Peter Grimm / 20.06.2018 / 11:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 21 / Seite ausdrucken

Putsch-Phantasien eines Spiegel-Kolumnisten

Liebhabern absurder Gedankengebäude kann man in diesen Tagen die Kolumne von Georg Diez auf Spiegel Online unter dem schönen Titel „Die Toten des Seehofer-Putsches“ empfehlen.

Seehofer-Putsch? Will der Innenminister jetzt die Bundespolizei aufmarschieren lassen, um das Kanzlerinnenamt mit Waffengewalt zu besetzen? Bislang ging es doch nur darum, ob er die mündliche Anweisung seines Vorgängers, an der Grenze den Vollzug deutschen Rechts gegenüber Asylantragstellern auszusetzen, aufhebt. Wie kann denn, wer die jahrelange Nichtanwendung deutscher Gesetze wieder in rechtskonformes Handelns umwandeln will, ein Putschist sein? Hier gibt es die Antwort:

„Jede Zeit hat ihre spezielle Form und Gestalt des politischen Putsches. Beim Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920 waren es militante Weltkriegsveteranen, die gegen Berlin marschierten, um die Republik zu kippen. Beim Seehofer-Söder-Putsch vom Juni 2018 sind es militante Wahlkämpfer, die gegen Angela Merkel marschieren, um – ja was eigentlich?

In vielem erinnert das, was die CSU gerade anstellt, an den wütenden Aktionismus von autoritär veranlagten Menschen wie Donald Trump oder ähnlichen, die einfach keine Lust mehr haben auf demokratische Spielregeln und das politische Prozedere und schlicht Taten schaffen wollen, kostete es, was es wolle, und ganz egal ist dabei auch, dass sie keinen wirklichen Plan haben für das, was passieren soll, wenn sie alles kurz und klein geschlagen haben.“

„Im Felde unbesiegt“ = „Grenzöffnung“

Vom Kapp-Putsch über Trump zu Seehofer, sogar ohne die böse, böse AfD zu streifen, darauf muss man erst einmal kommen. Georg Diez scheint auch ein ganz spezielles Demokratieverständnis zu haben, wenn für ihn eine mündliche Ministeranweisung aus dem Hinterzimmer, die für Masseneinwanderung sorgte, zu den demokratischen Spielregeln zu zählen scheint. Denn um die geht es ja schließlich vor allem bei Seehofers Vorstoß. Unabhängig davon, dass der Innenminister ja schon wieder zögert, seine vollmundigen Ankündigungen umzusetzen, so reagiert er auf vor knapp drei Jahren geschaffene Tatsachen, die eben nicht auf der Legitimation eines demokratischen Parlamentsbeschlusses fußen.

Das mit dem Kapp-Putsch vergleichen zu wollen, ist schon äußerst speziell. Das spürt Diez offenbar auch und schiebt eine kleine Erklärung nach:

„Ein Unterschied, um das gleich klarzumachen, ist dabei der zwischen Krieg und Karrierismus – verbunden wiederum durch eine doppelte Dolchstoßlegende, eine historische Verdrehung, eine wieder und wieder verbreitete Unwahrheit: Das eine Mal war es das „Im Felde unbesiegt“, wonach die Politik den deutschen Soldaten in den Rücken gestochen habe; das andere Mal ist es die „Grenzöffnung“, wonach die Politik das deutsche Volk der Flutung durch Geflüchtete preisgegeben habe.

Ein anderer Unterschied betrifft die Gewalt, die mit jedem Putsch verbunden ist: Die Toten des Kapp-Lüttwitz-Putsches, mehr als 1000, liegen zumeist auf Friedhöfen, es gibt Ehrengräber und Gedenktafeln. Die Toten des Seehofer-Söder-Putsches, die Zahlen sind zukünftig und schwer abzuschätzen, mehrere Zehntausend sind bislang auf der Flucht nach Europa umgekommen, sind oft Futter für die Fische.“

Ist das nicht atemberaubend? Wer also Zuwanderer abschrecken will, ist schuldig daran, wenn sie tausende Dollar an Schleuser zahlen, um nach Deutschland zu kommen, an der Mittelmeerküste seeuntaugliche Boote besteigen und Opfer dieses Risikos werden? Gehen diese Toten nicht eher auf das Konto derer, die weiterhin mit dem Angebot von Vollversorgung und Geld für jeden, der einen Asylantrag stellt, die Grundlage für das große Geschäft der Schleuser-Mafia bieten?

Söder-Seehofer-Putsch seit drei Jahren vorbereitet

Nein, um solche Fragen geht es dem Kollegen Diez erwartungsgemäß nicht. Er braucht die Folie des rechten Putschversuchs gegen die Weimarer Republik, um zu denen zu kommen, die er wirklich anklagen will. Da ist ihm auch Seehofer nur Mittel zum Zweck.

„Gemeinsam ist diesen beiden deutschen Putschs, dass sie lange vorbereitet wurden: Die Inkubationszeit des Kapp-Lüttwitz-Putsches betrug knapp eineinhalb Jahre seit dem Ende des Ersten Weltkrieges im Herbst 1918; die Inkubationszeit des Seehofer-Söder-Putsches betrug knapp drei Jahre seit der Entscheidung von Angela Merkel im Sommer 2015, die Grenzen für die Geflüchteten offen zu lassen und nicht zu schließen.

Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie sich in einem Umfeld von medialer Agitation, verbreitetem Rechtsbruch und generellem Hyperventilieren ereigneten, vorbereitet und begleitet durch Intellektuelle, Schriftsteller, Denker, die mit ihren Mitteln die allgemeine Stimmung schürten.“

Bei solch einer Eröffnung muss doch nun aber auch ein Hauptschuldiger vor das Diez-Tribunal gestellt werden:

„Womit wir bei Rüdiger Safranski wären, der am kommenden Dienstag mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet wird, der seit 1997 praktisch ausschließlich an Männer verliehen wird. […] Es sind Leute wie Safranski, wie Sloterdijk, wie Baberowski, wie Tellkamp, wie Neo Rauch, es sind diese Künstler und Intellektuellen aus der Mitte ihres jeweiligen Milieus, die für die Härte, die Enge, die Ausgrenzung verantwortlich sind, wie sie die CSU heute in Politik umsetzt.“

Ob es Herr Diez daheim, in seinem privaten Reiche, auch ablehnen würde, ungebetenen Gästen mit Härte, Enge und Ausgrenzung zu begegnen, obwohl diese Armen doch nur von seinem Wohlstand angezogen wurden, weshalb sie von ihm Hilfe wünschen und in seinem wohnlichen Heim nur Schutz vor der ungemütlichen Außenwelt suchen?

Selbst wenn Sie das für einen dummen Vergleich halten, passender als der von Seehofer mit Kapp ist er allemal. Und wenn Ihnen das alles doch nicht absurd genug klingt, dann lesen sie die ganze Kolumne, denn Georg Diez arbeitet sich noch ein paar Absätze lang an Rüdiger Safranski ab. Wir können hier doch nicht alles zitieren.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Archi W. Bechlenberg / 20.06.2018

Einen ganzen Diez tue ich mir sicher nicht an. Ich esse ja auch keine müffelnde Auster. Aber auf “Putsch” und den guten alten Dolchstoß warte ich schon lange. Denn natürlich wird man später, hockend zwischen den Trümmern eines einst im Großen und Ganzen okayen Landes behaupten, “wir” hätten es ja nur deshalb nicht “geschafft” weil mehr gestänkert, kritisiert und genazit wurde, anstatt mitangepackt.

Karla Kuhn / 20.06.2018

In grauer Vorzeit konnte ich den Spiegel lesen. Heute ?? Keinen Cent dafür.  Putsch wirkt natürlich kolossal, genau wie “stürzende Wassermassen”, auch wenn es nur nieselt. Müssen “Quali-Medien” zu immer drastischeren Schlagzeilen greifen, damit viele Menschen wenigsten im Vorbeigehen die Frontseite lesen ?”

Rolf Menzen / 20.06.2018

Georg Diez ist definitiv ein Linksaussenaktivist und kein Journalist. Nachzulesen in seinen Auslassungen über “zeitgemäßen Journalismus”, die das journalistische Verständnis von Prawda und Neuem Deutschland haben.

Ulf Renner / 20.06.2018

Diez richtet sich einmal mehr selbst, in jeder Hinsicht. Was für ein riesiges Astloch!

P.Gross / 20.06.2018

Georg Diez bei SPON , am Sonntag, 17.06., 09:03 Uhr, im Jahre des Herrn 2018: “Mit seiner Agitation gegen Merkel befördert Seehofer eine Politik, die Tausende von Opfern fordern wird” Sehr geehrter Herr Grimm, vielen Dank für Ihre gelungene Aufarbeitung der aktuellen Diez´schen Fieberphantasien. Bei SPON , unter dem Motto “Kolumnen” , vulgo auch “betreutes Schreiben” für Menschen die sich als intellektuelle Elite dieses Landes selbstverorten, also Leutchen von A wie Ataman und Augstein über S.Berg, o.g. Diez sowie dem alternden rotbürsten Hobby-Irokesen S.Lobo und weitere bis hin zum S und der hoffnungslos selbstgefälligen Schreibeuse Stokowski kann man allwöchentlich, sofern man wie Sie einen gewissen ekelreflex überwindet, so einen irrsinnigen Sch..ss lesen, wie den weiter oben zitierten aus dem unsäglich dämlichen Geschreibsel des Herrn Diez aus “Die Toten des Seehofer-Putsches”. Ich weiss´, dass meine Lesermeinung hier ein wenig den höflichen Ton vermissen lässt - sehen Sie es mir bitte nach. Ich bin mittlerweile zutiefst wütend über diese unsägliche online-Postille, die es ihren Autoren durchgehen lässt solch hetzerischen Müll abzusondern und diese Elaborate auch noch veröffentlicht. Die müssen doch ihre Leser für volldebile, geistige Grenzgänger halten… Mit Verlaub, ich werde das Gefühl nicht los, dass in diesem Lande mittlerweile Krieg herrscht. Gottlob sind wir diesmal auf der Seite der Guten und Gerechten. Mit Grüßen, P.Gross

P.Steigert / 20.06.2018

Bei der perfiden Rhetorik, übler Geschichtskliterei und Hetze(!), wie sie nicht nur vom Spiegel verbreitet wird, verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass die Linken den Propaganda-Kampf auf die Spitze treiben werden, und zwar mit dem Ziel der eigenen Machtübernahme und Beerdigung des Restes an Demokratie, welches uns geblieben ist. Sollten Konservative vorher doch die Wahlen gewinnen, rechne ich mit der Wiedergeburt der RAF. Und es werden wieder bekannte Journalisten sein, die ganz oben auf den Fahndungsphotos vertreten sein werden.

Andreas Stüve / 20.06.2018

Lieber Herr Grimm, angeregt durch einen Beitrag von Max Erdinger auf ” Jouwatch” habe ich mir das Mach-Werk von Dietz in seiner vollen Pracht angetan und hatte den Anschein, auf “Postillon” oder ” Titanic” gelandet zu sein. Umso besser, dass auch Sie sich über den Zustand des Journalismus in diesem Lande ernsthafte Gedanken machen. Es muss wohl tatsächlich noch Leute geben, die Spiegel (Druck oder online) lesen. Und sich damit ideologisch in eine Linie mit den Lesern von taz oder Neues Deutschland einreihen. Damit haben wir dann wohl nicht nur die Creme de la Creme der ” Produkte”, sondern auch die der Konsumenten. Dietz glänzt hier mit historischer Unwissenheit, völlig unsinnigen Vergleichen und Vergötterung des militanten Gutmenschentums. Bei der gestrigen Lektüre kam mir eine Idee, die der Ihrigen sehr ähnlich ist. Nämlich allen professionellen Hypermoralisten die Saläre bis auf das Existenzminimum zu pfänden und die nunmehr freigewordenen Summen an die jeweils regional zuständigen Islamisierungsbehörden zur weiteren Verwendung zu überweisen. Ich denke, das diese Maas (?)-Nahme den Berufsaltruismus einiger Zeitgenossen deutlich dämpfen würde. Danke für Ihre Zeilen, schön, das es die Achse gibt. Gut, dass wir verglichen haben.

Florian Bode / 20.06.2018

Das “Nachrichtenmagazin” beschäftigt doch jede Menge solcher Kommentaclowns. Neben dem irren G. Dietz fellen besonders der Hr. Augstein und die Fr. Berg durch eine extreme Realitätsverweigerungskompetenz auf. Nunja, muss man nicht lesen. Ich nehme ja auch nie den “Wachturm” an.

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