. Inzwischen haben höhere Gerichte das Vorgehen des Weimarer Richters indirekt bestätigt. Das Oberlandesgericht Karlsruhe in Baden-Württemberg stellte fest, dass das zuständige Familiengericht bei einer Anregung gem. § 1666 BGB verpflichtet ist, nach pflichtgemäßem Ermessen Vorermittlungen einzuleiten. Achgut berichtete.

Genauso sieht es das Oberlandesgericht Bamberg in Bayern. Es hob einen Beschluss des Familiengerichtes Bad Kissingen auf, das den Vorgang an das Verwaltungsgericht Würzburg verwiesen hatte. Die Richter schickten das Verfahren nach Bad Kissingen zurück und schrieben dem dortigen Familiengericht ins Stammbuch, dass es sehr wohl tätig werden müsse gemäß § 1666 BGB.

Zuvor hatte es in Verbindung mit dem Weilheimer Urteil von den bayerischen Behörden noch geheißen, dass für eine rechtliche Überprüfung nicht Amtsgerichte zuständig seien, sondern die Verwaltungsgerichte.

Solche Kostenentscheidungen sind anderswo „entbehrlich“

Hier kommen wir zum Knackpunkt der hochumstrittenen Leipziger Entscheidung. Das OLG Bamberg hielt eine Kostenentscheidung für „entbehrlich“ (nach Keidel/ Sternal a.a.O. § 24 Rn 10), das OLG Karlsruhe ebenso, auch das VG Würzburg sah von einer „Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung ab“, das Gericht in Weilheim verweist bei seiner der Kostenentscheidung auf § 81 FamFG und auch der Weimarer Richter legt § 81 FamFG fest.

Was für ein Unterschied zu der Kalkulation des Leipziger Familienrichters in seinem Beschluss.

Der Raum für Interpretationen ist nicht groß. Zahlreiche Juristen sehen in der Festsetzung des hohen Verfahrenswertes ein scharfes Warnsignal an Familien, sich auf keinen Fall an das Gericht zu wenden. Man könnte es auch Abschreckung nennen.

Das Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwalte kommt in einer Betrachtung zu dem Schluss:

„Eine andere Erklärung, als dass hierdurch etwaige weitere Anreger „abgeschreckt“ werden sollten, ist jedenfalls prima facie nicht erkennbar. Das „abschreckende“ Vorgehen in kostenrechtlicher Hinsicht wirft jedoch Fragen auf“.

Nachzulesen hier.

Gehört die „Abschreckung“ von Antragstellern zu den originären Aufgaben eines Familiengerichtes? Wohl kaum.

Nun geht der Streit, ob Eltern gemäß § 1666 BGB eine Prüfung wegen Kindeswohlgefährdung durch Dritte bei einem Familiengericht anregen können und ob dieses Gericht auch zuständig ist, wahrscheinlich in die nächsthöhere juristische Ebene. Die Oberlandesgerichte Karlsruhe und Bamberg sagen ja, das OLG Thüringen sagt nein. Eine endgültige Klärung kann nur vor dem Bundesgerichtshof erfolgen.

 

Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt in Leipzig und studiert Psychologie.

Foto: Pixabay

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Uta Buhr / 07.06.2021

Auch wenn ich schon lange weiß - also seit etwa 15 Jahren - dass Deutschland mehr und mehr zum Irrenhaus mutiert, so hat mir diese “Aktion” des Leipziger Rechtsverdrehers doch den Atem geraubt. Nun muss sich noch außerhalb des Gerichtssaals eine Bürgerinitiative darum kümmern, dass der Mutter der beiden Kinder in naher Zukunft nicht unzählige Kuckkucks auf ihre Habe geklebt werden. Das ganze erinnert fatal an die Willkür von Gerichten in Diktaturen. Zwei davon hat dieses Volk ja bereits genießen dürfen. Mich beschleicht das Gefühl, dass wir uns schon mitten in der dritten befinden. Wahn, Wahn, nichts als Wahn…

Albert Pflüger / 07.06.2021

Wenn man jemanden anregt, sich mit etwas zu befassen, dann übernimmt man doch üblicherweise keine Verantwortung für die dadurch entstehenden Kosten. Eine Anregung ist kein Auftrag, schließlich steht es dem Empfänger frei, ihr zu folgen, oder auch nicht. Wenn ich jemanden anrege, einen Führerschein zu machen, muß ich nicht die Fahrschule bezahlen. Der Vorgang ist seltsam, oder haben Juristen hier einen anderen Sprachgebrauch?

Sepp Kneip / 07.06.2021

Ein Staat kann nur funktionieren, wenn er eine intakte Justiz hat. Und das hat der deutsche Staat schon lange nicht mehr. Zwar mögen einige lokaleGerichte noch mit Richtern besetzt sein, die Recht und Gesetz achten. Deren Urteile werden dann fast regelmäßig von übergeordneten Gerichten kassiert. Leider ist das Bundesverfassungsgericht in einer Weise gleichgeschaltet, wie es das seit dem Dritten Reich nicht mehr gegeben hat. Es bewahrheitet sich, was Benedikt XVI im Bundestag in Anlehnung an den heiligen Augustinus gesagt hat: Wenn der Staat Recht und Gesetze missachtet, was ist er dann noch anderes als eine Räuberbande. Er hat wohl geahnt, was uns bevorsteht. Es war wohl Zuviel der Wahrheit, er ict gegangen (worden). Der Zerfall ist nicht mehr aufzuhalten. Auf den Trümmern errichten die milliardenschweren und globalistischen „Eliten“ ihren totalitären Weltstaat. Merkel hat den Auftrag, den sie von diese Eliten gegen die Interessen ihrer Bürger bravourös erfüllt. Zum Dank wurde ihre Partei in Sachsen-Anhalt wieder stärkste Kraft. Wie heißt es do schön: Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

Sebastian Weber / 07.06.2021

Der promovierte (wirklich?) Leipziger Familienrichter will wohl noch Karriere in einer „Gutmenschen-Partei“ machen; das Urteil bzw. die Kostenentscheidung sollte dies vermutlich beschleunigen.

christoph ernst / 07.06.2021

Vielen Dank für diesen Bericht. Das sind juristische Verhältnisse (wie) in einer Gesinnungsdikatatur. Bitte bleiben Sie am Ball und halten uns auf dem Laufenden.

Anneliese Bendit / 07.06.2021

Tränenreich!

H. Nietzsche / 07.06.2021

Da wollte es ein eifriger Willkürling mit vorauseilendem Gehorsam besonders weit treiben. In Erwartung der Streicheleinheiten durch den Chef dieses Gerichtes, der sich als Vollstrecker der Corona-“Empfehlungen” von Partei und Regierung begreift. Und natürlich “der Wissenschaft”.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Stephan Kloss, Gastautor / 27.11.2024 / 12:00 / 33

Sachsen: Stadtrat stoppt Bau von Monsterwindrädern

In Brandis, in der Nähe von Leipzig sollten mit einer Höhe von 290 Metern Deutschlands größte Windräder gebaut werden. Doch der Protest der Bürger war…/ mehr

Stephan Kloss, Gastautor / 02.10.2024 / 06:00 / 69

Verweigert Sachsens CDU-Basis den Wagenknecht-Kurs?

Ministerpräsident Michael Kretschmer würde sich von Wagenknecht und Genossen gern in die nächste Amtszeit wählen lassen, doch Sachsens CDU-Basis könnte ihm die Gefolgschaft verweigern. Glaubte man…/ mehr

Stephan Kloss, Gastautor / 20.08.2024 / 06:00 / 131

Sächsische Lehrer kapitulieren vor Gewalt migrantischer Schüler

Auch in Sachsen fordern Schulleiter jetzt mehr Polizeipräsenz im Umfeld ihrer Schulen, denn Gewalt und Übergriffe durch Schüler mit einschlägigem Migrationshintergrund haben alarmierende Ausmaße angenommen.…/ mehr

Stephan Kloss, Gastautor / 11.06.2024 / 10:00 / 11

Aufwind für Windkraftgegner?

Haben die Brandiser Bürger mit ihrem Votum bei der Kommunalwahl die Monsterwindrad-Pläne zu Fall gebracht? Auch andere Windrad-Pläne in Sachsen dürften es nach den aktuellen…/ mehr

Stephan Kloss, Gastautor / 06.05.2024 / 06:00 / 57

Aufruhr wegen Monsterwindrädern in Sachsen

In der Nähe von Leipzig sollen mit einer Höhe von 290 Metern Deutschlands größte Windräder gebaut werden. Der grüne Energiewende-Traum ist für Anwohner und Landschaft…/ mehr

Stephan Kloss, Gastautor / 26.03.2024 / 10:00 / 38

Brandmauer-Löcher in Dresden

Im Dresdner Stadtrat stimmten CDU, FDP und Freie Wähler in einer demokratischen Abstimmung für einen Antrag der AfD-Fraktion. Es ging um die sofortige Einführung der…/ mehr

Stephan Kloss, Gastautor / 03.01.2024 / 06:00 / 166

Sachsen: Verfassungsschutz will AfD-Gutachten geheimhalten

Im Dezember platzte eine brisante Meldung in die Vorweihnachtszeit: Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen stufte den AfD-Landesverband Sachsen als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein. In…/ mehr

Stephan Kloss, Gastautor / 29.11.2023 / 12:30 / 46

Sachsens CDU: AfD-Plagiate als letzter Ausweg?

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer würde gern im Amt bleiben, doch die meisten Sachsen wollen ihn im nächsten Jahr nicht wählen. Was tun? Vielleicht die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com