Achgut.com / 29.04.2013 / 19:10 / 0 / Seite ausdrucken

Rache für Bruno!

Heute geht’s bei Plasberg um die Frage: “Tier oder wir - wie viel Natur erträgt der Mensch?” Michael Miersch freut sich schon darauf, für mehr Toleranz gegenüber wilder Natur zu plädieren. Mehr Platz für Tiere statt für Bio-Gas-Maisäcker und Windkraft-Vogelschredder!

Siehe hier:
http://www.wdr.de/tv/hartaberfair/

Dazu passt gute eine Kolumne, die Maxeiner und ich im Bruno-Sommer 2006 verfasst haben:

Lasst die Bären los!

Von Maxeiner & Miersch

Erschienen in DIE WELT am 26.05.2006

Eigentlich wollten wir einen Willkommensgruß verfassen, aber während wir diese Zeilen schreiben, sind wir nicht sicher, ob nicht ein Nachruf daraus wird. Der erste wilde Bär brauchte zwar 170 Jahre um erstmals wieder deutschen Boden zu betreten, aber nur drei Tage um auf die Abschussliste zu gelangen.

In unserer Kindheit lag die Vorstellung, wilde Bären würden zurückkehren und Nachbars Hühnerstall leeren unendlich fern. Ungefähr so als würden wieder Ritter durch die Lande reiten. Die Zukunft, das schien ausgemacht, besteht aus Plastik und Beton. Kein Platz für Tiere. Aber von wegen. In den letzten Jahrzehnten
erleben wir eine wunderbaren Renaissance der wilden Natur. Wanderfalke, Uhu, Seeadler, Kranich, Schwarzstorch, Biber, Seehund, Steinbock und viele andere Arten sind heute weitaus häufiger als in unserer Schulzeit, teilweise sogar häufiger als vor 200 Jahren. Den ersten Kormoran sahen wir im Zoo. Heute sind diese Vögel in manchen Regionen eine Plage.

Sogar Raubiere (politisch korrekt: Beutegreifer) wie Luchs und Wolf kehrten in germanische Gefilde zurück. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gedeiht mehr Wildnis in Mitteleuropa als am Anfang des vorigen. Warum sollten wir uns zur Krönung nicht ein paar Braunbären gönnen? „Die Anwesenheit eines Bären,“ schrieb der amerikanische Wildbiologe Aldo Leopold, „verändert den Geschmack einer Landschaft.“ Respekt hat immer ein wenig mit Angst zu tun, das gilt auch für den Respekt vor der Natur.

Und nicht nur der Geschmack der Landschaft ändert sich: Die Anwesenheit eines einzigen Bären kann sogar für mehrere Tage Ballack, Beckenbauer und Gesellen die Show stehlen. Allein das ist schon erholsam. In München hat sich die Boulevardpresse gespalten, in Ursuphile („Lasst ihn leben!“, „Todesurteil für den Bären illegal!“) und gemäßigt Ursuphobe („Bär macht alle balla-balla!“).

Wir freuen uns über den zotteligen Migranten und rufen eingedenk unseres Lieblingsromans von John Irving: „Lasst die Bären los!“ Okay, es wäre medienpsychologisch besser gewesen, wenn statt eines Rabauken eine besonnene Bärin mit zwei niedlichen Welpen aus Österreich eingewandert wäre. Doch wie beim Menschen sind junge Männchen wanderlustiger und das geht mit einer gewissen Verwegenheit einher, die gelegentlich auch vor Hühnerställen nicht haltmacht. Womit wir zur dritten Lektion kommen, die uns der Bär lehrt: Aus Deutschland tönen stets vollmundige moralische Botschaftern, wie mit Robben vor Kanada oder Elefanten in Afrika umzugehen sei. Doch wenn in den Alpen ein einziger Bär ein paar Schafe frisst, erteilt sogleich ein Minister Abschussbefehl.

Das Argument, der Bär richte wirtschaftlichen Schaden an, überzeugt nicht. Wenn jeder erschossen würde, der hierzulande wirtschaftlichen Schaden anrichtet, wäre das gesamte bayrische Kabinett nicht mehr sicher. Aber selbst wenn man solch rigorose Maßnahmen auf Tiere beschränkt, ist die Entscheidung schlecht begründet. Die Statistik weist Hunde, Pferde und Bienen als die mit Abstand gefährlichsten Kreaturen aus. Sie verursachen weitaus mehr tödliche Unfälle als alle Wildtiere.

Und was das Ökonomische angeht: Bergbauerntum ist ohnehin ein Zuschussgeschäft. Auch anderswo in Europa haben die Landwirte gelernt, Wildtiere als Subventionsquelle zu nutzen. Die Erfahrung zeigt, dass der Appetit von Bären und Wölfen auf wundersame Weise ansteigt, wenn Schadensersatz für gerissene Haustiere lockt.

Dass Bären in der Nähe menschlicher Siedlungen nicht tolerierbar sind, widerlegen die Erfahrungen in Italien, Rumänien, USA und anderen Ländern, in denen die Tiere nicht weit von Ortschaften wohnen. Sie plündern gelegentlich eine Mülltonne und ernähren sich ansonsten im Wald. Zu sehen sind sie fast nie. Falls doch mal einer zu beobachten ist, rät der Wildbiologe Wolfgang Schröder: „Freuen Sie sich erst einmal fürchterlich. Nur wenigen Menschen wird dieses Glück zuteil.“

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