Gerd Buurmann / 26.01.2023 / 14:00 / Foto: Gemeinfrei / 38 / Seite ausdrucken

Radikale Pazifistin. Geht das? Was meinen Sie?

Ist es möglich, in Anbetracht eines Aggressors, der Grenzen missachtet und in ein souveränes Land einmarschiert, pazifistisch zu bleiben? Als Versuch einer Beantwortung dieser Frage möchte ich eine Frau aus den Vereinigten Staaten von Amerika vorstellen, die Zeit ihres Lebens, auch während der zwei Weltkriege, eine radikale Pazifistin war.

Die Bundesregierung liefert Kiew Kampfpanzer, eine Entscheidung, die die Gräben innerhalb der durch den Krieg in der Ukraine eh schon gespaltenen deutschen Gesellschaft vertieft. Ist es möglich, in Anbetracht eines Aggressors, der Grenzen missachtet und in ein souveränes Land einmarschiert, pazifistisch zu bleiben?

Als Versuch einer Beantwortung dieser Frage möchte ich eine Frau aus den Vereinigten Staaten von Amerika vorstellen, die Zeit ihres Lebens, auch während der zwei Weltkriege, eine radikale Pazifistin war. Sogar in der Zeit des Krieges gegen die Nationalsozialisten stellte sie sich gegen einen Kriegsbeitritt der USA, was sie die politische Karriere und einige Freundschaften kostete. Ihr Name war Jeannette Pickering Rankin. Von ihr stammen die Worte:

„Man kann einen Krieg genauso wenig gewinnen wie ein Erdbeben.“

Schreiben Sie uns Ihre Meinung! Und nun zur Person: Jeannette Rankin wurde am 11. Juni 1880 geboren. Sie war die erste Frau, die jemals in den Vereinigten Staaten von Amerika ein Bundesamt innehatte. Sie wurde erstmals im Jahr 1916 und erneut im Jahr 1940 als Republikanerin aus Montana in das US-Repräsentantenhaus gewählt.

Die erste Frau, die im Parlament von Montana sprach

Als junge Frau studierte Rankin an der Universität von Washington in Seattle. Die Wahl der Universität war nicht grundlos. Washington war nämlich einer der ersten Staaten der USA, der Frauen das Wahlrecht eingeräumt hatte. Dieses Recht hatten die Frauen dort sogar schon inne, bevor Washington im Jahr 1889 ein Bundesstaat der USA wurde. Allerdings wurde den Frauen dieses Recht einige Jahre später wieder entzogen, als der Oberste Gerichtshof der Territorien die Entscheidung aufhob.

Am 8. November 1910 gaben die Männer des Bundesstaats Washington daher ihre Stimmen ab und entschieden sich mit überwältigender Mehrheit dafür, Frauen das Wahlrecht zu garantieren. Die Nachricht aus dem Bundesstaat Washington beflügelte die nationale Frauenwahlrechtsbewegung und den Kampf für das, was schließlich der 19. Verfassungszusatz werden sollte, in dem das bundesweite Wahlrecht für Frauen in der Verfassung verankert wurde.

Nach ihrer Rückkehr nach Montana wurde Rankin Präsidentin der Montana Women’s Suffrage Association. Im Februar 1911 war sie die erste Frau, die im Parlament von Montana sprach. Sie thematisierte in ihrer Rede die Entrechtung von Frauen in ihrem Heimatstaat.

„Die Welt sicher für die Demokratie machen“

Im November 1914 gewährte Montana als siebter Staat der USA Frauen das uneingeschränkte Wahlrecht. Bei den Kongresswahlen von 1916 in Montana wurde Rankin schließlich als erste Frau der US-amerikanischen Geschichte in den Kongress gewählt. In ihrer Siegesrede sagte sie:

„Ich bin mir der Verantwortung, die auf mir liegt, zutiefst bewusst.“

In ihre Zeit als Kongressabgeordnete fiel die Debatte über die Einführung des bundesweiten Frauenwahlrechts in den Vereinigten Staaten. Sie stimmte selbstverständlich dafür. Sie ist somit die einzige Frau der USA, die offiziell für das Frauenwahlrecht stimmen konnte und somit gestimmt hat.

In ihre erste Amtszeit fiel ebenfalls die Einberufung der außerordentlichen Aprilsitzung des Kongresses als Reaktion auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Am 2. April 1917 forderte der demokratische Präsident Woodrow Wilson den Kongress auf, Deutschland den Krieg zu erklären, um so „die Welt sicher für die Demokratie zu machen“.

Nach intensiver Debatte kam die Kriegsresolution am 6. April um drei Uhr morgens zur Abstimmung im Repräsentantenhaus. Rankin gab eine von fünfzig Stimmen gegen den Kriegsbeitritt ab: „Ich möchte für mein Land eintreten, aber ich kann nicht für den Krieg stimmen.“

„Als Frau kann ich nicht in den Krieg ziehen“

Einige Jahre später rechtfertigte sie ihre Entscheidung mit diesen Worten:

„Ich hatte das Gefühl, wenn die erste Frau zum ersten Mal die Möglichkeit hat, zum Krieg Nein zu sagen, dann sollte sie es sagen.“

Obwohl 49 männliche Abgeordnete und sechs Senatoren ebenfalls gegen den Kriegsbeitritt stimmten, wurde Rankin besonders kritisiert. Einige betrachteten ihre Wahlentscheidung sogar als Diskreditierung der Frauenrechtsbewegung. Ihre erste Amtszeit endete am 3. Januar 1919.

Im Alter von 60 Jahren kehrte sie für vier Jahre in den Kongress zurück. Aufgrund des Zweiten Weltkriegs debattierten dort die Mitglieder monatelang über die Frage einer Intervention der USA. Als am 7. Dezember 1941 der japanische Angriff auf Pearl Harbor erfolgte, entschieden sich die USA zum Kriegsbeitritt.

Am 8. Dezember 1941 stimmte Rankin als einziges Mitglied beider Kammern des Kongresses gegen die Kriegserklärung an Japan. In Saal war ein Zischen zu hören, als sie ihre Stimme abgab. Mehrere Kollegen baten sie, ihre Entscheidung zu ändern, um die Resolution einstimmig zu machen oder sich doch zumindest der Stimme zu enthalten, aber sie lehnte ab und erklärte:

„Als Frau kann ich nicht in den Krieg ziehen und ich weigere mich, jemand anderen zu schicken.“

„Wenn Du gegen Krieg bist, dann bist Du gegen Krieg“

Nach der Abstimmung wurde Rankin von Reportern bis in die Garderobe verfolgt. Dort musste sie in eine Telefonzelle flüchten, wo sie um Hilfe rief. Schließlich traf die Polizei des Kapitols ein, die sie in ihr Büro eskortierte, wo sie mit wütenden Telegrammen und Telefonanrufen überschwemmt wurde. Ein Telegramm ihres Bruders lautete: „Montana ist zu hundert Prozent gegen Dich.“

Ihre Weigerung, für den Kriegsbeitritt zu stimmen, zerrüttete sogar die Beziehung zu ihrer Familie; ein Phänomen, das wir heute nur allzu gut kennen.

Als am 11. Dezember 1941 über die Kriegserklärung gegen Deutschland abgestimmt wurde, enthielt sich Rankin. Ihre politische Karriere war damit faktisch beendet. Im Jahr 1942 trat sie nicht mehr zur Wiederwahl an. Als sie Jahre später gefragt wurde, ob sie ihre Tat jemals bereut habe, antwortete sie:

„Niemals. Wenn Du gegen Krieg bist, dann bist Du gegen Krieg, egal was passiert. Krieg ist eine falsche Methode, um zu versuchen, einen Streit beizulegen.“

Nach den beiden Weltkriegen bereiste Rankin die Welt und besuchte dabei häufig Indien, wo sie die pazifistischen Lehren von Mahatma Gandhi studierte. Während des Vietnamkriegs gründete sie im Januar 1968 im Alter von 87 Jahren die Jeannette-Rankin-Brigade, eine Koalition von Frauenfriedensgruppen. Mit etwa 5.000 Menschen ging sie zu den Stufen des Kapitols, wo sie dem Sprecher des Repräsentantenhauses eine Friedenspetition überreichten.

„Eine der umstrittensten und einzigartigsten Frauen in Montana“

Im Jahr 1972 überlegte Rankin, die mittlerweile schon in ihren Neunzigern war, ein drittes Mal in den Kongress zu gehen, um ein breiteres Publikum für ihre Opposition gegen den Vietnamkrieg zu gewinnen, aber langjährige Hals- und Herzbeschwerden zwangen sie, dieses letzte Projekt aufzugeben. Sie starb am 18. Mai 1973 im Alter von 92 Jahren in Kalifornien.

Eine Statue von ihr mit der Inschrift „I Cannot Vote For War“ („Ich kann nicht für den Krieg stimmen“) wurde 1985 in der Statuenhalle des Kapitols aufgestellt. Bei ihrer Einweihung erklärte die Historikerin Joan Hoff-Wilson, Rankin sei „eine der umstrittensten und einzigartigsten Frauen in Montana und in der amerikanischen, politischen Geschichte“ gewesen.

Ein paar Monate vor ihrem Tod im Jahr 1972 sprach Rankin vor dem Verfassungskonvent von Montana, diese Worte:

„Wenn ich auch wegen keiner anderen Tat in Erinnerung bleibe, so möchte ich doch als die einzige Frau in Erinnerung bleiben, die jemals dafür gestimmt hat, Frauen das Wahlrecht zu geben.“

Foto: Gemeinfrei

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Leo Anderson / 26.01.2023

Es kommt immer darauf an, gegen wen man antritt.  Mrs. Rankin hatte das Glück, in den USA Pazifistin sein zu dürfen. Im Russland Stalins oder in Hitlerdeutschland wäre sie nicht 92 Jahre alt geworden.

Thomas Szabó / 26.01.2023

Joseph Goebbels: “Wollt ihr den totalen Krieg?!” Jeannette Rankin: “Wollt ihr den totalen Frieden?!” Wenn die Welt auf Frau Rankin gehört hätte, dann hätte Hitler die Welt erobert. Totalitarismen ergänzen sich gegenseitig. Für einen Anhänger des totalen Krieges gibt es kein größeres Geschenk, als einen pazifistischen Gegner. Der Pazifismus totalitär interpretiert ergänzt den Kriegstotalitarismus. Frau Rankin war eine Frau von Charakter, Mut, Moral, Anstand, Aufrichtigkeit. Sie ist als Persönlichkeit bewundernswert. Ihr politisches Konzept des “totalen Friedens” ist genauso gutgemeint & gemeingefährlich wie Gandhis Idee “Bruder Hitler” mit Liebe zu begegnen; oder die “Religion des Friedens” mit Teddybären zu begrüßen.

Dr. Daniel Brauer / 26.01.2023

Die Überschrift, weißt auch gleich auf das Problem hin. Radikal ! Radikale tendieren dazu ihre Radikaliät immer auf dem Rücken anderer auszuleben. Jede Radikalität ist aus diesem Grund abzulehnen und kein Vorbild. Hätten die USA nicht auf die Aggression Japans aktiv reagiert, hätte Nippon seine pazifische Co- Prosperity- Sphere errichtet und wäre zuerst auf Hawaii und schlussendlich an der Westküste der USA einmarschiert. Radikaler und naiver Pazifismus schön und gut, aber das hätte unzählige Menschenleben gekostet. Und da reden wir noch nicht davon, was aus Europa geworden wäre. Ob die Dame, die niemals in die Verlegenheit gekommen wäre, selbst in den Krieg zu ziehen, dann immer noch auf ihrem hohen moralischen Ross gesessen hätte ? Vielleicht hat sie ja die kommende Rolle als Weltpolizist USA voraus geahnt und die Kriege gesehen, mit welchen die USA seitdem den Globus überziehen. Korea und Vietnam hat sie ja noch erlebt. Vielleicht aber ein schönes Beispiel für unsere wendehälsigen Grünen, die auch nie in die Verlegenheit kommen werden, selber an die Front zu müssen. Ob denen aber klar ist, das es keinen Regierungsbunker mehr gibt ?

Rolf Mainz / 26.01.2023

Ein wirklicher Pazifist wird jeden Krieg ablehnen, selbstverständlich. Vermeintliche Pazifisten, welche von diesem Prinzip “Ausnahmen machen”, entlarven sich selbst. Aktuelle Beispiele gibt es leider mehr als genug. Insbesondere die ehemalige “Friedenspartei” samt Genossen beweist - wie schon im Jugoslawien-Krieg - ihre wahren Motive und ihre widerliche Doppelmoral. Waffen zu liefern, um Frieden zu schaffen - was für eine plumpe Lüge. Und doch fallen genügend Menschen darauf herein. Wie Orwell schon prophezeite: War is peace; Freedom is slavery; Ignorance is strength”. Aktueller denn je.

S. Andersson / 26.01.2023

Wer, so wie die Ampel Regierung hier im geilsten D aller Zeiten, Waffen liefert und dann noch Lauthals verkündet das Waffen Frieden schaffen, der ist mehr als unfähig einen solchen Job zu machen. Schickt die Polit Genossen an die Front. Putin oder die Russen sind nicht meine Feinde, ich kenne die gar nicht. Krieg ist doch der Schlussstrich den geistig nicht so helle gerne ziehen möchten um ihr eigenes Versagen zu vertuschen. Das braucht/ will so gut wie keiner .... außer grenzdebile die sich am Krieg nur mit dummen Gelaber beteiligen. Ich brauche so was nicht .... viele andere mit Sichwerheit auch nicht.

Peter Holschke / 26.01.2023

Sage A und befördere B. Heute huldigen wir wieder den zweifachen Standards.  “Ist es möglich, in Anbetracht eines Aggressors, der ...” Das ist Kindergartenmoral. Was war aber mit den Aggressionen gehen den Irak, Lybien, Jugoslawien, Afghanistan usw. Ach ja, das war ja gegen die Bösen. Na dann. Und wer hat den Krieg in der Ukraine angezettelt und schreit jetzt: “Haltet den Dieb!”? Aber spätestens seit Thukydides weiß man, dass Doppelmoral sich selbst bestraft.

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