Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 29 / Seite ausdrucken

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen.

Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab es eine Institution, die schien den Meinungsbildnern über alle Zeitenwenden hinweg die Inkarnation des Bösen zu sein: die Tabaklobby. Rauchen war und ist ganz schlimm und muss bekämpft werden. Also zumindest das Rauchen von Tabak, denn während der vielleicht bald auf ein Verbot zusteuert, ist Cannabis bekanntlich gerade legalisiert worden.

Nun ist es mit fast allen Genussmitteln so wie mit der Medizin: Die Dosis ist entscheidend. Nur beim Genuss entscheidet jeder für sich selbst, und damit sind manche Mitmenschen zu manchen Zeiten überfordert. Das sorgt für Probleme und – je nach Genussmittel – fordern diejenigen, die dessen Genuss ohnehin nicht goutieren, gern mal das Verbot für alle, um diese Probleme final zu lösen.

Nein, hier soll jetzt nicht erörtert werden, warum auch der Genuss Menschen zuweilen gut tut, auch wenn er grundsätzlich als gesundheitsschädlich eingestuft wird und weshalb es eher um die Stärkung der Eigenverantwortung statt um Verbote gehen sollte. Was den Tabakgenuss angeht, so war der vormundschaftliche Staat an der Verbotsfront in den letzten Jahrzehnten höchst erfolgreich. In Zügen, allen öffentlichen Verkehrsmitteln, an Arbeitsplätzen, in Geschäften, in Hotels, in den meisten Gastronomiebetrieben und in so gut wie allen öffentlichen Innenräumen ist das Rauchen mittlerweile verboten. Die Tabaksteuer wurde immer wieder erhöht, und es gibt immer neue Verbotsideen. In privaten Autos, in Gegenwart von Kindern oder auch in bestimmten Außenbereichen beispielsweise. Wenn’s um’s Verbieten geht, sind viele Deutsche kreativ. Aber es geht ihnen zu langsam, und schuld daran ist – so konnte man es immer lesen – die böse Tabaklobby.

Einen ähnlich schlechten Ruf hatte neben der „Atomlobby“ in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik eigentlich nur die Rüstungsindustrie. Die Atomenergie-Erzeugung wurde von der grünen Regierung mit ihren rot-gelben Helfern – so fühlt es sich in diesem Bereich jedenfalls an – nachhaltig niedergerungen. Jetzt kann der Atomstrom nur noch importiert werden. Aber ausländischer Atomstrom ist offenbar nicht so schlimm wie heimischer Atomstrom. Aber lassen wir das, die „Atomlobby“ wurde jedenfalls besiegt. 

„Marktführer auf dem deutschen Zigarettenmarkt“

Die Rüstungsindustrie hingegen hat Glück gehabt. Dank Wladimir Putin und seinem Einmarsch in die Ukraine wurden aus meinungsführenden Kriegsdienstverweigerern und Pazifistinnen beinahe über Nacht Möchtegern-Panzergrenadiere und Liebhaberinnen von deutschen Panzern mit hübschen Tiernamen. Damit war nun auch die Rüstungsindustrie plötzlich gar nicht mehr so böse, denn wer im Krieg hilfreich sein will, muss ja irgendwo die Waffen kaufen. Schade, dass sich diese Logik im Bereich der Stromerzeugung nicht durchsetzen konnte. 

Also, wenn wir nun die einstige Triade des Bösen – also Atom-, Waffen- und Tabaklobby – vor uns haben, dann sehen wir: Die Atomlobby ist besiegt und die Waffenhersteller sind plötzlich gut. Was ist mit der Tabaklobby? Die schafft ihr Kerngeschäft einfach selbst ab und engagiert sich für das Gute. Wie geht das? Das zeigt Philip Morris Deutschland als Branchen-Primus in beeindruckender Weise. Eine Pressemitteilung des Unternehmens vom gestrigen Feiertag lässt da aufhorchen.

Sich selbst stellt Philip Morris den Nichtrauchern, die die Firma nicht kennen, zunächst so vor:

„Die 1970 in Deutschland gegründete Philip Morris GmbH ist ein Unternehmen von PMI. Mit einem Marktanteil von 37,2 Prozent im Jahr 2022 ist das Unternehmen bereits seit 1987 Marktführer auf dem deutschen Zigarettenmarkt. Das derzeitige Produktportfolio besteht hauptsächlich aus Zigaretten und rauchfreien Produkten wie Tabakerhitzern und E-Zigaretten.“

Damit dürfte es sich wohl um ein Schwergewicht in jener sagenumwobenen Tabaklobby handeln. Der Umgang mit dem traditionellen Kerngeschäft wirkt allerdings etwas irritierend:

„Philip Morris International Inc. (PMI) (…) ist ein international führendes Tabakunternehmen, das sich für eine rauchfreie Zukunft einsetzt. Seit 2008 hat PMI mehr als 12,5 Mrd. USD in die Entwicklung, wissenschaftliche Untermauerung und Markteinführung innovativer rauchfreier Produkte investiert.“

„Rechtspopulisten nicht die Deutungshoheit überlassen“

Interessante Idee: Bevor man sich – wie die „Atomlobby“ in Deutschland – das Kerngeschäft vom Staat ausschalten lässt, tut man es lieber selbst. Aber bei Philip Morris will man offenbar mehr. Man will auch – wie die Kollegen von der Rüstungsindustrie – gern zu den Guten gehören. Wie macht man das? Mit der Lieferung von Zigaretten bzw. rauchfreien Verdampfern an Frontsoldaten? Nein, so leicht will man die Gut-Werdung der Waffenhersteller nicht kopieren. Philip Morris ruft zur Europawahl:

„Die Philip Morris GmbH und die Wall GmbH starten zur Europawahl 2024 den gemeinsamen Wahlaufruf GO VOTE. In neun deutschen Städten sind von Ende April bis zum Wahltag am 9. Juni 2024 auf digitalen Screens und Plakatwänden von Wall unterschiedliche Motive und Botschaften zu sehen. Beide Unternehmen nutzen damit im diesjährigen Superwahljahr die Gelegenheit, aufmerksamkeitsstark auf zentrale demokratische Grundrechte wie Wahlfreiheit und politische Teilhabe hinzuweisen. Die Kampagne GO VOTE ruft in Deutschland Bürgerinnen und Bürger dazu auf, bei der anstehenden Europawahl von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und mit ihrer Stimme die künftige politische Ausrichtung der Europäischen Union mitzugestalten.“

Warum man den deutschen Wählern nicht auch auf Deutsch sagen kann: „Geht wählen“, ist nur eine Stilfrage. Aber ganz so neutral, wie es da klingt, kann man das natürlich nicht stehenlassen, wenn man zu den Guten gehört. 

Torsten Albig, der Geschäftsführer der Philip Morris GmbH, sagt zur Kampagne auch, die „Mitte der Gesellschaft darf Rechtspopulisten nicht die Deutungshoheit überlassen“. Wenn also dazu aufgerufen wird, „die künftige politische Ausrichtung der Europäischen Union mitzugestalten“, dann soll die bitte nur ohne Rechtspopulisten gestaltet werden. Anders kann ein Tabakkonzern natürlich nicht in die Reihen der Guten aufgenommen werden. Und dabei arbeitet er offenbar schon seit Jahren daran, wie es in der Pressemitteilung weiter heißt:

„Philip Morris unterstützt in Deutschland bereits seit vielen Jahren gesellschaftliche und soziale Initiativen wie die ‚Wie wir wirklich leben‘-Studienreihe zur Lebenswirklichkeit in Deutschland oder die Förderpreise ‚The Power of the Arts‘ für gemeinnützige Kunstprojekte und ‚Power for Democracy‘ für herausragendes demokratisches Engagement.“

Gegen Tabakrauch und für die Demokratie

Ja, und nun kümmert sich der Tabakkonzern auch um’s richtige Wählen. Warum tut er das? Vielleicht weil sich Geschäftsführer Torsten Albig in Wahlkämpfen eigentlich besser auskennt als in der Tabakwirtschaft? Als SPD-Mitglied war er von 1996 bis 1998 persönlicher Referent des damaligen SPD-Parteichefs Oskar Lafontaine, diente  ihm im Bundesfinanzministerium, war dort Sprecher zu Zeiten des Finanzministers Peer Steinbrück, wurde dann Oberbürgermeister von Kiel und war von 2012 bis 2017  Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Bei Philip Morris ist er seit September letzten Jahres. 

Nun kämpft er also im Tabakkonzern gegen den Tabakrauch und auf Reklametafeln für die Demokratie und das richtige Wählen. Man darf aber auch „falsch“ oder gar nicht wählen in einer Demokratie, insbesondere dann, wenn das Angebot unbefriedigend ist. Das finden engagierte Wähler verständlicherweise nicht gut, es ist aber selbstverständlich in einer freiheitlichen Ordnung. Weniger passend zur freiheitlichen Ordnung ist das Engagement wichtiger Wirtschaftsunternehmen in rein politischen Kampagnen. 

Der Konzern käme bestimmt nicht auf die Idee, in Autokratien und Diktaturen, in denen er seine Zigaretten und Verdampfer verkauft, auf Werbetafeln die Wonnen der Demokratie zu preisen. Da wäre es vielleicht verdienstvoll, aber in diesen Ländern ist dann das eigentliche Geschäft wohl doch wichtiger.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

netiquette:

Christine Holzner / 02.05.2024

Ich rauche nicht, aber täte ich es, wäre das ein guter Anlass aufzuhören. Ich hab’ mir in den letzten Jahren übrigens ganz viel abgewöhnt ...

Boris Kotchoubey / 02.05.2024

Gibt es eine (bestimmt sehr kurze!) Liste der deutschen Großunternehmen, deren leitende Positionen noch NICHT von Mitgliedern der linken Parteien besetzt sind?

Thomas Müller / 02.05.2024

Wenn SPD-Angstschweiß den Geruch vom Zigarettenrauch überdeckt ...

Bernd Oberegger / 02.05.2024

Nun auch noch Geistesfürze eines Tabakkonzerns? Ich vermute eine Übersäuerung des Organismus. Hilfreich könnten vielleicht kalte Kneipp’sche Güsse sein. Auch den gealterten Parteien wären sie eine wirksame Hilfe, um ihre Geschäftsfähigkeit zu erhalten. Vielleicht melden sich nach den nächsten Wahlen, mit Beteiligung der bisherigen Nichtwähler, tüchtige Bademeister*innen.

Schmitt, Martin / 02.05.2024

Ja mein Gott, ich werde in Zukunft darauf achten keine Zigaretten oder Dreh-Tabak mehr von Philipp Morris zu kaufen - Danke für den Artikel/Hinweis. Coca-Cola und Pepsi hat es auch schon geschafft mich als Kunde zu verlieren. Es gibt ja noch andere Anbieter - Solche Volliditoten.

Hans-Joachim Gille / 02.05.2024

Herr Grimm, natürlich muß Ersatz für den Glimmstängel her. Das Dampfen von Liquiden mit etwas Nikotin versetzt, mag zwar nicht gesund sein, unterscheidet sich aber um Lichtjahre vom Quarzen. Dank Liquid-Steuern ist das Dampfen aber genauso so teuer geworden, wie das Rauchen. Es geht also gar nicht um Volksgesundheit (pöses Nazi-Wort), sondern um den Erhalt bisheriger Tabak-Steuereinnahmen.

S.Buch / 02.05.2024

Ich frage mich, wo dieser merkwürdige Konzern die “Mitte der Gesellschaft” verordnet? Doch nicht etwa im (öko-) sozialistischen Einheitsparteienblock?

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