Martin Schulz erklärt den Anruf eines stadtbekannten Säufers in der Praxis von Sigmar Gabriels Lebensgefährtin zu "Telefonterror" mit Erdoganhintergrund. Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Eva Högl nennt einige zehntausend Leute, die sich an ihrem Teletubbie-Autritt während der Betroffenheitsrede Schulzens zu Barcelona gestört hatten, "Hetzer*innen". Ralf The Brain Stegner führt - liest man seine Twitteräußerungen und Retweets der letzten Zeit – vor allem Wahlkampf gegen Donald Trump ("Trump hat in seiner Amtszeit schon 1057 falsche oder irreführende Behauptungen ausgestellt"). Mangels Amtszeit reicht Stegner da nicht heran.
Ich beobachte seit 27 Jahren professionell Wahlkämpfe. Aber so eine Nichtkampagne, speziell von der SPD, habe ich bisher nicht gesehen. Die Spitzenleute der Partei haben nicht nur kein Glück, sie organisieren sich noch das Pech dazu. Sie schaffen das Kunststück, gleichzeitig hochnervös und sediert zu wirken. Vor ein paar Monaten beklagte sich Martin Schulz, die Kanzlerin gehe nicht auf seine Angriffe ein, sondern lasse sie einfach abtropfen. Nun muss ich Merkel an dieser einen Stelle ausnahmsweise verteidigen: es ist nicht ihre Aufgabe, den Wahlkampf der SPD zu organisieren. Aber mittlerweile glaube ich: wenn sie es täte, würde er besser laufen.
Es gibt nicht ein echtes Thema, mit dem die urälteste Partei Deutschlands in die Schlacht zieht. Sie könnte die Tatsache, dass es Deutschland wirtschaftlich gut geht (auch wenn das kaum an der aktuellen Politik liegt, sondern an günstigen äußeren Faktoren und Schröders vermaledeiter Agenda 2010) dreist für sich verbuchen. Stattdessen zeichnet Schulz das Bild eines elenden, bitter ungerechten Landes, und es entfällt ihm offenbar, dass seine Truppe acht der zwölf Merkel-Jahre mitregiert hat. Der Staat steigerte allein von 2015 zu 2017 seine Steuereinnahmen um mehr als 50 Milliarden Euro. Verlangt der SPD-Kandidat eine echte Steuerreform für Normalverdiener? Ach was.
"Am 24. September SPD wählen!" Warum bloß?
Die Forderung nach sicheren Grenzen sucht man bei Schulz sowieso vergebens. Dabei leiden unter der chaotischen Einwanderung in die Sozialsysteme vor allem Leute, die für die SPD eher erreichbar wären als für die CDU. Überhaupt: der Masseneinstrom Ungebildeter und Unqualifizierter gibt den Sozialstaat, der normalerweise das Herzensanliegen aller SPDler ist, dem Abriss preis. Trotzdem kommt von ihrer Seite kein Mucks. Stattdessen möchte Schulz seine vermuteten Wähler mit folgenden Punkten aufrütteln: Eine Elektroauto-Quote. Eine Zwangsquote für weibliche Unternehmensvorstände. Und dem Ruf nach Zentralismus in der Schulpolitik. Als Extra gibt es die grottigsten Plakate seit Wahlbeobachtergedenken. Verirrt sich einmal eine konkrete Aussage auf ein Schulz-Poster („Frauen verdienen 21 Prozent weniger als Männer“), dann ist sie, um mit Ralf Stegner zu sprechen, falsch und irreführend.
Die "Süddeutsche" des Wochenendes riet Martin Schulz, den "Wahlkampf nicht so ernst zu nehmen". Wie bitte? Welchen Wahlkampf?
Die Aufführung der SPD in diesem merkwürdigen Finale vor dem 24. September erinnert mich an eine Karikatur (leider weiß ich den Zeichner nicht mehr), auf der ein Trainer seine Fußballmannschaft einschwört: "Unsere Taktik ist: rausgehen, Tore kassieren, heimfahren." Auf allen normalgroßen Martin-Schulz-Plakaten, die ich in den Straßen sehe, steht außer seinem Namen und dem Parteikürzel kein Slogan, keine Aussage, nichts. Nur: "Am 24. September SPD wählen!" Warum bloß?
Dazu fällt dem Kandidaten buchstäblich nichts ein.