Wenn das Licht eines Leuchtturms niemandem leuchtet, ist er dann ein Leuchtturm, oder nur ein Lichtturm? Und warum sollte man so etwas planen, bauen, feierlich einweihen und betreiben? Diese Fragen stellte ich mir bereits, als ich über den „Klimaparkplatz“ in Weißenfels berichtete. Wie bei vielen kommunalen beziehungsweise staatlich initiierten Kopfgeburten stellt sich der Beobachter unweigerlich die Frage, wer zur Hölle wohl sowas braucht! Wer verlangte danach? Wer schreibt Briefe an Stadtrat und Bürgermeister des Inhalts, „wenn es hier nicht baldigst einen Klimaparkplatz oder einen Einhornverleih gibt, ist das nicht mehr meine Stadt!“
Die ehrliche Antwort lautet stets, dass niemand nach so etwas ruft oder es schmerzlich vermisst. Es handelt sich zweifellos um Erfindungen, in die trotz ihrer Nutzlosigkeit zwar viel Hirnschmalz floss, die aber so förderunwürdig scheinen wie rhombische Räder oder Löffel für Linkshänder. So verhält es sich auch in einem weiteren Projekt, von dem mir ein Leser berichtete. Ähnlich wie der erwähnte Klimaparkplatz ist auch die „Radstätte“ ein politisch herbeigefördertes Infrastrukturprojekt, in dem sich mühelos selbst größere Summen Steuergeldes versenken lassen. Und weil es um Fahrräder geht, ist die Sache natürlich auch noch gut für den Klimaschutz!
Radstätte als politische Kopfgeburt
„Radstätte? Nie gehört!“ Das ist wohl das erste, was den meisten Lesern durch den Sinn geht, und deshalb ist es naheliegend, erst mal Google danach zu fragen. Dort glaubte der Suchalgorithmus zunächst an einen Tippfehler und wollte mir zeigen, was es über Raststätten zu wissen gibt. Letztlich gelangt man aber doch zum „Radweg deutsche Einheit“, einem Projekt des Bundesministeriums für verkorkste Mautpläne, Verkehr und Digitalgedöns.
Zumindest rechtlich wollte der Bund hier alles richtig machen und verkündet stolz, dass „Radstätte“ als Wort- und Bildmarke im Markenregister eingetragen wurde. Übrigens bereits 2016, als es noch zwei Jahre dauerte, bis die ersten Radstätten gebaut und an die ungeduldig wartenden Radfahrer übergeben wurden. Den Namen hat das Ministerium also sicher. Nicht dass noch jemand die tolle Idee kopiert, standardisierte aber dennoch überteuerte Fahrrad-Anziehungspunkte massenhaft in die Landschaft zu stellen und damit Profite macht! Nun, zumindest letzteres ist vollkommen ausgeschlossen.
Wir reden hier nämlich von einem echten Dobrindt, der unverändert weitergescheuert wurde, und Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Verkehrsminister, fand für die Eröffnung einer der ersten Radstätten Worte, die kein einziges politisches Klingelwort unserer Tage vermissen ließen (jeweils von mir zum leichteren Erkennen mit einem Sternchen versehen):
„Der Radweg steht für Geschichte* und Erinnerung*, weist aber mit seinen innovativen* Radstätten auch den Weg* in die digitale* Zukunft* des Radverkehrs*: Die Digitalisierung* und der Trend* zum elektrischen* Antrieb steigern* Einsatzmöglichkeiten* und Reichweite des Fahrrads* um ein Vielfaches. Diese Entwicklung* wollen wir mitgestalten*. Mit dem „Radweg Deutsche Einheit“ führen wir Mobilitätsinnovationen** zusammen, setzen einen neuen Ausbaustandard* für Radfernwege* und schaffen ein einmaliges, modernes Radwander-Erlebnis*.“
Nun ist die Schaffung von Infrastruktur für den Fahrradverkehr an und für sich eine gute Sache. Es gibt vor allem immer noch viel zu wenig Radwege, wobei hier eher die kürzeren zwischen Nachbarorten oder innerhalb der Stadt gemeint sind, aus denen sich die Dobrindt/Scheuer‘schen „Radfernwege“ letztlich zusammensetzen. Aber im Bundesverkehrsministerium scheint man eher an eine Art Ost-West-Autobahn für Fahrräder zu denken, was die sprachliche Nähe von „Radstätte“ zu „Raststätte“ erklären würde.
Vielfalt durch Einfalt!
Auf der Projektseite heißt es dazu:
„Das einheitliche Gestaltungsprinzip aller Ausstattungselemente sorgt trotz funktionaler Vielfalt für eine hohe Wiedererkennbarkeit der Radstätten. Diese geben sich trotz unterschiedlicher Größe und Ausstattung entlang des Weges immer als Mitglieder einer gestalterischen Familie zu erkennen, wodurch den Radfahrern die Orientierung erleichtert wird.“
Wir alle kennen doch die hilflosen, abgezehrten Radfahrer, die mangels lokaler Wiedererkennbarkeit orientierungslos umherirrten, als es noch keine Radstätten gab! Schon von weitem erkennt der Radler heute die einheitlichen (und teuren) Stahlkonstruktionen und seufzt erleichtert auf: „Endlich ein großer Touch-Screen mit einer Karte und ein Mülleimer!“ Funktionale Vielfalt durch Einfalt! Und manche Radstätten haben sogar noch mehr zu bieten. Es gibt nämlich drei Ausbaustufen:
„Bei einem kurzen Zwischenstopp (Typ1) möchte der Radfahrer sich lediglich informieren und orientieren. Bei einem mittleren Aufenthalt (Typ 2) wird zusätzlich zu Information und Orientierung möglicherweise auch gerastet und die Aussicht genossen.“
Aus dem deutschen Amt für Genussnormung
Was der Radfahrer möchte, bestimmt gefälligst das Konzept! Genuss ist also erst in der mittleren Ausbaustufe vorgesehen. Die Aussicht selbst ist im Lieferumfang jedoch nicht enthalten und sollte bereits vorhanden sein. Denken sie als Bürgermeister von Bitterfeld, Bochum oder Braunsbedra also lieber gleich über Typ 3 nach, denn da ist vorgesehen, dass Radler die Anlage zur Steigerung des Genusses sogar verlassen:
„Bei einem langen Aufenthalt möchte der Radfahrer sich darüber hinaus sogar von der Anlage entfernen und sein Gepäck sowie sein Fahrrad sicher verwahren. Dann kann eine nahegelegene Sehenswürdigkeit besichtigt oder ungestört im See gebadet werden.“
Solche Texte werden im deutschen Amt für Genussnormung noch von Hand getöpfert! Zweck von Typ 3 ist es also, sich von der Anlage zu entfernen. Ohne Fahrrad und Gepäck natürlich, wobei unklar ist, ob der Fahrradgast seine Badesachen mit zum See nehmen darf. Das Verkehrsministerium teilt Rastplätze für Fahrräder also etwa so ein: Orientierungsplätze, Genussplätze, Besichtigungsplätze. Eigentlich ganz einfach. Bringen sie das beim Fahrradfahren aber bloß nicht durcheinander!
Radstätte Bernburg
Zu welchem Typ die Radstätte in Bernburg gehört, hängt also von den „nahegelegenen Sehenswürdigkeiten“ ab, und mir will so schnell keine Sehenswürdigkeit einfallen, für die ich in Bernburg den „Fahrrad-Transit-Bereich“ verlassen würde. Zugegeben, das war jetzt fies! Bernburg hat so viel zu bieten! Zudem lädt die Ausstattung der Radstätte selbst ja zu intensiver Nutzung und Genuss ein, seit sie im April 2018 feierlich eröffnet wurde. Doch statt Schließfächer und Lademöglichkeit für E‑Bikes waren es vor allem das kostenlose WLAN und die zur künstlerischen Betätigung einladenden Flächen, die ausgiebig Verwendung fanden.
Bereits nach drei Monaten musste im Juli 2018 das teure Informationsdisplay der Anlage erneuert werden, weil es dem Vandalismus zum Opfer gefallen war. Traurige Randbemerkung der Mitteldeutschen Zeitung dazu: „Nur wenige Radfahrer nutzen die Anlage. Ob Werbung hilft?“ Das klingt nach einem Hilferuf des städtischen Betreibers, denn die Kosten für den Betrieb der Anlage sind erheblich und lassen sich durch Ladestation und Schließfächer offensichtlich nicht decken. Idealer Werbepartner für die Stadt Bernburg wäre sicher jene Firma, die regelmäßig die Schmierereien an der „Radstätte“ entfernt. Eine Win-Schmier-Win-Situation! Bereits einen Monat nach der Instandsetzung war der teuer renovierte Spaß schon wieder vorbei, und der Bürgermeister dachte laut über Videoüberwachung nach. Die wird wohl auch nicht umsonst zu haben sein, wenn man nicht die NSA oder China als Projektpartner gewinnen kann.
Nun kann man natürlich laut über den Vandalismus klagen, der hier am Werk ist und die Idee „Radstätte” von jedem Vorwurf freisprechen. Man kann hier auch das Schicksal der Allmende beklagen, für die „niemand“ Verantwortung trägt, weil sie „keinem“ gehört. Oder man stellt die Wirtschaftlichkeit generell infrage und vermutet, dass die Schmierfinken und Kabelabschneider instinktiv Verlassenheit und Nutzlosigkeit dieser Einrichtung erkennen und ihre groben Späße mit dem treiben, was sie lediglich als kostenlosen WLAN-Hotspot betrachten. Nun, damit sollte es ebenfalls bald vorbei sein, denn das WLAN soll dem Vernehmen nach auch noch abgeschaltet werden. Die Radstätte Bernburg wäre dann endgültig in jene Kategorie vorgerückt, die Dirk Maxeiner als „geistige Ruinen“ bezeichnet hat.
Eine Schnapsidee
Als der 1.100 Kilometer lange Radweg „Deutsche Einheit“ im Jahr 2015 geplant wurde und Verkehrsminister Dobrindt dafür 4,8 Millionen Euro bereitgestellt hatte, war noch von Kosten pro Station von 30–50 Tausend Euro die Rede. Doch weil es sich eben um ein Retortenbaby der Politik handelt, wurde die Sache am Ende etwas teurer. 250.000 Euro plante die Stadt Nassau für den Bau ihrer Radstätte ein, und die Betriebskosten dieser kaum genutzten Anlagen, an denen pro Monat vielleicht eine Handvoll E‑Bike-Fahrer ihre Akkus aufladen und Hunde ihre Notdurft (kostenlos) verrichten, sind da noch nicht mitgerechnet.
Man versuchte, eine zentralisierte Lösung für das denkbar dezentralste Verkehrsmittel anzubieten: das Fahrrad. Es stellte sich aber heraus, dass die Leute mit ihren Rädern lieber direkt bis zum Buchladen, Kino oder Museum fahren und es lieber vor dem Biergarten, im Hotel oder zu Hause aufladen als ausgerechnet an einer Radstätte mit Touch-Screen und WLAN. Wieviel Radweg man wohl für den Preis einer einzigen Radstätte hätte bauen können? Und was sagt eigentlich der ADFC dazu? Auf dessen Webseite finden sich verräterische Null Treffer zum Schlagwort „Radstätte“. Die Gesamtkosten der bisher 16 gebauten Stationen dürften den ursprünglich geplanten 4,8 Millionen Euro längst im höchsten Gang davongeradelt sein. Mindestens 18 weitere Radstätten sollen noch folgen, was allein die Anfangskosten nach meinen groben Schätzungen auf freundliche 8,5 Millionen Euro anwachsen lassen könnte.
Ein kleiner Trost ist, dass die vom Projekt empfohlene Radwege-App nicht das Verkehrsministerium entwickelt hat. Hier empfiehlt man stattdessen eine kommerzielle (und nicht ganz kostenlose) App, mit der jeder über ein Smartphone verfügende Radfahrer all die tollen Informationen erhalten kann, die er auf den teuren Displays der Radstätten nicht bekommt, weil sie defekt oder noch zu weit entfernt oder ganz woanders sind. Man kann natürlich auch einfach Google fragen, wohin man fahren soll oder den ausgebauten Radwegen folgen, wenn man welche findet.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.