Herbert Ammon, Gastautor / 25.04.2020 / 16:00 / Foto: Pixabay / 10 / Seite ausdrucken

Rechte Gewalt: Zwischen Wahnsinn und Ideologie

Von Herbert Ammon.

Die erste Information über das von einem Amoktäter angerichtete Massaker in Nova Scotia erhielt ich am Vormittag des 20.4.2020 durch NPR Berlin. Der Reporter kommentierte die Nachricht von der Irrsinnstat: Derartige Geschehnisse seien für ein Land wie Kanada eigentlich ungewöhnlich. Das ist nicht falsch, es hat – vor dem Hintergrund der von weniger Gewaltsamkeit geprägten kanadischen Geschichte – mit den im Vergleich zu den USA strengeren Waffengesetzen des Landes zu tun. Über die Motive des Mordschützen zu spekulieren, ist hier nicht der Ort. Immerhin ist denkbar, dass er sich von einem im Februar dieses Jahres in Halifax, der Hauptstadt der Provinz Neuschottland, gerade noch verhinderten Anschlag inspirieren ließ, als drei Männer am Valentinstag Rache an Frauen und/oder dem Feminismus nehmen wollten.

Falls dies zutreffen sollte, läge es nahe, auch in Kanada die Tat als politisches Verbrechen zu klassifizieren, das „von rechts“, genauer: von der – gemäß dem etablierten Begriffsraster – am rechten Rand des politischen Spektrums grassierenden Hassideologie, angetrieben worden sei. In Deutschland wird derzeit „rechte“ Ideologie als Tatmotiv für drei innerhalb eines halben Jahres verübte Mordtaten genannt: für den an Zufällen gescheiterten, gleichwohl in zwei Morden gipfelnden Anschlag auf die Synagoge in Halle, den Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke sowie das Massaker an neun Menschen in Hanau.

Zwischen individueller Motivstruktur und „politischen“ Impulsen

Selbstverständlich geht es nicht darum, einen Zusammenhang zwischen ideologischen Motiven und den letztgenannten Mordaktionen grundsätzlich infrage zu stellen. Unzweifelhaft ist dieser Zusammenhang bei dem Mord an dem CDU-Politiker Lübcke. Der Täter bewegte sich unmittelbar – und nicht nur im Internet – in neonazistischen, rechtsextremistischen Kreisen. Jeweils anders liegen die beiden anderen Fälle. Stephan B., der demnächst in Halle vor Gericht stehen wird, bekannte sich zu seiner antisemitischen Weltsicht und äußerte sein „Bedauern“ darüber, dass er aus Versehen auch einen „echten“ Deutschen erschossen habe. Ohne Frage ist auch dieser Mann von rechtsextremen Denk- und Gefühlsmustern beseelt. Eine lebenslängliche Strafe für seine verbrecherische Tat (und die angestrebte Mordtat) ist ihm sicher.

Nichtsdestoweniger gilt festzuhalten, dass er als – offenbar menschlich völlig isolierter – Einzeltäter handelte, dessen einziger Kontakt zur Außenwelt über das Internet stattfand, wo er mit Gesinnungsgenossen im globalen Idiom eines „broken English“ seine Hassvorstellungen befestigte. Dass der Mann bei seinem Mordunternehmen mit selbstgebastelten Waffen und einem Videoset auf dem Kopf agierte und aller Welt – und insbesondere seiner Internet-Community – seine Heldenrolle vorführen wollte, kennzeichnet ihn als Psychopathen (was vor Gericht gleichwohl nicht als hinreichender Grund für eine Schuldunfähigkeit anerkannt werden dürfte). Eindeutig ist der Fall bei dem Killer von Hanau: der Mann litt unter Wahnvorstellungen, die er bereits Monate vor seiner – nunmehr an Migranten verübten – Mordaktion öffentlich zum Vorschein brachte (zum Vergleich: siehe hier)

Gilt es bei bei der Einordnung der drei genannten Verbrechen zu differenzieren, so handelt es sich bei deren Einordnung in die Kategorie „anwachsender Rechtsextremismus“ um ein reduktionistisches Verfahren. Der Zusammenhang zwischen individueller Motivstruktur und „politischen“ Impulsen von außen, von subjektivem Wahn und gesellschaftlich grassierenden Ideologien ist keineswegs so einfach zu ergründen, wie es in der publizistischen Aufbereitung – und schlimmer noch: in der politischen Zwecknutzung – der entsetzlichen Geschehnisse kontinuierlich geschieht. Schon gar nicht wird in derlei tagespolitisch aufgeladenen Simplifikationen die Frage nach der condition humaine und dem im Wahn verwurzelten „Bösen“ gestellt.

Dieser Beitrag erschien zuerst beim GlobKult-Magazin.

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Leserpost

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Martin Lederer / 25.04.2020

@Sebastian Weber / 25.04.2020 Das stimmt. Die Stille ist ohrenbetäubend. Es dringt auch nichts durch.

Martin Lederer / 25.04.2020

1.) Natürlich sind alle politische Akteure politische Akteure. Sie benutzen ALLES für ihre jeweiligen Zwecke. Das macht jeder “Player” am politischen Spiel so. Und natürlich biegen alle die Wahrheit so hin, wie sie es brauchen. Auch hier machen es alle so. 2.) Als einzelner Mensch muss man Risikoabschätzung betreiben. Was ist wie sicher. Was nicht. Ähnlich wie man in verschiedenen Weltgegenden bestimmte Viertel eher meidet. Oder zu bestimmten Uhrzeiten nicht mehr raus geht. Wobei das jeder nach eigenem Gefühl macht. 3.) Ist einmal eine herrschende Klasse (ganz egal welche) am Ruder und macht sie nicht dauernd alles falsch, wird die eher unpolitische breite Masse ihr folgen.

Klaus Reichert / 25.04.2020

Man sollte auch deutlicher unterscheiden zwischen rechten Parteien wie der AfD, Vertretern der neuen Rechten wie Kubitschek oder den Identitären auf der einen und Neonazis oder ähnlich gesinnten Extremisten auf der anderen Seite. Die demokratische Rechte ist gewaltfrei und macht keine Anstalten, unsere Verfassung zu gefährden, oder auch nur unsere Gesetze zu missachten. Irgendwelche vormodernen gesellschaftlichen Ideale und die Diskussionen über gesellschaftliche Einflussnahme national gesinnter Kräfte regen niemanden zu Gewalttaten an oder gefährden die Demokratie. Sowas glaubt doch ausser Herrn Haldenwang keiner ernsthaft.

Tobias Meier / 25.04.2020

Man sollte anfügen, dass bei islamistisch motivierten Straftaten nicht oft und deutlich genug darauf hingewiesen werden kann, dass der/die Täter isoliert als Einzelperson oder Grupoe handelte(n) und ihr Verbrechen keinesfalls etwas mit dem Islam an sich zu tun hat. Bei linksextrem motivierten Taten wird der Hintergrund oft entweder gar nicht vermeldet oder aber das Verbrechen an sich verharmlost. All diese Verbrechen, egal ob von (vermeintlichen) Islamisten, Rechts- oder Linksextremen verübt, sind gleichermaßen abartig und grausam und aufs Schärfste zu verurteilen. Es stößt bitter auf, dass dies nur bei (vermeintlich) rechtsradikal motivierten Taten geschieht.

Frank Volkmar / 25.04.2020

“...kennzeichnet ihn als Psychopathen (was vor Gericht gleichwohl nicht als hinreichender Grund für eine Schuldunfähigkeit anerkannt werden dürfte). Eindeutig ist der Fall bei dem Killer von Hanau: der Mann litt unter Wahnvorstellungen, die er bereits Monate vor seiner – nunmehr an Migranten verübten – Mordaktion öffentlich zum Vorschein brachte” Wobei dies in der veröffentlichten Meinung nicht so dargestellt wird. Dort sind es rechtsextreme Täter die in einen Teil der Gesellschaft (der Mitte) eingebettet sind.  Das lese ich auch aus den Berichten, Artikeln, Meinungen heraus, die diese Täter und ihre Taten begleitet haben. Auch hier könnte man wieder Parallelen zur Corona-Krise ziehen, bei der man das Problem hat einen Virus als das zu benennen, was es ist und sein Heil in der Behandlung der ganzen Gesellschaft sieht, dann über Zwangsimpfungen. Das man die Mitte der Gesellschaft als verdächtig ansieht, dürfte nicht nur mir aufgefallen sein.

Dirk Jungnickel / 25.04.2020

Es wird immer wieder damit argumentiert, dass niemand als Verbrecher geboren wird. Möglicherweise werden dabei aber die genetischen Dispositionen vernachlässigt. Die Charakterbildung dürfte aus einem komplizierten Puzzle aus Veranlagung und Umwelteinflüssen resultieren.  Daraus folgt wiederum die Frage nach der Schuldfähigkeit und die nach der Grenze zur psychopathologischen Ursache für Verbrechen. Wenn H. Ammon kritisch auf “tagespolitisch aufgeladene Simplifikationen” hinweist, dann hat er selbstverständlich recht. Wobei wir gerade jetzt wieder die Instrumentalisierung komplexer Vorgänge erleben. Schuldzuweisungen sind immer gefragt, s. a. AfD oder der Gottseibeiuns Trump, der es manchmal allerdings selbst darauf anzulegen scheint.

Ralf Pöhling / 25.04.2020

Wir erleben im Zusammenhang mit Amoktaten das, was Politik immer tut: Sie instrumentalisiert diese Taten für ihre eigenen Zwecke. In Diktaturen sagt der Diktator klar und deutlich, wohin der Weg geht. In Demokratien muss man das Volk in die richtige Richtung ködern, damit es die “richtigen” Parteien wählt. Die mittlerweile eingerissene Dauerklassifizierung von Amoktaten zu rechten Attentaten (auch wenn es dafür keinen wissenschaftlichen Beweis gibt), muss man in gleichem Lichte sehen, wie die unsägliche Tendenz alles und jeden in der Gesellschaft in Zusammenhang mit dem angeblich menschgemachten Klimawandel zu bringen. Parteien haben ein eng begrenztes Basisprogramm und eine bestimmte Wählerklientel, die es maximal zu mobilisieren gilt. Deshalb wird bei Ereignissen großer Tragweite und Aufmerksamkeit sofort das eigene politische Raster übergeworfen und das Ereignis in den für das eigene Parteiprogramm passenden Kontext gesetzt. Das ist ein Systemfehler, der seinen Ursprung im Parteiensystem findet. Die angebliche Zunahme und gesellschaftliche Dominanz rechter Gewalt in unserer Gesellschaft, ist ein parteipolitischer Propagandatrick. Bei genauer Betrachtung bleibt davon nichts über. Im Gegenteil: In unseren Gefängnissen sitzen zuvorderst Migranten. Und dort sitzen sie nicht ohne Grund. Und dieser Grund ist mitnichten “Rassismus”, sondern die mangelnde Bereitschaft von Zuwanderern, sich an unsere Gesetze zu halten. Wir haben tausende Migranten wegen Gewaltkriminalität, Mord und Terrorismus in deutschen Gefängnissen sitzen. Dagegen sind drei Amoktäter, deren rechter Hintergrund bei genauer Betrachtung zumindest fragwürdig erscheint, ein einziges CO² Molekül in der gesamten Atmosphäre. Dennoch wird aus diesen drei Tätern ein medialer und parteipolitischer Popanz gezaubert, der die tausenden Gewalttäter mit Migrationshintergrund aus der öffentlichen Wahrnehmung vollkommen verdrängt. Wessen Interessen die Altparteien wirklich vertreten, ist offensichtlich.

Gudrun Meyer / 25.04.2020

Schon der Lübcke-Mörder hat als einzelner gehandelt und stand vermutlich unter Internet-Einfluss, aber trotzdem könnte der Fall zum klassischen Rechtsterrorismus gehören (Umfeld rechte Szene, Vorstrafen teils wegen rechter Gewalt, teils wegen unpolitischer Kriminalität, beides typisch für rechte Szenisten). Der zweibeinige Kampfhund von Halle fügt sich nicht in ein “klassisches” Schema ein, folgte aber ebenfalls einer rechtsextremen Ideologie. Der Hanauer Massenmörder soll dagegen laut BKA nicht rechtsextrem gewesen sein, jedenfalls nicht in psychisch symptomfreien Zeiten, sondern aus Verfolgungswahn gehandelt haben, wobei Echos von rechtsextremen Internet-Seiten in einen viel umfassenderen Wahn hineinspielten. Vielleicht ist Stephan Balliet der typischste, rechtsextreme Gegenwartsmörder. Die Gamer-Szene als Lieferantin einer enthemmten Aggressivität und rechtsextremer Ideologien wurde unmittelbar nach dem Anschlag erwähnt, später kaum noch. Ob der kanadische Mörder seine Zeit ebenfalls hauptsächlich mit diesen Seiten verbracht hat, wissen wir noch nicht. Auch deshalb ist es falsch, ein Ansteigen rechter Morde zu konstatieren. Es ist möglich, dass dieser Anstieg tatsächlich vorliegt, aber die drei Fälle aus D belegen ihn nicht.

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