Thomas Rietzschel / 31.05.2022 / 16:00 / Foto: achgut.com / 48 / Seite ausdrucken

Putin und der Hunger als Waffe

Durch Putins Ukraine-Krieg wird für die Hungernden dieser Welt das Getreide knapp. Der Hunger wird wieder zur Kriegswaffe. Das stärkt die Erinnerung der Ukrainer daran, dass Stalin ihr Volk in den 1930er Jahren buchstäblich aushungern wollte.

Putin weiß, was er „Väterchen“ Stalin schuldig ist, der Junge will dem Alten nachfolgen und die Ukraine unterwerfen, am besten als souveränen Staat von der Landkarte tilgen. Als der Schnauzbärtige noch Herr im Kreml war, verfügte Moskau noch nicht über die Raketen, die es Putin heute erlauben, das Land in Schutt und Asche zu legen. 

Stalins Methoden des Terrors waren – damals in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts – aber natürlich nicht weniger barbarisch. Sprache, Kultur und Kunst des Volkes sollten „russifiziert“, die ukrainische Kultur zerstört und durch eine sowjetisch-kommunistische ersetzt werden. Kleriker und Intellektuelle wurden reihenweise an die Wand gestellt, in Massengräbern verscharrt. Dichter, Schriftsteller, Künstler und Hochschullehrer zur Gehirnwäsche nach Sibirien deportiert, allein 1931 über 50.000. Als die Rechnung trotzdem nicht aufgehen wollte, weil sich auch das Landvolk, die Bauern, diesem „Fortschritt“ verweigerten, verfiel Stalin auf die Idee, die Ukraine kurzerhand auszuhungern

Dazu bedurfte es keiner hochentwickelten Waffen. Es genügte der brutale Einsatz moralisch verkommener und ideologisch indoktrinierter Genossen, um den Bauern das Getreide aus den Scheunen und das Vieh aus den Ställen zu stehlen. Die Beute wurde ins kapitalistische Ausland verscherbelt. Mit den Erlösen wollte die Partei technisches Know-how und moderne Fabrik-Ausrüstungen kaufen, um die Sowjetunion zu einer führenden Industriemacht aufzurüsten. Ganz im Sinne Lenins, der bereits 1921 erklärte: „Der Bauer muss ein wenig Hunger leiden, um dadurch die Fabriken und die Städte vor dem Verhungern zu bewahren.“ Dazu bedürfe es freilich eines gewissen „Zwangs, auf den die verelendete Bauernschaft sehr heftig reagiert“. Gleichwohl sollte aus den hochtrabenden Plänen Lenin nichts werden, nichts außer Hunger und Not. Stalin hielt daran fest.

Millionen Hungertote

Russland, die ganze Sowjetunion, blieb ein rückständiges Agrarland, das nun nicht einmal mehr über Bauern verfügte, die es hätten bestellen können. Unter dem Regime der Parteifunktionäre gingen die Ernten drastisch zurück. Dem politisch verfügten „Holodomor“, auf deutsch „Hungertod“, erlagen in der Ukraine 1932/33 bereits 3,5 Millionen Menschen. Ein Verbrechen, über das die Sowjetunion den Mantel des Schweigens spannte. Erst nach ihrer Auflösung 1991 kam heraus, dass die Zahl der Opfer noch sehr viel größer war. Die private Lagerhaltung war den Bauern verboten. Nicht einmal das Saatgut durften sie behalten. Die verelendeten Hofbesitzer wurden zur Kollektivierung gezwungen, in Kolchosen und Sowchosen, die weniger ernteten, als sie aussäten. 

Wer es wagte, einen Notvorrat zu verstecken, wurde liquidiert. Es ging nicht nur um den Weizen und den Acker, sondern um einen Völkermord, den viele Länder unterdessen als Genozid anerkannt haben, Deutschland jedoch nicht. Unter anderem auch deshalb, weil der Begriff erst 1948 legal definiert worden sei, wie der Sozialdemokrat Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, erklärte. Es gibt nichts, wozu der deutsche Amtsschimmel nicht in der Lage wäre. Hieß das doch zugleich, dass auch der Holocaust, da er vor der Definition des Begriffs 1948 stattfand, nicht als Genozid anzusehen wäre, ebenso wenig wie der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs. Auf den Begriff gebracht wird doch alles immer erst nachher, nachdem es geschehen ist.  

Festzuhalten bleibt: Stalin hatte die Ukraine brutal unterjocht, doch nachdem er später auch wesentlich zum Sieg über Hitler und sein nationalsozialistisches Regime beigetragen hatte, sollte es damit sein Bewenden haben. Erst als die Sowjetunion zusammenbrach, durfte die Ukraine sich wieder auf sich selbst besinnen. 

Weniger Waffen für mehr Weizen?

Eine glückliche Revision diktatorisch gelenkter Geschichte, mit der sich Putin freilich nicht abfinden kann, will er „Väterchen Stalin“ politisch die Treue halten. Sein neuerlicher Feldzug gegen die Ukraine stockte indes schneller, als er vom Zaun gebrochen war, weil die Ukrainer partout nicht willens sind, sich ihr Land, ihre geographische und kulturelle Heimat noch einmal rauben zu lassen. 

Um dennoch irgendwie ans Ziel zu kommen, droht Putin nun seinerseits und diesmal der ganzen Welt mit der Waffe des Hungers, wenn auch ganz anders als Stalin ehedem. Statt dem überfallenen Gegner das Getreide zu stehlen, blockiert er durch den Krieg die großen Häfen und damit den Export von Weizen, Mais und Ölsaaten. Ein raffinierter Schachzug. Führte er doch erstens zu Lebensmittelengpässen in vielen Ländern, was diese wiederum veranlassen könnte, zu überlegen, inwieweit sie sich die Solidarität mit der überfallenen Ukraine leisten können, ob es nicht besser wäre, weniger Waffen zu liefern, um dafür wieder mehr Getreide für die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu bekommen. Immerhin sitzen derzeit bereits noch 33 Millionen Tonnen der vorjährigen Ernte in den Silos, den Häfen, auf Schiffen und Eisenbahnwaggons fest.   

Mit der Bedrohung der globalen Versorgungssicherheit könnte es Putin gelingen, den Westen sowie das ohnehin Not leidende Afrika und Asien dazu zu bringen, sich von der Ukraine abzuwenden und das Land damit seiner wichtigsten Einnahmen zu berauben. Die Ukraine würde also abermals ausgehungert, diesmal nicht durch den plumpen Diebstahl der landwirtschaftlichen Güter, sondern durch die Unmöglichkeit, sie gewinnbringend zu verkaufen.

Mag Putins größenwahnsinniger Plan, die Welt hungern zu lassen, am Ende auch nicht aufgehen. Im Krieg gegen die Ukraine könnte Stalins Strategie des Hungers als Waffe wieder erfolgreich funktionieren. Und das umso mehr, als das Ausland – konzentriert auf die Lieferung militärischen Geräts für den bewaffneten Kampf – bisher kaum mitbekommen hat, dass es, abgesehen von der Aussetzung der Öl-, Gas- und Kohle-Lieferungen, noch andere Bereiche gibt, in denen Putin den Stalin unserer Tage macht.

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Silas Loy / 31.05.2022

Noch einer mit dem Ukrainevirus. Kopfschmerzen und bellender Husten. Gute Besserung. Im Übrigen können die Handelsschiffe ukrainische Häfen nicht anlaufen, weil die Ukrainer sie vermint haben. Sie hätten ja auch mit internationaler Vermittlung Korridore aushandeln können, aber dann hätten die Russen zu gut dagestanden. Das kann ein Medienprofi wie Selensky nicht durchgehen lassen. Verhungern muss trotzdem niemand, es werden nur die Preise steigen und da kann man armen Ländern ja durchaus helfen. Geld für Weizen statt für Waffen.

T. Schneegaß / 31.05.2022

Nach dem Beitrag von Herrn Zimmermann hatte ich bis eben befürchtet, heute hier auf MS verzichten zu müssen und habe deshalb schon bei LOCUS online vorbeigeschaut. Schlimmer wars da auch nicht.

H. Krautner / 31.05.2022

Weshalb verbreiten alle dieses Märchen von einem Getreidemangel auf der Erde? Schaut man sich die Erntedaten von 2021 sowie die dazu gehörenden Länder an, die Getreide produzieren, erkennt man schnell, dass es keinen Getreidemangel gibt. Russland, als größtes Getreideexportland exportiert selbstverständlich gerne weiter sein Getreide. Man kann natürlich nicht erwarten, dass Russland auch an einige westliche Länder exportiert, die ihrerseits Russland mit Wirtschaftssanktionen bekriegen.      Deutschland produziert 103 % seines Eigenbedarfs. Trotzdem schüren die deutschen Medien die Angst vor Mehlmangel.      Der Export aus der Ukraine ist derzeit zwar erschwert, findet aber trotzdem über Polen statt. Der Krieg findet doch „nur“ in einem rel. schmalen Streifen an der ukrainischen Ostküste statt. Getreidemengen, die derzeit aus der Ukraine fehlen, können andere Länder ohne Probleme ausgleichen, zumal 2021 die Weltgetreide so groß war, wie noch nie in der Geschichte.            Getreidemangel? Alles nur Geschäftemacherei.

Nathalie Nev / 31.05.2022

@Christian Feider   Sehr intéressant, ihr Kommentar, ich glaube, es wird noch Vieles an die Oeffentlichkeit kommen,was man jetzt nicht wahrhaben will.  Dafuer befiehlt jetzt Zelensky anderen Laendern, Geld und Waffen zu liefern., und mehr davon, und es wird ihm gehorcht…

P. F. Hilker / 31.05.2022

Ich lese Ihre Aufsätze sehr gerne, Herr Riertzschel. So auch diesen.

Franz Klar / 31.05.2022

@Ingo Albert : “Röper beschreibt die Situation auf seiner Seite gestern (30.5.) etwas anders. Was soll ich jetzt glauben?” Röper natürlich ! Der lebt in Rossija und übersetzt aus erster Hand , was er dort hört . Und das ist die Wahrheit .

Ernst-Fr. Siebert / 31.05.2022

Herr Luhmann: Mit Ihrer sachlichen und konstruktiven Anmerkung haben Sie mich überzeugt. Ich glaube den Kriegstreibern kein Wort mehr, es sei denn es käme von Herrn Selenski, Claudia Roth und Anton Hofreiter.

Dr Stefan Lehnhoff / 31.05.2022

Die Ukraine ist ein großer Weizenexporteur, aber die blockierten Mengen sind unter 2% der Weltproduktion- innerhalb der Schwankungsbreite der Ernten. Die EU sorgt gerade mit neuen Auflagen für einen größeren Rückgang Der Lebensmittelproduktion und dann gibt es da noch viele andere Anschläge auf die Welternährung: Brennende Fabriken in USA, die Blockade der Union Pacific bezüglich US Getreide aber auch bei Add Blue und Dünger- auch an mehrere Stellen. (Und immer auf Anweisung des jeweiligen größten Aktionärs Blackrock) Die willkürlichen Blockaden in Peking oder LA, die Liste ist endlos. Ukraine ist eigentlich ein völliges Randthema. Und die Russen sagen, die Ukrainer haben das Meer vermient und lehnen russische Geleitzüge ab. Kann stimmen oder nicht. (So wie Ihre ungeprüfte Weitergabe ukrainischer Behauptungen) Aber es gilt immer noch: Die große Gefahr ist nicht der Mafiakönig im Kreml, sondern der Digital- finanzielle Komplex. Allein Pfizer macht 80 Milliarden mit Impfstoffen und tötet auch viel erfolgreicher als die Russen mit 60 Milliarden Wehretat pro Jahr. Die große Gefahr am Ende nicht vom Mafiakönig in Moskau sondern von denen aus, die kopfnickend vor der Tagesschau sitzen.

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