Thilo Schneider / 12.03.2023 / 13:00 / Foto: Pixabay / 10 / Seite ausdrucken

Rabenschwarz

In Illinois meldete eine Frau ihren Ehemann als vermisst. Der war einfach weg. Husch. Wie die Preußen nach der Schlacht bei Ligny. Danach ging sie anscheinend nach Hause und wartete auf eine Rückmeldung des Sheriffs oder des Ehegatten. Beides kam nie. 

Ich müsste mal: und zwar den Keller und die Garage ausräumen. Dafür, dass ich vor sieben Jahren einen privaten Neustart hingelegt habe, hat sich doch wieder verdammt viel angesammelt. An Zeug, das man „irgendwann wieder“ gebrauchen könnte oder das „zu schade zum Wegwerfen“ ist oder an dem „Erinnerungen hängen“. Ja, das sollte ich tun, dann gibt es Platz und der Schatz kann seinen Krempel besser parken, und so etwas entlastet ja auch. Irgendwie. 

Jedoch: Es kann sein, dass das jetzt doch keine so gute Idee ist. Es ist nur so eine kleine Meldung, über die ich gestolpert bin, die aber jede Menge Fragen in mir ausgelöst hat: Witzigerweise in Troy, Illinois, USA, meldete eine Frau ihren Ehemann am 27.04.2022 als vermisst. Der war einfach weg. Husch. Wie die Preußen nach der Schlacht bei Ligny. Danach ging sie anscheinend nach Hause und wartete auf eine Rückmeldung des Sheriffs oder des Ehegatten. Beides kam nie. 

Es dräute die Weihnachtszeit herauf und die Frau beschloss, verwunschener und verschwundener Ehemann hin oder her, es sich ein wenig heimelig zu machen und das traute Heim weihnachtlich zu dekorieren. Wenn es schon in der Wohnung komisch riecht, dann schadet etwas natürlicher Tannennadelduft im Wohnzimmer nicht. Also öffnete sie den Schrank mit dem Weihnachtsklimbim und siehe da: Die Leiche ihres Mannes stand mumifiziert im Mobiliar. Es hat anscheinend einen Grund, warum im Englischen „Furniture“ und „Funeral“ ähnlich klingen. 

Augenscheinlich, so die Polizei, hat sich jener Ehemann nicht aus, sondern in den Staub gemacht, in den Schrank gesetzt und sein Leben beendet. Und keiner hat’s gemerkt. Ja, es roch etwas seltsam um das Haus herum, aber die Verlassene schob das nicht auf einen möglichen Verflossenen im Schrank mit dem Weihnachtskram, sondern gemeinsam mit den Nachbarn auf eine Undichtigkeit der Kloake in Troy, Illinois, USA. 

So tragisch die Meldung vom Grunde auch ist, sie entbehrt nicht einer gewissen Komik: Ich stelle mir vor, wie die gute Jennifer Maedge den Schrank aufmacht und findet die mumifizierte, nichtsdestotrotz aber leicht müffelnde Leiche von Richard, eingewickelt in die bunte, vielleicht sogar – je nach Batterieladestand – blinkende Lichterkette, die sie eigentlich um den Christbaum schlingen wollte. Ein I-Tüpfelchen wäre natürlich, wenn Richard noch die Christbaumspitze in der Hand oder auf dem Kopf hätte. Dann hätte sie ihn schön im Wohnzimmer drapieren können. 

Wollte er den Sarg sparen und im Schrank beerdigt werden?

Daneben würde mich interessieren, was in Richard (53) vor sich gegangen ist: Ist der in den Schrank mit dem Hintergedanken, dass „das aber eine böse Weihnachts-Überraschung sein wird“, wenn die gute Jennifer den Weihnachtsklumpatsch sucht?  Wollte er den Sarg sparen und im Schrank beerdigt werden? War der Weihnachtsschrank der einzige Ort, an den er sich, von Jenny unbelästigt, zurückziehen konnte? War er sich sicher, sie würde ihn überall, nur nicht im Schrank vermuten? Aber welche Ehefrau würde ihren absenten Gatten auch schon im Schrank vermuten? Oder wenigstens im eigenen Schrank? Wie werden es nie erfahren, auch nicht, ob es sich tatsächlich um einen Selbstmord oder schlicht um einen Unfall handelte. Vielleicht glaubte Richard sich auch im Haus seiner Geliebten, so er eine hatte, und flüchtete in den Schrank, ohne dass dort jemand nach ihm suchen würde und er dann aus der Nummer beziehungsweise dem Mobiliar nicht mehr raus fand. Man weiß es nicht, man weiß es nicht. 

Die Schwester der trauernden Witwe beschimpft jetzt Bürgermeister und Polizei, sie hätten ja wohl nicht ordentlich ermittelt. Immerhin wären sie zweimal vor Ort gewesen, einmal nach der Vermisstenanzeige und einmal wegen des garstigen Odeurs ums Höllenhaus. Ich finde das ungerecht, denn wenn eine Frau ihren Mann als vermisst meldet, dann möchte ich den Polizisten auf der Welt sehen, der fragt: „Haben Sie mal im Schrank mit dem Weihnachtsschmuck oder unterm Bett nachgesehen?“ Wobei… Nach diesem Fall dürfte die Frage künftig zu den „reinen Routinefragen“ bei einer Vermisstenanzeige gelten. Ebenso, wie es nach Arnstetten zum guten Ermittlungston gehören sollte, mal in den Keller zu gehen. Und das nicht nur zum Lachen.  

Und, wenn man es mal zu Ende denkt, und damit schließe ich den Kreis vom Anfang: Jeder von uns hat ja so eine Gruft im Keller mit den Relikten der Vergangenheit, und jeder von uns nimmt sich vor, den nächste Woche mal auszuräumen, dochdoch. Aber nach dieser Meldung lasse ich es lieber. Ich habe Angst vor dem oder der, die ich finden könnte. Sollten Sie aber eines hoffentlich fernen Tages länger nichts mehr von mir hören oder lesen – tun Sie mir den Gefallen und sehen Sie daheim bei mir auf dem Dachboden nach. Da haben wir den Weihnachtsschmuck geparkt.   

(Weitere schwarze Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

 

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A. Ostrovsky / 12.03.2023

Hallo Herr Schneider, falls ich beim Anblick des Bildes mit dem introvertierten Raben spontan “Kwarkwar” rufen würde, wäre das der Beweis, dass ich völlig im Authismus verfangen bin und jeden Kontakt mit der Welt gekündigt hane. Dazu muss man wissen, dass ich glaube, dass der Rabe Corvus Corvus bei alten Kulturen den Namen “Kwarkwar garvann” hatte. Das Pikante, ..., ich bin der Einzige, der das glaubt. Damit wird Kommunikation unmöglich. Ist das nicht schlimm?

Heiko Stadler / 12.03.2023

Vielleicht wollte es der Mann Katzen nachmachen. Die schlafen nämlich gern im Kleiderschrank. Ich erinnere mich noch gut, als ich im Halbdunkel einen Pullover aus dem Schrank holen wollte, dabei aber ins Fell meiner erschrockenen Katze griff.

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