Gunnar Heinsohn / 22.02.2022 / 06:15 / Foto: kremlin.ru / 175 / Seite ausdrucken

Putin will siegen, aber nicht kämpfen

Will Putin triumphieren, ohne tausende von Soldaten zu verlieren, muss er die ukrainische Angst vergrößern. Das tut er dadurch, dass er praktisch alle überhaupt noch einsatzfähigen Truppen ihre Grenzen bedrohen lässt.

Wir sehen in Russland keine Demonstrationen für die Eroberung der Ukraine. Es gibt keine jungen Männer, die durch Moskau oder Petersburg marschieren und ihre Opferbereitschaft bekunden. Kaum jemand will für Wladimir und das Heilige Russland sterben.

Ihre Heimat gehört zu den schrumpfvergreisenden Nationen, wo das Durchschnittsalter zwischen 1950 und 2021 von 24 auf 40 Jahre steigt. [1] Der Kriegsindex steht bei rund 0,7. Auf 1.000 Männer im Alter von 55 bis 59 Jahren folgen nur noch 700 Jünglinge zwischen 15 und 19. [2] Die Nation als Ganzes fürchtet Verluste, weil mit jedem Gefallenen eine Familienlinie ausgelöscht wird. Der Einzelne wiederum verspürt keine Neigung zum Heldentod, weil es genügend Optionen gibt. Das ist anders in Ländern mit einem Kriegsindex von 6 wie in Mali oder Jemen, wo 6.000 Jünglinge um die Positionen von 1.000 Alten konkurrieren und schnell merken, dass es nicht für alle reicht. Ist dann der Ausweg in die Emigration verschlossen, beginnen – unter hehren Idealen – Rebellionen oder gar Revolutionen, die keineswegs ihre Kinder, sondern ihre Brüder so lange fressen, bis ein Gleichgewicht erreicht ist.

Als Amerikas Oberkommandierender Mark Milley am 5. Februar mitteilt, dass Putin bei seiner Invasion rund 15.000 Ukrainer töten, aber selbst auch 4.000 Mann verlieren würde [3], musste ihn das stärker beunruhigen als alle westlichen Sanktionsankündigen.

Auch die Ukraine wackelt demografisch. Sie steigert ihr Durchschnittsalter zwischen 1950 und 2021 von 28 auf 41 Jahre [4] und steht beim Kriegsindex auf vergleichbar tönernen Füßen. Es mag mehr Überlebens- und Freiheitswillen geben als auf der russischen Seite, aber die Bereitschaft, Verluste hinzunehmen, wird schnell erlöschen.

Will Putin triumphieren, ohne tausende von Soldaten zu verlieren, muss er die ukrainische Angst vergrößern. Das tut er dadurch, dass er praktisch alle überhaupt noch einsatzfähigen Truppen ihre Grenzen bedrohen lässt. Ein gewiefter Gegner würde ihn gerade dort angreifen, wo er sich schutzlos gemacht hat. Doch die NATO muss er nicht fürchten. Mehr als ein Fischereiunfall mit Beschädigung der Nordstream-Pipeline wird wohl kaum erwogen.

Er hätte Mütter und Witwen vor dem Kreml

Die Ukraine weiß natürlich, dass Putin 12.000 Panzer hat. [5] Sie weiß aber auch, dass er davon nicht einmal 300 nebst 900 bis 1.200 in ihnen verbrennenden Soldaten verlieren kann. Er hätte Mütter und Witwen vor dem Kreml. Selbst unterm Kommunismus – im Afghanistankrieg von 1979 bis 1989 – hatten die Frauen keine Angst, gegen das Sterben von am Ende 13.000 Mann zu protestieren. Putin wird verehrt, weil er 2014 die Krim ohne einen einzigen Schuss erobert hat. „Ohne den Verlust eines einzigen Soldaten“, übersetzte das die Heimatfront.

Kiew bittet als Antwort auf die Drohkulisse Berlin um 12.000 Panzerabwehrraketen. [6] Die könnte man liefern. Putin erkennt die Gefahr und fordert vom Westen den Verzicht auf die einzig taugliche Verteidigungshilfe, die Donald Trump 2017 mit der Lieferung von Javelin-Raketen begonnen hatte. Deutschlands Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder tritt Putin zur Seite und beschuldigt Kiew des Säbelrasselns. [7] Der aktuelle Bundeskanzler und seine Außenministerin geben denn auch nicht eine einzige Waffe heraus. Selbst die versprochenen 5.000 Helme sind noch nicht ausgeliefert. Was England und Amerika – ohne Verletzung des deutschen Luftraums – an die Ukraine liefern, wird nicht reichen.

Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Berlin, beklagt die Verweigerung von „Waffen für die Verteidigung“ [8] als Verrat. Sein Land wird nicht lange oder überhaupt nicht kämpfen, wenn es die Panzer mit Stahlhelmen stoppen soll. Wie Angreifer einen Vorwand präsentieren müssen, benötigen die Überfallenen einen respektablen Grund, ihr Leben nicht in die Schanze zu schlagen. Während Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko noch am 11. Februar ankündigt, dass er als 51-Jähriger „mit der Waffe in der Hand“ [9] seine Hauptstadt verteidigen werde, sagt er nach Berlins endgültiger Ablehnung der Lieferung panzerbrechender Waffen am 18. Februar: „Mit Helmen können wir das nicht schaffen." [10]

 

Gunnar Heinsohn hat 2011 am NATO Defense College (NDC/Rom) das Fach der Kriegsdemografie eingeführt und bis 2020 gelehrt.

 

[1] https://www.statista.com/statistics/275400/median-age-of-the-population-in-russia/

[2] https://heinsohn-gunnar.eu/store/product/23-0021-gunnar-heinsohn--nato-keynote-speech--security-implications-of-changing-demographic-trends/

[3] https://news.yahoo.com/gen-milley-says-kyiv-could-004907181.html

[4] https://www.statista.com/statistics/424967/median-age-of-the-population-in-ukraine/

[5] https://nationalinterest.org/blog/reboot/12000-tanks-yes-russia-has-more-armor-america-169274

[6] https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Ukraine-fordert-12-000-Panzerabwehrraketen-von-Berlin-article23125343.html

[7] https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article236534121/Altkanzler-Schroeder-wirft-Ukraine-Saebelrasseln-vor.html

[8] https://www.welt.de/politik/ausland/article237025411/Ukraine-Konflikt-Gezielte-Toetungen-und-Entfuehrungen-bei-Einmarsch-in-Ukraine.html

[9] https://www.tagesspiegel.de/politik/ich-trainiere-die-ganze-zeit-klitschko-wuerde-zur-verteidigung-der-ukraine-zur-waffe-greifen/28060036.html

[10] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/klitschko-zu-situation-in-ukraine-krieg-nicht-ausgeschlossen,Sxo53bu

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Charles Brûler / 22.02.2022

Das wird teuer für Deutschland und die EU, wenn sich Politik und Medien der Kriegsbegeisterung der Ukraine anschließen. Und so sieht es derzeit leider aus. Ich würde vorschlagen: Einfach wegstecken. Das wäre auch bei 9/11 besser gewesen. Aber wann in den letzten Jahren haben deutsche Regierungen schon etwas positives für die Deutschen gemacht?

O. Prantl / 22.02.2022

“Das tut er dadurch, dass er praktisch alle überhaupt noch einsatzfähigen Truppen ihre Grenzen bedrohen lässt.” Dann müssten ja 1 Million Soldaten an der Grenze zur Ukraine stehen. Sind da aber nicht.

Werner Lischka / 22.02.2022

Die 150 000 Mann, die RU aktuell an der ukrainischen Grenze stationiert hat, sind ein Bruchteil (etwa 10%) der aktiven Soldaten, die dort unter Waffen stehen. Der Autor lässt sich hier von seinem Bild der russischen Armee aus den 90er Jahren in die Irre führen. Die Armee des Jahres 2022 ist ein ganz andere Kaliber. Im Gegensatz zu Europa hat man in RU massiv modernisiert und ausgebildet. Soldaten werden pünktlich und gut bezahlt. Das Thema NGO’s kann man vergessen - außerhalb Moskau’s interessieren diese Organisationen niemand - man hat genug mit dem täglichen Überleben zu tun. Dazu kommt, dass das, im Westen beliebte Demo-Hobby in RU sehr rasch zu einer Verurteilung führt - die Hoffnung auf einen zivilgesellschaftlichen Widerstand ist lächerlich. Dazu kommt, dass im Kriegsfall ganz andere Regeln gelten - und Russen mehr als nur patriotisch sind. Ein russischer Politiker mit den Ansichten eines Habeks ist eher nicht vorstellbar. Der aktuelle Einmarsch in den Seperatistengebieten ist eher mit der Aktion in Georgien zu vergleichen. In Georgien hat dies eine NATO-Aufnahme verhindert - ein ähnliches Kalkül dürfte f.d. Ukraine laufen, nachdem die USA eine Zusicherung über einen Aufnahmestopp verweigert haben.

Lutz Gütter / 22.02.2022

“PS.: “Pedro Banos, So beherrscht man die Welt, Die geheimen Geostrategien der Weltpoltik, 2017” auch mehr als erhellend.” Herr Kleinophorst, das ist zwar ein sehr gutes Buch, jedoch nicht mehr so einfach zu erwerben. da muß der eine oder andere schon sehr sehr stark sein.

Josef Cissek / 22.02.2022

Ich schreibe nur Kosovo.  Die erste Rechnung kam jetzt.

Armin Vollmer / 22.02.2022

Peter Bekker / 22.02.2022…Danke! Mich hat vor einigen Jahren, ein Mann, der in der Bonner Regierung beschäftigt war, über die Ukraine aufgeklärt. Seit dem habe ich einen anderen Blick auf die USA und besonders Russland. Um es kurz zu machen, für den Mann war die Ukraine ein total korrupter Banditenstaat. Das sagte er wörtlich. Bei Reitschuster kann ich Ihnen nur beipflichten!

Sabine Schönfeld / 22.02.2022

@ Herr Marc Greiner - Ich wuchs damals im Kalten Krieg auf, d.h. meine Kindheit und Jugend waren geprägt vom fröhlichen Motto: “Genieße diesen Tag, er könnte dein letzter sein.” Denn immerhin war (schon) damals ständig ein schier unendliches (Atom)-Waffenarsenal auf uns gerichtet. Weshalb ich mir als Kind und Jugendliche schlicht erst keinen Beruf überlegt hatte, da alle täglichen Erzählungen in den Medien damals sowieso darauf hinwiesen, dass meine Generation das Erwachsenalter gar nicht erreichen würde. Wie man uns zu jener Zeit nannte? “Generation No Future”. Und jetzt - Herr Greiner - raten Sie mal, wie “dankbar” ich damals bis heute beiden Seiten für ihre beständige Kriegstreiberei war und bin. Unter eine tiefschwarzen Wolke der Drohung offensichtlich durchgeknallter Militaristen aufzuwachsen - kann man sich denn mehr wünschen? Deshalb ist für mich Ihr Kommentar, ich sollte der NATO gar dankbar sein und am Ende noch dafür, dass sie mit aller Macht diesen irrsinnigen Kalten Krieg wieder aufleben lässt -mit Verlaub - grottendämlich. Das ist mit Abstand das Schlechteste, was ich seit langem gelesen habe. Und - ich lese viel.

Gus Schiller / 22.02.2022

Warum wirft sich eigentlich die Bundesbananenrepublik so ins Zeug?? Wo sind die Verbindungen zu unseren “Freunden” in der Ukraine?? Dass wir das korrupte Oligarchensystem mit Milliarden Zuwendungen stützen?? Und sonst noch was? Ach so, die Freiheitshelden vom Maidan, die von westlichen Strippenziehern instrumentalisiert waren. Und weiter?? Was haben wir dort für Interessen? Warum kümmert sich nicht UvdL und ihre Blindentruppe um die Menschenrechte ausserhalb der EU, wenn ihnen das so wichtig ist.

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