Ansgar Neuhof / 27.01.2021 / 06:00 / Foto: Amcaja / 54 / Seite ausdrucken

Quarantäne-Anordnungen – Einschüchtern gilt nicht

Strafen, Verbote, Einschüchterungen – das autoritäre Corona-Repressionssystem läuft auf vollen Touren. Ein Element dieses Systems ist die Quarantäne. Für den Fall ihrer Nichtbeachtung stellen Regierungen, Behörden und Medien schwerste Sanktionen in Aussicht – und das sogar solchen Personen, die nicht krank sind bzw. keine Krankheitssymptome haben und nicht einmal positiv getestet sind (und nur um diesen Personenkreis geht es in diesem Artikel). Das Sanktionsarsenal reicht von Bußgeldern bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung und Zwangseinweisungen. Manches davon ist nur ein Bluff (wie zum Beispiel die angebliche Strafbarkeit), anderes muss man ernst nehmen. 

Quarantäne bezeichnet die Isolierung von Personen zwecks Vermeidung der Ausbreitung von Krankheiten. In der praktischen Ausgestaltung ist damit die Verpflichtung gemeint, die eigene Wohnung nicht zu verlassen. Seit 23. Mai 2020 heißt es im Infektionsschutzgesetz (IfSG) Absonderung statt Quarantäne. In der Corona-Verordnung von Berlin werden die Begriffe Quarantäne und Absonderung synonym verwendet. Die Anordnung von Quarantäne erfolgt durch konkrete behördliche Verfügung an den einzelnen Bürger (zum Beispiel bei Kontakt mit einem positiv Getesteten) oder durch Regierungs-Verordnung (zum Beispiel bei Einreise aus einem Risikogebiet). Circa 800.000 Menschen sollen sich in Deutschland am 25. November 2020 in Quarantäne/Absonderung befunden haben, so war es hier zu lesen. Die wenigsten davon, weil sie ansteckend waren, die meisten vielmehr gesund und ohne Krankheitssymptome, ja sogar ohne positiven PCR-Test.

Hessische Minister nehmen Unschuldige ins Visier

Die Strafbarkeit bei Nichtbeachtung der Quarantäne ist in § 75 IfSG geregelt. Er lautet wie folgt „Mit Freiheitsstrafe … oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 30 Absatz 1 Satz 1 … zuwiderhandelt.“ 

§ 75 IfSG nimmt also Bezug auf § 30 Absatz 1 Satz 1 IfSG. Er lautet: „Die zuständige Behörde hat anzuordnen, dass Personen, die an Lungenpest oder … hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, … abgesondert werden.“  Corona/COVID-19 oder dergleichen ist in § 30 Absatz 1 Satz 1 IfSG nicht genannt, nicht einmal die Beulenpest, nur Lungenpest und hämorrhagisches Fieber. Die Nichtbeachtung einer Quarantäneanordnung bei Corona ist also nicht nach § 75 IfSG strafbar. Hierzu kann es im übrigen auch keine zwei Meinungen, wie sonst so häufig in der Juristerei, geben. 

Anmerkung: Corona-Quarantäneanordnungen ergehen auf der Grundlage von § 30 Absatz 1 Satz 2. Die Betonung liegt hier auf Satz 2. Und für Anordnungen nach Satz 2 sieht das IfSG keine Strafandrohung vor. 

Nicht nachvollziehbar ist es daher, was die hessischen Innen- und Sozialminister Peter Beuth (CDU) und Kai Klose (Grüne) in ihren gemeinsamen Anwendungshinweisen/Richtlinien für den Vollzug der Ge- und Verbote aus den Corona-Verordnungen vom 14. August 2020 schreiben. Auf S. 16 heißt es: „Gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG macht sich strafbar, wer einer vollziehbaren Anordnung nach §§ 28 Abs. 1 Satz 2, 30 Abs. 1 oder 31 IfSG … zuwiderhandelt. … So macht sich z. B. strafbar, wer gegen vom zuständigen Gesundheitsamt angeordnete Quarantäneabsonderungen nach § 30 Abs. 1 IfSG, insbesondere § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG verstößt.“ Diese  ministerielle Aussage ist falsch. Denn wie soeben dargestellt, sieht das IfSG eine Strafbarkeit bei Anordnungen nach Satz 2 nicht vor. Würden hessische Beamte den Anweisungen ihrer Minister Folge leisten, müssten sie zugleich gegen sich selbst wegen Verfolgung Unschuldiger ermitteln. 

[Anmerkung: Bis zu einer Gesetzesänderung im Mai 2020 war dies noch anders. Wer also gegebenenfalls im Netz Beiträge zu diesem Thema findet, möge darauf achten, wann der jeweilige Beitrag verfasst wurde.] 

In gleicher übler Weise schüchtern auch die ausführenden Behörden die Bürger ein, so beispielhaft das Landratsamt Waldshut in diesem Corona-Absonderungs-Bescheid vom 08. Oktober 2020 in den Hinweisen auf S. 3: „Rein vorsorglich weisen wir auf die Vorschrift des § 75 IfSG hin, wonach derjenige, der einer vollziehbaren Anordnung nicht nach § 30 Absatz 1 IfSG zuwiderhandelt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird.“ Das wäre nur bei Lungenpest und hämorrhagischem Fieber richtig, nicht aber bei Corona. 

Und natürlich machen auch die regierungsaffinen Medien bei der Einschüchterung der Bürger mit wie zum Beispiel die Neuesten Badischen Nachrichten hier am 24. Oktober 2020: „Quarantäne-Pflicht wegen Corona-Verdacht, aber keine Milch im Haus? Wer sich jetzt schnell auf den Weg in den Laden macht, gefährdet nicht nur andere, sondern begeht eine Straftat.“ Falsch, Milch holen, ist keine Straftat, auch nicht bei Corona-Verdacht. 

Bruch der Quarantäne nur ausnahmsweise strafbar (aber praktisch nicht relevant)

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Neben der Strafvorschrift des § 75 IfSG gibt es auch noch die des § 74 IfSG in Verbindung mit § 73 Absatz 1a Nr. 6 IfSG. Danach macht sich strafbar, wer eine Quarantäneanordnung nicht beachtet und dadurch den Krankheitserreger verbreitet. Diesen Fall erwähnen aber weder das Landratsamt Waldshut noch die beiden hessischen Minister. 

In der Praxis dürfte diese Regelung allenfalls bei tatsächlich Erkrankten oder tatsächlich Infektiösen relevant werden (die aber auch ohne Quarantäneanordnung zu Hause bleiben sollten), sonst aber leerlaufen. Denn dazu müsste die Staatsanwaltschaft nachweisen, dass die betreffende Person infektiös gewesen ist und das Virus auch tatsächlich weiterverbreitet hat. Sie müsste also den Betroffenen noch während des Laufs der Quarantäneanordnung auf Infektiosität testen, ebenso die mit ihm in Kontakt gekommenen Personen (an die er das Virus weiterverbreitet haben soll). Ein bloßer PCR-Test reicht hierzu nicht. Denn er weist weder eine akute Infektion nach (siehe Die tägliche Täuschung: Das RKI zählt am Gesetz vorbei) und erst recht keine Infektiosität (so jetzt auch das OVG NRW mit Beschluss vom 25.11.2020, S. 8). Oder um es mit den Worten des Virologen Christian Drosten zu sagen (siehe hier, S. 2): „Denn 70 oder 80 Prozent aller Infizierten geben das Virus nicht weiter.

Zugleich müsste die Staatsanwaltschaft nachweisen, dass das Virus weiterverbreitet wurde, also sich jemand beim Quarantänebrecher angesteckt hat. Bei einer sich massenhaft und über Aerosole/Tröpfchen ausbreitenden Krankheit praktisch kaum machbar. Und schließlich müsste die Staatsanwaltschaft den Nachweis führen, dass der Betroffene zumindest in Kauf nahm, das Virus zu verbreiten. Ohne Krankheitssymptome muss aber niemand ernsthaft annehmen, dass er infektiös ist und ein Virus verbreitet. Wenn schon positiv Getestete überwiegend nicht infektiös sind (siehe oben Drosten), dann erst recht nicht bloße Kontaktpersonen. 

Zwangsweise Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder Gefängnis?

Laut Medienberichten wollen zahlreiche Bundesländer zentrale Lager einrichten und dort Personen zwangseinweisen, die sich nicht an die Quarantäne halten (siehe hier oder hier). Dies in der Regel erst bei wiederholten Verstößen. Besonders infame Politiker wollen aber solche Zwangseinweisungen am liebsten gleich beim ersten Verstoß vornehmen lassen, so zum Beispiel der Schäuble-Schwiegersohn und baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (siehe hier).

Wer eine Quarantäneanordnung nicht befolgt, kann in der Tat gemäß § 30 Absatz 2 IfSG in einem abgeschlossenem Krankenhaus oder in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung untergebracht werden. Es handelt sich hierbei um eine zwangsweise Freiheitsentziehung, die aber nur in einem besonderen Verfahren auf Anordnung eines Richters erfolgen kann. 

Es ist höchst fraglich, ob eine solche Freiheitsentziehung bei einem Nicht-Störer in Betracht kommt, also bei einer Person, die nicht infiziert ist und nicht einmal positiv getestet ist und bei der eine Infektiösität und damit eine von ihm ausgehende Gefahr nicht festgestellt ist (wie gesagt, ein PCR-Test weist dies nicht nach). Der nach dem Gesetz erforderliche Ansteckungsverdacht dürfte insoweit fehlen (dazu Näheres unten). Dazu kommen die Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie verfassungsrechtliche und europarechtliche (Recht auf Freizügigkeit) Fragestellungen, die hier nicht erörtert werden können. 

Der Verfassungsjurist Christoph Degenhart weist laut diesem Artikel zu recht darauf hin, dass eine solche Maßnahme an eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung geknüpft sei. Ein vager Anfangsverdacht reiche nicht aus und „es müssten schon wiederholte massive Verstöße gegen die Quarantänepflicht vorliegen.“ 

Ungeachtet dieser rechtlichen Fragen dürfte allein schon aus zeitlichen Gründen ein solches Verfahren nur selten abgeschlossen sein, bevor die Anordnung einer 10- bis 14-tägigen Quarantäne erledigt ist. Erst einmal müssen wiederholte Verstöße gegen die Anordnung überhaupt festgestellt werden. Das wird nicht alles gleich am ersten Tag der Fall sein. Dann sind erforderlich Antragstellung der Behörde bei Gericht, Prüfung durch das Gericht, Zustellung von Antrag und Terminsladung an den Quarantänebrecher, Anhörung bei Gericht. Das dauert, erst recht, wenn das Verfahren so aussieht, wie es in dieser Meldung vom 14. Januar 2021 für Sachsen (siehe hier) beschrieben: „Das Vorgehen erfolgt stufenweise: eindringliche Ermahnung, Bußgeld, Gerichtsbeschluß", so das Ministerium.“ Es verwundert daher nicht, wenn es weiter heißt: „Bislang habe es keinen solchen Fall in Sachsen gegeben, man wolle aber vorbereitet sein.“ 

Um so mehr verwundert es allerdings, dass in Brandenburg angeblich bereits 30 Zwangseinweisungen erfolgt sein sollen, wenn auch aktuell keine mehr (siehe hier). Wer beharrlich die Regeln ignoriert und dabei mehrfach erwischt wurde, würde sich wohl spätestens bei Kenntnis vom gerichtlichen Einweisungsverfahren einer Festnahme durch Aufsuchen einer anderen Unterkunft für allenfalls ein paar Tage entziehen. Leider sind zu den Fällen keine näheren Informationen und/oder Entscheidungsgründe erhältlich, so dass eine Bewertung nicht vorgenommen werden kann. Interessant wäre zu erfahren: Welche Art Verstöße wurden festgestellt (das bloße Nicht-Öffnen der Tür ohne nachweisbares Verlassen der Wohnung ist sicher kein massiver Verstoß, der eine Einweisung rechtfertigt)? Warum hat sich der Betroffene nicht zumindest nach dem zweiten Regelverstoß an die Quarantäne gehalten? Warum konnte nicht spätestens bei der gerichtlichen Anhörung eine vernünftige Regelung zur Vermeidung der Zwangseinweisung getroffen werden (wie bei Straftatverdächtigen, die auf freien Fuß kommen). Oder haben sich die Behörden an solchen Personen abgearbeitet, die gar nicht verstanden haben, was mit ihnen geschieht. 

Anmerkung: Es gibt zwar theoretisch die Möglichkeit, von einer richterlichen Anhörung abzusehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe hier) ist dies aber selbst bei ansteckender Krankheit nur möglich, wenn kein Schutz des Richters möglich ist und ein ärztliches Gutachten dies bestätigt. Das ist bei Covid-19 sicher nicht der Fall. 

Vollstreckungsmaßnahmen wie unmittelbarer Zwang und Zwangsgeld?

Behörden drohen mitunter nicht nur mit Strafe und Zwangseinweisung, sondern auch mit körperlicher Gewalt (unmittelbarer Zwang) und Zwangsgeld bei Bruch der Quarantäne (zum Beispiel in dieser Absonderungsverfügung der Stadt Bonn vom November 2020). 

Der Einsatz körperlicher Gewalt im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung ist in der Praxis kaum durchführbar. Denn die Polizei kann nicht vor jeder Haustür stehen. Und die Menschen einzuzäunen (siehe hier), kann man zur Einschüchterung auch nur in seltenen Ausnahmefällen machen. 

Angst vor einer Zwangsgeldfestsetzung muss auch niemand haben. Bis ein Quarantäneverstoß festgestellt, ein Zwangsgeld festgesetzt und der Zwangsgeldbescheid zugestellt ist sowie die Zahlungs- und die Mahnfrist abgelaufen sind, ist die Quarantäne von 10 bis14 Tagen längst vorbei. Behörden dürfen jedoch ein etwaig festgesetztes Zwangsgeld nicht mehr beim Bürger eintreiben, wenn sich die erfüllbare Pflicht, also die Quarantäne, erledigt hat (siehe § 15 Absatz 3 Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes und vergleichbare Regelungen in den Ländern). Zwangsgelder sind ja keine Bußgelder oder Strafen, sondern dienen dem Zweck, den Bürger zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Dieser Zweck ist hinfällig, wenn die Quarantäne beendet ist. Zwangsgeldandrohungen gehen also bei solchen kurzfristigen Pflichten, die nach einigen Tagen erledigt sind, ins Leere. Das wissen natürlich auch die Behörden, was sie aber nicht hindert, solche Drohungen auszusprechen. 

Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld?

Die realistischste Sanktionsdrohung ist die der Verhängung von Bußgeldern. Sowohl im IfSG als auch in den Corona-Verordnungen der Bundesländer finden sich entsprechende Bußgeldvorschriften, die die Nichteinhaltung der Quarantäne sanktionieren. 

Hier ist juristisch alles noch offen. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung positioniert. Ein erster kleiner Hoffnungsschimmer für Betroffene ist das Urteil des AG Weimar vom 11. Januar 2021, mit dem ein Betroffener, der mit anderen Geburtstag gefeiert hat und dadurch gegen das Kontaktverbot verstoßen hatte, freigesprochen worden ist. Das Amtsgericht hält dieses Verbot für verfassungswidrig. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Es gibt dem Betroffenen dennoch eine zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit, die einen Freispruch selbst dann ermöglicht, wenn das höhere Gericht das Kontaktverbot für rechtmäßig hält. Eine Möglichkeit, die auch anderen Betroffenen zum Beispiel bei Quarantäneverstößen offensteht. 

Exkurs: Verbotsirrtum?

Der Betroffene kann einen Verbotsirrtum geltend machen. Wer eine Verbotsnorm nicht kennt oder sie für ungültig hält und deshalb sein Verhalten als rechtlich zulässig ansieht, darf nicht bestraft bzw. mit einem Bußgeld belegt werden. Damit das nicht jeder einfach so behaupten kann, gilt dies aber nur dann, wenn man seinen Irrtum nicht vermeiden konnte. Vermeiden kann man seinen Irrtum zum Beispiel, indem man sich bei einer fachkundigen Person informiert. Deswegen dringt man mit dem Einwand bei Gericht zumeist nicht durch. Die Besonderheit in Sachen Corona: Die Rechtslage ist völlig ungeklärt.

Bislang gibt es soweit ersichtlich nur das genannte Urteil des AG Weimar, aber sonst keine Entscheidungen, in denen die Frage der Rechtmäßigkeit von Corona-Rechtsverordnungen entschieden worden ist. Regelmäßig liegen nur Eilentscheidungen vor, in denen die Gerichte die Frage der Rechtmäßigkeit offen lassen und nur deshalb zu Lasten der Bürger entscheiden, weil sie dem allgemeinen Gesundheitsschutz Vorrang vor dem Individualinteresse des Bürgers einräumen. Damit ist aber nichts über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen an sich gesagt. Beispielhaft der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 16.11.2020 zur 8. Bayerischen Infektionsschutzverordnung: “Bei überschlägiger Prüfung kann weder von offensichtlichen Erfolgsaussichten noch von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Hauptantrags … hinsichtlich der in Rede stehenden Verordnungsbestimmungen ausgegangen werden.“

Auch das Bundesverfassungsgericht sieht den Ausgang von Verfassungsbeschwerden gegen Corona-Verordnungen regelmäßig als offen an (siehe beispielhaft hier). In Fällen ungeklärter Rechtslage soll es nach der Rechtsprechung (siehe hier) darauf ankommen, ob es zumutbar ist, die möglicherweise verbotene Handlung zu unterlassen, bis die Frage der Verbotenheit geklärt ist. Hierbei wären die Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit der Rechtsverordnung, das Interesse der Allgemeinheit zum Beispiel an der Quarantäne eines Gesunden und dessen Recht auf Freizügigkeit in die Prüfung einzubeziehen. Es kommt wie so häufig auf alle Umstände an. Ein kleiner Vorteil: Die Richter in Bußgeldsachen könnten sich mit Hilfe des Verbotsirrtums der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verordnung entziehen und Betroffene dennoch freisprechen. Zu viel Hoffnung wäre aber sicher fehl am Platze. 

Quarantäneverfügung und Ansteckungsverdacht 

Behördliche Quarantäneverfügungen sind sofort vollziehbar. Das heißt, sie müssen ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit befolgt werden. Um Verstöße mit Bußgeld ahnden zu können, genügt ein bloßes Zuwiderhandeln nach diesseitiger Ansicht allerdings nicht; es kommt auch auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Verfügung an. Denn die Eilbedürftigkeit von sofort vollziehbaren Anordnungen mag es zwar erfordern, sie auch dann durchzusetzen, wenn die Rechtmäßigkeit noch nicht geklärt ist. Eine nachträgliche Ahndung mit Bußgeld ist aber bei einer rechtswidrigen Anordnung nicht geboten, sondern würde die ohnehin schon zugefügte rechtswidrige Beeinträchtigung der Rechte noch fortsetzen. So wird es jedenfalls in anderen Nebenstrafrechtsgebieten wie dem Wertpapierhandelsgesetz gesehen (siehe Kommentierung bei Erbs/Kohlhaas/Wehowsky zu § 39 in der Fassung bis 2017, Rz. 80). Warum sollte der Staat sanktionieren dürfen, wenn er selbst rechtswidrig gehandelt hat? 

Neben Fragen des Verfassungs- und EU-Rechts ist im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung vor allem die Frage des konkreten Ansteckungsverdachts beim Quarantänepflichten zu prüfen, der Voraussetzung für eine Quarantäneanordnung ist. Ansteckungsverdächtig sind gemäß § 2 IfSG Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen haben, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Die entscheidende Frage lautet also: Bei wem ist das anzunehmen? Genügt es, mit jemandem in Kontakt gewesen zu sein, der positiv getestet ist? Die WHO hat hier mit einer neuen Nuterzerinformation vom 21.01.2021 zusätzliche Argumentationshilfe für Betroffene geleistet, in der sie die Ungeeignetheit von PCR-Tests als alleinigen Infektionsnachweisen bestätigt (siehe hier). 

Behörden und Gerichte machen es sich bisher einfach und stufen Kontaktpersonen der Kategorie I als ansteckungsverdächtig ein. Sie greifen dabei auf die Definition des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung zurück (siehe hier, Stand 15 Januar 2021). Gemäß Nr. 3.1. in Verbindung mit Anhang 1 gehören in zwei Konstellationen Kontaktpersonen zu einem Quellfall (= positiv Getesteten) in die Kategorie I:  

(A) Enger Kontakt unter 1,5 Meter: Infektiöses Virus wird vom Quellfall über Aerosole/Kleinpartikel und Tröpfchen ausgestoßen. … 

(B) Kontakt unabhängig vom Abstand (hohe Konzentration infektiöser Aerosole im Raum) … bei mangelnder Frischluftzufuhr in Innenräumen … Bei hoher Konzentration infektiöser Viruspartikel im Raum sind auch Personen gefährdet, die sich weit vom Quellfall entfernt aufhalten.

Wichtig: Das RKI verlangt in beiden Konstellationen, dass infektiöses Virusmaterial vorhanden ist. 

In Nr. 3.1.1. bildet das RKI dann allerdings einen Beispielsfall für Kontaktpersonen der Kategorie I, bei dem es auf Infektiösität verzichtet. Wörtlich heißt es: „Optional (nach Ermessen des Gesundheitsamts, auch im Hinblick auf die Praktikabilität): Personen mit Aufenthalt mit dem bestätigten COVID-19-Fall in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation (z.B. Schulklassen, gemeinsames Schulessen, Gruppenveranstaltungen), unabhängig von der individuellen Risikoermittlung (A, B)“. 

Das heißt, laut RKI können Personen zwar auch ohne Risikoermittlung (also auch ohne Vorhandensein von Infektiösität) als Kontaktpersonen der Kategorie I eingestuft werden. Allerdings gilt das nur „optional nach Ermessen des Gesundheitsamts und nach Praktikabilitätserwägungen. Im Klartext: Ob jemand in Quarantäne muss, steht im Belieben des zuständigen Behördenmitarbeiters und hängt davon ab, ob es gerade passt (praktikabel ist). 

Nun mag das RKI hier den Behörden einen gewissen Spielraum einräumen wollen. So mag die eine Behörde eine Schulklasse nach Hause schicken, eine andere Behörde die Schüler aber weiter beschulen lassen. Das geschieht augenscheinlich auch so (wenn Schule überhaupt stattfindet). In Frankfurt und Offenbach mussten Lehrer und Mitschüler von Corona-infizierten Mitschülern [richtig muß es wohl heißen: von positiv getesteten Mitschülern] nicht mehr in Quarantäne (siehe hier). Der Behördenwillkür sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt: es wäre sogar denkbar, dass von 20 Schülern einer Klasse zehn in Quarantäne geschickt werden und zehn andere nicht. 

Die Frage des Ansteckungsverdachts und der Rechtsmäßigkeit einer Quarantäneanordnung kann aber nicht davon abhängig sein, wie es einer Behörde oder einem Behördenmitarbeiter gerade so beliebt und was praktikabel ist. Wenn das RKI nur eine Option zur Quarantäne ausspricht, dann kann keine Rede davon sein, dass ein hinreichender Ansteckungsverdacht im Sinne des Gesetzes gegeben ist, der es erlaubt, Menschen zu Hause einzusperren. 

Das OVG Niedersachsen hat dennoch in einer relativ aktuellen Entscheidung vom 22. Oktober 2020 in einem solchen Optionsfall einen symptomlosen, ungetesteten Lehrer als Kontaktperson der Kategorie I eingestuft und dessen Quarantäne bestätigt. Diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar. Das OVG erwähnt nicht einmal, dass es nur um eine optionale Risikobeurteilung des RKI handelt. Es handelt sich um eine vorläufige Entscheidung, und es bleibt abzuwarten, ob das Gericht an seiner Ansicht in der Hauptsache festhält und wie andere Gerichte die Rechtslage in solchen Fällen beurteilen. 

Ergebnis

Die Bürger werden in Angst versetzt und gehalten – in Angst vor dem Virus, aber auch in Angst vor Sanktionen bei unbotmäßigem Verhalten. Auch vor offenkundigen Falschinformationen schrecken Regierungen, Behörden und Medien nicht zurück. Wer symptomlos und nicht krank ist und nicht positiv getestet ist, muss vor der Drohung mit Strafe und Zwangsgeld bei Nichtbeachtung der Quarantäne (vorbehaltlich jederzeit möglicher Gesetzesverschärfungen) keine Angst haben und sich nicht einschüchtern lassen. Auch das Risiko von Zwangseinweisungen ist äußerst gering. Die Sanktionsdrohung Bußgeld ist hingegen deutlich realer, chancenlos ist man aber nicht. Als Anwalt kann man daher nur sagen: Auf der sicheren Seite steht man nur, wenn man sich an alle Normen hält, die die Staatsmacht setzt, und sie nicht infrage stellt. Als (noch) freier Bürger muss man konstatieren: Freiheit gibt es nicht immer umsonst. 

P.S. Dieser Artikel ersetzt keine Rechtsberatung. Der Autor selbst berät in Sachen Corona nicht. 

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Leserpost

netiquette:

Franz Klar / 27.01.2021

@Wolfgang Rentzsch , Renate Bahl : das ist wider die Valentinsche Regel ! ” Möchten hätten wir schon gewollt , aber dürfen haben wir uns nicht getraut ” .  “Hannemann, geh du voran!Du hast die größten Stiefel an,dass dich das Tier nicht beißen kann.” lautet ein anderer rechtsphilosophischer Grundsatz . Aus dem Schatzkästlein des juristischen Hausfreunds .

Fred Burig / 27.01.2021

Sehr geehrter Herr Neuhof, ihre Ausführungen sind sehr interessant für uns “Normalbürger” ohne tieferen Wissens in derartige Rechtsfragen. Nun entnimmt man ihrem Fazit, dass zwar einiges im “Corona- Modus” seitens der Machthaber nicht rechtmäßig erfolgt sei, jedoch es irgendwie hinzunehmen ist. Das halte ich für einen fatalen Irrtum. Wenn geltendes Recht - u.a. durch unrechtmäßige Anordnungen gegen das Volk ausgehebelt wird, dann ist es Sache der gewählten “Volksvertreter”, das zurechtzurücken. Wenn man aber sieht, dass diesbezüglich nicht nur bei Corona Mutationen auftreten, sondern auch die Volksvertreter zu Volksverrätern mutieren, kann die Forderung des Volkes nach Wiederherstellung von Recht und Ordnung wohl nur in Eigeninitiative durchgesetzt werden. Wenn dann auch noch die “Rechtsvertreter” eher zurückhaltend agieren, bleibt ja leider nur der “offene Widerstand” übrig. Wie das geht, sieht man derzeit u.a. in den Niederlanden. Kein vernünftiger Mensch wünscht sich freiwillig solche Zustände. Wenn aber den Corona- Diktatoren nicht anders beizukommen ist, ist nichts mehr auszuschließen! MfG

Enrique Mechau / 27.01.2021

Das alles ist nur möglich, weil Frau Staatsratsvorsitzende jedem der widerspricht mit einer dicken Stasi-Akte winkt. Nun möchte sie auch noch schneller (also noch mehr am Parlament und dem Grundgesetz vorbei) selbst entscheiden und anordnen. Wenn man diese Tante hört (mir bricht das Herz, hört man O-Ton Miehle (ich liebe doch alle Menschen). Perverser geht es nicht mehr. Außerdem sind Deutsche immer bereit im vorauseilenden Kadavergehorsam und zu Gesetzen noch weitere, verschärfende Ausführungsbestimmungen (meist selbsterdachte) zu kreieren, um sich Lieb Kind zu machen und andere sich der Beobachtung anderer zu widmen und zu denunzieren. Und nicht zu vergessen; hier sind Unmengen an Geld zu bekommen; erst Schal, dann selbstgemachte Masken, dann irgendwelche Masten und jetzt zum Geschäft: FFP2 Masken. Bravo, das alles ist wahre Demokratur!

Renate Bahl / 27.01.2021

@Wolfgang Rentzsch. D’accord!! Diese Frage stelle ich mir bereits seit 2015. Und seit Corona immer und immer wieder. Es gibt doch in DE Scharen von Anwälten, wenn nur 20% davon aktiv werden, bricht doch eine Welle los. Verstehen kann ich das nicht.

Rainer Nicolaisen / 27.01.2021

Benennen wir doch das Stattfindende als das, was es ist : staatlicher TERROR.

Horst Jungsbluth / 27.01.2021

Natürlich muss diese Pandemie eingedämmt werden, das ist gar keine Frage und das Infektionsschutzgesetz bietet Bund, Ländern, Gemeinden und Behörden Möglichkeiten in Form von Verordnungen entsprechend zu handeln. Dass Behörden, die ansonsten ziemlich träge sind,  schon mal übers Ziel hinausschießen, ist leider gelebte Praxis. Aber auch bei mir verfestigt sich der Eindruck, dass diese Pandemie von den “Strategen des Untergangs” (und ich weiß als Berliner wovon ich schreibe) und ihren gehirngewaschenen Anhängern genutzt wird, um unseren bereits wackligen demokratischen Rechtsstaat weiter zu destabilisieren. Gerade in Berlin haben wir es bereits mit dem Start des von der diktatorischen SED gewollten SPD/AL-Senats 1989 erdulden müssen, dass das Strafrecht praktisch außer Kraft gesetzt wurde und stattdessen nach einem dieser berüchtigten Strategiepapiere, die auch jetzt wieder kreisen, mit gefälschten Vorschriften und unzutreffenden Gründen unter schlimmstem Missbrauch der Verwaltungsgesetze unbescholtene Bürger (damals Selbständige und Hauseigentümer) wie Verbrecher gejagt wurden, was deshalb damals funktionierte, weil Politik, Ämter, Verwaltung und sogar die Wissenschaften gleichgeschaltet waren. Und nun auf ein Neues: Statt Westberlin nun eben die gesamte Bundesrepublik, an dem Transformationsgesetz wird wohl schon gearbeitet.

Fridolin Kiesewetter / 27.01.2021

Also mit einem Wort: Recht hat, wer die Macht hat.

Eric Knittel / 27.01.2021

Auch wenn man den Coronamaßnahmen der Regierung insgesamt kritisch gegenübersteht, heißt das nicht, dass jede Maßnahme, die der Infektionseinschränkung dient abzulehnen ist. Deshalb berührt mich- die in dem Artikel geführte, Rechtsanalyse nicht, da es selbstverständlich sein sollte, bei Infektionsverdacht keine Kontakte zu haben. Und die zeitweise Einschränkung von Freiheitsrechten durch eine angeordnete Quarantäne ist in diesem Fall ein verhältnismäßiges und geeignetes Mittel- auch aus persönlicher Erfahrung. Ich wurde als Kontaktperson ersten Grades, ohne Symptome in Quarantäne geschickt, Nach 5 Tagen traten erste Symptome auf und ein positiver PCR Test folgte. Und nach überstandener Coronainfektion bin ich froh, keinen Mitmenschen gefährdet zu haben.    

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