Alan Posener (Gastautor) / 06.09.2008 / 17:16 / 0 / Seite ausdrucken

Ratzingers Relativismus

Wie ich das so in meinen freien Stunden zu tun pflege, blätterte ich neulich wieder einmal in den Schriften des Pontifex Maximus…

In diesem Fall war das der Aufsatz „Was die Welt zusammenhält: Vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates“ aus dem Bändchen: Jürgen Habermas / Joseph Ratzinger. Dialektik der Säkularisierung, Herder 2005.

Darin lässt sich Ratzinger über den Kalten Krieg aus. Er schreibt:

„In der ersten Periode der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg war das Erschrecken vor der neuen Zerstörungsmacht dominierend, die dem Menschen mit der Erfindung der Atombombe zugewachsen war. Der Mensch sah sich plötzlich imstande, sich selbst und seine Erde zu zerstören. Es erhob sich die Frage: Welche politischen Mechanismen sind nötig, um diese Zerstörung zu bannen? (…) De facto war es dann über eine längere Periode hin die Konkurrenz der einander entgegengesetzten Machtblöcke und die Furcht, mit der Zerstörung des anderen die eigene Zerstörung einzuleiten, die uns vor den Schrecken des Atomkrieges bewahrt haben. Die gegenseitige Begrenzung der Macht und die Furcht um das eigene Überleben erwiesen sich als die rettenden Kräfte.“

Das ist eine geradezu empörend relativistische Sicht der Dinge. Man muss sich nur fragen, wie Europa und die Welt wohl aussähen, wenn die Atomwaffe nicht erfunden worden wäre, oder wenn sie nur von den Nazis oder den Sowjets – oder von beiden – erfunden worden wäre, um das Ausmaß dieser Relativierung zu erkennen. Tatsächlich waren die USA von 1945 bis 1949 die einzige Atommacht – und für längere Zeit danach die einzige relevante Atommacht. Sie haben aber darauf verzichtet, die Waffe gegen Russland oder China einzusetzen, und haben sich damit begnügt, ihre Atomwaffen als Abschreckung gegen die weit überlegenen konventionellen Kräfte der Kommunisten vorzuhalten. Nur unter dem atomaren Schirm der Amerikaner (später der Briten und Franzosen) konnte die Demokratie in Westeuropa gedeihen (und nur unter diesem Schirm konnte der Vatikan dem Kommunismus trotzen). Die Atomwaffen haben also die Freiheit gerettet, und ein Reden, das diese elementare Erkenntnis durch Bezug auf „den Menschen“ und seine Zerstörungsmacht verwischt, als sei „der Mensch“ im Kreml moralisch gleichzusetzen mit „dem Menschen“ im Weißen Haus, und als habe nur das Gleichgewicht des Schreckens den einen wie den anderen vom verantwortungslosen Einsatz abgehalten, und als sei der Schutz der Demokratie nicht eine zutiefst moralische Aufgabe – ein solches relativistisches Gerede ist schlicht und einfach verantwortungslos.

Auf die Frage, ausgehend vom islamistischen Terror, ob die Religion nicht unter das Kuratel der Vernunft gestellt und sorgsam eingegrenzt werden müsse, antwortet Ratzinger:

„Wir hatten gesehen, dass es Pathologien in der Religion gibt, die höchst gefährlich sind und die es nötig machen, das göttliche Licht der Vernunft sozusagen als ein Kontrollorgan anzusehen, von dem her sich Religion immer wieder neu reinigen und ordnen lassen muss (…). Aber in unseren Überlegungen hat sich auch gezeigt, dass es (…) auch Pathologien der Vernunft gibt, eine Hybris der Vernunft, die nicht minder gefährlich, sondern von ihrer potenziellen Effizienz her noch bedrohlicher ist: Atombombe, Mensch als Produkt. Deswegen muss umgekehrt auch die Vernunft an ihre Grenzen gemahnt werden und Hörbereitschaft gegenüber den großen religiösen Überlieferungen der Menschheit lernen. Wenn sie sich völlig emanzipiert und diese Lernbereitschaft, diese Korrelationalität ablegt, wird sie zerstörerisch.“

Wie wir schon gesehen haben, ist es diffamierend, die Atombombe als „Pathologie der Vernunft“ hinzustellen - diffamierend für die Vernunft und diffamierend für die Atombombe. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg entwickelt, um die Freiheit gegen den Nationalsozialismus, zu verteidigen, und das hat sie dann gegen den Kommunismus hervorragend geleistet. Überdies ist die Atombombe lediglich Produkt der technischen oder instrumentellen Vernunft, die für sich genommen wertfrei ist. Ein Spaten ist ein Spaten, aber man kann ihn auch benutzen, um Menschen zu erschlagen. Die Frage, ob ein Spaten oder eine Atombombe oder irgendein anderes Produkt der Technik, vom Feuer bis hin zur genetischen Manipulation, segensreich oder zerstörerisch ist, bleibt eine Frage des Einsatzes oder Nichteinsatzes, also eine Frage des Besitzes. In der Hand religiöser Fanatiker ist die Atombombe unmittelbar gefährlich, in der Hand vernünftig kalkulierender US-Generäle nicht – oder jedenfalls sehr viel weniger gefährlich. Sicher ist die “Hörbereitschaft” iranischer Mullahs gegenüber den “großen religiösen Überlieferungen der Menschheit” ausgeprägter als bei manchem Militär im Westen. Aber wenn ich wählen muss - und man muss wählen -, wessen Finger ich lieber am atomaren Abzug sähe, ziehe ich einen säkularen Ami (oder Israeli) einem frommen Verrückten allemal vor.

Wieder zeigt sich, dass Ratzingers Vernunftkritik ein Ergebnis eines gefährlichen - und übrigens typisch deutschen -Werterelativismus ist.

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