Gastautor / 23.09.2012 / 18:45 / 0 / Seite ausdrucken

Ratten sterben an Gen-Mais - der perfekte Medien-Coup

Ludger Weß

Die „Genfood, nein, danke“-Advokaten haben einen neuen Helden: Gilles-Eric Séralini, Professor an der Universität Caen und Autor einer Studie, die endlich belegt, was die Bewegung schon lange weiß: „Mit Genmais gefütterte Ratten sterben früher“, „Genmais und Rattenkrebs - Tod durch manipuliertes Futter“, „Genmais-Futter kann Ratten schwer krank machen“, „In Europa zum Verzehr freigegeben: Genmais verursacht Tumore“. Doch diesmal könnte der Schuss nach hinten losgehen: die Studie ist schlecht gemacht, die Ergebnisse legen nahe, dass an den Behauptungen nichts dran ist und zu allem Überfluss hat Séralini auch noch versucht, die Medien zu manipulieren.

Der Held hat Langzeitstudien an Ratten durchgeführt, die er mit Gentechnik-Mais (NK603 von Monsanto) sowie mit und ohne Roundup fütterte, und zwar bis zu zwei Jahre lang. Das ist bei diesen Tieren praktisch lebenslänglich - selbst als Haustiere gehaltene Ratten erreichen bei guter Pflege nur eine durchschnittliche Lebensdauer von 2 Jahren. Der Ansatz leuchtet Laien sofort ein: Wenn die einen Versuchstiere lebenslang GMOs und/oder Herbizide in ihrer Nahrung erhalten und die anderen nicht, dann sollte man aus den Unterschieden wohl Schlüsse über die Gefährlichkeit von GMOs und/oder den verwendeten Pestiziden ziehen können. Roundup ist ein so genanntes Totalherbizid, das auf die Genmais-Felder aufgebracht wird, um Unkräutern den Garaus zu machen und steht bei Umweltschutzgruppen besonders in der Kritik.

Um seine Studie noch schlagkräftiger zu machen, verabreichte Séralini den nach Männchen und Weibchen getrennten Tieren den Genmais in 3 verschiedenen Dosierungen, und zwar jeweils unbehandelt oder mit Roundup gespritzt. Zu diesen sechs Gruppen kamen vier weitere hinzu: eine Kontrollgruppe, die konventionellen, unbehandelten Mais erhielt, und drei Gruppen, die zusätzlich zu normalem Mais Roundup im Trinkwasser erhielten (wiederum in drei verschiedenen Dosierungen) - macht zusammen zehn Gruppen von männlichen und zehn von weiblichen Tieren.

Das Design der Studie wirkt auf den ersten Blick bestechend - man könnte sehen, ob Tiere, die nur normalen Mais erhalten, länger leben und gesünder alt werden. Dank der unterschiedlichen Dosierungen und der verschiedenen Kombinationen (Genmais ohne Roundup, Genmais mit Roundup, konventioneller Mais mit und ohne Roundup) könnte man auch feststellen, ob es sich - falls die Genmais/Roundup-Ratten kürzer leben oder kränker sind - um einen dosisabhängigen Effekt handelt und ob der Genmais, das Herbizid oder die Kombination von beidem daran schuld ist.

So weit, so gut. Was dabei herauskam, schildert Séralini so: „Bei den Weibchen starben die behandelten Gruppen 2-3mal häufiger als die Kontrollen, und sie starben schneller. Dieser Unterschied war in 3 Gruppen von Männchen, die mit GMOs gefüttert wurden sichtbar. ... Weibchen entwickelten große Brusttumore fast immer häufiger und eher als die Kontrollen ... Männchen zeigten viermal mehr große tastbare Tumore als die Kontrollen; sie traten bis zu 600 Tage eher auf.“

Eine klares Ergebnis klingt anders. Die Veröffentlichung ist - trotz anonymer Begutachtung durch Fachleute - in einem Zustand, der vor allem durch Unübersichtlichkeit und gezielte, anekdotische Auswahl von negativen Daten besticht: mal kommen in den Gruppen besonders schwere oder große Tumore vor, mal treten sie besonders rasch auf, ein anderes Mal ist die Zahl der Tumore pro Tier erhöht - wie es gerade passt. Aus den Grafiken der Veröffentlichung lässt sich ablesen, dass die Tiere nicht in allen behandelten Gruppen eher oder häufiger starben oder schwerer erkrankten - über die Details schweigt Séralini sich aus. Eine Dosisabhängigkeit der beobachteten Effekte - das gibt Séralini selbst zu - gibt es nicht.

Alles in allem ist die statistische Basis erschreckend klein: Séralini machte die Versuche an nur 100 männlichen und 100 weiblichen Tieren, d.h. pro Gruppe waren es jeweils 10 Tiere und damit viel zu wenig für eine aussagekräftige Statistik. Die gibt er auch erst gar nicht an: der Veröffentlichung fehlen die grundlegende Angaben zur statistischen Signifikanz.

So ist es kein Wunder, dass die Ergebnisse kein klares Bild zeigen: schon in der Kontrollgruppe, die nur normalen Mais und kein Roundup erhielt, starben 1/3 der Männchen spontan und vorzeitig, und 2 Weibchen mussten getötet werden, weil ihre Tumore zu groß geworden waren. Bei den Männchen, die die Höchstdosis Roundup erhielten, gab es dagegen weniger Todesfälle als in der Kontrollgruppe (nur ein Männchen starb vorzeitig), und auch viel GMO im Futter hatte offenbar - bleibt man in der Logik von Séralini - einen positiven Einfluss auf die Sterblichkeit: in den Gruppen von Männchen, die 22% bzw 33% GMO-Mais im Futter erhielten, starb je nur 1 Tier vorzeitig (eines spontan, eines musste wegen Tumoren getötet werden).

Angesichts dieser Widersprüche, die schon in dem rudimentären Datensatz auftauchen, spricht vieles dafür, dass die Ergebnisse zufällig zustande kamen - Séralini unternimmt aber stattdessen auch noch den Versuch, über Wirkmechanismen zu spekulieren.

Aber es kommt noch schlimmer: Séralini und seine Mitstreiter wählten einen Rattenstamm, der dafür bekannt ist, dass er spontan sehr schnell Krebsgeschwüre entwickelt - vor allem bei Überfütterung, Überalterung oder Störungen des Hormonhaushalts. Das ist für die Krebsforschung nützlich, nicht aber unbedingt für eine solche Fütterungsstudie. Wenn man aber dennoch diese Sorte wählt, sollte man angeben, wie viel Futter die Ratten bekamen: Séralini verzichtet darauf. Ob der Mais, der eigens aus Kanada über Le Havre „in großen Jutesäcken“ eingeführt wurde (so steht es in einem reißerischen Bericht im Le Nouvel Observateur), auf Schimmelbefall getestet wurde, ist ebenfalls nicht angegeben. Bestimmte Schimmelpilze, die auf Mais häufig vorkommt, können den Hormonhaushalt von Tieren durcheinanderbringen. Entsprechende Tests hat Séralini entweder nicht gemacht oder die Daten nicht angegeben. Fragwürdig ist auch die Verfütterung einer einseitigen Maisdiät - hier wäre auch eine Kontrollgruppe mit normalem Futter angezeigt gewesen.

Fachleute lassen denn auch kein gutes Haar an der Studie: „kein Mehrfachreihentest“, „ist der Tod von drei Ratten gegenüber dem vom fünf statistisch signifikant?“, „die statistischen Methoden sind unkonventionell und es gibt keinen klar definierten Datenanalyseplan“ usw. Zudem: wenn der betreffende Mais tatsächlich so gefährlich wäre, warum haben hunderte von Studien zu anderen Ergebnissen geführt, und warum gibt es keine alarmierenden Zahlen über Nutztiere, die seit Jahren mit diesem Mais gefüttert werden? Und was ist mit den Laborratten, die zumindest in den USA schon seit einem Jahrzehnt routinemäßig GMO-Mais im Futter erhalten?

Trotz dieser massiven Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Studie schrieben die Agenturen und Zeitungen die gewünschten Horrormeldungen: „Genmais-Futter macht Ratten schwer krank: Eine Studie über die Folgen von gentechnisch verändertem Mais auf Ratten hat eine Diskussion über die Zulassung von Genpflanzen in der EU ausgelöst. Einer am Mittwoch veröffentlichten Studie französischer Forscher zufolge sterben mit Genmais gefütterte Ratten jünger und erkranken deutlich häufiger an Krebs als Tiere, die herkömmliche Nahrung erhalten.“ Séralini nannte seine Ergebnisse auf einer Pressekonferenz „alarmierend“, die EU-Kommission kündigte an, „Konsequenzen zu prüfen“, gleich drei französische Minister forderten die EU in einer gemeinsamen Presseerklärung zum Handeln auf („notfallmäßige Aussetzung der Importgenehmigung“) und mehrere EU-Abgeordnete forderten die Aussetzung von Zulassung und Import gleich sämtlicher gentechnisch veränderter Pflanzen.

Wie Séralini das geschafft hat, ist ein kleines Meisterstück in Medienmanipulation: handverlesene Journalisten bekamen die Veröffentlichung unter Embargo (mussten sich also verpflichten, ihre Artikel erst nach Erscheinen der Studie zu veröffentlichen). Das ist im Wissenschaftsjournalismus übliche Praxis. Ungewöhnlich war jedoch, dass sie sich zur Geheimhaltung verpflichten mussten - das kam einem Rechercheverbot gleich, denn normalerweise kontaktieren Journalisten, sobald sie eine Veröffentlichung unter Embargo erhalten, andere Wissenschaftler auf diesem Gebiet, um deren Meinung zu der Studie zu erfragen und schließlich die Ergebnisse einordnen und notfalls kritisch beleuchten zu können. Das war ihnen in diesem Fall untersagt.

Den Vogel abgeschossen hat Le Nouvel Observateur in Frankreich: garniert mit Informationen über das klandestine Verhalten der Autoren, die nicht miteinander telefonierten und in ihrer Korrespondenz Decknamen für die Studie benutzten, erweckt er den Eindruck, Séralini und seine Mitstreiter stünden auf einer Todesliste internationaler Großkonzerne.

Aber Séralini ist eher Mini-Me als James Bond. Schon im ersten Satz seiner Veröffentlichung behauptet er, es gebe eine „internationale Debatte“ über die notwendige Länge von Studien über die Giftigkeit von genetisch modifizierten Pflanzen. Die meisten Toxikologen halten die Frage für längst geklärt - schließlich hat die Wissenschaft jahrzehntelange Erfahrungen mit der Überprüfung der Giftigkeit von allen möglichen Substanzen an Ratten - von neuen Arzneimitteln über Umweltchemikalien bis zu Bestandteilen von Kosmetika und Nahrungsmitteln. Selbst die Wirkung von Spuren bestimmter Substanzen, wie z. B. Hormonen, kann man bei Ratten bereits in Zeiträumen von einigen Wochen bis wenigen Monaten sehr gut studieren.

Séralini hält es offenbar für möglich, dass bei gentechnisch veränderten Pflanzen andere, der Wissenschaft bislang verborgene Mechanismen am Werk sind. Das ist sein gutes Recht, aber zu behaupten, es werde eine internationale Debatte darum geführt, ist schlicht falsch. Der Beleg für seine Behauptung ist denn auch eine seiner eigenen Veröffentlichungen.

Am Ende des Artikels erklärt Séralini, es gebe keine Interessenkonflikte - soll heißen, Séralini hat keine Zuwendungen von Interessengruppen erhalten, die nahelegen könnten, dass auf seine Arbeit irgendein Einfluss ausgeübt wurde.

Wenige Zeilen später folgt jedoch der Satz, er danke der Association CERES, der Stiftung ‘‘Charles Leopold Mayer pour le Progrès de l’Homme’’, dem französischen Forschungsministerium und CRIIGEN für ihre große Unterstützung. Hinter CERES verbergen sich mehrere große Supermarktketten, darunter Carrefour und Auchan, die sich gegenüber ihren Konsumenten mehrfach als „gentechnikfrei“ erklärt haben. Séralini findet das nicht bedenklich, weil die Zuwendungen an CRIIGEN http://www.criigen.org geleistet wurden, eine Stiftung, bei der Séralini als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats agiert.

Stiftungspräsident ist der Mediziner, Homöopath und Akupunkteur Joël Spiroux de Vendomois, der auch schon mal gern Seminare für die französische Firma Sevene Pharma abhält http. Sevene Pharma, spezialisiert auf pflanzliche Medizin, verspricht, ein Mittel zur Entgiftung für Menschen zu entwickeln, die mit Roundup und anderen Herbiziden „vergiftet“ sind und bewirbt Séralinis Bücher. Und wer untersucht das innovative Produkt Dig-1 der Firma? Séralini! Bei Dig-1 handelt es sich um einen pflanzlichen Extrakt aus Löwenzahn, der Großen Klette und der Gewöhnlichen Berberitze. Die Stiftung ‘‘Charles Leopold Mayer pour le Progrès de l’Homme’’ (FPH) zählt zu den langjährigen Unterstützern von anti-Gentechnik-Projekten und hat diverse illustre Kampagnen mitfinanziert, z. B. Stop OGM und Combat Monsanto. Kein Interessenskonflikt also.

Die Veröffentlichung dürfte Séralini sehr gelegen kommen. Am 26. September erscheint sein neues Buch „Tous cobayes !“ - „Wir sind alle Versuchskaninchen“ über GMOs, Herbizide und Chemieprodukte. Fortsetzung folgt, am 19.9. auf Canal+ (“Grand Journal”) und der Dokumentarfilm zum Buch und zur Studie wird am 16.10 auf France 5 gezeigt. Ach ja, und am 27. September wird in Brüssel über eine weitere Zulassung von gentechnisch verändertem Mais (MIR162) abgestimmt, der in Lebens- und Futtermitteln verwendet werden soll.

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