Wolfgang Meins / 09.06.2020 / 06:20 / Foto: Pixabay / 54 / Seite ausdrucken

Rassismus in der deutschen Psychiatrie?

In Hamburg kam vor gut einem Jahr, am Morgen des Ostersonntags, ein Patient der Psychiatrischen Universitäts-Klinik zu Tode. Bei dem Versuch der Security, ihn zu überwältigen und zu fixieren, erlitt er einen Herz-Kreislauf-Stillstand mit Bewusstseinsverlust. Ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, verstarb William Tonou-Mbobda wenige Tage später auf der Intensivstation. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seitdem wegen des Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge gegen drei Mitarbeiter der Krankenhaus-Security und die beteiligte diensthabende Ärztin. Wann es zum Prozess kommt, ist erstaunlicherweise immer noch offen. 

Drei Besonderheiten zeichnen diesen Fall aus. Erstens kommen – natürliche und unnatürliche – Todesfälle in einer Psychiatrischen Klinik und allemal einer universitären nur sehr selten vor. Zweitens kam es zu dem tödlichen Vorfall, streng genommen, nicht in, sondern auf einem Platz vor der Klinik – und damit vor Publikum. Drittens, der vielleicht wichtigste Punkt: Das Opfer war schwarz. Es handelt sich um einen 2008 aus Kamerun nach Deutschland migrierten, zum Todeszeitpunkt 34-jährigen BWL-Studenten, der sich bereits mehrfach wegen einer Schizophrenie in stationärer Behandlung der Uniklinik befunden hatte. 

Für die linke Szene ist absolut klar, dass es sich hier um ein rassistisches Verbrechen handelt. Die „gewalttätigen Sicherheitsmitarbeiter“ hätten Tonou-Mbobda „gemeinschaftlich getötet (…), indem sie seine Arme in Bauchlage auf dem Rücken fixiert und ihn zumindest teilweise durch ihr Körpergewicht zusätzlich beschwert“ hätten. Nicht alle vom AStA und anderen Aktivistengruppen erhobenen „Anklagepunkte“ sind völlig abwegig. Aber Ermittlungsergebnisse, die nicht in dieses Bild passen, bleiben weitgehend unberücksichtigt oder werden durch eine verschwörungsaffine Sichtweise relativiert. Da linksradikale Studenten immer schon Probleme hatten, die Existenz einer weitgehend biologisch determinierten psychischen Störung zu akzeptieren, wird aus der akuten Schizophrenie des Opfers eine bloße „psychische Überforderung“. Insgesamt gilt hier: Unschuldsvermutung war gestern, Rassismus ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, da braucht es dann keine konkreten Belege mehr. Denn die fehlen bei nüchterner Betrachtung weiterhin – im Gegensatz etwa zu dem Todesfall in Minneapolis.   

Vor der Klinik auf eine Bank gesetzt

Nach Recherchen des Spiegel, der sich dabei auf den „Kontakt zu mehreren mit den Ermittlungen betrauten Personen“ bezieht, habe sich Tonou-Mbobda vier Tage zuvor freiwillig in stationäre Behandlung der UKE-Psychiatrie begeben. In der Nacht zum Ostersonntag habe sich sein Zustand verschlechtert: „Er schrie laut umher, übte Schattenboxen aus, schlug um sich.“ Angebotene Medikamente habe er mehrfach abgelehnt, so auch am Ostersonntagmorgen. Nach einem „Streitgespräch“ mit dem Personal habe er die Station verlassen und sich vor der Klinik auf eine Bank gesetzt. 

Aus psychiatrischer Sicht also eigentlich nichts Besonderes. Dass bestimmte Patientengruppen, vor allem solche mit Schizophrenie oder Manie, verordnete Medikamente nicht einnehmen wollen, prägt einen Großteil der Patient-Arzt-Kommunikation auf Akutstationen, ebenso wie Verhandlungen über Entlassung oder Ausgang. Für den Arzt gilt es dabei jeweils zu berücksichtigen, ob von dem Patienten eine relevante Selbst- oder Fremdgefährdung ausgehen könnte.

Nach Schätzungen sterben etwa 10 bis 15 Prozent der Schizophrenie-Patienten durch Suizid, und durch mehrere Studien ist gut belegt, dass bei Schizophrenie das Risiko der Begehung von Gewaltdelikten um den Faktor 4, das von Tötungsdelikten gar um den Faktor 10 erhöht ist. Auch deshalb können Patienten mit Schizophrenie zwangsweise vorübergehend auf einer geschlossenen psychiatrischen Station untergebracht werden. 

Und genau das hatte die mit Tonou-Mbobda befasste UKE-Ärztin am Morgen des Ostersonntags veranlasst. Ob ihre Beurteilung des Gefährdungspotenzials des Patienten zutreffend war oder ob vielleicht 15 von 20 Ärzten in diesem Fall anders entschieden hätten, muss naturgemäß offen bleiben. Aber die ganz offensichtlich gesicherte Diagnose einer akuten Schizophrenie in Verbindung mit dem psychotisch-gereizten Verhalten von Tonou-Mbobda lassen die Entscheidung der Ärztin für den fachkundigen Beobachter zumindest plausibel erscheinen. 

Anhörung im Wissenschaftsausschuss

Ist die ärztliche Entscheidung gefallen, einen Patienten gegen seinen Willen geschlossen unterzubringen, muss in Hamburg umgehend ein Formular mit den wichtigsten Angaben zu Patient, Diagnose und Gefährdungspotenzial ausgefüllt und an das Ordnungsamt gefaxt werden. Das wiederum prüft den Antrag unter eher formalen Gesichtspunkten, sendet eine entsprechende Bestätigung und informiert das Gericht, damit innerhalb von 24 Stunden ein Richter vor Ort das Ganze überprüft und ggf. die Dauer der Unterbringung festlegt. Im Notfall kann die Unterbringung aber bereits vollzogen werden, bevor das Formular getippt oder gefaxt ist – auch wenn Medien und Aktivisten das teils anders sehen. Denn ansonsten könnte ja ein Patient mit dem Hinweis auf die noch fehlende Rechtswirksamkeit die Klinik verlassen, während der Arzt noch hektisch am Tippen oder Faxen ist. 

Bei einer Anhörung im Wissenschaftsausschuss des Hamburger Stadtparlaments äußerte sich der ermittelnde Oberstaatsanwalt in Kenntnis des Obduktionsergebnisses zur Todesursache: Man könne „mit Sicherheit ausschließen (…), dass es diesen lagebedingten Erstickungstod gegeben hat“. Kausal im juristischen Sinne sei das Einwirken der Sicherheitskräfte ursächlich gewesen, aber der Geschädigte habe eine „massive Herzvorschädigung“ gehabt, die bisher – warum auch immer – den Beteiligten offenbar unbekannt war. Ansonsten sei man bei den Ermittlungen, zu denen auch die Vernehmung aller Zeugen gehört habe, „nicht auf irgendeinen Hinweis gestoßen, der in eine rassistische Richtung deutet.“ Auf entsprechende Nachfrage eines Linken-Abgeordneten gibt sich auch der Oberstaatsanwalt verwundert, warum die Security nicht einfach in Hab-Acht-Stellung abgewartet habe. Eine allerdings aberwitzige Idee, vor einer mit Sicherheit rasch zunehmenden und wahrscheinlich irgendwann auch teils gewaltbereiten Zuschauerkulisse auf einen plötzlichen Sinneswandel des Patienten zu hoffen. 

Mittlerweile hat ein neuer Akteur die Bühne betreten: der mit ghanaischen Wurzeln in Deutschland aufgewachsene Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah. Er wird in dem Strafverfahren die Mutter des Opfers vertreten. Die Zeit (hinter der Bezahlschranke) stellte ihn kürzlich in einem ausführlichen Beitrag als jemanden vor, für den der rassistische Hintergrund der Tat „offensichtlich“ sei. Und der nach eigener Aussage durch seine „Erfahrungen“ empathischer als viele seiner Kollegen sei. Quelle dieser Empathie seien mehrere aus seiner Sicht jeweils anlasslose Polizeikontrollen in jeweils bestimmten Gegenden, denen er nur wegen seiner Hautfarbe unterzogen worden sei. Vollkommen unberücksichtigt bleibt in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, ob der Anlass nicht vielleicht auch in der deutlichen Überrepräsentierung von Schwarzafrikanern unter den hiesigen Drogendealern zu suchen ist. Aber eine solche Argumentation kommt natürlich auch für die Zeit nicht in Betracht: Man will doch nicht dem racial profiling das Wort reden. 

Nun gut. Auf jeden Fall will Schneider-Addae-Mensah beweisen, Tonou-Mbobda „kam zu Tode, weil er dunkelhäutig war.“ Denn: „Bei einem weißen Patienten hätte sich die Situation anders entwickelt.“ Beweise oder auch nur Hinweise für die Gültigkeit dieser doch ausgesprochen steilen These hat er nicht, sondern lediglich einen allenfalls vagen Verdacht gegenüber den „Sicherheitsleuten“, deren „Umfeld“ man sich näher anschauen müsse. Dabei frage er sich: “Warum wird ein offensichtlich ruhiger Patient von Sicherheitsleuten wie eine Gefahr behandelt?“ Dazu Folgendes: Ruhig war der Patient nur so lange, wie Ärztin und Sicherheitsleute nichts von ihm wollten. Aber wesentlicher ist die ausgesprochen naiv anmutende Auffassung, bei einem psychotischen Patienten vom ruhigen Äußeren 1:1 auf die geistig-seelische Verfasstheit schließen zu können. Das ist bekanntlich schon im echten Leben eine recht fehleranfällige Vorgehensweise. 

Als „Gefahr“ behandeln

Aber das ist noch nicht alles. Akut psychotische Schizophrene stehen unter dem Einfluss von wahnhaftem Erleben, oft in Verbindung mit halluzinierten Stimmen, welche Gedanken und Handlungen kommentieren oder auch befehlenden Charakter haben. Kommt es nun bei einer solchen Person – wie ja im Falle Tonou-Mbobda – zu einer recht plötzlichen Ruhe nach dem Sturm, deutet das für den Kundigen auf eine qualitative Veränderung im wahnhaften Erleben hin, allerdings meist eher zum Schlechten als zum Guten. Ja, einen solchen, weiterhin unkooperativen Patienten muss man als einschlägig erfahrener, verantwortlicher und gegenüber der Security weisungsbefugter Arzt „als Gefahr“ behandeln. Das gilt im Übrigen völlig unabhängig von dessen Hautfarbe. 

Was wäre wohl der diensthabenden Ärztin alles vorgeworfen worden, wenn es Tonou-Mbobda gelungen wäre, dem Krankenhausgelände und damit dem Zuständigkeitsbereich der Security zu entfliehen, sich zur nahe liegenden U-Bahn-Station zu begeben, um dort – etwa unter dem Einfluss von befehlenden Stimmen – sich selbst vor den einfahrenden Zug zu stürzen oder ein Kind auf die Gleise zu stoßen? Wenn sie dann vor Gericht erklären würde, der Patient habe doch bloß friedlich rauchend auf der Bank gesessen, als er völlig unerwartet und unvermittelt aufgesprungen und weggelaufen sei, würde das keinen Richter und Vorgesetzten und wahrscheinlich auch nicht Freunde und Angehörige von Opfer und Patient überzeugen. 

Anlässlich der aktuellen Ereignisse in den USA forderte jüngst der Grünen-Vorsitzende Habeck laut Welt unter ausdrücklichem Bezug auf die Ereignisse von Hanau: „Der Kampf gegen Rassismus muss also auch bei uns jeden Tag geführt werden.“ Wenn der Attentäter von Hanau als Beleg für den gefährlichen und allgegenwärtigen Rassismus in Deutschland instrumentalisiert werden soll, unterliegt Habeck hier allerdings einem gefährlichen Irrtum. Denn tatsächlich handelte es sich bei dem Attentäter ja um einen Wahnsinnigen, der seinem schizophrenen Wahn ausgeliefert war, unglücklicherweise auch noch Zugang zu Schusswaffen hatte und eben nicht rechtzeitig zwangsweise psychiatrisch untergebracht wurde, weil die durchaus vorhandenen Hinweise auf seine Gefährlichkeit von der Bundesanwaltschaft vier Monate vor der Tat nicht erkannt oder zumindest nicht weiter verfolgt wurden.                                                             

Foto: Pixabay

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Wilfried Cremer / 09.06.2020

Die militanten Linken haben ihren Kurs ein wenig korrigiert, wenn auch noch nicht nominell. De facto gibt es aber jetzt die AntiRa. Der Rassismus ist als Teufel etwas griffiger.

Hans-Peter Dollhopf / 09.06.2020

Eine sarkastische Anmerkung zu dem hier verlinkten AStA-Manifest “Wir trauern um unseren Kommilitonen: Zum ersten Todestag von Tonou-Mbobda” vom 21. April 2020: Mittig im pietätvoll das gefundene Polit-Fressen zierende “Trauer"foto von “N.Stephan/AStA” steht die Bekundung “RIP Tonou-Mbobda”. Nun, RIP steht bekanntlich für requiescat in pace und drückt Gläubigkeit an eine Transzendenz durch die derart “Trauern” Bekundenten aus. Da die geistige wie geistliche Verfassung des AStA und der eingebetteten Aktivistengruppen einschlägig bekannt ist, wird vom AStA mit diesem Foto der Gipfel ihres Zynismuses ausgedrückt, ohne wenn und aber!

Kristina Laudan / 09.06.2020

Wenn einem nicht-Weißen oder einem nicht-Deutschen in Deutschland irgendetwas passiert oder zugefügt wird, ist es Rassismus. Das geht gar nicht anders, andere Gründe kann es hier nicht mehr geben. Der Deutsche bzw. Weiße ist per se ein Täter, der nicht-deutsche oder nicht-weiße ist per se ein Opfer. Hinterfragt werden muss da nichts mehr. Das wissen auch alle nicht-Deutschen und nicht-Weißen sehr gut! Jede Reaktion auf ein nicht angemessenes Handeln eines nicht-Deutschen oder nicht-Weißen ist eine rassistische Reaktion. Der nicht-Deutsche oder nicht-Weiße kann gar nichts dafür.

Gabriele Kremmel / 09.06.2020

Auch wenn man die Erschütterung der Angehörigen verstehen kann - man fragt sich, wie Leute zu der Behauptung kommen, dass, wäre der Patient weiß gewesen, er ganz sicher anders behandelt worden wäre als der Farbige. Eine solche pauschale Unterstellung von Rassismus gegenüber jedem Nichtfarbigen entbehrt jeder Grundlage und ist als pauschales Vorurteil qualitativ nicht anders zu bewerten als der beklagte, angebliche Rassismus. Wer mit Schizophrenen im akuten Wahn zu tun hat oder hatte weiß, welche fast übermenschlichen Kräfte sie urplötzlich freisetzen können und was es braucht, um dann einem muskulösen, von Haus aus schon starken Mann überhaupt noch Herr werden zu können. Dabei spielt die Hautfarbe keine Rolle.

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