Deutschland hat sich zu recht über den amerikanischen Rassismus empört, der zum Polizei-Mord an George Floyd geführt hat. Aber auch wohlfeil. Da dies nun ausgiebig geschehen ist, ist es wieder Zeit, vor der eigenen Haustür zu kehren. Das will ich tun und ein paar Worte über die Geschichte und die Gegenwart des Rassismus in Deutschland verlieren.
Zunächst einmal zur Erinnerung: Deutschland war zwölf Jahre lang mit Abstand der Weltmeister im Rassismus. Amerika hat eine lange Geschichte der Sklaverei, aber dort hat man es in diesen schlimmen Jahrhunderten nicht zu der millionenfachen systematischen Vernichtung menschlichen Lebens gebracht, die sich Nazi-Deutschland in viel kürzerer Zeit geleistet hat. Wenn man heute mit begründeter Abscheu über amerikanische Nazis spricht, spricht man zugleich von der Peinlichkeit, dass das Wort Nazi, das für besonders virulenten Rassismus steht, ein deutscher Export nach Übersee ist. Die Erfindung fand hierzulande statt. Und dass sie bei uns weiterlebt, etwa in ähnlichem Prozentsatz wie in den USA, ist im Land der Erfinder doppelt hässlich.
Unmittelbar nach der Nazi-Zeit, in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, gehörte rassistisches Denken und Handeln zum Mainstream. Ich selbst habe als junger Mann erlebt, wie eine Gaststätte in Essen einem Afrikaner, der damals ganz selbstverständlich noch Neger hieß, wegen seiner Hautfarbe der Zutritt verweigert hat. Wir haben uns daraufhin dieser Gaststätte verweigert, durften uns aber als kleine radikale Minderheit fühlen. Afrikaner wurden ganz offen als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Allerdings gab es damals schon einen Unterschied: Während in einigen Südstaaten der USA die Unterdrückung schwarzer Amerikaner noch offizielle Politik war, hatte der Rassismus in Deutschland keine offizielle Unterstützung mehr. So kam es, dass schwarze US-Soldaten hierzulande eine Freiheit spürten, Kontakte zu biodeutschen Frauen zu knüpfen, für die sie daheim in Teufels Küche gekommen wären.
Begafft wie Zoo-Geschöpfe
Eine kleine Freiheit. Aber keine selbstverständliche. Denn das Entsetzen, wenn eine deutsche Frau einen dunkelhäutigen Partner nach Hause brachte, war meist gewaltig. Kinder solcher Partnerschaften hatten es schwer. Viele wurden anfangs „heim“ nach Amerika verbracht, wo sie eine gemischte Erfahrung machten. Sie wurden nicht – wie damals in Deutschland – begafft wie Zoo-Geschöpfe, aber sie erfuhren die original amerikanische Diskriminierung.
Mit den Jahren hat sich bei uns die Lage verändert. Es gibt viel mehr Afro-Deutsche und Partnerschaften unterschiedlicher Herkünfte. Die Kuriosität ist verschwunden. Nicht aber das Problem, dass sich viele Hiesige mit dunklerer Hautfarbe mit subtileren Formen der Ablehnung konfrontiert sehen. Subtil, soweit es sich um die Reaktionen gutbürgerlicher, aber ablehnender Menschen handelt. Die bereits erwähnten Jung- und Altnazis kennen keine Subtilität. Gewalt ist ihre Lebensform. Das bekommen Schwarze, Juden und Araber immer wieder zu spüren. Dass sich Juden in Deutschland heute nicht nur von Rechtsextremisten sondern ebenso von radikalen Moslems bedroht sehen, ist ein anderes Thema.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Amerika und Deutschland ist das Verhältnis zur Polizei. US-Polizisten sind anders sozialisiert und arbeiten in anderen Verhältnissen. Dank der amerikanischen Waffen-Unkultur leben nicht nur Schwarze, sondern auch Polizisten gefährlich. Zur Zeit wird gerne vergessen, wie viele Polizisten in Amerika im Dienst ums Leben kommen. Die Stimmung ist angespannt. Das gehört durchaus in diese allgemeine Betrachtung, auch wenn sich der Erstickungstod George Floyds durch das Knie eines brutalen Cops damit nicht relativieren lässt. Mord ist Mord.
Jungrassisten mit Springerstiefeln
Schwarze Amerikaner erleben in Deutschland eine andere Polizei. Sie mögen allerlei Probleme haben, aber die amerikanische Sorge des „Driving while black“ haben sie hier normalerweise nicht. Statt sich vor der Polizei zu hüten, müssen sie sich vor zivilen Jungrassisten mit Springerstiefeln hüten.
Da Rassismus sich nicht ausschließlich gegen Schwarze richtet, hier noch ein kurzes Wort über Türken und Araber in Deutschland. Auch sie leben nicht in einer von Fremdenhass freien Zone. Die notorischen NSU-Morde wurden lange Zeit als innertürkische Gang-Gewalt behandelt, weil der Blick auf die rechtsextremistischen wahren Täter getrübt war. Dieser eingetrübte Blick nach rechts und der irrige Verdacht aufs türkische Milieu warfen ein grelles Schlaglicht auf gesellschaftliche und polizeiliche Vorurteile in Deutschland.
Insgesamt ist aber fraglich, ob mit Blick auf Türken und Araber der Begriff des Rassismus noch ganz zutreffend ist. Es ist mehr die Auseinandersetzung mit einer Kultur, die oft als fremd empfunden wird. Wer die hiesigen Lebensverhältnisse und Gesetze respektiert, hat gute Chancen, einer Diskriminierung zu entgehen. Rassismus ist umfassender. Ihm ist schwerer zu entkommen.
Nicht ganz von diesem uralten Laster befreit
Und damit dies nicht der Artikel eines Pharisäers wird, bekenne ich hier meine eigenen Phobien: Ich kann es nicht ausstehen, wenn ein nahöstlicher Schnösel in Jeans und T-Shirt seiner von Kopf bis Fuß verhüllten Partnerin vorausgeht, als freier Herr, dem eine Untertänige hinterher dackelt. Sowas hat hier nichts verloren. Und ich finde es unmöglich, dass sich arabische Clans wie rechtsradikale „Reichsbürger“ über unsere Gesetze und über unsere Polizei erheben. Da sind mir aus Not geflüchtete Afrikaner viel willkommener.
Nein, wir in Deutschland sind keine rassismusfreie Zone. Und nach meinem Teilgeständnis möchte ich noch die Unterstellung wagen, dass auch viele der guten Menschen, die die Völkerverständigung auf ihre Fahnen geheftet haben, sich in Wahrheit nicht ganz von diesem uralten Laster befreit haben. Da wird auch schon mal überkompensiert.
Entscheidend ist: Amerika ist anders. Der Rassismus in Amerika ist anders. Übrigens auch im positiven Sinne: Barack Obama kann für die breite Schicht gutbürgerlicher Afroamerikaner stehen, die Amerika heute mitprägen. Vor allem aber: Rassismus ist kein amerikanisches Unikat. Er ist international. Wenn wir Europäer, und ganz besonders wir Deutschen, uns also gerade in unserer moralischen Schein-Überlegenheit sonnen, wünsche ich viel Spaß und einen schmerzhaften Sonnenbrand.