Rainer Bonhorst / 08.06.2020 / 11:00 / 113 / Seite ausdrucken

Rassismus: Deutschlands wohlfeile Empörung

Deutschland hat sich zu recht über den amerikanischen Rassismus empört, der zum Polizei-Mord an George Floyd geführt hat. Aber auch wohlfeil. Da dies nun ausgiebig geschehen ist, ist es wieder Zeit, vor der eigenen Haustür zu kehren. Das will ich tun und ein paar Worte über die Geschichte und die Gegenwart des Rassismus in Deutschland verlieren.

Zunächst einmal zur Erinnerung: Deutschland war zwölf Jahre lang mit Abstand der Weltmeister im Rassismus. Amerika hat eine lange Geschichte der Sklaverei, aber dort hat man es in diesen schlimmen Jahrhunderten nicht zu der millionenfachen systematischen Vernichtung menschlichen Lebens gebracht, die sich Nazi-Deutschland in viel kürzerer Zeit geleistet hat. Wenn man heute mit begründeter Abscheu über amerikanische Nazis spricht, spricht man zugleich von der Peinlichkeit, dass das Wort Nazi, das für besonders virulenten Rassismus steht, ein deutscher Export nach Übersee ist. Die Erfindung fand hierzulande statt. Und dass sie bei uns weiterlebt, etwa in ähnlichem Prozentsatz wie in den USA, ist im Land der Erfinder doppelt hässlich.

Unmittelbar nach der Nazi-Zeit, in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, gehörte rassistisches Denken und Handeln zum Mainstream. Ich selbst habe als junger Mann erlebt, wie eine Gaststätte in Essen einem Afrikaner, der damals ganz selbstverständlich noch Neger hieß, wegen seiner Hautfarbe der Zutritt verweigert hat. Wir haben uns daraufhin dieser Gaststätte verweigert, durften uns aber als kleine radikale Minderheit fühlen. Afrikaner wurden ganz offen als Menschen zweiter Klasse behandelt.

Allerdings gab es damals schon einen Unterschied: Während in einigen Südstaaten der USA die Unterdrückung schwarzer Amerikaner noch offizielle Politik war, hatte der Rassismus in Deutschland keine offizielle Unterstützung mehr. So kam es, dass schwarze US-Soldaten hierzulande eine Freiheit spürten, Kontakte zu biodeutschen Frauen zu knüpfen, für die sie daheim in Teufels Küche gekommen wären. 

Begafft wie Zoo-Geschöpfe

Eine kleine Freiheit. Aber keine selbstverständliche. Denn das Entsetzen, wenn eine deutsche Frau einen dunkelhäutigen Partner nach Hause brachte, war meist gewaltig. Kinder solcher Partnerschaften hatten es schwer. Viele wurden anfangs „heim“ nach Amerika verbracht, wo sie eine gemischte Erfahrung machten. Sie wurden nicht – wie damals in Deutschland – begafft wie Zoo-Geschöpfe, aber sie erfuhren die original amerikanische Diskriminierung.

Mit den Jahren hat sich bei uns die Lage verändert. Es gibt viel mehr Afro-Deutsche und Partnerschaften unterschiedlicher Herkünfte. Die Kuriosität ist verschwunden. Nicht aber das Problem, dass sich viele Hiesige mit dunklerer Hautfarbe mit subtileren Formen der Ablehnung konfrontiert sehen. Subtil, soweit es sich um die Reaktionen gutbürgerlicher, aber ablehnender Menschen handelt. Die bereits erwähnten Jung- und Altnazis kennen keine Subtilität. Gewalt ist ihre Lebensform. Das bekommen Schwarze, Juden und Araber immer wieder zu spüren. Dass sich Juden in Deutschland heute nicht nur von Rechtsextremisten sondern ebenso von radikalen Moslems bedroht sehen, ist ein anderes Thema.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Amerika und Deutschland ist das Verhältnis zur Polizei. US-Polizisten sind anders sozialisiert und arbeiten in anderen Verhältnissen. Dank der amerikanischen Waffen-Unkultur leben nicht nur Schwarze, sondern auch Polizisten gefährlich. Zur Zeit wird gerne vergessen, wie viele Polizisten in Amerika im Dienst ums Leben kommen. Die Stimmung ist angespannt. Das gehört durchaus in diese allgemeine Betrachtung, auch wenn sich der Erstickungstod George Floyds durch das Knie eines brutalen Cops damit nicht relativieren lässt. Mord ist Mord.

Jungrassisten mit Springerstiefeln

Schwarze Amerikaner erleben in Deutschland eine andere Polizei. Sie mögen allerlei Probleme haben, aber die amerikanische Sorge des „Driving while black“ haben sie hier normalerweise nicht. Statt sich vor der Polizei zu hüten, müssen sie sich vor zivilen Jungrassisten mit Springerstiefeln hüten.

Da Rassismus sich nicht ausschließlich gegen Schwarze richtet, hier noch ein kurzes Wort über Türken und Araber in Deutschland. Auch sie leben nicht in einer von Fremdenhass freien Zone. Die notorischen NSU-Morde wurden lange Zeit als innertürkische Gang-Gewalt behandelt, weil der Blick auf die rechtsextremistischen wahren Täter getrübt war. Dieser eingetrübte Blick nach rechts und der irrige Verdacht aufs türkische Milieu warfen ein grelles Schlaglicht auf gesellschaftliche und polizeiliche Vorurteile in Deutschland.  

Insgesamt ist aber fraglich, ob mit Blick auf Türken und Araber der Begriff des Rassismus noch ganz zutreffend ist. Es ist mehr die Auseinandersetzung mit einer Kultur, die oft als fremd empfunden wird. Wer die hiesigen Lebensverhältnisse und Gesetze respektiert, hat gute Chancen, einer Diskriminierung zu entgehen. Rassismus ist umfassender. Ihm ist schwerer zu entkommen.

Nicht ganz von diesem uralten Laster befreit

Und damit dies nicht der Artikel eines Pharisäers wird, bekenne ich hier meine eigenen Phobien: Ich kann es nicht ausstehen, wenn ein nahöstlicher Schnösel in Jeans und T-Shirt seiner von Kopf bis Fuß verhüllten Partnerin vorausgeht, als freier Herr, dem eine Untertänige hinterher dackelt. Sowas hat hier nichts verloren. Und ich finde es unmöglich, dass sich arabische Clans wie rechtsradikale „Reichsbürger“ über unsere Gesetze und über unsere Polizei erheben. Da sind mir aus Not geflüchtete Afrikaner viel willkommener.

Nein, wir in Deutschland sind keine rassismusfreie Zone. Und nach meinem Teilgeständnis möchte ich noch die Unterstellung wagen, dass auch viele der guten Menschen, die die Völkerverständigung auf ihre Fahnen geheftet haben, sich in Wahrheit nicht ganz von diesem uralten Laster befreit haben. Da wird auch schon mal überkompensiert.

Entscheidend ist: Amerika ist anders. Der Rassismus in Amerika ist anders. Übrigens auch im positiven Sinne: Barack Obama kann für die breite Schicht gutbürgerlicher Afroamerikaner stehen, die Amerika heute mitprägen. Vor allem aber: Rassismus ist kein amerikanisches Unikat. Er ist international. Wenn wir Europäer, und ganz besonders wir Deutschen, uns also gerade in unserer moralischen Schein-Überlegenheit sonnen, wünsche ich viel Spaß und einen schmerzhaften Sonnenbrand.       

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Leserpost

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Helmut Driesel / 08.06.2020

  Ich finde es gut, sehr geehrter Herr Bonhorst, dass Sie an den historischen Rassismus erinnern, der weltumspannend einmal eine ganz normale Haltung war (und zwar viel differenzierter als nur zwischen Hautfarben). Und es wäre schon von Bedeutung, ob der manifeste Rassismus ein neuer ist, den man ergründen müsste, ein struktureller, den man beseitigen sollte, oder ein Rest vom historischen Rassismus. Bei letzterem man sich die Fragen stellen muss, inwieweit man sich schuldig machen oder fühlen soll. Es gibt ja viele innerlich im Unbewussten verankerte Haltungen, wo wo man nicht sofort versucht ist, mit dem moralischen Finger darauf zu zeigen. Manches, was es im Menschsein gibt, ist auch einfach nur ein Teil des Spektrums. Das ist doch nicht extrem, wenn ich das denke. Ich habe das auch bezüglich des Antisemitismus schon so dargestellt. Wer das Interview von Karamba Diaby im mdr gesehen hat, bekommt ein Gefühl dafür, wie auch ein gebildeter Mensch darüber noch nie nachgedacht zu haben scheint. Die wollen das Spektrum an Haltungen therapieren, generell und im weitesten Sinne eines linken Selbstverständnisses. Der Mann empfindet wahrscheinlich den tiefsten Rassismus, wenn ihm jemand eine Parklücke wegschnappt. Ich empfinde Leute mit solchen Haltungen als Fremde.

Volkmar du Puits / 08.06.2020

Sehr verehrter Herr Bonhorst, mit dem Satz “Deutschland ...hat sich empört…” bedienen Sie alle Klischees, von denen dieser Blog behauptet, dagegen anzuschreiben. Deutschland hat überhaupt nichts, bestenfalls haben sich mehrere tausend Menschen empört, aber auch da wäre ich nicht sicher. Ich war zB. bei der “Solidaritätsdemo” für die Kurden anläßlich des Abzuges der Amerikaner vor dem Sitz des Chemnitzer CDU-BdB als zufälliger Passant anwesend; dort wurde viel rumgeschrieen, aber empört war niemand. Business eben.

Werner Arning / 08.06.2020

Rassistisches Denken und Verhalten ist im Europa unserer Tage weitestgehend verpönt. Und zwar bis in die Fußballstadien hinein, wo Rassismus vor 10-20 Jahren durchaus noch salonfähig war. Um heute als Schwarzer etwa aus einer Kneipe geworfen zu werden, würde man sich schon mächtig anstrengen müssen. Nein, hier wird etwas zu einem Problem stilisiert, welches gar nicht mehr, oder wenn, dann allenthalben noch in einer NPD-Spilunke auftritt. Oder sehe ich das falsch? Man korrigiere mich, falls ich etwas nicht mitbekommen habe. Oder verkehre ich nur in den „falschen Kreisen“ und bekomme deshalb vom berüchtigten deutschen Rechtsradikalen und Rassisten einfach nichts mit? Wo sind die denn, wo laufen sie denn? Ich bitte ehrlich um Aufklärung.

Anika Novikov / 08.06.2020

Der Rassismus, der zum Tod von George Floyd geführt hat? Wieso, weil das Opfer zufällig schwarz war? Ist das heutzutage genug für Rassismus? Dann ist das Wort der facto bedeutungslos.

S.Niemeyer / 08.06.2020

Wie ich einst beinahe meine Großmama umgebracht hätte: Als kleines Kind am Kaffeetisch mit Omi wollte ich mich am Erwachsenengespräch über Verwandte und Vorfahren unbedingt beteiligen und posaunte, was ich mal von Papa aufgeschnappt hatte (wie ich dachte): “Wir stammen ja von den Hottentotten ab!” Großmama kriegte einen Lachanfall, an dem sie zu ersticken drohte. Wir mussten sie mit Cognac wiederbeleben. Papa hatte mal von Hugenotten gesprochen.    Frage: War das Kind rassistisch? Die Eltern? Die Großmama? Bin ich rassistisch, weil ich das jetzt erzähle und immer noch amüsant finde?

Martin Müller / 08.06.2020

In den 1980-er Jahren sah ich vielleicht 2 bis 3 Schwarze im Monat. Heute sehe ich die manchmal in einer Stunde. Rassismus hat auch eine Art Schutzfunktion, ein Schutzreflex, um die eigene bewährte Lebenszone zu schützen. Rassismus muss nicht immer negativ sein. Ich denke, es kommt auch darauf an, wie viele Fremde man im eigenen angestammten Lebensraum tolerieren kann. Und natürlich gibt es ein Unbehagen, wenn zu viele Fremde in diesen Lebensraum eindringen. Um so mehr, wenn diese Fremden kaum etwas zum BIP beitragen und überproportional durch kriminelle Handlungen auffallen. Zuwansderung muss der einheimischen Bevölkerung einen erkennbaren Nutzen erbringen, sonst zahlt die einhemische Bevölkerung drauf, wie es Helmut Schmidt mal formuliert hat. Die Situation der Schwarzen in den USA ist mit Deutschland nicht vergleichbar. Und von Polizeigewalt in Deutschland zu sprechen in lächerlich. Übergriffe von Polizisten sind doch bei uns sehr selten. Wenn aber Rassismus als Instrument degradiert wird, um durch Diffamierung der einheimischen Bevölkerung einen Nutzen ziehen zu können, dann könnte der Rassismusvorwurf gegen die einheimische Bevölkerung politisch legitimiert werden. In Berlin ist man mit dem neuen Polizeigesetz schon auf diesem Wege….

Rolf Menzen / 08.06.2020

Von den beteiligten fünf (einer wird seltsamerweise immer unterschlagen) Polizisten waren lediglich zwei Weiße. Zwei waren Asiaten und einer Afroamerikaner. Soviel zum Rassismus. Und da die Art der Fixierung von der Dienstvorschrift der Polizei von Minneapolis gedeckt war kommt allenfalls fahrlässige Tötung in Frage. Diese Informationen kann man sich, Kenntnisse der englischen Sprache vorausgesetzt, innerhalb von 15 verschaffen.

P. F. Hilker / 08.06.2020

Die Bewegung “Black Lives Matter” wird von mehreren linksgerichteten Organisationen gesteuert. Das ist Fakt. “Abolish Police” war im TV oft genug zu sehen.

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