Ein gewichtiger Teil der deutschen Musikerszene lässt sich gerade bereitwillig in die Impfkampagne der Bundesregierung einspannen.
Von Ulrike Stockmann und Felix Perrefort.
Die Deutschen kennen mal wieder keine Parteien mehr. Sondern nur noch Geimpfte und Ungeimpfte. Wenn Merkels Starvirologe Christian Drosten auf Twitter ein Statement teilt, in dem Jan Delay verkündet, wie die Band Die Ärzte ihm aus der Seele spricht, zeigt sich, was in Deutschland unter Öffentlichkeit zu verstehen ist. Nämlich sich gegenseitig und bauchgefühlig über ein Gemisch aus Lüge, Schönfärberei und Illusion hinwegzutäuschen, das sich politischer Zeitgeist nennt – und der verlangt gerade eben nach der Spritze für alle.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Mehr als die mittlerweile berühmt-berüchtigte #allesdichtmachen-Kampagne von Jan Josef Liefers und Dietrich Brüggemann nebst zivilem Ungehorsam vonseiten Nenas und Helge Schneiders kann die deutsche Kulturszene an öffentlichem Protest bislang nicht vorweisen. Nun wird es noch eine Spur absurder: Aktuell werben einige Künstler und Festivals unter dem Hashtag #impfenschuetzt dafür, sich impfen zu lassen, denn das sei, so wird apodiktisch verkündet, der einzige Ausweg aus der Pandemie. Auf der Homepage der Band Die Ärzte liest sich das so:
„Auch deshalb haben wir als Band uns entschieden, uns impfen zu lassen – ein kurzer Stich in den Oberarm, um die Wahrscheinlichkeit von 'Long Covid' oder dem qualvollen Tod durch Ersticken massiv zu verringern. Und als Bonus sind Geimpfte nach derzeitigen Erkenntnissen auch deutlich weniger ansteckend; wir tun also gleichzeitig auch etwas Gutes für die Menschen, denen wir begegnen.
Wir würden Euch gerne bitten, unserem Beispiel zu folgen. Ihr habt damit auch die Zukunft der Kultur in der Hand (bzw. im Arm). Ein kleiner Schritt für jeden von uns, ein großer Schritt für die Gesellschaft – damit es nicht mehr so lange dauert, bis auch wieder Konzerte, Club- und Theaterbesuche unter normalen Bedingungen möglich sind. Damit wir uns endlich wieder entspannt umarmen und miteinander feiern können.
Damit das Leben weitergeht.“
Es ist halt Pandemie, nicht wahr? Dass der Staat uns da einschränkt, ist ganz vernünftig und alternativlos. Wer will schon auf der Intensivstation landen? In dieser Weise ticken wohl heutige Größen des Musikbusiness, die für's Impfen werben: Deichkind, die Toten Hosen, Element of Crime, BAP, Silbermond, Howard Carpendale, Sarah Connor, Jan Delay, Mia, die Einstürzenden Neubauten oder Peter Maffay. Kreuzbrav macht man sich zu Maskottchen einer Politik, die auch sie vollkommen willkürlich unterdrückt. Besonders schmerzlich erscheint dies bei den Ärzten, von denen die Autoren dieses Textes die naive Vorstellung hatten, dass sie ein bisschen hellere Kerzen auf der Torte sein würden.
Sind sie nicht niedlich?
Umarmen sich die Mitglieder der Band seit eineinhalb Jahren nur noch mit schlechtem Gewissen und meinen, dass von Konzerten eine Lebensgefahr ausginge? Nein, in Wahrheit haben sie sich einfach auf das Angebot eingelassen, das das Herrschaftspersonal den um ihre Grundrechte Betrogenen macht, um diese angeblich irgendwann wiederherzustellen. „Soweit wir das verstehen, funktioniert das nur über Impfungen“, schreiben der Farin, der Bela und der Rodrigo. Sind sie nicht niedlich?
Dass wohl alle Protagonisten der Aktion #impfenschützt sich bislang gerne als Freigeister inszeniert haben und sogar Punkbands an der Initiative beteiligt sind, ist ein Treppenwitz. Von jedem der genannten Interpreten lässt sich mühelos ein Textauszug finden, in dem das hohe Lied von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gesungen wird. Stellvertretend sei hier aus dem Song „Deine Schuld“ von Die Ärzte zitiert. Das Lied stammt aus dem Jahr 2004, hätte aber mit etwas Fantasie glatt das Potenzial, ein Corona-Protest-Song zu werden:
„Hast du dich heute schon geärgert, war es heute wieder schlimm?
Hast du dich wieder gefragt, warum kein Mensch was unternimmt?
Du musst nichts akzeptieren, was dir überhaupt nicht passt
Wenn du deinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hast
Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist,
Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt
Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist,
Es wär nur deine Schuld wenn sie so bleibt.
Wenn sie so bleibt (…)
Lass uns diskutieren denn in unserm schönen Land,
Sind zumindest theoretisch alle furchtbar tolerant
Worte wollen nichts bewegen, Worte tun niemandem weh
Darum lass uns drüber reden, Diskussionen sind ok
Nein, geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrier'n
Denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen, kann nur verlier'n.
Die, die dich verarschen, die hast du selbst gewählt
Darum lass sie deine Stimme hörn, weil jede Stimme zählt“
Und so entzaubert sich gerade ein gewichtiger Teil der deutschen Künstler-Elite, Kindheitsidole fallen und auch die Vorstellung vom rebellischen Künstlertum, das nicht bei allem mitzumachen bereit ist. Liebe Ärzte, es ist nicht Eure Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, ihr helft aber gerade mit, dass sie so bleibt.