Reinhard Mohr, Gastautor / 14.10.2022 / 14:00 / Foto: Kremlin.ru / 75 / Seite ausdrucken

Putin und die deutsche Lust am Untergang

Derselbe unberechenbare, womöglich irre Mann, dem man umstandslos zutraut, wegen des Misserfolgs seiner „Spezialoperation“ einen weltweiten Atomkrieg vom Zaun zu brechen, soll ein verlässlicher Verhandlungspartner sein, mit dem man einen dauerhaften Waffenstillstand oder gar eine Friedenslösung vereinbaren will?

Niemand weiß, was Putin und seinen beliebig austauschbaren Schergen, Spitzname „Bluthunde“, noch alles einfallen wird, um die Niederlage zu verzögern und das mutwillig angerichtete Desaster zu verlängern, bevor der Untergang der russischen Despotie, der Höllenritt in den Abgrund, perfekt ist: Bombenterror auf große Städte, die Zerstörung der verbliebenen ukrainischen Infrastruktur, Cyberattacken auf westliche Einrichtungen, Mord und Folter frei Haus.

Doch eines steht jetzt schon fest: Putins stärkste – und letzte – Waffe ist die Angst, genauer: die Angst der Deutschen. Eine Angst, die zuweilen an Unterwerfungssehnsucht grenzt. Die Offenen Briefe von Alice Schwarzer, Richard David Precht & Co. repräsentieren diese Haltung, die sich moralisch stets auf der richtigen Seite wähnt und dabei größenwahnsinnig und feige zugleich ist, überheblich und kapitulationsaffin.

Dass es so etwas wie die tödliche Bedrohung unserer Freiheit gibt, ja, dass der Kampf um Freiheit, ob im Iran, in Russland, der Ukraine oder hierzulande, sogar das eigene Leben kosten kann, ist aus dem Bewusstsein jener verbannt, deren natürlicher Lebensraum das Talkshow-Studio ist. Was würde TV-Philosoph Precht wohl den todesmutigen iranischen Frauen raten, die ihre Kopftücher verbrennen und drauf und dran sind, das islamistische Terrorregime zu stürzen? Gespräche mit dem obersten Menschenschlächter Ajatollah Chameini am Runden Tisch? Geschlechtersensible Verhandlungen über die Länge des Tschadors?

Ein Totschlagsargument aus intellektueller Verlegenheit

Die immer wieder herbeigerufene Angst vor dem Einsatz von Atomwaffen, deren erste Opfer allerdings Ukrainer wären, wirkt wie ein ultimatives Passepartout, ein handliches Totschlagsargument aus intellektueller Verlegenheit. In Wahrheit meldet sich hier die urdeutsche Angst vor dem Weltuntergang zu Wort, der noch etwas früher einträte als das Armageddon der Klimakatastrophe. Die „letzte Generation“ müsste sich in diesem Fall beeilen, ihre festgeklebten Hände vom Asphalt auf der Avus zu befreien und den nächsten Schutzbunker aufzusuchen, der noch nicht im Namen der Friedensliebe gesprengt worden ist. 

Friedrich Sieburg spottete über diese deutsche „Lust am Untergang“ einst mit der lakonischen Formulierung „Gedränge unterm Fallbeil“: Er schrieb: „Es ist unglaublich, was man mit einem gut gepflegten Katastrophengefühl alles anfangen kann.“

Dass ein eskalierender Atomkrieg ein unbeschreibliches Unheil für die ganze Welt wäre, liegt auf der Hand. Doch es ist eine deutsche Spezialität, sich stets als dessen erstes Opfer zu imaginieren und ihn als abstrakte Drohkulisse aufzubauen, gegenüber der das alltägliche Kriegselend samt Gräueltaten wie eine vernachlässigbare Banalität wirkt.

Der Talkshow-Experte Harald Welzer, der inzwischen die legitime Erbschaft altgermanischer Rechthaberei angetreten hat, verwies neulich sündenstolz auf das deutsche Fachwissen, wenn es um Blitz- und Vernichtungskrieg geht. Klare Sache: Da macht uns keiner was vor, auch kein ukrainischer Botschafter mit chronischem Bluthochdruck. Bei Anne Will dozierte Welzer im Mai dieses Jahres: „Wir sprechen als Mitglieder dieser Gesellschaft vor dem Hintergrund einer Kriegserfahrung, die sich durch die Generationen durchgezogen hat.“

Das Privileg der Untergangspropheten

So bleibt es dabei: Von der Anti-Atomtod-Bewegung der fünfziger Jahre über die Proteste gegen die „Nachrüstung“ in den achtziger Jahren bis zur endemischen Atomkraft-Phobie der Grünen, die auch in einer akuten Notsituation nicht von ihrem Glaubensbekenntnis ablassen wollen – stets beanspruchen die Deutschen das Privileg der Untergangspropheten, das Ende der Welt unmittelbar vor Augen zu haben. Andere Völker haben offenbar nicht so feine Antennen. 

Unvergessen ist mir die Begegnung mit einem Reporter der linken französischen Zeitung „Libération“ im „Friedenscamp Mutlangen“ 1983, in dessen Nähe ein Depot mit amerikanischen Pershing II-Raketen entstehen sollte – die Antwort der NATO auf die sowjetischen SS-20-Mittelstreckenraketen. Kopfschüttelnd verfolgte er die teils gymnastischen Übungen der Friedenskämpfer in der schwäbischen Spätsommersonne, mit der sie ihre Angst vor dem drohenden Atomkrieg bändigen und zugleich ihre „gewaltfreien Aktionen“ vorbereiten wollten. 

Der Franzose verstand das alles nicht, lief es doch auf die Forderung nach einseitiger Abrüstung des Westens hinaus. Die Logik dahinter war nicht nur pazifistisch, sondern eben auch naiv: Wenn wir den Kopf senken, wird die andere Seite schon nicht zuschlagen. In Umkehrung der berühmten Protest-Parole „Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt“ lautete die Friedensbotschaft aus dem Geiste des  Pietismus: Wer sich wehrt, lebt verkehrt! 

Angst essen Seele auf

Warum? Weil er die andere Seite provoziert, wenn er sich wehrt. Schon damals wurde jene Gleichung formuliert, die heute Dampfplauderer wie Precht und Welzer aufwärmen: Mehr Waffen führen nur zu mehr Krieg. Also führen weniger Waffen zu weniger Krieg. Und gar keine Waffen? Nicht nur Franzosen erinnern sich dunkel daran, dass sie 1940 der deutschen Wehrmacht schon nach wenigen Wochen unterlagen, weil sie auf den bevorstehenden Krieg nicht vorbereitet waren und nicht glauben wollten, dass Hitler ihr Land ebenso grund- wie skrupellos angreifen würde - wie 82 Jahre später Putin die Ukraine.

„Angst essen Seele auf“ war der programmatische Titel eines frühen Films von Rainer Werner Fassbinder. Er stimmt bis heute. Angst, und sei sie nur ein verquerer oder kalkulierter Ausdruck fortgeschrittener Realitätsverweigerung, nagt aber auch schwer am Verstand – von der Vernunft zu schweigen. 

Sagen wir es so:

Das ewige Mantra der Warner vor dem Atomkrieg, man müsse „mit Putin reden“ und über Verhandlungen eine für ihn „gesichtswahrende“ (!) diplomatische Lösung finden, verkörpert das, was man einen „performativen Widerspruch“ nennt: Derselbe unberechenbare, womöglich irre Mann also, dem man umstandslos zutraut, wegen des Misserfolgs seiner  „Spezialoperation“ einen weltweiten Atomkrieg vom Zaun zu brechen, soll ein verlässlicher Verhandlungspartner sein, mit dem man einen dauerhaften Waffenstillstand oder gar eine Friedenslösung vereinbaren will?

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr.

Aber bei Markus Lanz ist einfach alles möglich.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

S.Niemeyer / 14.10.2022

Falls sich mit Hass heizen lässt, haben manche Achse Autoren und Kommentatoren immer eine bullig warme Bude

P. F. Hilker / 14.10.2022

At Manni Meier: Gut, dass Sie die Achse nur noch sporadisch lesen, so brauche ich mich nicht mehr so oft ärgern. Ich hoffe, die anderen Putinliebhaber denken wie Sie.

giesemann gerhard / 14.10.2022

@Thomas T.: Auch Russland gehört zu Europa. Ohne Russland läuft es im Rest Europas nicht so gut. Problem: Die Deutschen als Verlierer von WW II MUSSTEN sich halbwegs anständig benehmen lernen - die Russen als Sieger nicht. Also haben sie es gelassen, Pech für alle ihre Nachbarn. Russland stürmt nach Westen – da wollen sie hin, vor allem die jungen Russ*Innen, weg aus Taiga und Tundra. Die alten reaktionären Säcke im Kreml machen dann das Licht aus und lassen sich einsalzen. Wie Lenin, in Balsam. Lieber die kommen als der Moslem, aber hallo. Wir brauchen Russland, um uns der islamischen Zumutung zu erwehren. DAS ist unser gemeinsames Interesse. Zusätzlich zu gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen. Egal wie der Waffengang ausgehen wird, die Russen haben es für lange Zeit mit ihren slawischen Brüdern verschissen, wegen allzu schlechten Benehmens. Ob sie es sich mit dem Westen auch noch verderben wollen? Sie sind auf dem besten Wege. Und China, die sind zehn(!) Mal so viele wie die Russen, hat seinen Xi, der süß-sauer dazu lächelt. Sollte man den Russen mal wieder sagen, vielleicht verlassen die Kremherren dann so langsam ihre Westphobie, bevor sie endlich ganz verschwinden und das Szepter Leuten wie Nawalny überlassen. Zar Peter der Große, ein Vorbild Putins meines Wissens, war sehr stark nach Westen hin orientiert, doch nicht hin zum Orient. Den Osten (wostok) wollte der nur beherrschen - Wladiwostok. Dass Russland durchaus auch mal vom Westen her verändert wird, hat die unglaubliche Zarin Katharina die Große, geb. von Anhalt-Zerbst gezeigt. So etwas Ähnliches, unter heutigen Gegebenheiten versteht sich, schwebt mir vor - zum allerersten Nutzen und Frommen des großartigen Landes Russland mit seinem großartigen russischen Volk, seinen Völkern. Machen wir den Russen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können. Dann können wir vielleicht feiern von Wladiwostok bis Lissabon? Unter unseren Bedingungen, nicht denen eines Stalin-Verschnitts.

holger bemmann / 14.10.2022

leute, die mit putin reden und verhandeln wollen, haben sich wohl auch als kind noch nie geprügelt. sie glauben, mit ihrer “kopfkraft” jeden konflikt meistern und auf körperkraft verzichten zu können. das sieht man diesen erschlafften konstitutionen meistens auch schon von weitem an.

Hubert Bauer / 14.10.2022

@ Alle Putler-Fans: Wenn Putler tatsächlich Frieden will, dann braucht er nur seine Soldaten nach Russland zurückbeordern und mit dem Beschuss der Ukraine aufhören. Weder die Ukraine, noch irgendein NATO-Staat beanspruchen auch nur einen Krümel russische Erde. Danach können Russland und die Ukraine über Reparationen verhandeln und danach Russland und die NATO wer wo welche Waffensysteme aufstellen darf. Putin und nur Putin ist in der Pflicht.

giesemann gerhard / 14.10.2022

Was will der Russe? Ganz klar: Verhindern, dass ihm nach all den anderen auch noch die UA von der Fahne geht. Nebst Belarus. Alle wollten weg vom Russen, sobald es machbar war - viele weitere wollen in die Nato, nachdem es Russland ermöglicht hat. Ja geradezu erzwungen hat. Sogar Serbien! Das sollten all die Russland-Liebhaber*Innen hier bedenken. Die Kremlgewaltigen müssen ja irre werden an ihrem eigenen dummen Zeugs. Aber sag mal einem Bekloppten, dass er bekloppt ist. Bei einem Atomschlag gibt es nur Verlierer - deshalb halte ich die Atombombe einfach für genial: Selbst dem dümmsten Sowjet-General ist klar: Da ist ja meine Familie weg, meine Kinderchen sind auch mit weg, die Bumse von der Schreibstube dito. Das fördert das Denkvermögen, Herr Heinsohn hat das angedeutet. Die Japaner damals konnten das noch nicht wissen - mussten es blitzartig lernen, zu ihrem eigenen Vorteil, wie weiter unten dargestellt. Hart, aber wahr, in seiner ganzen Grausamkeit. Die Deutschen hatten das Pech - oder das Glück? - dass sie es langsam lernen mussten, in den Bombennächten, Tag für Tag, wenn die Amerikaner kamen, nachts die Briten. Porca miseria. Der 30-Jährige 2.0 hätte wohl nie statt gefunden, wenn die Atombombe schon 1910 da gewesen wäre, mit einer knalligen Demonstration. So blieb es dabei: Ließ ich meine Kompanie, 500 Mann, antreten, in vollem Saft, die Kerle, so dachte ich: Die wenn hopps gehen, dann bleiben 500 Maiden übrig - sicher ist das die eine oder andere dabei .... . Als Brigadegeneral waren das schon ca. 3000 Mann, als Divisonskommandeur ließ ich antreten - später, als Armeegeneral, verlor ich sowohl Interesse als auch Überblick. Aber halt: Stimmt alles nicht, waren nur feuchte Träume, ich war ja gar kein Grundschwein, sondern Flieger. Immer von oben feste druff. Auf die Grundschweine. Grunz, grunz.

Werner Grandl / 14.10.2022

Der Ukraine-Krieg ist kein Konflikt, bei dem es um irgendwelche halluzinierten “europäischen Werte” geht, sondern ein Stellvertreterkrieg zwischen Rußland und den USA. Es geht schlicht um den Zugriff auf die Rohstoffe und Nahrungsmittel der Ukraine -und später um jene Rußlands. Nicht mehr und nicht weniger. Wer ein wenig in US-Quellen sucht, findet auch die Biden Family als persönliche Profiteurin dieses schmutzigen Krieges. Und um es klar zu sagen: es ist nicht unser Krieg! Nicht zu vergessen: wer hat wohl Nord Stream 1 und 2 gesprengt ?

Claudius Pappe / 14.10.2022

Hinter der Tastatur, weit ab vom Krieg, lässt es sich gut mutig sein.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Reinhard Mohr, Gastautor / 04.03.2024 / 10:00 / 111

Die Ampeldämmerung

Es passt nicht mehr viel zusammen im Bündnis von SPD, Grünen und FDP. Dennoch gehen die Bündnispartner – meist jeder für sich – ihren Weg…/ mehr

Reinhard Mohr, Gastautor / 24.01.2024 / 06:00 / 49

Völker der Welt, bleibt zu Hause!

International bekannte Kulturschaffende, die sich bis jetzt damit begnügt haben, Israel zu boykottieren, rufen jetzt zu einem Boykott der Bundesrepublik auf. Das ist ausbaufähig. Deutschland…/ mehr

Reinhard Mohr, Gastautor / 23.12.2023 / 06:15 / 220

Nicht mehr mein Land

Egal ob Frankfurt, Köln, München oder Berlin – ein türkisch-arabisch-islamisches Milieu mit ausgeprägter Macho-Kultur hat in Deutschland Fuß gefasst. Ganze Straßenzüge haben eigentlich nichts mehr…/ mehr

Reinhard Mohr, Gastautor / 02.11.2023 / 06:00 / 64

Ein Platz für Juden

Jüdisches Leben hat in Deutschland Hochkonjunktur. Da trifft es sich vielleicht gut, dass ein ehemaliges Herrenvolk mit Erfahrung in Sachen Völkerkunde für Betreuung und sichere…/ mehr

Reinhard Mohr, Gastautor / 20.10.2023 / 16:00 / 22

Steinmeier in die Sonnenallee!

Aus der Serie Der Bundespräsident besucht sein Volk: Nächste Ausfahrt – Berlin Neukölln! Dass Deutschland das „Land der Ideen“ ist, wissen wir seit der Fußballweltmeisterschaft 2006.…/ mehr

Reinhard Mohr, Gastautor / 06.10.2023 / 16:00 / 25

Das Projekt Wagenknecht

Wird Sahra Wagenknecht eine eigene Partei gründen oder es sein lassen? Die einen hoffen es, die anderen fürchten sich davor. Sie selbst hält sich bedeckt,…/ mehr

Reinhard Mohr, Gastautor / 28.02.2023 / 12:00 / 69

Der feministische Reflex im Außenministerium

Annalena Baerbock hat einen Arbeitsstab „Feministische Außenpolitik“ ins Leben gerufen, der geschlechtergerechte Lösungen für den diplomatischen Dienst erarbeiten soll. Eine offene Frage lautet: Wie wird…/ mehr

Reinhard Mohr, Gastautor / 04.02.2023 / 09:00 / 85

Bloß nicht zur Polizei!

„Studierende“ an der Berliner FU, die dem weiblichen Geschlecht zugerechnet werden, sollen sich nicht an die Polizei wenden, wenn sie sexuell belästigt werden und der…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com